Merkel hat in der Union keinen Konkurrenten, aber auch nicht bei ihren Koalitionspartner SPD
Die Frage, ob Merkel noch einmal zur Wahl als Kanzlerin antritt, beschäftigt die Medien eigentlich seit der letzten Wahl. Im März 2014 wollte sie sich noch nicht festlegen [1], wurde aber schon von CSU-Chef Seehofer zur Kanzlerkandidatin 2017 ausgerufen. Zwei Jahre vor der nächsten Wahl wird darüber berichtet, dass schon erste organisatorische Vorbereitungen für Merkels erneute Kandidatur getroffen wurden.
Nun haben die Medien im Sommerloch genügend Futter, um darüber zu sinnieren, ob es Merkels Ziel ist, länger als Adenauer im Kanzleramt zu überdauern oder gar ihren verstoßenen Ziehvater Helmut Kohl noch am Aussitzen zu überdauern. Dann müsste sie allerdings auch zu den übernächsten Wahlen antreten. Dass sich die Medien mit solchen Themen beschäftigen, dokumentiert auch wieder einmal ihre Inhaltsleere. Sie machen sich damit zum kostenlosen Wahlhelfer. Denn es gehört natürlich zur Unionsstrategie, so selbst zwei Jahre vor den Wahlen schon die Kampagne inoffiziell zu beginnen.
Festgelegt hat sich Merkel ja noch nicht. Dann wäre ja auch die Spannung raus und das Thema wäre nicht mehr für tiefsinnige Artikel zu haben. So ist es für die Unionswahlkampfstrategie doch das Klügste, das Thema noch etwas am Köcheln zu halten, obwohl doch schon nach den letzten Wahlen klar war, dass Merkel kandidieren wird. Dass im Frühjahr 2014 gerade Horst Seehofer, der ja nicht immer als Merkel-Freund galt, ihre neue Kandidatur anpries, passt auch da völlig ins Konzept. Es gibt keinen Konkurrenten im Unionslager, soll es signalisieren.
Das hat sich nicht geändert, auch wenn beim Streit um die Durchsetzung des Austeritätsdiktat gegenüber Griechenland schon mal eine Differenz zwischen Merkel und Schäuble in manchen Medien konstruiert wurde. Nur haben hier die beiden konservativen Politiker mit verteilten Rollen das gleiche Ziel verfolgt, eine Alternative zur von Deutschlands Interessen geprägten Austeritätspolitik zu ersticken. Außerdem ist klar, dass Schäuble wegen seiner Rolle im Spendenskandal der Ära Kohl kein Aspirant auf das Kanzleramt sein wird.
Merkel auch Kandidatin der SPD
Merkel hat in der Union keinen Konkurrenten – aber auch nicht bei ihren Koalitionspartner SPD. Dort wird sogar diskutiert, erst gar keinen eigenen Kandidaten aufzustellen. „Sie ist eine ausgezeichnete Kanzlerin“, erklärte [2] der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident mit SPD-Parteibuch Torsten Albig und bezweifelte eine eigene Kanzlerkandidatur. Er blieb in der SPD mit dieser Meinung nicht allein, obwohl der SPD-Parteiapparat von diesen Äußerungen gar nicht angetan war.
Schließlich bedeuten sie die Demontage des gegenwärtigen SPD-Vorsitzenden Gabriel, der schließlich das Zugriffsrecht auf eine Kanzlerkandidatur seiner Partei hat. Tatsächlich ist die Merkel-Befürwortung in Teilen der SPD-Spitze ein Akt des Misstrauens gegenüber Gabriel. Aber sie ist nur konsequent. Schließlich hat die SPD im Kern immer die Politik gemacht, die die Union vorgegeben hat. Nur gelegentlich versuchte Gabriel die Union noch rechts zu überholen. Etwa bei seiner Anbiederung an Pegida und die Hetze gegen eine kryptokommunistische griechische Regierung, die keinen Cent von deutschen Arbeitern erhalten soll.
Angesichts solcher Äußerungen sehen nicht nur manche Sozialdemokraten Merkel als das kleinere Übel. Dass die SPD sich fragt, ob sie überhaupt noch eine Kanzlerkandidatur erwägen soll, zeigt auch, dass sie mittlerweile mit den Grünen konkurriert, die 2011 erstmals über eine eigene Kanzlerkandidatur [3] diskutierten. Wie schnell der Weg noch weiter nach unten gehen kann, zeigt sich an der FDP, die noch vor 15 Jahren erstmals eine Kanzlerkandidatur wagen wollte. Erst stürzte Jürgen Möllemann ab, der diesen Posten gerne eingenommen hätte, und dann die ganze Partei ab.
Kein Protest gegen ewige Kanzlerin
Erstaunlich ist, dass im Medienecho über Merkels erneute Kandidatur kaum mal daran erinnert wurde, dass in fast allen bürgerlichen Demokratien die Begrenzung der Amtszeit der Regierenden zum Wesen der Demokratie gehört. Nicht nur in den USA, auch in Frankreich und den meisten lateinamerikanischen Staaten kann ein Präsident nicht beliebig oft kandieren. Selbst der russische Präsident Putin musste zwischendurch mal auf das Amt des Premierministers rotieren.
In Deutschland gibt es diese Beschränkungen nicht und auch keine wahrnehmbare Bewegung, die angesichts der ewigen Merkel eine solche Beschränkung fordert. In manchen Ländern lösen die Kandidaturankündigungen von Dauerpolitikern Massenproteste und regelrechte Staatskrisen aus. In Deutschland hingegen spürt man schon das Aufatmen, dass Merkel sich noch einmal bereit erklärt, die deutsche Mutti zu spielen, die wenn es sein muss, mit Pickelhaube auf dem Kopf [4] in aller Welt deutsche Interesen vertritt.
Gibt es mal einen Sturm im Wasserglas, wie bei den schnell abgebrochenen Ermittlungen gegen netzpolitik.org, gerät Merkel erst gar nicht in die Kritik, sondern kann sogar noch profitieren, weil sie sich erst bedeckt hielt und dann auch zur Kritikerin der Justizermittlungen wurde. Seltsamerweise wagt hier gar niemand den Einwand, dass die Justiz idealtypisch gar nicht von der Politik abhängig ist und die massive Kampagne gegen die Ermittlungen eigentlich als Unter-Druck-Setzen dieser als 3. Gewalt apostrophierte Justiz sonst heftig kritisiert wird.
Doch Merkel hat auch viele andere umstrittene Sach- und Personalentscheidungen ohne Imageverlust überstanden. Das liegt aber weniger an ihrer Person als an ihrer Funktion. Hier zeigt sich einmal mehr, wie recht der Politologe Johannes Agnoli schon Ende der 60er Jahre mit seiner Schrift Die Transformation der Demokratie [5] hatte.
Dort konstatierte er das Wirken einer großen kapitalistischen Einheitspartei mit mehreren Flügeln in Deutschland. In den Zeiten der Weltmarktkonkurrenz spielen auch die Flügel kaum noch eine Rolle. Und so ist es nur folgerichtig, dass diese Einheitspartei „Modell Deutschland“ erwägt, auch nur noch eine Kandidatin auf den Schild zu heben. Der Großteil der Bevölkerung fühlt sich gut vertreten, weil sie von Interessengegensätzen im In- und Ausland nichts hören will. Sie halluziniert sich wieder zur Volksgemeinschaft, die nach Außen mit einer Stimme auftritt. Merkel wird von der Mehrheit der Bevölkerung als gute Besetzung für diesen Job gesehen.
http://www.heise.de/tp/news/Die-ewige-Merkel-und-die-deutsche-Volksgemeinschaft-2768197.html
Peter Nowak
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