Am Donnerstag protestierten Kantinenbeschäftigte der Firma Eurest gegen schlechte Arbeitsbedingungen
Bei der Cateringfirma Eurest ist die Stimmung schlecht. Das gilt nicht nur bei den Arbeitsbedingungen, Streit gibt es auch über die Frage der Organisierung.
»Nach der Arbeit bei Eurest gehen wir noch putzen, um unseren Kindern auch einmal etwas kaufen zu können«, erklärt eine Beschäftigte der Cateringfirma. Doch die Belegschaft belässt es nicht bei diesen Klagen, am Donnerstag haben sie mit einem Aktionstag ihren Protest auf die Straße getragen. Demonstrationen gab es unter anderem in Köln und Frankfurt am Main, aber auch in London und New York.
Besonders aktiv sind die Kantinenbeschäftigen bei der Commerzbank in Frankfurt am Main. Zu ihren zentralen Forderungen, die am Donnerstag auf Transparenten zu lesen waren, gehört die Übernahme aller Kantinenbeschäftigten der von Schließung bedrohten Filialen der Commerzbank und ein Ende der Auslagerung. »Die Commerzbank soll ihre Kantinen wieder selbst betreiben«, fordert Betriebsrat Harald Stubbe. Er hatte 2008 für Aufsehen gesorgt.
Unzufriedenheit mit der Branchengewerkschaft
Der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Eurest-Kantine bei der Commerzbank Frankfurt am Main war nach 20 Jahre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) zur Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) übergetreten. Auch andere aktive Kollegen wechselten die Gewerkschaft. Hintergrund war ihre Unzufriedenheit mit dem zwischen Eurest und der NGG aushandelten Haustarifvertrag. Seitdem ist die IWW, die in Deutschland vorher kaum in Erscheinung getreten war, aber in den USA als Wooblies bekannt ist, im Kampf der Kantinenbeschäftigten ein wichtiger Akteur. Auch der Aktionstag am Donnerstag war von der IWW in verschiedenen Ländern unterstützt worden.
Eurest als große, glückliche Familie? Redner wiesen auf der Kundgebung in Frankfurt am Main diese offizielle Firmenideologie zurück: »Wir haben das zunächst geglaubt. Dann haben sie die Springer abgeschafft und wir haben deren Arbeit mitgemacht, wenn jemand fehlte. Wir arbeiteten immer schneller. Wir haben sogar gearbeitet, wenn wir krank waren. In einer Familie – so dachten wir – hilft man sich gegenseitig«, brachte eine Kantinenmitarbeiterin unter Applaus die Stimmung großer Teile der Belegschaft auf den Punkt. Andere beklagten sich über Bespitzelungen und Schikanen der Belegschaft.
In weiteren Redebeiträgen wurde deutlich, dass es diese Probleme nicht nur bei Eurest gibt. »Ob der Arbeitgeber Eurest, Aramark, Sodexo oder sonst wie heißt, ist uns egal. Sie zahlen alle zu wenig«, wurden auch die Arbeitsbedingungen anderer Cateringfirmen kritisiert.
Streit um kostenloses Kantinenessen
Und auch die Gewerkschaft NGG wurde von der Kritik nicht ausgespart. »Dort wurde verlangt, dass wir unseren Beitrag bezahlen. Besser geworden ist dadurch aber nichts. Deshalb haben wir uns in der Basisgewerkschaft IWW organisiert«, wirbt ein Redner. Wie Heiner Stuhlfauth von der IWW-Köln gegenüber »nd« bestätigt, ist das Interesse unzufriedener NGG-Mitglieder an der IWW nach wie vor groß.
Ein konkreter Streitpunkt: Seit Jahresanfang gibt es für die Kantinenarbeiter von Eurest kein bezahltes Frühstück und Mittagsessen mehr. Der mehrheitlich von NGG-Mitgliedern besetzte Eurest-Gesamtbetriebsrat habe kurz vor Weihnachten dieser Regelung zugestimmt, kritisierten die Demonstranten. Sie befürchten als Konsequenz zunehmende Kontrollen und mögliche Bagatellkündigungen, wenn ein Beschäftigter ein Brötchen essen sollte. Eine zentrale Forderung war deshalb die Weitereinführung der kostenlosen Mahlzeiten für Kantinen- und Küchenpersonal.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/216742.wir-haben-es-schon-lange-satt.html
Peter Nowak
Einen Erfolg hat die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter Union (FAU) diesen Mittwoch vor dem Berliner Arbeitsgericht erzielt. Die Gewerkschaft darf die Behauptungen aufrecht erhalten, die sie in einem Arbeitskonflikt beim Spielautomatenhersteller Ball Wulff in Flugblättern verbreitet hatte.. Hintergrund sind betriebliche Umstrukturierungsmaßnahmen, die bei Bally Wulff seit mehr als 3 Jahren im Gange sind. Die Belegschaft ist in dieser Zeit von über 300 auf knapp 220 Beschäftigte gesunken. Bis Juni 2012 soll die Siebdruckerei geschlossen werden. Ein seit 23 Jahren im Berliner Bally Wulff-Stammwerk Beschäftigter hatte sich mit Unterstützung der FAU gegen eine mit Lohnkürzungen verbundene Änderungskündigung gewehrt. In der Auseinandersetzung hatte die FAU unter dem Motto „Abgezockt Bally Wulff“ einen Aktionstag an den 12 Betriebsstandorten organisiert. Im Anschluss versuchte die Geschäftsführung gegen die FAU eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Danach hätte die Gewerkschaft insgesamt 12 Punkten Aussagen über das Unternehmen nicht mehr verbreiten dürfen. Auch die Behauptung, dass es im Jahr 2008 bei Bally Wulff Verschlechterungen für die Beschäftigten gegeben habe und Produktionslinien geschlossen worden seien, wäre unter das Verdikt gefallen.. Auch mit einen Outsourcing von Arbeitsplätzen wollte das Unternehmen nicht in Verbindung gebracht werden.
Doch die Arbeitsrichterin lehnte den Erlass einer Einstweiligen Verfügung mit der Begründung ab, dass die Behauptungen nicht unwahr seien.
Damit ist der Versuch gescheitert, mit Wortklauberei gewerkschaftliche Rechte einzuschränken“, kommentierte der FAU-Sekretär Andreas Förster gegenüber ND das Urteil.
Die Entscheidung sei besonders zu begrüßen, weil in letzter Zeit die Versuche zugenommen hätte, die gewerkschaftlichen Rechte der FAU zu beschneiden. Dagegen hatte im November 2011 die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) protestiert. Sie fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass die FAU gemäß der internationalen Konventionen die Rechte ihrer Mitglieder vertreten könne. In dem ILO-Bericht wird in bezug auf die Berliner FAU das Recht der freien Meinungsäußerung, das Zutrittsrecht zu sämtlichen Betrieben, in denen sie Mitglieder hat und das Recht auf Teilnahme an Betriebsratssitzungen, sofern sie auf betrieblicher Ebene repräsentativ ist, eingefordert. Auch kritische Onlinemagazine wie Labournet oder Trend-Onlinepartisan sind in der letzten Zeit häufig verklagt worden, weil sie Erklärungen von Arbeitskämpfen dokumentieren. Davon waren auch Flugblätter von DGB-Gewerkschaften betroffen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/216134.kritik-an-bally-wulff-stimmt.html
Bei einer Premiere gibt es Protest gegen Arbeitsbedingungen. Der Intendant ist sauer
Bei der Premiere von Claus Peymanns Inszenierung von „Dantons Tod“ am Berliner Ensemble (BE) gab es kürzlich eine Sondervorstellung: Eine Gruppe stürmte in der Pause einen der Gänge, sang die Marseillaise und trug eine Collage aus dem Dramentext und aktuellen Forderungen vor. Es gab Applaus. Dabei ging es der Initiative, die sich „das Grollen im Zuschauermagen“ nennt, nicht um Unterhaltung. Sie wollte auf die Arbeitsbedingungen der 110 BE-Beschäftigten in Technik und Requisite aufmerksam machen, die sich in den letzten Monaten gewerkschaftlich organisierten haben, um einen Tarifvertrag zu erstreiten.
„Es war uns wichtig, Öffentlichkeit für diese unsichtbaren MitarbeiterInnen zu schaffen“, erklärte eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht nennen will. Die AktivistInnen fürchten eine Kriminalisierung. BE-Intendant Peymann hat die Pauseninszenierung in verschiedenen Medien als Kampfansage von Ver.di bezeichnet und mit Anzeige gedroht. Die Initiative stellte mittlerweile klar, dass sie aus „solidarischen TheaterbesucherInnen“ besteht und sich nicht mit der Gewerkschaft abgesprochen hat.
Die Entlohnungspraxis am BE bewerten Gewerkschaft und Theater ganz unterschiedlich. So erklärte Peymann nach der Aktion kokett: „Ich bin der größte Ausbeuter überhaupt, aber verglichen mit anderen Theatern zähle ich Spitzengagen.“ Ver.di-Sekretär Frank Schreckenberg sagte der taz: „Das BE ist eines der wenigen öffentlich geförderten großen Theater in Berlin ohne Tarifvertrag.“ Vor allem in den letzten Jahren eingestellte Beschäftigte verdienten oft erheblich weniger als ältere MitarbeiterInnen. Durch den Tarifvertrag solle daher dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder Geltung verschafft werden.
Seine Gewerkschaft sei von der Protest-Performance überrascht worden, gab Schreckenberg zu. Ver.di hatte alle Aktionen gestoppt, weil für den 23. Januar die ersten Gespräche vereinbart sind.
http://www.taz.de/Berliner-Ensemble-/!85309/
Peter Nowak
ARBEIT Pflegerin hat Demente intensiver betreut als vorgesehen. Nach Lohnstreit soll sie ins Gefängnis
Angelika-Maria Konietzko hat schon ihre kleine Tasche gepackt, in der wichtige Utensilien verstaut sind. Denn sie muss im kommenden Jahr ins Gefängnis. Der Haftbefehl ist schon ausgefertigt. Konietzko soll in Erzwingungshaft, die bis zu sechs Monate andauern kann, weil sie einen Offenbarungseid verweigert, aber auch nicht bereit ist, die Kosten eines Rechtsstreit von über 2.200 Euro zu tragen. Sie sind bei einem Streit vor dem Arbeitsgerichts entstanden, der sich um die Bezahlung ihrer Tätigkeit als Nachtwachenbereitschaft in einer WG für Demenzkranke drehte.
Sie habe bei der Nachtschicht nur zehn Stunden vergütet bekommen, obwohl ihr eigentlich als Nachtwache elf Stunden zustünden, ist Konietzko überzeugt. „Die BewohnerInnen der Seniorenwohngemeinschaft waren schwerst pflegebedürftig. Sie haben eine Überwachung und Pflege rund um die Uhr benötigt“, betont die 43-jährige Frau. Sie habe laufend Kontrollgänge machen müssen und daher keine Pausen gehabt.
Der Pflegedienst Hauskrankenpflege Mitte widerspricht dieser Darstellung. „Die Senioren befanden sich in Wohngemeinschaften und nicht in einem Heim oder einer medizinischen Einrichtung, wo eine Pflege der Senioren rund um die Uhr notwendig ist.“ Das Arbeitsgericht gab dem Pflegedienst in mehreren Instanzen recht und verwies auf den Arbeitsvertrag, in dem eine pauschale Vergütung des Nachtbereitschaftsdienstes festgelegt ist. Zudem sei in der Stellenausschreibung eine Arbeitsleistung von zirka drei Stunden und ein Bereitschaftsdienst von acht Stunden pro Nacht festgelegt. Dabei ließ das Gericht offen, ob Konietzko tatsächlich elf Stunden gearbeitet hat. „Es ist nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, Pflegestandards selbst festzulegen“, heißt es im Urteil.
Dieser Satz empört die Klägerin besonders. „Hätte ich die Pflegearbeiten nicht gemacht, hätte ich meine Arbeit enorm vernachlässigt und unter Umständen sogar wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden können“, behauptet sie. So habe zu ihren Tätigkeiten das Absaugen der Mundhöhle bei den demenzkranken PatientInnen gehört, da sonst die Gefahr bestanden hätte, dass diese im Schlaf ersticken.
Diese Auffassung wird von verschiedenen Organisationen bestätigt. Thomas Birk vom Verein Selbstbestimmtes Wohnen im Alter erklärt, dass in Demenz-Wohngemeinschaft eine durchgängige 24-Stunden-Betreuung notwendig sei. „Das bedeutet für die Nachtstunden eine Nachtwache und keine -bereitschaft.“ Auch Gabriele Tammen Parr von Pflege in Not bekräftigt, dass ein nächtlicher Bereitschaftsdienst in einer Demenz-WG nicht nur völlig unzureichend ist, sondern auch grob fahrlässig sein kann. Diese Stellungnahmen sind vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigt worden.
Ihre Weigerung, den Offenbarungseid zu leisten, sieht Konietzko als Akt des Widerstands. „Dabei geht es mir nicht in erster Linie um Lohnforderungen. Ich will auf die Zustände im Pflegebereich aufmerksam machen.“ Mittlerweile hat sie von einer Kollegin Unterstützung bekommen: Brigitte Heinisch, die 2005 vom Pflegekonzern Vivantes gekündigt wurde, weil sie Missstände im Pflegebereich gemeldet hatte, will ihren ehemaligen Solidaritätskreis für sie aktivieren. Heinisch hat nicht nur den Whistleblowerpreis, sondern auch eine Entschädigung erhalten, weil die in Deutschland von sämtlichen Instanzen bestätigte Kündigung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben wurde.
Auch Konietzko hat schon was erreicht: Der Pflegedienst Hauskrankenpflege Mitte hat für seine Demenz-WG nun Nachtwachen statt Bereitschaftsdienste eingeführt. Gegenüber der taz war er zu keiner Stellungnahme im Fall seiner Exmitarbeiterin bereit.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2011%2F12%2F30%2Fa0171&cHash=4e7f0b7a2e
Peter Nowak
Damit sich das Weihnachtsgeschäft lohnt, werden bei Amazon auch Hartz-IV-Bezieher eingesetzt. Man nennt das Praktikum.
»Süßer die Kassen nie klingeln als in der Weihnachtszeit.« Diese etwas abgegriffene Persiflage eines Weihnachtsliedes trifft auf den Internetversandhandel Amazon auf jeden Fall zu. In der Weihnachtszeit boomt das Geschäft. Zudem bekommt das Unternehmen einen Teil der Arbeitskräfte noch gratis. Möglich wird dieser zusätzliche Profit durch die Sozialgesetzgebung, die es erlaubt, die Arbeit befristet angestellter Jobber bis zu vier Wochen weiter mit Leistungen durch die Arbeitsagentur statt mit einem branchenüblichen Lohn durch das Unternehmen zu vergüten. Offiziell wird diese Phase Praktikum oder Anlernzeit genannt.
Ein Betroffener hatte sich an das Erwerbslosenforum Deutschland gewandt, dessen Sprecher Martin Behrsing dieses Vorgehen öffentlich skandalisierte. Der Erwerbslose berichtet über die reibungslose Kooperation zwischen der Arbeitsagentur und der Personalabteilung von Amazon in Werne bei Bonn.
Die Erwerbslosen seien in Gruppen von bis zu 90 Personen direkt in das Unternehmen zu einer mehrstündigen Informationsveranstaltung eingeladen worden. Auch Mitarbeiter der Jobcenter und der Arbeitsagentur seien zugegen gewesen. Nach Angaben des Erwerbslosen habe man dann die zukünftigen Amazon-Mitarbeiter zwei Wochen auf Hartz-IV-Basis arbeiten lassen. Bei einer anschließenden Einstellung hätten die Mitarbeiter 38,5 Stunden arbeiten müssen, es seien aber nur 35 Stunden bezahlt worden. Denjenigen, die diese Form der Ausbeutung nicht mitmachen wollten, sei von der Arbeitsagentur mit Sanktionen gedroht worden, weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stünden. Ein anderer Erwerbsloser berichtete, er sei in einer »Rechtsfolgenbelehrung« von seinem Jobcenter darauf hingewiesen worden, dass er sanktioniert werden könne, wenn er sich weigern sollte, auf Hartz-IV-Basis bei Amazon zu arbeiten. So wurde die Extraausbeutung eines Großunternehmens durch die Sanktionsmechanismen des Hartz IV-Systems abgesichert. Zugleich werden damit tariflich bezahlte Arbeitsplätze vernichtet. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung von Amazon bestätigte einem der Leiharbeiter, dass die Arbeit von der ersten Stunde an normal bezahlt werde, wenn keine Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung stünden. Doch die Praxis der Arbeitsagenturen hat bisher für genug Nachschub an Billiglöhnern gesorgt. Warum sollte das Unternehmen dann noch regulär beschäftigte Arbeitskräfte einstellen? Nachdem die Pressemeldungen des Erwerbslosenforums kurzfristig für mediale Empörung sorgten, bezeichneten Sprecher der Arbeitsagentur die Verleihpraxis als einen Fehler, der behoben werden müsse. Dass damit diese Form der staatlich unterstützten Niedriglöhne endgültig abgeschafft ist, darf bezweifelt werden.
Zudem wurde nach einer Recherche des Fernsehmagazins »Report Mainz« schnell klar, dass auch an den Amazon-Standorten Leipzig und Bad Hersfeld Minilöhne an der Tagesordnung waren. Mitarbeiter berichteten dem Sender, dass sie teilweise über Jahre hinweg immer wieder zeitlich befristete Arbeitsverträge bekommen hätten. Die Betroffenen wollten allerdings anonym bleiben. Denn die Furcht gehört bei den Mitarbeitern zum Arbeitsalltag. So berichteten Beschäftigte, dass sie trotz Krankheit zur Arbeit erschienen seien, weil sie Angst gehabt hätten, bei Fehlzeiten nach dem Auslaufen der Verträge nicht weiterbeschäftigt zu werden.
»Der Druck ist groß«, bestätigte eine Mitarbeiterin gegenüber »Report Mainz«. Und die Methode von Amazon wird immer beliebter, wie der Jenaer Arbeitssoziologe Klaus Dörre bestätigt. Er bezeichnet den Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen zugunsten befristeter Verträge als Disziplinierungsinstrument. Diese Einschätzung wird indirekt auch von Amazons Personalabteilung bestätigt. Als Gründe für die Ausweitung der befristeten Arbeitsplätze gab diese in »Report Mainz« an, man versuche, die Nachfrageschwankungen innerhalb eines Jahres aufzufangen, und wolle besonders engagierte Mitarbeiter gewinnen. Das Engagement der Beschäftigten im Sinne des Unternehmens steigt aber, wenn wegen unsicherer Arbeitsverträge die Angst vor dem Jobcenter stets präsent ist und als zusätzliches Disziplinierungsinstrument die Druckmittel der Hartz-IV-Regelungen zur Anwendung kommen.
Auch Julian Jaedicke kann täglich beobachten, dass die Amazon-Beschäftigten unter großem Druck stehen. Er arbeitet als Organizer für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Firmenstandort Bad Hersfeld. Von den 5 000 Beschäftigten haben 3 000 befristete Arbeitsverträge. Dort beträgt die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Lohn arbeiten müssen, in der Regel eine Woche. Wenn es viele Arbeitslose gebe, könne die Zeit des Praktikums auch zwei Wochen betragen, berichtet Jaedicke. Mindestens zwei Drittel der Beschäftigten seien befristet beschäftigt. Auch Jaedicke sieht darin ein Instrument zur Disziplinierung. Die Befristung habe dort die Funktion, die in anderen Firmen die Leiharbeit übernehme. »Die Leute arbeiten und arbeiten – in der Hoffnung auf einen festen Job«, so Jaedicke.
Viele Befristete hätten Angst, für ihre Interessen einzutreten. »Wenn wir einen festen Arbeitsvertrag haben, werden wir aktiv«, lautet die Devise. Allerdings versucht Verdi, bei einer Organizing-Kampagne alle Mitarbeiter anzusprechen. Mittlerweile dürften die Organizer die Kantine von Amazon nicht mehr betreten, berichtet Jaedicke. Allerdings habe ihre Arbeit schon Erfolge erzielt. »Mittlerweile verteilen die Mitarbeiter die Gewerkschaftsmaterialen in der Kantine«, sagt er. Bis Ende November musste die Stammbelegschaft im Warenausgang des Logistikzentrums zwei Tage Kurzarbeit machen, Urlaub nehmen oder im entsprechenden Umfang Minusstunden sammeln, weil vor dem Advent 600 Saisonkräfte für den großen Ansturm des Weihnachtsgeschäfts qualifiziert wurden, berichtete Heiner Reimann vom Projekt »Handel und Logistik Bad Hersfeld« von Verdi. Der Betriebsrat des Internetkaufhauses habe der Kurzarbeit widerwillig stattgegeben, weil er befürchtete, dass die Firmenleitung sonst wie schon in der Vergangenheit zum Mittel des Schichtabbruchs greifen könnte. Mehrere hundert Mitarbeiter der Stammbelegschaft seien bezüglich der Frage, wie sie den Wunsch der Geschäftsleitung erfüllen, auf sich alleine gestellt gewesen, moniert Jaedicke.
Allerdings haben sie in der letzten Zeit Unterstützung von unerwarteter Seite bekommen. Internetnutzer organisierten sich als kritische Kunden und zeigten Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten. So kündigten mehrere Kunden ihre Konten bei dem Internetversand aus Protest gegen die Dumpinglohnbedingungen. Einige gesellschaftskritische Blogs wie die »Nachdenkseiten« oder »Der Spiegelfechter« haben ihre Partnerprogramme mit Amazon.de gekündigt. Bei den »Nachdenkseiten« will man weder bei eigenen noch bei auf der Seite empfohlenen Büchern auf Amazon verlinken. »Vor allem im Vorweihnachtsgeschäft sollte Amazon schmerzlich am eigenen Leibe erfahren, dass es auch wirtschaftlich von Nachteil sein kann, wenn man sich durch Gesetzeslücken auf unsoziale Art und Weise Vorteile verschaffen will«, schreibt Spiegelfechter-Blogger Jens Berger.
http://jungle-world.com/artikel/2011/51/44575.html
Peter Nowak
Minijobber erstreitet Lohnnachzahlungen und Arbeitszeugnis
Am Dienstag ging vor dem Berliner Arbeitsgericht der Lohnkampf in einen
Spätkauf mit einem Vergleich zu Ende. Ein Angestellter hatte auf Lohnnachzahlungen geklagt, weil er nach eigenen Angaben auf Minijobbasis bis zu 60 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Der am erzielte Vergleich sieht vor, dass der Angestellte eine Abfindung von 4000 Euro und ein Arbeitszeugnis bekommt, das bestätigt, dass er sechs Tage wöchentlich in den Laden gearbeitet hat. Dieser Passus sei ihm besonders wichtig gewesen, betonte der Verkäufer gegenüber »nd«. Für die anarchosyndikalistische Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) und die Berliner Gruppe »Internationale Kommunisten«, die in den
letzten Wochen mehrere Veranstaltungen und Kundgebungen zu dem Fall organisierten betonten, zeigt das Ergebnis, dass selbst in schwer organisierbaren Branchen, wie den Spätverkäufen Erfolge möglich sind.
Bisher war weder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di noch der FAU ein Fall bekannt, in dem ein Spätverkäufer sich juristisch und politisch gegen seien Arbeitsbedingungen wehrt. »Informelle Beschäftigungsverhältnisse und das hohe Maß an Prekarität, das auch die Ladenbesitzer mit einschließt, machen Widerstand schwer«, erklärt der auf soziale Kämpfe spezialisierte Publizist Holger Marcks. Heinz Steinle von der Nachbarschaftsinitiative, die de Verkäufer unterstützte, sieht das Problem auch im Niedriglohnsektor Einzelhandel, in dem Beschäftigte seit langem über die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen klagen. Beispielsweise die Streichung von Abend- und Nachtzuschlägen war Gegenstand eines langen Arbeitskampfes im Jahr 2007.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/214001.erfolg-im-spaetverkauf.html
Peter Nowak
ARBEIT Die Klage gegen einen Ladeninhaber wegen nicht bezahlten Lohns endet mit einem Vergleich
Mit einem Vergleich endete am 20. Dezember vor dem Arbeitsgericht der Lohnkonflikt zwischen dem ehemaligen Mitarbeiter eines Friedrichshainer Spätkaufs und dessen Besitzer. Der Mitarbeiter hatte entgangenen Lohn einklagen wollen, weil er auf Basis eines Minijobvertrags bis zu 60 Stunden wöchentlich im Laden gearbeitet habe (die taz berichtete). Der Inhaber hingegen gab an, der Angestellte sei nur 20 Monatsstunden beschäftigt gewesen. Der Angestellte bekommt nach der Einigung eine Abfindung von 4.000 Euro sowie eine Bescheinigung, dass er sechs Tage in der Woche in dem Spätkauf gearbeitet hat. Beide Parteien verpflichten sich wechselseitig, keine weiteren Forderungen mehr zu stellen und alle Anzeigen zurückzunehmen. Der Spätkaufbesitzer hatte nicht nur den Kläger wegen falscher Angaben, sondern auch mehrere Internetportale verklagt, die über den Fall berichteten.
Der Kläger zeigte sich gegenüber der taz über das Ergebnis erleichtert: „Ich konnte alle meine Forderungen durchsetzen.“ Wichtig sei ihm vor allem der Nachweis gewesen, dass er sechs Tage in der Woche in dem Laden gearbeitet habe. „Der Ausgang zeigt, dass Widerstand auch in schwer organisierbaren Branchen möglich ist“, meinte auch der Sekretär der Berliner Freien ArbeiterInnen-Union (FAU), Florian Wegner. Der Angestellte hatte sich von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft unterstützen lassen. In den vergangenen Wochen organisierte sie mit einer Friedrichshainer Nachbarschaftsinitiative mehrere Veranstaltungen und Kundgebungen in der Nähe des Spätkaufs. Die letzte fand am vergangenen Freitag statt, dazu schickte auch die als „Emmely“ bekannt gewordene Kaiser’s-Kassiererin eine Grußadresse. Sie war bundesweit bekannt geworden, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Entlassung wegen eines angeblich unterschlagenen Flaschenbons im Wert von 1,30 Euro gewehrt hatte.
p://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%
2F12%2F21%2Fa0153&cHash=a6871e869f
Peter NOwak
Nach über einem halben Jahr Arbeitskampf stehen die streikenden Redakteure beim Schwarzwälder Boten kurz vor dem Erfolg.
Es könnte ein bedeutender Tag für die Redakteure des Schwarzwälder Boten werden, die sich seit Mitte Mai im Arbeitskampf befinden. Vor einigen Tagen setzten sie ihren Streik für Verhandlungen aus. Denn am Dienstag kommt es zur dritten und nach Einschätzung von Gewerkschaftern entscheidenden Tarifverhandlung zwischen Verdi und dem Deutschen Journalisten-Verband einerseits und der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) andererseits. Zu dieser Holding gehören neben dem Schwarzwälder Boten noch die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung, die großen Printmedien aus Südwestdeutschland also. Geschäftsführer sowohl der Holding als auch des Schwarzwälder Boten ist Richard Rebmann, der erklärte Lieblingsfeind der Streikenden.
»Herzlich willkommen im Niedriglohn-Sektor von Dr. Rebmann«, lautet ein Slogan, den man im Streikblog häufiger lesen kann. Rebmann war es, der im März 2011 den Schwarzwälder Boten mit damals noch 430 Beschäftigten in zwei Gesellschaften aufgliederte: eine für die Redaktionen, die andere für die Anzeigenabteilung und die Geschäftsführung. Bereits 2008 war der »Grafikbote« gegründet worden, mit dem die Druckvorstufe ausgegliedert wurde. Deren Betrieb soll jetzt ganz eingestellt werden. Dafür sollen die Beschäftigten von einer konzerneigenen Leiharbeitsfirma mit niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitszeiten übernommen werden.
Auch im Redaktionsbereich wurde gespart, wie Verdi an einigen Beispielen aufzeigte. So sollen die von der Redaktionsgesellschaft des Schwarzwälder Boten neu eingestellten Volontäre mit abgeschlossenem Studium im ersten Jahr nur noch 1 228,50 Euro statt wie bisher 1 755 Euro verdienen – ein Minus von 30 Prozent. Und davon sind nur 877,50 Euro als reguläres Gehalt deklariert, der Rest wird von der Geschäftsführung als jederzeit widerrufbare »freiwillige Zulage« verstanden. Außerdem wurden die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht, die Zahl der Urlaubstage von 30 auf 27 im Jahr gesenkt sowie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld komplett gestrichen. Daher sprach Verdi von Gehaltsverlusten bis zu 50 Prozent bei jungen Journalisten.
Aufgrund der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen traten am 20. Mai knapp 40 Prozent der Redakteure in den Streik. Die Kampfbereitschaft war für alle Beteiligten überraschend. »Es gab keine Streikkultur in der 175jährigen Geschichte des Schwarzwälder Boten. Das ist auch für die Geschäftsführung eine völlig neue Erfahrung«, sagt ein Betriebsratsmitglied, das namentlich nicht genannt werden will, der Jungle World. Ihm zufolge sei den Redakteuren durch die Umstrukturierungen bei der Druckvorstufe, die drei Jahre zuvor noch widerstandslos über die Bühne gingen, klar geworden, was die Ausgliederung für sie bedeute.
Dass sich der Arbeitskampf so lange hinzog – insgesamt gab es 96 Streiktage –, ist vor allem der Geschäftsführung geschuldet, die sich Verhandlungen lange verweigerte. Rebmann argumentierte, nicht seine Holding, sondern die ausgegliederte Geschäftsführung im Schwarzwälder Oberndorf sei zuständig. Diese Haltung musste er Anfang Dezember aufgeben, nicht nur wegen der Ausdauer der Streikenden, sondern auch wegen der Unterstützung, die der Arbeitskampf in der Zeitungsbranche erfuhr. »Wir fürchten, dass dieses Verhalten in anderen Verlagshäusern Schule machen könnte, wenn die Führung des Schwarzwälder Boten sich mit ihrer Vorgehensweise durchsetzt«, begründeten Redakteure und Volontäre des Mannheimer Morgen und des Südhessen Morgen ihre Solidarität mit den Streikenden. Ähnliche Erklärungen wurden in den vergangenen Wochen zahlreich an den »Streikboten« geschickt. So nennt sich die von den Redakteuren gestaltete Streikzeitung im Internet, die über Aktionen rund um den Arbeitskampf informiert. Von einer möglichen Signalwirkung redet auch das Betriebsratsmitglied: »Die Kollegen befürchten, dass die Aufspaltung des Schwarwälder Boten nur der Auftakt in der Branche ist.« Immerhin sei die SWMH der zweitgrößte Konzern in der Branche und setze Maßstäbe.
Mit verschlechterten Arbeitsbedingungen sehen sich derzeit viele in der Zeitungsbranche Tätige konfrontiert. Am meisten haben die freien Journalisten darunter zu leiden, denen eine Honorarkürzung oftmals nicht einmal angekündigt wird. So schildert ein Musikredakteur der Jungle World seine Erfahrungen mit der Lausitzer Rundschau: »Nach 15 Jahren regelmäßiger und dauerhafter freier Mitarbeit wurde bei mir das Zeilenhonorar um zwei Drittel gekürzt, ohne mich darüber zu informieren. Das konnte ich nur meinen Kontoauszügen entnehmen.« Er sollte für ein Zeilenhonorar von zehn statt wie bisher 31 Cent Artikel liefern. Seine Beschwerden hatten keinen Erfolg. »Die einzige Reaktion des Chefredakteurs bestand darin, in wenigen Zeilen darauf hinzuweisen, dass meine freie Mitarbeit nun beendet sei, und mir ›viel Glück‹ auf meinem weiteren Arbeitsweg zu wünschen.« Jener Chefredakteur hatte im Sommer 2010 seinen Dienst angetreten, um die Zeitung durch Einsparungen, unter anderem bei den Gehältern, zu sanieren. Obwohl dem Musikredakteur zufolge auch unter den festangestellten Redakteuren die Unzufriedenheit darüber groß war, sei es zu keinem Widerstand gegen die Einschnitte gekommen. Zu groß sei bei vielen die Angst gewesen, entlassen zu werden, wenn man sich zu sehr exponiere.
Eine solche Stimmung ist in der Zeitungsbranche weit verbreitet und erschwert die Solidarität. So sicherten auch beim Schwarzwälder Boten 15 freie Journalisten das Erscheinen einzelner Lokalausgaben während des Ausstands. Die Gewerkschaften sprechen von Streikbruch. Sollte es nächste Woche zu einem für die Beschäftigten akzeptablen Ergebnis kommen, dürften nicht nur bei den Kollegen des Schwarzwälder Boten die Sektkorken knallen. Sie hätten damit gezeigt, dass Arbeitskämpfe in der Zeitungsbranche möglich sind und sogar erfolgreich sein können.
http://jungle-world.com/artikel/2011/50/44520.html
Peter Nowak
STUDIE Eine linke Initiative hat fast 18 Monate lang untersucht, wie Erwerbslose vom Jobcenter Neukölln behandelt werden. Jetzt wurden die Ergebnisse vorgestellt
„Man ist ’ne Nummer.“ – „Wenn man krank ist, behandeln die einen wie einen Viertelmensch.“ – „Bei Migranten machen die einen auf Ausländerdeutsch.“ Das sind drei Zitate von Neuköllner Erwerbslosen. Gesammelt wurden sie von der sozialpolitischen Initiative Die aus dem Umfeld der linken Gruppe „Für eine linke Strömung“ (fels) stammenden AktivistInnen haben knapp 18 Monate rund um das Jobcenter Neukölln geforscht. Sie haben Interviewbögen verteilt und mehrere hundert Direktbefragungen durchgeführt. Am Dienstagabend stellten sie die Ergebnisse erstmals öffentlich vor.
In der Studie wird auch auf die soziale Struktur von Neukölln und die lange Geschichte der Untersuchungsmethode eingegangen. Schon Karl Marx hatte im Jahr 1880 „Fragebögen an Arbeiter“ verfasst. In den späten 1960er Jahren machten junge Linke die „militante Untersuchung“ genannten Befragungen auch in Deutschland populär. Daran will die Neuköllner Initiative anknüpfen.
Es sei mit den Befragungen darum gegangen, die Erwerbslosen zu Kritik und Widerstand zu ermutigen, betont Benjamin Müller von der Initiative. Den entscheidenden Hebel gegen das Hartz-IV-Regime haben die AktivistInnen allerdings nicht gefunden. Dafür waren die Kritikpunkte, die die Erwerbslosen am Jobcenter äußerten, zu unterschiedlich.
Mangelnder Respekt sei ein zentraler Kritikpunkt der verschiedenen Betroffengruppen gewesen, berichtet Müller. Erwerbslose mit migrantischen Hintergrund hätten sich über die „Ausländersprache“ beschwert, in die manche SachbearbeiterInnen fallen, obwohl ihre „Kunden“ perfekt deutsch gesprochen hätten. Häufig sei kritisiert worden, dass der Regelsatz zu spät überwiesen werde. Auch übernehme das Jobcenter oft nur einen Teil der Miete und spare dann beispielsweise die Stromkosten aus. So entstünden bei Betroffenen deutliche Mietschulden, die dann im schlimmsten Fall zu Obdachlosigkeit führen könnten. Das sei eine sehr häufig geäußerte Sorge gewesen, betont Müller.
Er führt einen Teil der Probleme auf eine Überarbeitung der Jobcenter-MitarbeiterInnen zurück, die sich in häufigen Krankmeldungen ausdrücke. Es sei der Initiative bekannt geworden, dass mehrere MitarbeiterInnen ihren Vorgesetzten gemeldet hätten, wegen zu vieler Fälle ihre Arbeit nicht mit der nötigen Gründlichkeit erledigen zu könne. Angeblich sei es wohl auch vorgekommen, dass SachbearbeiterInnen bis zu 300 statt der empfohlenen 170 Fälle bearbeiten mussten.
Beim Jobcenter Neukölln wollte sich niemand zu der Untersuchung äußern, da diese dort noch nicht bekannt sei.
Die Broschüre mit dem Untersuchungsergebnissen steht unter zusammendagegen.blogsport.de/images/fels_jcn_br_web_01.pdf
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2011%2F12%2F14%2Fa0144&cHash=1986115109
Seit zwölf Wochen streiken die Mitarbeiter eines Tochterunternehmens der Berliner Charité. Mit Erfolg, denn zumindest zeichnet sich nun ein Kompromiss ab.
Spendenaufrufe sind in der Vorweihnachtszeit nichts Ungewöhnliches. Doch der Appell des Solidaritätskomitees für die CFM-Beschäftigten fällt auf. »Wir möchten Euch dringend um Spenden für die Streikkasse der Kolleginnen und Kollegen beim Charité Facility Management (CFM) in Berlin bitten«, heißt es dort.
Es erinnert an die Frühzeit der Arbeiterbewegung, als vor mehr als hundert Jahren Gewerkschaften für streikende Kumpels aus den Zechen des Ruhrgebiets oder für Hafenarbeiter in Hamburg sammelten. Auch sonst erinnert manches am Arbeitskampf der Charité-Beschäftigten an längst vergangene Zeiten. Schließlich ist eine ihrer wichtigsten Forderungen der Abschluss eines Tarifvertrags. Bis Anfang voriger Woche beharrte die CFM darauf, dass es mit ihr einen Tarifvertrag nicht geben wird. »Da bewies man schon vor 140 Jahren mehr Sinn für sozialen Frieden, als die Buchdrucker 1871 den ersten Tarifvertrag erstritten«, kommentiert die Gewerkschaftszeitung Verdi-Publik diese Haltung.
In Zeiten des Outsourcing hat sich das geändert. Nicht nur in der Charité, auch in vielen anderen Bereichen der Arbeitswelt verfolgen Unternehmer mittlerweile die Strategie, tarifvertragsfreie Zonen zu schaffen. Beschäftigte in völlig unterschiedlichen Einrichtungen wie dem Berliner Ensemble, der Pflegefirma Alpenland und der Charité sind davon betroffen.
2006 wurde die Servicegesellschaft gegründet, in die das nichtmedizinische Personal des Klinikums verschoben wurde. Dazu gehören vor allem die Reinigungskräfte und das Wachpersonal. Sie wurden niedriger entlohnt. Seitdem verzeichneten Kollegen, die in der gleichen Schicht die gleiche Arbeit verrichten, Lohndifferenzen von mehreren Hundert Euro, berichtet Sascha Stanicic vom Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten. Das Komitee hatte in den vergangenen Wochen viel zu tun. Neben zwei Demonstrationen, die vor allem unter Gewerkschaftern Unterstützung fanden, gab es mehrere Aktionen und Flashmobs vor dem »Kulturkaufhaus Dussmann« im Berliner Bezirk Mitte. Das Unternehmen betreibt gemeinsam mit der Charité und den Unternehmen Hellmann und Vamed die Charité Facility Management GmbH. Vor einigen Tagen haben sich auch bekannte Künstler mit den Forderungen der Streikenden solidarisiert. Sie begründen ihre Einmischung damit, dass eine Teilhabe am kulturellen Leben ohne angemessene Löhne nicht möglich sei. Auch bei ihnen steht, wie bei den Streikenden, sowohl der alte rot-rote Berliner Senat als auch sein von der neuen Großen Koalition gebildeter Nachfolger in der Kritik. »Als Mehrheitseigentümer der CFM ist er für die Billiglöhne mitverantwortlich«, heißt es im Aufruf der Künstler. Tatsächlich wurde die CFM auf Druck des rot-roten-Senats gegründet, der die Charité zu Einsparungen aufgefordert hatte. Auf besondere Kritik der Gewerkschafter stößt der Umgang des Unternehmens mit dem Streik. So beklagt die Verdi-Streikverantwortliche Silvi Krisch, dass die Streikenden durch die Mitarbeiter des externen Wachschutzunternehmens Flash Security auf Schritt und Tritt überwacht würden. »Die haben den Auftrag, uns an den Hacken zu kleben«, moniert Krisch.
Während die Solidarität mit den Streikenden außerhalb der Charité wächst, macht den Streikenden ein Konflikt zwischen den in der Klinik vertretenen DGB-Gewerkschaften zu schaffen. Die IG Bau beteiligt sich nicht am Arbeitskampf und hat sogar in der Anfangsphase dagegen mobilisiert. Sie will die Putzkräfte in einen bundesweiten Reinigungstarif eingliedern. Zahlreiche Beschäftigte haben deshalb die IG Bau verlassen und sich Verdi oder dem Deutschen Beamtenbund (DBB) angeschlossen.
Der Druck scheint Wirkung zu zeigen. Am Montag einigte sich die CFM mit Verdi und DBB darauf, ab kommenden Mai einen Mindestlohn von 8,50 die Stunde und eine Einmalzahlung von 300 Euro im Januar 2012 zu zahlen. Am heutigen Donnerstag sollen die Streikenden über diesen Kompromiss abstimmen.
Die Studie „Parteien und ihre Anhänger“ und eine Pressemitteilung, die sauer aufstößt
„Rechtsextreme Wähler sind männlich, arm und arbeitslos“, titelte die konservative „Welt“ am vergangenen Dienstag. Das Blatt beruft sich dabei auf die Studie „Parteien und ihre Anhänger“, die von Wissenschaftlern der Leipziger und Giessener Universität erstellt worden ist. Dabei hat die Zeitung die Wortwahl übernommen, die vor allem in der Pressemeldung verwendet wurde, mit der sie in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde.
Für die Studie wurden in diesem Sommer 2.300 Ost- und Westdeutsche im Alter zwischen 18 und 97 Jahren im Auftrag der Universitäten Gießen und Leipzig befragt. Die Ergebnisse waren durchaus differenziert. So wird dort festgestellt, dass die Sorge um den Arbeitsplatz mehr Wähler der Linken als der FDP oder der Grünen umtreibt und dass der Anteil der Nichtwähler unter den Erwerbslosen groß ist (Neigen die gesellschaftlichen Loser zu den Rechtsextremen oder den Nichtwählern?).
Doch diese Differenzierung geht verloren, wenn die Soziologen Elmar Kruse und Johannes Kruse die Ergebnisse der Studie so zusammenfassen: „Rechtsextreme Anhänger oft arbeitslos – meiste Arbeitslose sind Nichtwähler.“
Diese Diktion wird vom Arbeitskreis Marginalisierte, der sich seit 2007 mit der Ausgrenzung und Verfolgung von einkommensschwachen Menschen befasst, scharf kritisiert. Er sieht darin „eine direkte Diskriminierung und weitere Ausgrenzung ohnehin sozial Benachteiligter, die einzig dazu zu dienen scheint, Aufmerksamkeit zu erregen oder über die Anbiederung an Mainstreamdebatten über ‚Unnütze‘ und ‚Unfähige‘ an Forschungsmittel zu gelangen“.
Gefahr aus der Mitte?
Dabei werde davon abgelenkt, dass laut der Studie „Die Mitte in der Krise“ die eigentliche Gefahr für die Gesellschaft von latent vorhandenen und zunehmend rechten und rassistischen Einstellungsmustern in der so genannten Mitte ausgeht. Allerdings muss man sich fragen, ob nicht in allen Schichten der Bevölkerung rechte Einstellungen zu finden sind. Denn von rassistischen und rechtspopulistischen Welterklärungsmodellen sind auch die Marginalisierten nicht ausgenommen.
So gibt es viele Beispiele, dass Erwerbslose besonders auf ihren Status als deutsche Staatsbürger beharren und Menschen ohne deutschen Pass die mageren Hartz IV-Sätze nicht gönnen. Diese als Sozialchauvinismus bezeichneten Effekte der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft machen eine gemeinsame Gegenwehr oft besonders schwer.
Trotzdem ist dem AK Marginalisierte zuzustimmen, dass die Diktion vor allem der Pressemeldungen zur Studie auf Klischees beruht und einkommensschwache Menschen diskriminiert. Die Verwendung von Kollektivbegriffen wie „die Arbeitslosen“ sollte eigentlich in einer wissenschaftlichen Arbeit keine Verwendung finden. Zudem ist sicher der Verdacht nicht falsch, dass die Aufmerksamkeit für die Studie dadurch gesteigert werden sollte, dass in den Überschriften der Zusammenfassung eine Verbindung von Erwerbslosigkeit und der Bereitschaft, rechte Parteien zu wählen, in einer Eindeutigkeit hergestellt wird, die sich in den Ergebnissen der Studie nicht wiederfinden lassen.
Außerdem macht der AK Marginalisierte zu Recht darauf aufmerksam, dass auch der Verweis auf den Bildungsstand diskriminierende Züge trägt. Denn dabei wird lediglich auf den Schulabschluss rekurriert. So fragwürdig es ist, Aussagen über den Bildungsstand von Menschen am Schulabschluss festzumachen, so falsch ist es, rechte Welterklärungsmodelle auf Erwerbslose und Menschen mit „niedrigen Bildungsabschlüssen“ abzuschieben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151005
Die Entstehung einer größeren sozialen Bewegung in Deutschland könnte mehr zur Lösung der Euro-Krise beitragen als all die hektischen Projekte des Duos Merkel/Sarkozy
Dass die Reichen immer reicher und die Armen in Deutschland immer ärmer werden, wird gerne als linke Propaganda abgetan. Doch jetzt wurde dieser schlichte Befund von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD bestätigt und statisch untermauert.
Danach ist die Einkommensungleichheit in Deutschland seit 1990 stärker als in den meisten vergleichbaren Industrieländern gestiegen. Die obersten zehn Prozent verdienen etwa achtmal soviel wie die untersten zehn Prozent. Im Jahr 2008 hätten demnach die obersten 10 Prozent in Deutschland durchschnittlich 57.300 Euro verdient, die untersten zehn Prozent kamen auf 7.400 Euro. Noch in den neunziger Jahren hätten die Bestverdiener nur sechsmal so viel verdient wie die Unterklassen. Dieser Trend dürfte sich in den letzten Jahren sogar noch verschärft haben.
Die Studie benannte auch die Ursachen für die zunehmende Ungleichheit. Die Etablierung von tarifvertragsfreien Zonen mit Dumpinglöhnen, die Ausweitung des Niedriglohnsektors auf immer mehr Arbeitsverhältnisse ist auch seit Jahren in der deutschen Innenpolitik ein Thema. Stichworte wie „Arm trotz Arbeit“ haben längst die Mainstream-Medien erreicht. Einige Zeit lang wird in Talkshows über die Gerechtigkeitslücke geredet werden, bis das Thema wieder aus dem Blickfeld verschwindet. Auch die Ergebnisse der OECD-Studie werden schnell zu den Akten gelegt, wenn nicht gesellschaftliche Bewegungen das Thema aufgreifen.
Das zeigte sich bei der erfolgreichen Emmely-Kampagne, über die jetzt ein Buch erschienen ist. Dort resümiert Kampagnenmitbegründer Gregor Zattler, dass das Schicksal der wegen eines angeblich unterschlagenen Kassenbons gekündigten Kaiser’s-Kassiererin auch deshalb die Republik wochenlang beschäftigte, weil dort gerade über hohe Managerabfindungen gestritten wurde und der Umgang mit Emmely als ungerecht empfunden wurde.
Auch der Anfang der Woche erzielte Durchbruch beim Tarifkonflikt der seit Mitte September streikenden Beschäftigen des nichtmedizinischen Personals der Berliner Charité, ist ein Beispiel dafür, wie die Gerechtigkeitsdebatte von Teilen der gewerkschaftlichen Bewegung aufgegriffen wurde. Nach einer wochenlangen Weigerung des CFM-Managements, über die Forderungen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften auch nur zu verhandeln, haben diese nun eine beachtliche Lohnerhöhung erkämpft. In den letzten Wochen wurde der Arbeitskampf von den Unterstützern zunehmend als gesellschaftliche Auseinandersetzung gegen Billiglöhne interpretiert.
Offensive Lohnpolitik in Deutschland Beitrag zur Eurorettung?
Die Entstehung einer größeren sozialen Bewegung in Deutschland könnte mehr zur Lösung der Euro-Krise beitragen als all die hektischen Projekte des Duos Merkozy. Denn es ist gerade die von der OECD beschriebene Gesellschaft der Ungleichheit, die jetzt als europäisches Modell empfohlen und vielleicht bald sogar oktroyiert wird. Der Soziologe Oliver Nachtwey hat beschrieben, wie das Dogma der Spardiktate die Demokratie immer mehr aushöhlt. Die Sparkommissare verweisen dabei immer auf Deutschland, wo es gelungen sei, den Arbeitsmarkt so weit zu deregulieren, dass die Wirtschaft in der Lage andere EU-Länder nieder zu konkurrieren.
Daher werden die Stimmen lauter, die den Kampf gegen dieses deutsche Niedriglohnsystem als wichtigen Beitrag zur Minimierung der Eurokrise betrachten. Die OECD-Studie hat dafür Argumente geliefert und könnte die Frage auf die Tagesordnung setzen, ob die Gesellschaft der Ungleichheit nicht eher ein Auslaufmodell als ein EU-Exportprodukt sein sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150982
Peter Nowak
Sozialchauvinistische Reflexe nehmen in Deutschland zu, auch in den unteren Bereichen der Gesellschaft. Sie sind Ausdruck einer autoritären Form der Krisenbewältigung.
In den letzten Monaten haben sich in verschiedenen Städten Bündnisse gegen Sozialchauvinismus gegründet. Sie haben damit einen bisher in der linken Debatte weniger bekannten Begriff in die Öffentlichkeit gebracht. Auf einem von dem Berliner Bündnis erstellten Plakat wird Sozialchauvinismus als „eine Krisenideologie“ bezeichnet, „die mit Feindseligkeit gegen alle verbunden ist, die nicht ins Idealbild einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft passen“. Oft versuchen Träger dieser Ideologie, damit die eigene Nützlichkeit in der Gesellschaft aufzuwerten. Fast jeder wird im Alltag schon auf sozialchauvinistische Phänomene gestoßen sein.
Ein Beispiel aus dem Nahverkehr
Bevor der Zeitungsverkäufer überhaupt begonnen hat, in der Berliner U-Bahn seinen Spruch aufzusagen, wird er von einem Fahrgast aus dem Waggon mit einer Schimpfkanonade bedacht: Ob man in der Bahn, als zahlender Kunde, denn immer mit diesen Versagern belästigt werden müsse. Dafür erntet der Mann mittleren Alters, Typ Vertreter, bei anderen Fahrgästen Zustimmung. Da nützt es nichts, dass der Verkäufer mittels eines Ausweises am Revers die Rechtmäßigkeit seiner Arbeit dokumentieren will. Auch seine Distanzierung von denen, die seinen Berufsstand in ein schlechtes Licht rückten, weil sie nicht berechtigt seien, Zeitungen zu verkaufen und den verständlichen Zorn des Publikums auf sich zögen, haben wenig Erfolg.
So bekommt man in einer Alltagsszene illustrativ vorgeführt, wie der Sozialchauvinismus funktioniert. Menschen, die Probleme haben, in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft vom Rand wegzukommen, bekommen den Zorn derer ab, die selbst nur ein Rad im Getriebe sind. Ihre Angepasstheit demonstrieren sie durch freche Sprüche in Richtung derer, die in der sozialen Hackordnung noch weiter unten stehen. An ihnen wird die Aggression ausgelassen, die sich beim tagtäglichen Katzbuckeln vor dem Chef oder Vorarbeiter oder auch nur vor dem Kollegen, der eine Stufe höher gerückt ist, angesammelt hat. Auch der Gescholtene traut sich nicht, einer solchen Behandlung zu widersprechen. Stattdessen versucht er sich als produktives Mitglied der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu präsentieren, indem er auf die „schwarzen Schafe“ verweist, die nicht so gut funktionieren würden.
Was hier beispielhaft dargestellt wurde, findet sich in allen Poren der Gesellschaft. Oft genug sind die Akteure Menschen, die selbst am Rand der kapitalistischen Leistungsgesellschaft leben, also allen Grund hätten, dagegen aufzubegehren. Doch mit Sozialchauvinismus grenzen sie sich von anderen ab. Das kann die erwerbslose Nachbarin sein, die sich zu ihrem ALG II noch etwas dazu verdient und beim Jobcenter denunziert wird. Das kann der nichtdeutsche Leiharbeiter sein, der von Kollegen im selben Betrieb geschnitten und diskriminiert wird.
Geteilte Solidarität
Die Soziologen Hajo Holst und Ingo Matuschek von der Universität Jena zeigen anhand eines Betriebs mit ca. 6.000 Beschäftigten und starker IG-Metall-Verankerung auf, wie ein betriebswirtschaftliches Denken, das sich vor allem um die Rettung des Standorts dreht, zur Entsolidarisierung gegenüber Erwerbslosen und LeiharbeiterInnen führt. Diese werden von einer Mehrheit der Befragten nur unter dem Aspekt des Nutzens für den Betrieb gesehen. Holst und Matuschek erklären dieses Verhalten vor dem Hintergrund verstärkter Fragmentierungen in der Arbeitswelt und der Identifikation mit dem eigenen Betriebsstandort.
„Allerdings ist das normativ ‚Gute‘ des eigenen Betriebs permanent bedroht. Insbesondere die langjährig Beschäftigten sind sich bewusst, dass die das hohe Maß an Identifikation und Loyalität befördernden positiven Merkmale des Standorts auf eigenen, immer wieder neu zu erbringenden Flexibilitätsleistungen beruhen“, schreiben die Soziologen in einem kürzlich erschienenen Buch. [1] Und weiter: „Auf dieser Basis hat sich in der Belegschaft eine ‚kompetitive‘ Solidarität herausgebildet, die zwar einer solidarischen Gleichbehandlung aller Beschäftigten das Wort redet, die aber von jeden einzelnen entsprechende Leistungen einfordert“.
Zur positiven Identifikation mit dem Betrieb gehört auch die Bereitschaft, sich mehr als nötig zu engagieren, um zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. In dieser Sichtweise gehören Leiharbeiter nicht zur Betriebsfamilie. Deswegen hat ein Großteil der Belegschaft auch keine Probleme damit, dass diese weniger verdienen und weniger Rechte haben. Sogar die Forderung nach mehr Druck auf Erwerbslose, damit diese jede Arbeit annehmen, ist aus der Belegschaft häufiger zu hören. Auch hier spielt der Leistungsbegriff eine wichtige Rolle. Wer bereit ist, zum Wohl des Bosses zu buckeln, der verlangt das auch für die Allgemeinheit. So rücken Erwerbslose, die für ihre Rechte kämpfen und nicht bereit sind, ihre Arbeitskraft um jeden Preis zu verkaufen, schnell in die Nähe von Leistungsverweigerern. Und für solche, das ist das Fazit von Holst und Matuschek, „wird die Luft unter den Kollegen dünner“.
Ein neues Feindbild
Die Diskussion um den Sozialchauvinismus hat durch die mittlerweile mehr als ein Jahr alte Debatte um Thilo Sarrazin (SPD) an Bedeutung gewonnen. Der ehemalige Berliner Senator und Deutsche-Bank-Manager hatte mit seinen Äußerungen nicht in erster Linie muslimische MigrantInnen im Visier, wie es in großen Teilen der linksliberalen Medien nahegelegt wird. Zu seinem Feindbild zählen vielmehr alle, die dem Standort Deutschland aus seiner Sicht nicht nützen, wie in einem von Sebastian Friedrich herausgegebenen Sammelband herausgearbeitet wird. [2] Betroffen davon sind ALG-II-EmpfängerInnen ebenso wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Seine Person ist dabei nur der „Lautsprecher“ eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit „Bild-Lesern“ zusammenschweißt.
So hat der sich selbst als „Neo-Aristokrat“ bezeichnende Philosoph Peter Sloterdijk die sozialchauvinistische Grundannahme in einem FAZ-Aufsatz in Reinform dargeboten. Während im ökonomischen Altertum die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der „ökonomischen Moderne die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben. Die Leistungsträger und die Unproduktiven sind zentrale Kategorien im sozialchauvinistischen Diskurs. Letztere werden auch gerne als „Transferbezieher“ abgewertet. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein wie Aufstocker, aber auch ganze Staaten wie Griechenland im EU-Diskurs. So wurde der „Transferbezieher“, der angeblich nicht von eigener Arbeit lebe, zum neuen Feindbild.
Hetze gegen die Chavs
Sozialchauvinistisches Denken kann sich mit Unterdrückung auf „ethnischer“ Grundlage verknüpfen. Das zeigt sich in den vielerorts um sich greifenden Angriffen gegen Roma und Sinti. Den Angegriffenen wird vorgeworfen, nicht leistungsbereit genug zu sein. Wie sich solche rassistische Stereotypen wiederum mit dem Hass auf das Proletariat verbinden kann, wenn dieses nicht angepasst und eingehegt in die bürgerliche Gesellschaft ist, zeigt sich in Großbritannien am Siegeszug des Begriffs „Chavs“, der wahrscheinlich von „Chaavi“, dem Roma-Wort für „Kind“, abgeleitet wurde. Er tauchte vor knapp zehn Jahren in der Öffentlichkeit auf und wurde immer populärer.
„Er kam zuerst in der Bedeutung von ‚junger Angehöriger der Arbeiterklasse in legerer Freizeitkleidung‘ in den Wortschatz. Aber es schwangen immer auch hasserfüllte, klassenbezogene Bedeutungen mit, ein Chav war gleichbedeutend mit ‚antisozialem Verhalten‘, Geschmacklosigkeit und Nutzlosigkeit“, schreibt der Historiker Owen Jones. Er hat kürzlich ein Buch über die Dämonisierung der Arbeiterklasse geschrieben. [3] Nun hat die Kampagne gegen die Chavs ein neues Beispiel geschaffen: Als im Spätsommer in britischen Städten Riots ausgebrochen waren, erreichte die Hetze ihren Höhepunkt. „Plünderer sind Abschaum“, diese Parole, die bei den Aufräumarbeiten des patriotischen Mittelstands zu sehen war, wurde im öffentlichen Diskurs weitgehend Konsens. Für viele waren diese Plünderer mit den Chavs identisch.
Jones zeigt auch auf, wie die Kampagne gegen die Unterklasse und die Ideologie vom Ende der Arbeiterklasse verschmelzen. Das Klischee vom Chav tauchte zu einer Zeit auf, als Journalistinnen und Politiker aller Couleur behaupteten, wir alle – auch die vermeintlich aufstrebende Arbeiterklasse – seien nun Mittelschicht. Mit einer großen Ausnahme: All das, was von der alten Arbeiterklasse übrig war, wurde zum problematischen Rest degradiert. So schrieb der rechtsstehende Journalist Simon Heffer: „Was früher einmal die ehrbare Arbeiterklasse genannt wurde, ist fast ausgestorben. Was Soziologen als Arbeiterklasse zu bezeichnen pflegten, arbeitet dieser Tage normalerweise überhaupt nicht, sondern wird vom Sozialstaat unterhalten.“ Sie habe sich stattdessen zu einer „verkommenen Unterschicht“, dem Prekariat, entwickelt. „Wer außerhalb von Mittelschichtbritannien bleibt, ist selbst schuld daran“, fasst Jones diese Propaganda zusammen, die keineswegs Großbritannien vorbehalten ist.
Der normale Wahnsinn
Dass ganze Menschengruppen als faule, unproduktive „Schmarotzer“ beschimpft werden, ist in Deutschland seit Langem bekannt. Diese Hetze erlebt immer wieder Konjunkturen, etwa wenn diese durch das Zusammenspiel von Boulevard und Politik die Form einer Kampagne annimmt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Interview des ehemaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, in dem er gegen die „spätrömische Dekadenz“ in unserer Gesellschaft wetterte. Es war nur der Startschuss für eine neue Kampagne gegen Erwerbslose, eine der vielen, die zur Verfestigung des Hartz-Regimes beitragen.
Mit der Kategorie des Sozialchauvinismus werden diese Unterdrückungsmechanismen sozial verortet. So kann verhindert werden, dass daraus ein rein moralisierender Diskurs entsteht, wie es beim Rassismus oft der Fall ist. Der Kampf gegen Sozialchauvinismus und Rassismus ist aber vor allem ein Eingriff in soziale Praxen und kann völlig unterschiedliche Formen annehmen. Dass man auch gegen sozialchauvinistische Spaltungen streiken kann, machten finnische Stahlkocher in diesem Sommer deutlich. Sie traten in den Ausstand, um polnische Leiharbeiter bei ihrem Kampf für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen gegen den deutschen Konzern Beroa zu unterstützen. Der mehrtägige Solidaritätsstreik setzte die Bosse schnell unter Druck. Ein Beroa-Vertreter sagte daraufhin zu, dass das Unternehmen sich zukünftig an die finnischen Gesetze und die vertraglich vereinbarten Bestimmungen halten werde. Der Umgang mit den Leiharbeitern, der in Finnland für Empörung sorge, sei in mitteleuropäischen Ländern üblich, rechtfertigte er sich noch.
Damit hat der Beroa-Vertreter ein wahres und vernichtendes Urteil über die solidarische Kampffähigkeit und -bereitschaft auch der DGB-Gewerkschaften ausgesprochen. Eine Auseinandersetzung mit sozialchauvinistischen Ideologien und Tendenzen, die sich auch unter Lohnabhängigen und Erwerbslosen verbreitet sind, ist unbedingt notwendig. Dagegen hilft nur die Entwicklung von kollektiver Solidaritätsarbeit und Gegenwehr im Alltag. So wird bei Begleitaktionen von Erwerbslosen im Jobcenter eben nicht nach „guten“ und „schlechten“ Erwerbslosen unterschieden und die gesellschaftliche Spaltung reproduziert. Dadurch kann ein politisches Bewusstsein entstehen, das Sozialchauvinismus zurückdrängt. Ganz verschwinden wird er so schnell nicht, aber zumindest könnte ein Klima erzeugt werden, indem die Mehrausbeutung von Leiharbeitern nicht mehr zum mitteleuropäischen Standard gerechnet wird.
Peter Nowak
Literatur zum Thema
[1] Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte, Münster 2011.
[2] Thomas Haipeter & Klaus Dörre (Hg.): Gewerkschaftliche Modernisierung, Frankfurt a.M. 2011, u.a. mit dem Beitrag von Hajo Holst & Ingo Matuschek.
[3] Owen Jones: Chavs. The Demonization of the Working Class, London 2011.
http://www.direkteaktion.org/208/nach-oben-ducken-nach-unten-knueppeln/
FAU Gewerkschaft prangert Änderungskündigung beim Neuköllner Unternehmen Bally Wulff an
„Ich werde gegen die Verschlechterung meiner Arbeitsbedingungen kämpfen“, sagt Klaus Schreiber*. Schon seit 23 Jahren arbeitet der Siebdrucker im Stammwerk des Spielautomatenherstellers Bally Wulff am Neuköllner Maybachufer. Im vergangenen September erhielt er eine Änderungskündigung. „Die neue Stelle wäre mit Lohnminderungen von bis zu 30 Prozent verbunden gewesen, außerdem mit Abstrichen beim Urlaubsanspruch“, berichtet Schreiber der taz.
Er beauftragte den Berliner Arbeitsrechtler Klaus Stähle mit einer Klage gegen die Änderungskündigung. Nachdem ein Gütetermin vor dem Berliner Arbeitsgericht in der vergangenen Woche keine Annäherung brachte, ist nun auch ein letzter Einigungsversuch am Montag gescheitert. „Das Management wollte mit uns über die ökonomische Situation des Unternehmens reden, nicht aber über die von uns geforderte Umschulung des Mitarbeiters“, berichtet Andreas Förster, der in der Sektion Bau und Technik der Freien Arbeiter Union (FAU) für die Solidaritätskampagne zuständig ist.
Schreiber hatte sich an die anarchosyndikalistische Gewerkschaft gewandt, weil die ihm nicht nur eine juristische Unterstützung gewährleistet, sondern die Kampagne politisch begleitet. Im Rahmen eines Aktionstags unter dem Motto „Abgezockt, Bally Wulff“ am 18. November organisierte die FAU an zwölf Unternehmensniederlassungen in ganz Deutschland Kundgebungen, auf denen über den Konflikt informiert wurde.
Angst, sich zu exponieren
„Wir haben in der Belegschaft von Bally Wulff signalisiert, dass wir sie unterstützen. Aber es hat sich niemand an uns gewandt“, sagt dagegen Petra Jänsch von der Verwaltungsstelle der Berliner IG Metall gegenüber der taz. Einen Grund dafür sieht sie auch in dem unternehmensnahen Betriebsrat, der keiner Gewerkschaft angehöre. Klaus Schreiber berichtet, es gebe unter seinen KollegInnen viel Angst, sich zu exponieren. Gleichzeitig erhalte er aber aus der Belegschaft auch Anerkennung für seine Bereitschaft, sich zu wehren. In den kommenden beiden Wochen wird das Arbeitsgericht entscheiden, ob die Änderungskündigung rechtens ist. Die Geschäftsführer der Bally-Wulff-Entertainment GmbH erklärte sich grundsätzlich zu einer Stellungnahme bereit, die aber bis Redaktionsschluss nicht einging.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F11%2F30%2Fa0141&cHash=3fb1af3807
Es ist der längste Streik von Pflegekräften in der Bundesrepublik. Nun wurde der Ausstand bei Alpenland in Berlin bis auf weiteres ausgesetzt.
Bereits Mitte August war ein Teil der Beschäftigten in der Ostberliner Filiale des Pflegekonzerns Alpenland in den Streik getreten. Am Mittwoch vergangener Woche wurde dieser längste Ausstand von Pflegekräften in der bundesdeutschen Geschichte vorläufig beendet. Drei Monate lang hatten die Beschäftigten für die Angleichung der Löhne an das Westniveau gekämpft. Denn nach wie vor verdienen sie bis zu 170 Euro im Monat weniger. Zudem wollten sie eine weitere Flexibilisierung ihrer Arbeitszeiten verhindern.
Der harte Kern der Streikenden umfasste etwa 40 der rund 120 Beschäftigten. Während man bei der Streikwache gegenüber der Filiale im Stadtteil Marzahn Freundschaften schloss, war das Verhältnis zum Rest der Belegschaft angespannt. Denn ein weiteres Drittel der Beschäftigten hatte individuelle Verträge mit Alpenland abgeschlossen, ließ sich aber in einer Klausel zusichern, dass auch für sie, sollten sich die Streikenden durchsetzen, die dann verbesserten Verträge gelten. Daneben gab es eine Art schweigendes Drittel von Beschäftigten, das sich weder am Streik beteiligte noch individuelle Verträge unterschrieb. »Da wurde die Solidarität der aktiven Kolleginnen schon stark strapaziert«, beschreibt Meike Jäger von Verdi die Stimmung.
Die Verdi-Sekretärin hatte wochenlang Hausverbot bei Alpenland. Die Firma hatte damit auf eine lautstarke, von Verdi initiierte Solidaritätsaktion reagiert. Während die Alpenland-Geschäftsführung die Gewerkschaft beschuldigt, mit dem Lärm die alten Menschen verschreckt zu haben, berichten die Streikenden von anderen Erfahrungen. »Einige der Senioren haben sich sogar mit uns gemeinsam fotografieren lassen«, erzählt Jäger. Ihres Erachtens sei es schließlich auch in deren Interesse, wenn die Pflegekräfte einigermaßen erträgliche Arbeitsbedingungen haben. Enttäuscht äußern sich die Streikenden über die geringe öffentliche Resonanz des Arbeitskampfs. Nicht nur die Medien, auch linke Initiativen, die sich in den vergangenen Jahren mit eigenen Solidaritätsaktionen für Streikende, etwa beim Einzelhandelsstreik 2008, eingebracht hatten, ignorierten den Streik in Marzahn weitgehend. Dabei war zuletzt auf Kongressen und Veranstaltungen des feministischen und autonomen Spektrums verstärkt über die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich diskutiert worden. Immer wieder wurde dort darauf hingewiesen, wie schwierig es für die Beschäftigten in diesem Bereich ist, wirkungsvolle Druckmittel zu entwickeln. Der Arbeitskampf bei Alpenland, der überwiegend von Frauen getragen wurde, zeigte dies noch einmal deutlich.
Für Norbert Paas, Verdi-Sekretär aus Frankfurt an der Oder, hat der Streik eine grundsätzliche Bedeutung. In seiner Stadt könne er eindrucksvoll sowohl bei karitativen wie auch städtischen Pflegeeinrichtungen beobachten, dass der Pflegesektor immer stärker an kommerziellen Interessen ausgerichtet wird. Die von den Pflegefirmen forcierte Aufspaltung der Belegschaften erschwere ein gemeinsames Vorgehen, berichtet Paas: »Wenn Neuangestellte 500 Euro mehr verdienen als Beschäftigte, die länger arbeiten, ist eine gemeinsame Solidarität schwer herzustellen.« Dabei gönne er den Neueingestellten die höheren Löhne, frage sich aber, warum diese nicht allen Beschäftigten zustehen sollen.
Kernthema in den Tarifverhandlungen wird jedoch die Angleichung der Löhne an das Westniveau bleiben. Nach Angaben von Jäger gab es bei den Gesprächen in der vergangenen Woche bereits eine Annäherung. Demnach solle die Angleichung zeitlich gestaffelt werden. Auf der anderen Seite würde jedoch die von Paas monierte Fragmentierung der Belegschaft durch die ungleiche Behandlung von Alt- und Neueinstellungen festgeschrieben. Ob das Bekenntnis der Beschäftigten, den Arbeitskampf jederzeit fortzusetzen, um einen schlechten Kompromiss zu vermeiden, realistisch ist, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.
http://jungle-world.com/artikel/2011/47/44384.html
Peter Nowak