Neuruppin wehrte sich gegen Rechte

  Aufmarsch erfolgreich blockiert – Neonazis mussten Rückzug antreten

Am vergangenen Samstag war für 200 Neonazis  im brandenburgischen Neuruppin kein Durchkommen. Eine Blockade von ca. 400 Antifaschisten sorgte dafür, dass sie ihre geplante Demoroute um zwei Drittel verkürzen mussten. Der Aufmarsch war erst mit großer Verspätung losgezogen, weil die Rechten noch auf Kameraden aus Berlin und anderen brandenburgischen Städten warteten. Die Demo wurde von den Freien Kräften Neuruppin/Havelland organisiert und stand unter dem Motto „Vom Schuldkult zur Mitschuld“.   Damit wollte die zu den Freien Kräften zählende Neonazigruppe die Naziverbrechen relativieren. „Wir bekennen uns nicht schuldig“, heißt es in deren  Aufruf.   Auf der Demo der Rechten waren antisemitische Parolen wie „Israel, internationale Völkermordzentrale!“ zu hören.
 „Für uns war der Tag aus zwei Gründen ein großer Erfolg“, meint der Pressesprecher des antifaschistischen Netzwerkes Neuruppin  Karsten Berend gegenüber ND.           „Der Neonaziaufmarsch war viel kleiner als in den letzten Jahren und in diesem Jahr  wurden die Rechten   erstmals gestoppt“. Während in der letzten Zeit in vielen Städten in Brandenburg Neonazis erfolgreich blockiert wurden, hatten in Neuruppin die Rechten seit 2007 jährlich ihren  Aufmarsch durchgeführt können, weil die Polizei  alle Blockadeversuche verhinderte. Im Jahr 2007, als erstmals knapp 60 Neonazis in Neuruppin demonstrierten, war  bei der Räumung einer Sitzblockade unter Anderen die Bundestagsabgeordnete der Linken Kirsten Tackmann verletzt worden.
Im vergangeen Jahr war die Blockade der Antifaschisten nach einer Stunde von der Polizei geräumt worden.  Auch diesmal Jahr sah es zeitweise nach einer Wiederholung auf. Gegen Mittag stand ein großes Polizeiaufgebot den Nazigegnern gegenüber und  forderte zur Räumung der Straße aus. Die Gegendemonstranten hatten eine Straßenkreuzung auf der Route der Neonazis besetzt. Die Polizei, die mit 800 Beamten aus Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein im Einsatz war, forderte sie vergebens zur freiwilligen Räumung auf.  
 Dass es nicht zur Räumung kam, dürfte auch an der Breite des Bündnisses liegen. Zu den Protesten hatten neben Antifagruppen auch das lokale Bündnis „Neuruppin bleibt bunt“ sowie verschiedene Parteien, Organisationen und Einzelpersonen aufgerufen.
An der Blockade beteiligten sich auch Gewerkschafter und Politiker, so der Landrat von Ostprignitz-Ruppin Ralf Reinhard, Neuruppins Bürgermeister Jens Peter Golde (beide parteilos) sowie die märkischen Bundestagsabgeordneten Dagmar Ziegler (SPD) und Kirsten Tackmann (die Linke).    Da die Blockierer nicht wichen, mussten die Neonazis den Rückzuug antreten.

  Zahlreich vertreten waren auch Mitglieder der sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken“. Ein Club  des Jugendverbands in Rheinsberg war in der Nacht zum 27. Juni   verwüstet und mit rechten Parolen beschmiert worden. „Linke raus“  stand an der Fassade. Trotzdem wollte der CDU-Bürgermeister von Rheinsberg Jan Peter Rau nicht von einem rechten Anschlag sprechen, weil die Ermittlungen noch im Gange sind. Das Netzwerk Neuruppin erinnerte daran, dass am 27. Juni  auf 5 linke Einrichtungen in Berlin  ebenfalls Anschläge verübt wurden und sieht darin einen Beweis für die Menschenverachtung der rechten Szene.

aus Neues Deutschland, 11.7.2011
Peter Nowak

Was alles Kunst ist

In Brandenburg steht eine Schülerpunkband wegen eines Liedes gegen Polizisten vor Gericht

Die Freiheit der Kunst hat in Deutschland Verfassungsrang. Auch Musiker, deren Texte von Gewalt handeln, sind dadurch erstmal geschützt. Über die Grenzen wird derzeit in Neuruppin verhandelt.

Der Kunstfreiheit ist es zu verdanken, dass Musikbands in ihren Songs Inhalte verbreiten können, die strafrechtliche Folgen hätten, wenn sie ein Demonstrationsredner von der Bühne rufen würde. Nach dem Grundgesetz ist es verboten, auf Methoden und Inhalte der „künstlerischen Tätigkeiten“ einzuwirken oder „allgemein verbindliche Regelungen für den Schaffensprozess“   vorzuschreiben . Die Punkband Slime musste sich wegen der Zeile „Stampft die Polizei zu Brei, haut den Pigs die Fresse ein, denn nur ein totes ist ein gutes Schwein“ nie vor Gericht verantworten. Ebenso wenig die Band „Die Ärzte“, die in einen Lied von „Bullen aufhängen“ und „Schwänzen rösten“ fantasierte.
Der Rechtsanwalt Stephan Martin trug diese Beispiele kürzlich vor dem Neuruppiner Landgericht vor. Er verteidigt Musiker der örtlichen Schülerpunkband  „Krachakne“, die sich in ihren Texten nicht nur mit den Neonazis sondern auch  der Staatsmacht wenig freundlich auseinandersetzen. „Die Polizei, dein Freund und Helfer, knall sie ab und hilf dir selber“, lautet der reimten die Jugendlichen in einem Song, den sie auf Konzerten im Beisein von Zivilbeamten  gesungen haben sollen. Das trug ihnen beim Verfassungsschutz des Landes Brandenburg nicht nur den Titel „linksextreme Hassmusiker“ sondern auch eine Anzeige wegen  Aufruf wegen zur Gewalt ein.  Denn die Kunstfreiheit ist auch für Bands kein Freibrief. 
Die Kläger müssen nun   nachweisen, dass es den Bands um politische Inhalte und nicht um Kunst geht. Und das wird  nicht einfach, wie Jurist Stephan Martin weiß.  Die  Punkband „Normahl“ jedenfalls wurde wegen  ähnlicher Gewaltphantasien mit Polizisten jedenfalls   1994 vom Oberlandesgericht Thüringen freigesprochen.  Bei ihrem Song handelt es siich um Kunst und nicht um politische Agitation, befand das Gericht. Aber es gibt auch den Fall zweier Musiker, die Todesdrohungen gegen eine reale Person – die SPD-Politikerin Monika Griefahn, die sich für eine schärfere Kontrolle von Jugendszenen ausgesprochen hat, gerappt haben. Sie wurden 2008 zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Es war die erste Verurteilung einer Band, die nicht aus dem rechten Spektrum kommt.  
Wo die Kunst endet, ist allerdings auch in der linken Bewegung ein Streitpunkt. So fordern antifaschistische Initiativen verschiedentlich das Verbot von Auftritten rechter oder homosexuellenfeindlicher Musiker. Können die sich aber nicht ebenso wie linke Punkband auf die Kunstfreiheit berufen?  Ein Berliner Antifaaktivist, dessen Gruppe sich schwerpunktmäßig mit Rechtsrock befasst, verneint:   „Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen. Das gilt für uns auch wenn die rechte Hetze gesungen wird“.  B
Bisher waren überwiegend Bands aus der rechten Szene von gerichtlichen Maßnahmen betroffen, bestätigte der Kulturwissenschaftler Daniel Schneider vom Berliner Archiv der Jugendkulturen.     Dass jetzt auch gegen links ermittelt wird, könne mit der Akzentverschiebung in der Politik der schwarz-geben Bundesregierung  zusammenhängen, die den Kampf gegen Rechts  den Kampf gegen alle Extremisten ersetzen will, erklärte er gegenüber ND.      Ob  Krachakne-Anwalt Stephan Martin die Neurppiner Richter überzeugt kann, ist bislang   offen. Das Verfahren gegen die Jungmusiker läuft noch.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/195348.was-alles-kunst-ist.html?sstr=Krachakne

Peter Nowak