KLICK Frontex, die Agentur zur Bewachung der EU-Außengrenzen, startet einen Fotowettbewerb
„Ties that Bind: Bridging borders in modern Europe“ – „Schwellen, die verbinden: Vereinende Grenzen im modernen Europa“. So würden wohl die Veranstalter dieses nicht besonders originelle Motto eines Fotowettbewerbs in ihrem Sinne übersetzen. Der Wettbewerb ist Begleitprogramm des Europäischen Tages für den Grenzschutz, einer Konferenz, die am 23. Mai in Warschau stattfindet und auf der Vorträge über „Grenzkontrollen in Zeiten der Krise“ gehalten werden sollen. Veranstalter der Fotoschau wie auch der Konferenz ist Frontex, eine EU-Agentur, die für den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union zuständig ist – und natürlich auch für deren konsequente Schließung.
„Menschenjäger auf Fotosafari“, kommentierten deshalb antirassistische Gruppen im Internet die künstlerischen Ambitionen von Frontex. Stefan Gerbing hingegen würde es begrüßen, wenn sich Frontex in Zukunft ausschließlich auf die Organisierung von Fotowettbewerben beschränken würde. Er ist Redakteur bei der Zeitschrift Prager Frühling, die der Partei Die Linke nahesteht und zur subversiven Beteiligung an dem Wettbewerb aufgerufen hat.
Dass womöglich ein Foto mit antirassistischem Statement in den Wettbewerb kommen könnte, glaubt er jedoch nicht. „Subversion und Ironie waren dort bisher keine üblichen Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung“, betont Gerbing. Außerdem bestehe die Jury aus Frontex-Angestellten.
Der Kritiker will auch das Motto des Wettbewerbs kreativ verändern. „Ties that bind“ kann man mit „Schwellen, die verbinden“ übersetzen. Im Englischen bezeichnet man aber auch Kabelbinder als „ties“ und „bind“ heißt auch „fesseln“.
Der erste Preis des Fotowettbewerbs sind übrigens 500 Euro und eine Einladung zur Konferenz nach Warschau.
Fotowettbewerb der EU-Agentur Frontex wird von Kritikern umgedeutet
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex wird aus guten Gründen vor allem mit der Abwehr von Flüchtlingen und der Sicherung der Festung Europa verbunden. Durch einen Fotowettbewerb versucht die Behörde ihren Ruf aufzupolieren – in diesem Jahr mit einer besonders makabren Losung.
Unter dem Motto »Ties that bind: Bridging borders in modern Europe« (Schwellen, die verbinden: Brückengrenzen im modernen Europa) können Interessierte auch in diesem Jahr bis zum 30. April Fotos vom Geschehen an Europas Grenzen an die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) senden. Dem Gewinner winken 500 Euro, der zweite Platz wird mit 250 und der dritte mit 200 Euro vergütet.
»Die Beiträge sollen die Bedeutung und den Einfluss von Grenzen als Verbindungen in physischer, psychischer, sozialer, kultureller, ökonomischer und ethnischer Hinsicht zeigen«, heißt es in dem Aufruf im Internet. »Oft werden Grenzen als Hindernisse zwischen Bevölkerungen wahrgenommen. Selten werden sie hingegen als wichtige Wegscheide gesellschaftlicher Integration gesehen«, so Frontex.
Die Redaktion des linken Magazins »Prager Frühling« überschrieb einen kritischen Artikel zu dem Frontex-Aufruf mit den Worten »Menschenjäger auf Fotosafari«. Sie selbst wirbt jetzt, bei der vierten Auflage des Frontex-Wettbewerbs, erstmals für eine Beteiligung an dem Bewerb. Das Motto »Ties that bind« könne man mit »Schwellen, die verbinden« übersetzen. Doch »bind« wird im Englischen ebenso für »fesseln« benutzt und »tie« für Kabelbinder. »Wir wollen das Motto einer subversiven Lesart unterziehen und rufen auf, sich mit kritischen Beiträgen, die etwas anderes zeigen als ›die inspirierende Schönheit europäischer Landschaften‹ (Zitat aus dem Aufruf von Frontex) am Wettbewerb zu beteiligen«, heißt es auf der Internetseite.
»Frontex ist ein wichtiger Akteur bei der Grenzabschottung Europas und bei der gewaltsamen Abschiebung von Migrantinnen und Migranten«, begründet Stefan Gerbing vom »Prager Frühling« die Begleitung der Frontex-Aktion gegenüber »nd«. Er hielte es für begrüßenswert, wenn sich die Tätigkeit der Grenzschutzagentur in Zukunft auf Fotowettbewerbe beschränken würde. Allerdings sei das nicht zu erwarten. Der Fotowettbewerb selbst gehört zum Begleitprogramm des »Europäischen Tages für den Grenzschutz« (ED4BG) in Warschau. Bei dieser Konferenz, an der auch der Gewinner des Fotowettbewerbs teilnehmen darf, soll es zum Beispiel um »Grenzkontrollen in Zeiten der Krise« gehen. »Das ist das Problem, das wir thematisieren wollten«, sagt Gerbing. Dass womöglich ein Foto mit antirassistischer Aussage zu den Gewinnern zählen könnte, glaubt er nicht. Schließlich bestehe die Jury aus Angestellten von Frontex. Dagegen spricht auch die Auswahl der vergangenen Jahre. Sie zeigen Grenzpolizisten im Sonnenuntergang und auf einem Quad durch den Schnee rasen oder einen Schäferhund im Halbprofil, der Eisenbahnschienen beschnüffelt. »Subversion und Ironie waren dort bisher keine üblichen Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung«, erläutert Stefan Gerbing.
Allerdings hat die Redaktion des »Prager Frühlings« zusätzliche Hürden eingebaut, um nicht von Frontex instrumentalisiert zu werden. So wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Teilnehmer nur Fotos einreichen sollten, die sich schwer umdeuten lassen. »Ein Foto mit einem Sticker der Kampagne ›Kein Mensch ist illegal‹ oder mit Anti-Frontex-Slogans ist vermutlich schwer seiner Aussage zu berauben.« Die Redaktion des »Prager Frühlings« habe sich auch mit Antirassismusgruppen beraten, betont Stefan Gerbing. Frontex selbst habe bisher nicht auf die »subversive Begleitung« des Wettbewerbs reagiert. Die Behörde vermeldete am Donnerstag vielmehr eine deutliche Abnahme von »illegalen Grenzübertritten« in die EU. Begründet wird diese Entwicklung mit einer schärferen Überwachung und dem Bau einer rund zehn Kilometer langen Zaunanlage am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819176.grenzwertige-bilder-erwuenscht.html
Peter Nowak
Ausschreibung zum Fotowettbewerb bei Frontex: ed4bg.eu
Weitere Links zum Thema:
Ein neuer Film dokumentiert den Widerstand gegen die Anhebung des Rentenalters in Frankreich
Der Streik gegen die Heraufsetzung des Rentenalters wurde in Frankreich zur Machtfrage.
Der Streik legte im Herbst 2010 für einige Tage die gesamte Wirtschaft in Frankreich lahm. Die Gewerkschaften kämpften gemeinsam mit sozialen Bewegungen gegen die Heraufsetzung des Rentenalters, die die konservative Regierung Sarkozy nach deutschem Vorbild beschließen wollte. Während sich hierzulande der Protest gegen die Rente mit 67 in DGB-Pressemitteilungen und einigen Demonstrationen erschöpfte, sorgte der Widerstand von Beschäftigten in Frankreich für eine Staatskrise.
Als Gewerkschafter und Aktivisten mehrere Raffinerien blockierten, entwickelte sich der Konflikt zu einen Machtkampf zwischen Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und großen Teilen der Bevölkerung auf der einen, der Regierung und Wirtschaftsverbänden auf der anderen Seite.
Nun ist ein Film fertiggestellt, der die dramatischen Tage im Herbst 2010 zeigt und ausführlich auf die politischen und sozialen Gründe eingeht. Es lohnt sich auch heute noch, diesen Film über einen Arbeitskampf anzusehen, der mehr als zwei Jahre zurückliegt. Denn während in der hiesigen Medienberichterstattung über Streiks in Frankreich immer die viel schwarzen Rauch erzeugenden brennenden Reifen im Mittelpunkt stehen, liefert der Film wichtige Hintergrundinformationen. Es wird deutlich, unter welchem Druck die Beschäftigten standen, bis sie in den Streik traten. Auch die oft wankelmütige Haltung der Gewerkschaftsspitze, die den Ausstand vor allem als Druckmittel für Verhandlungen nutzen wollte, kommt zur Sprache. Deutlich werden die Sorgen und Ängste, aber auch die Hoffnungen der vielen Gewerkschaftsmitglieder und Aktivisten.
Der Film zeigt, wie die Spannungen unter den Beschäftigten wuchsen, nachdem die Regierung zahlreiche Gewerkschafter dienstverpflichtet hatte. Eine Fortsetzung des Streiks wäre für sie mit einer massiven Kriminalisierung verbunden gewesen. Nur mit dieser Aussetzung erkämpfter Arbeitsrechte gelang es der Regierung, den Streik zu beenden und den Konflikt für sich zu entscheiden. In dem Film sind Diskussionen über die Frage eingestreut, wie es heute gelingen kann, aus der Defensive zu kommen und Arbeitskämpfe zum Erfolg zu führen. Die Streiktage im Oktober 2010 geben davon eine Ahnung.
Oliver Azam: Kein Fiasko Total. Der Rentenkampf 2010 in Frankreich, 98 Minuten. Der Film kann bestellt werden unter www.grandpuits-lefilm.fr.
Die Deutschlandpremiere findet im Rahmen der Globale 2013 am 13. April um 23 Uhr im Berliner Eiszeitkino statt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/817783.streiken-fuer-die-rente.html
Peter Nowak
Am 16. März wird im Stadtteilzentrum »Centro Sociale« die Ausstellung »Kultur und Widerstand von 1967 bis heute« eröffnet. Bis zum 24. März wird es dort Filme, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen zu Repression gegen Fußballfans, der Kriminalisierung kurdischen Widerstands oder auch zum massiven Polizeiaufgebot gegen AKW-Gegner in der BRD vor 30 Jahren geben. Eine Veranstaltung wird sich der Geschichte des 1981 im Hungerstreik gestorbenen Gefangenen Sigurd Debus widmen. »Die Ausstellung will einen Beitrag zur Popularisierung einer politisch engagierten Kultur leisten«, sagt Wolfgang Lettow von der Zeitschrift »Gefangeneninfo«. Sie soll in den nächsten Monaten in Berlin, Stuttgart und Magdeburg gezeigt werden. political-prisoners.net
Am 5. März jährte sich Stalins sechzigster Todestag. Noch immer gibt es auch in der linken Bewegung Verteidiger seines Systems, die aber auf eine heftige Gegenrede stoßen
„Während seiner Agonie drängten sich Millionen von Menschen im Zentrum Moskaus, um den sterbenden Führer die letzte Ehre zu erweisen.“ So beschreibt der italienische Historiker Domenico Losurdo die Reaktion auf Stalins Tod, der sich am 5. März zum sechzigsten Mal jährte.
Der Autor hat auch Meldungen in seinem im letzten Jahr im Papyrossa-Verlag auf Deutsch erschienenen Buch „Stalin – Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende“ zusammengetragen: „Viele weinten auf den Straßen von Budapest und Prag.“ Dass Stalins Tod in der Zeitung der israelischen Kibbuzbewegung al Hamishamar mit dem Satz: „Die Sonne ist untergegangen“ kommentiert wurde, wird heute viele überraschen, denen nicht bekannt ist, dass die Sowjetunion sich in der UN vehement für die Gründung Israels einsetzte. Erst mit dem Beginn des Kalten Krieges positionierte sich Israel auf Seiten der USA und die SU und der gesamte Ostblock ging auf Konfrontationskurs.
Losurdo gehört zu einer Strömung in der Linken, die noch immer Argumente zusammensucht, um die Politik Stalins zu verteidigen oder zumindest zu relativeren. Dabei reiht er in den acht Kapiteln Zitat an Zitat aneinander, mit dem er zu beweisen sucht, dass Stalin von Historikern und Politikern zu bestimmten Zeiten gelobt wurde. So ist mitunter erpicht, spätere erklärte Gegner Stalins mit einem lobenden Zitat vorführen zu können. Dem sowjetischen Historiker Wadim Rogowin, der Philosophin Hannah Ahrendt und dem britischen Premierminister Winston Churchill schreibt Losurdo Sätze zu, die Stalin in einem positiven Licht erscheinen lassen sollen. Dabei verzichtet der Autor allerdings auf eine Einordnung der Zitate in einen politischen Kontext. So war Churchills Stalin-Lob das Geschäft eines Staatsmannes, der den jeweiligen Bündnispartner nicht vor dem Kopf stoßen will. Stalin war nun mal in Zeiten der Anti-Hitler-Koalition ein solcher Verbündeter.
Nun mag Losurdo noch so akritisch jedes Zitat sammeln, das Stalin irgendwie in einem guten Licht erscheinen lassen soll, eines ist ihm nicht gelungen: Stalin irgendwie mit linken Ideen oder gar mit dem Kommunismus in Verbindung zu bringen. Dass gilt übrigens auch für Losurdo selbst. Denn der ist sich mit seinen größten Gegnern in dem Verdikt einig, dass eigentlich schon Marx und Lenin, vor allem aber die linken Bolschewiki mit ihren übersteigerten Vorstellungen einer Gesellschaft der Gleichheit und dem Infragestellen von Familie und Nation für Terror und Massenmord mit verantwortlich sind. Stalin, der starke Mann, der Schluss gemacht hat mit dem Chaos der Revolution, der wieder den starken Staat und die russische Nation in den Mittelpunkt seiner Politik stellte, mit diesen Ruf hat der sowjetische Machthaber schon zu seinen Lebzeiten bei Antikommunisten aller Couleur Anerkennung gefunden. In dieser Tradition stehen auch diejenigen, die heute Stalin verteidigen oder die zumindest seine Politik als alternativlos hinstellen, auch wenn sie sich selbst als Linke begreifen.
Die Sehnsucht nach dem gerechten Staat
Allerdings sind solche Positionen heute nicht nur in der linken Bewegung minoritär. Sie stoßen auch auf heftigen Widerspruch. Besonders linke DDR-Oppositionelle wie der in der DDR inhaftierte Historiker Thomas Klein haben in den letzten Jahr vehement ihre Stimme erhoben,wenn autoritäre Staatsmodelle unter vermeintlich linken Vorzeichen verteidigt wurden.
Der Historiker Christoph Jünke hat schon vor einigen Jahren in einen Vortrag von den „langen Schatten des Stalinismus“ gesprochen und sich auch an einer Erklärung versucht: „Mehr als mit einer gewünschten Rückkehr zur SED-Diktatur hat diese Nostalgie nämlich etwas zu tun mit ‚dem Wunsch, in eine Periode sozialer Sicherheit und öffentlicher Wohlfahrt zurückzukehren'“, zitiert Jünke den britischen Politikwissenschaftler Peter Thompson.
Dabei grenzen sich Jünke und Thompson von Positionen à la Götz Aly ab, die schon jeden Wunsch nach einem Sozialstaat unter Totalitarismusverdacht stellen. Wenn allerdings soziale Gerechtigkeit nicht als Ergebnis von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verstanden wird, sondern ein starker Staat dafür sorgen soll, dass alles irgendwie seine Ordnung hat, dann kann schnell eine Nostalgie nach staatssozialistischen Modellen entstehen.
Nein, nein das ist nicht der Kommunismus</strong>
Allerdings haben sich in der letzten Zeit viele Autoren kritisch mit dem Nominalsozialismus auseinandergesetzt und wie die Leipziger Gruppe Inex in ihrem Sammelband „Nie wieder Kommunismus?“ eine Kritik an staatssozialistischen Modellen entwickelt, die sich auch von konservativen und rechten Antikommunismus abgrenzt.
Eine wahre Fundgrube ist auch das materialreiche Buch „Staat oder Revolution“ des Politologen Hendrik Wallat, in dem er mit vielen Fundstellen eine Geschichte des dissidenten Sozialismus und Kommunismus nachzeichnet und diejenigen kritisch würdigt, die in den unterschiedlichen Staatssozialismen bekämpft und verfolgt wurden. Das ist 60 Jahre nach dem Tod jenes Mannes, dessen politisches System daran einen entscheidenden Anteil hatte, doch eine kleine Rehabilitierung.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153865
Peter Nowak
TAGUNGSNOTIZEN
Aus Anlass des 80. Geburtstags der Historikerin Ulla Plener hatte der Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu einem Kolloquium eingeladen, das sich der Rolle der Demokratie in der linken Strategiedebatte widmete. Axel Weipert erinnerte an die Konzepte, die
revolutionäre Betriebsräte 1919/20 in Deutschland umzusetzen versuchten. Die Unterstützung in der Arbeiterschaft war groß, doch wurde die Verwirklichung direkter Demokratie von der SPD-Führung mit Hilfe der Freikorps blutig verhindert. Ende der 20er Jahre begann dann auch in der SPD eine Debatte
über wirtschaftsdemokratische Elemente innerhalb der bürgerlichen Demokratie. Sie wurde mit dem Machtantritt der Nazis abrupt beendet. Der Jurist und Publizist Kamil Majchrzak erinnerte an Bemühungen um Arbeiterselbstverwaltung in Polen nach 1945, die von der sich als kommunistisch definierenden Staatspartei bekämpft wurde. Mit Blick auf aktuelle Diskussionen betonte er, dass Selbstverwaltung nur gegen die Interessen des Kapitals durchgesetzt werden könne. Damit grenzte er Selbstverwaltung von Mitbestimmung ab, die im kapitalistischen System durchsetzbar sei. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener warnte gar mit Verweis auf die Schrift » Staat des Kapitals« von Johannes Agnoli vor Mitverwaltungsillusionen; sie würden den Kapitalismus nur effektivieren und die Ausbeutergesellschaft nicht grundlegend in Frage stellen.Die Sozialwissenschaftlerinnen Alexandra Wagner und Gisela Notz verwiesen auf einen blinden Fleck in historischen Rätekonzepten, die überwiegend von männlichen Arbeitern entwickelt worden sind. Würdigung fand in ihren Referaten die Genossenschaftsbewegung, in der die Geschlechterdemokratie ernst genommen worden sei und eine größere Rolle spielte als in Parteien und Verbänden. Leider blieb keine Zeit mehr, um auf den kritischen Einwurf einer Frau aus dem Publikum einzugehen, dass auch die Genossenschaften im Kapitalismus der Profitlogik unterworfen sind und so ebenfalls keine das System erschütternde Alternative seien.
Peter Nowak
Der Guardian zeigt, dass der Ausbau der Internetpräsenz keine Lösung für die Zeitungskrise ist
Vom Zeitungssterben war in den letzten Monaten in Deutschland viel die Rede. Aber die Krise ist natürlich international. So sinken die Auflagen sämtlicher britischer Tageszeitungen kontinuierlich. Davon ist auch der Guardian betroffen. Die tägliche Auflage ist von knapp 380.000 Exemplar im letzten Jahr auf knapp 205.000 Exemplare gefallen. Von 2011 bis 2012 verlor der Guardian 12 Prozent der Auflage.
Die Guardian Media Group, der Medienkonzern, zu dem der Guardian gehört, vermeldete ca. 92 Millionen Euro Verlust für das Finanzjahr 2011/2012. Jetzt soll ein Sparprogramm umgesetzt werden, das Entlassungen mit einkalkuliert. Seit Juli 2012 versucht die GMG, 100 Angestellte zum freiwilligen Ausscheiden zu überreden. Dabei soll eine Abfindung helfen. Doch besonders erfolgreich war das Management bisher nicht. Bis Oktober 2012 sind etwa 30 Angestellte auf das Angebot eingegangen und GMG hat einen erneuten Aufruf zum freiwilligen Ausscheiden mit detaillierten Informationen, wie viele Mitarbeiter aus den jeweiligen Ressorts verschwinden sollen, wiederholt.
Da ein solcher Druck in Großbritannien trotz vieler Niederlagen, die die Gewerkschaften in den letzten Jahren einstecken mussten, noch zu Widerstand führt, hat der britische Journalistenverband National Union of Journalists seine Mitglieder bei Guardian News & Media befragt, ob sie Kampfmaßnahmen gegen die drohenden Entlassungen befürworten. 400 der 650 Angestellten sind zum Streik bereit.
Internetpräsenz kein Weg aus der Zeitungskrise?
Die Entwicklung des Guardian wird in Großbritannien besonders beachtet, weil es sich um eine der wenigen Tageszeitungen handelt, die ein linksliberales Profil behalten haben und sich der Boulevardisierung der Medien verweigerten. Dass aber auch in anderen Ländern auf den Guardian geschaut wird, liegt daran, dass es vor einigen Jahren die Hoffnung gab, dass die Zeitung vielleicht sogar eine Lösung für die Zeitungskrise bereit hält. So betreibt der Guardian die drittgrößte internationale Tageszeitungswebsite. Guardian.co.uk hatte im Juni 2012 30 Millionen Nutzer.
Der Guardian war auch eine der ersten Zeitungen, die die Inhalte der Internetpräsenz von der Printausgabe trennten. Während Online immer die aktuellsten Meldungen erschienen sind, war in der Zeitung mehr Platz für Hintergrundartikel. So wollte die Redaktion beweisen, dass die Förderung beider Projekte möglich ist.
In der deutschen Medienlandschaft, wo die Internetpräsenz der meisten Zeitungen sich nicht von den Printmedien unterschied, war das Vorgehen des Guardians für viele ein Vorbild. Die Wochenzeitung Freitag hatte sogar den Anspruch formuliert, eine Art deutscher Guardian zu werden. Auch dort legte man viel Wert darauf, dass die Onlinepräsenz kein Abklatsch der Printausgabe wird. Neben einen eigenen Blogbereich gab es auch eine Online-Redaktion. Doch damit ist seit Jahresbeginn Schluss. Die Online-Redaktion des Freitag wurde massiv eingedampft. Seitdem fragen sich viele Leser und Nutzer, warum die Redaktion die Axt gerade an jenes Alleinstellungsmerkmal anlegt, auf den sie besonders stolz war.
Wenn nun nicht nur der Freitag, sondern auch der Guardian in der Krise ist, lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Ausbau der Internetpräsenz keine Lösung für die Zeitungskrise ist. Derweil werden nun dritte Wege aus der Zeitungskrise auf Freitag Online diskutiert. Dazu gehören gesellschaftliche Finanzierungsmodelle, die nicht mehr ausschließlich auf der Werbung basieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153547
Peter Nowak
In Frankreich sorgt der zweitgrößte Internetprovider Free mit seinem Angebot, das standardmäßig einen Werbeblocker integriert hat, für Diskussionen
In Frankreich schien sich das neue Jahr mit einer Revolution im Internet anzukündigen. Millionen Surfer konnten die Webseiten ohne jegliche Werbung aufrufen. Der zweitgrößte Internetprovider Freebox hatte zum Jahreswechsel den Werbeblocker Adblock Plus in sein Angebot Freebox Revolution integriert. Doch schon nach wenigen Tagen war Schluss mit dem werbefreien Internet.
Die französische Ministerin für Telekommunikation Fleur Pellerin hatte Freebox die Nutzung des Werbeblockers untersagt. Der Mitgründer von Adblock Plus Till Faida gibt sich in einem Pressestatement trotz des politischen Eingriffs zufrieden:
„Der Vorstoß des Internetproviders Freebox in Frankreich zeigt, in welcher Krise sich Online-Werbung derzeit international befindet. Mittlerweile wurde Freebox zwar untersagt, diese Funktion zu nutzen; dennoch ist die Nachfrage der Verbraucher nach Werbeblocker groß.“
Die Suchanfragen nach „Adblock“ in Frankreich hätten sich nach der Bekanntgabe von Freebox mehr als verdoppelt. Circa 100.000 neue Abonnenten sollen sich in den letzten Tagen das Add-on Adblock Plus heruntergeladen haben.
Zweite Front im Kampf gegen Google?
Doch die Geschichte von der bösen Industrie, die mit Unterstützung der Politik ein werbefreies Internet verhindert, klingt zu schön, um wahr zu sein. Vor allem erklärt sie nicht, warum Freebox den Werbeblocker überhaupt integrierte, statt selber an der Werbung zu verdienen. In der FAZ beschreibt Jörg Altwegg die Maßnahme als zweite Front im Kampf gegen Google:
„Die französischen Internetprovider wollen den Suchmaschinenkonzern an den Kosten für die technische Infrastruktur beteiligen. Orange, SFR und Bouygues, die wichtigsten Anbieter, unterstützen das Anliegen. Sie investieren Milliarden in die Netze und Sendeanlagen und halten Google für einen Parasiten, der kaum Kosten hat und überall profitiert.“
Zudem hat Freebox mit seiner Maßnahme keineswegs ein webefreies Internet im Sinn und wollte Marktanteile und Sympathien erhöhen. Schließlich gehört Free gehört dem Unternehmer Xavier Niel, der mit seinen Billigangeboten für Internet und mobiles Telefonieren die Marktführer in Zugzwang brachte und die ganze Landschaft verändert hat. Er ist inzwischen auch einer der drei Eigentümer der Zeitung Le Monde.
Wer entscheidet, was akzeptable Werbung ist?
Auch der Adblock Plus steht schon länger in der Kritik. Denn ganz so konsequent sind die Verantwortlichen bei ihrem Kampf gegen die Werbung nicht. Mittlerweile haben sie den Terminus akzeptable Werbung eingeführt und meinen damit die Anzeigen, die den Programmentwicklern als akzeptabel erscheinen.
„Werbung soll nicht blinken oder Töne von sich geben, sie soll Webseiten nicht mit Scripten verstopfen und so die Ladegeschwindigkeit behindern. Am besten sind reine Textanzeigen, die den Nutzer mit Inhalten und nicht mit aufmerksamkeitsheischenden Effekten zu überzeugen versuchen“, so die Philosophie der Adblock-Entwickler
Weil auch der größte Teil der Werbeindustrie das Interesse haben dürfte, Produkte zu entwickeln, die die Interessenten nicht gleich nerven, könnten so vermeintliche Vorkämpfer für ein werbefreies Internet, die vor zwei Jahren noch heftig bekämpft wurden, zu Propagandisten einer besonders freundlichen, aber auch besonders erfolgreichen Werbung werden. Schon monieren Kritiker im Netz, dass sich Adblock von der Werbeindustrie kaufen ließ. Das dürfte allerdings ein ähnliches Märchen sein, wie die Erzählung von Freebox als Vorkämpfer für ein werbefreies Internet.
Vorreiter einer neuen Zensurmöglichkeit
Wache Beobachter fürchten noch ganz andere Folgen. Der Präzidenzfall Free Revolution hat ein Modell vorgeführt, wie ein Provider standardmäßig Zensur in sein Angebot einbauen kann, warnt das Magazin Numérama. Free habe in dieser Hinsicht großen Schaden angerichtet:
„Free hat gezeigt, dass ein Provider dazu bereit ist, Inhalte zu blockieren (vergessen wir für zwei Minuten, dass es Werbung war, es handelt sich in erster Linie um HTML-Code), ohne die Abonnenten davon in Kenntnis zu setzen, ohne ihnen zu sagen, welche Inhalte auf der Webseite, die sie aufsuchen, unterdrückt wurden.“
Mit der Aktion habe Free ein Feld für alle Lobbyisten aus allen möglichen Richtungen eröffnet, die gerne bestimmte Zugänge zu bestimmten Inhalten gesperrt hätten. Die Einrichtung einer Option, die es ermöglicht, den Blocker zu desaktivieren, macht die Angelegenheit nicht viel besser, kritiert Numérama. Um diese Wahl überhaupt zu haben, müsse man informiert sein. Noch schlimmer sei aber, dass sich die Option ‚Filter ausschalten‘ auf „perverse Weise“ gegen die Interessen der Nutzer verwenden ließe – nämlich als Information darüber, wer den Filter ausschaltet. Das kann in Frankreich rechtliche Konsequenzen haben – bei Usern, die auf Filesharer-Seiten gehen.
Das Hadopi-Gesetz schreibt vor, dass der Rechner mit einem Filter versehen sein muss, um ihn vor Missbrauch im Zusammenhang mit Verletzungen von Immaterialgüterrechten zu schützen. Ansonsten drohen dem User unter der angegebenen IP bei Verletzungen von Lizenzrechten Strafen, wenn ihm nachgewiesen wird, dass er sich der „Nachlässigkeit“ schuldig gemacht hat. Bislang war dieser Nachweis schwer zu führen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153497
Peter Nowak
. In der DDR stand die Kirche von Unten (KvU) für eine staatsferne, unangepasste Kultur- und Jugendszene. Sie erkämpfte sich in der DDR Freiräume, doch im realexistierenden Kapitalismus soll die KvU aus ihrem Domizil im Prenzlauer Berg vertrieben werden. Diese Geschichte beschreibt der Historiker und einstige Aktivist der DDR-Jugendopposition, Dirk Moldt, in der neuen Ausgabe der ostdeutschen Zeitschrift »telegraph« (Nr. 124, 76 Seiten, 6 Euro). Dietmar Wolf, Mitbegründer der Autonomen Antifa Ostberlins erinnert darüber hinaus an die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Über den Zusammenhang von Krise und Rassismus informiert der Journalist Thomas Konicz und der österreichische Verleger Hannes Hofbauer beschreibt, wie in Osteuropa sogenannte bunte Revolutionen in westlichen Stiftungen geplant werden. Ein interessantes Heft, das Themen abseits des Mainstreams behandelt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/809375.bewegungsmelder.html telegraph.ostbuero.de
Peter Nowak
Ausstellung »The Bitter Years« über in Armut geratene Menschen im luxemburgischen Düdelingen
Bittere Jahre erlebt nicht nur Europa in seiner jetzigen Krise. Fotografien von Menschen in den USA während der großen Depression verdeutlichen die Gefahr sozialer Leiden.
»Ich sehe ein Drittel der Nation, in schlechten Wohnungen, schlecht gekleidet, schlecht ernährt«, erklärte der damalige US-Präsident Franklin Delano Roosevelt am 20. März 1937 in einer Rede über die soziale Situation in den USA. Die langanhaltende Wirtschaftskrise hatte Millionen Menschen in die Armut getrieben. Davon kann man sich jetzt ein Bild machen. In einem umgebauten Wasserturm hinter dem Kulturzentrum am Rande des luxemburgischen Städtchens Dudelange kann die beeindruckende Fotoausstellung „The bitter Years“ besichtigt werden. Mehr als zwölf Fotografen haben im Auftrag der Farm Security Administration (FSA) zwischen 1935 und 1944 in allen Teilen der USA die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Menschen festgehalten. Die Ausstellung, die kürzlich vom Museum of Modern Art in New York nach Luxemburg umgezogen ist, zählt zu den Pionierarbeiten der sozialkritischen Fotographie. Der Ort wurde gewählt, weil Luxemburg die Heimat des langjährigen Leiters der fotografischen Abteilung MoMA ist.
Auch heute noch verschaffen die Fotos dem Betrachter einen Eindruck von den Entbehrungen, die die Krise für Millionen Menschen mit sich brachte. Oft hat man den Eindruck, es seien Szenen aus der sogenannten dritten Welt. Ben Shahn hat Kinder in Arkansas fotografiert, deren Körper Hungerödeme zeigen. Rusell Lee zeigt das Gesicht eines blonden Mädchens, das aus einem schmutzigen zerfledderten Zelt blickt, das ihre Wohnung ist. Wie Millionen Menschen musste die Familie ihre Wohnungen in Zeiten der Krise räumen. Auf mehreren Fotos sind die Trecks zu sehen, in denen die Obdachlosen in die Zeltstädte ziehen, die damals am Rande der Städte entstanden sind. Sie zogen an Plakatwänden vorbei, die eine Mittelstandfamilie in einem Auto zeigt und für den American of Life als den höchsten Lebensstandard auf Welt preist.
Die Fotografen machten die Realität einer Klassengesellschaft und den alltäglichen Rassismus in den USA bekannt. Wenn die Arbeiten heute erstmals in Europa gezeigt werden, ist es durchaus auch ein Blick in die Gegenwart. Wer heute die Krisenfolgen und die Verarmung in Ländern der europäischen Peripherie wahrnimmt, kann durchaus Parallelen finden zu den Szenen der Fotos. Selbst in Luxemburg, das eher zu den Gewinnern in der aktuellen europäischen Krise gehört, sind die Zeichen sozialer Auseinandersetzungen nicht zu übersehen. Eine kürzlich im luxemburgischen Parlament beschlossene Rentenreform hat zu heftigen Protesten von Gewerkschaften und linken Parteien geführt. Die Armut der einfachen Bevölkerung ist indes in den Krisenländern Europas zu sehen. Zwangsräumungen wurden in Spanien nach mehreren Suiziden zwar ausgesetzt. In Griechenland aer geraten immer mehr Menschen in die Obdachlosigkeit.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/808908.fotografischer-blick-auf-die-krise.html
Peter Nowak Hinweise zu geführten Touren durch die Ausstellung unter: www.steichencollections.lu
Ein neuer Film von Margaretha von Trotha behandelt die heftige Diskussion, die das Arendt verfasste Buch „Eichmann in Jerusalem“ vor 50 Jahren auslöste und wird wohl in Deutschland aus den falschen Gründen Zustimmung finden
Das Jubiläum des Buches wird auch in Deutschland nicht unbeachtet vorübergehen. Dafür wird der Film Hannah Arendt – ihr Denken veränderte die Welt sorgen, der auf internationalen Filmfestivals Preise gewann und Anfang Januar in die deutschen Kinos kommt. Die Regisseurin bleibt in dem Film ihrer Filmtradition treu, Frauen in der Geschichte ein filmisches Denkmal zu setzen. Nach Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen hat sie nun Hannah Arendt zur Heldin ihres neuen Filmes gemacht. Der Begriff Denkmal stimmt hier nicht nur im übertragenden Sinne. Die Regisseurin lässt keinen Zweifel, dass Arendt ihre Sympathie genießt. Dabei konzentriert sie sich nur auf eine relativ kurze Phase in Arendts Leben. Der Film beginnt, als sich die Politologin entschließt, den Eichmann-Prozess in Jerusalem als Journalistin zu besuchen, dokumentiert die heftige Kontroverse und hat ihren dramaturgischen Höhepunkt, als ihr der langjährige Freund und Kollege Hans Jonas die Freundschaft aufkündigte und Arendt besonders damit verletzte, dass er sie als Lieblingsstudentin des NS-belasteten Freiburger Professors Martin Heidegger bezeichnete.
Immer wieder wechselt der Film aus dem USA der 60er Jahre in die Marburger Universität, wo die Studentin Arendt sich bei Heidegger vorstellt und dann seine Vorlesungen besucht. Das Verhältnis zwischen Heidegger, der sich dem NS-System andiente und Arendt, die ihn dafür heftig kritisierte, aber nie mit ihm brach, ist seit Langem Gegenstand von Büchern und Debatten. Die Logik der Verknüpfung dieser beiden wichtigen Daten in Arendts Biographie ergibt sich schon daraus, dass auf dem Höhepunkt der Debatte um das Eichmann-Buch die vehementen Kritiker, nicht nur Hans Jonas, Heidegger gegen die Buchautorin ins Feld führten.
Nach dem Motto, wer bei einem Nazi studiert hat, muss zur Israelhasserin werden, findet man in der Auseinandersetzung vor 50 Jahren viele Elemente wieder, die sich heute wiederholen, wenn linke jüdische Intellektuelle die Politik Israels kritisieren. Ein prominentes noch recht aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung um die Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler. Auch ihr wird jüdischer Selbsthass vorgeworfen.
„Hab Geduld mit uns Juden“
Schon in den ersten Minuten des Films deuten sich die intellektuellen Frontverläufe an. Wir sehen Arendts Freunde heftig darüber diskutieren, ob Israel das Recht hat, Eichmann in Jerusalem anzuklagen. Während einige von Arendts Freunden darauf verweisen, dass Israel als Heimstaat der Überlebenden der Shoah dazu legitimiert ist, plädiert Arendts Mann mit antizionistischen Argumenten für eine Anklage vor einen internationalen Gerichtshof.
Hannah Arendt wird in diesem Streit als Zuhörerin gezeigt, die die Argumente beider Seiten abwägt, ohne sich selber zu positionieren. Das ändert sich, als Arendt bei Freunden in Jerusalem angekommen ist, bei denen sie während ihres Prozessbesuches lebt. Hier wird schnell ihre Distanz zum jungen israelischenStaat deutlich. „Hab Geduld mit uns Juden“, bittet ein Verwandter. Sie betonen, dass der Prozess für den jungen Staat wichtig ist. Bis in die frühen 60er Jahre wurde über die Shoah in Israel wenig geredet. Das von der zionistischen Gründergeneration bevorzugte Bild von selbstbewussten, starken Menschen, die den neuen Staat begründeten, war nicht in Übereinstimmung zu bringen mit den Bildern der wehrlosen, gemarterten und getöteten Menschen in den Vernichtungslagern der Nazis und ihrer europäischen Verbündeten. Dass es selbst unter diesen Bedingungen Widerstandsaktionen gab und dass die Juden von ihren Mördern zu Opfern gemacht wurden, wurde in Israel im ersten Jahrzehnt nach der Gründung zum Leidwesen vieler Überlebender zu wenig reflektiert.
Der Eichmann-Prozess war eine Zäsur. Im Film ist in mehreren Szenen zu sehen, wie die Menschen überall in Israel an den Radios das Verfahren gebannt verfolgten. Arendt tat sich schwer, die Artikelserie für The New Yorker fristgerecht abzuliefern. Immer wieder sieht man sie vor Aktenbergen am Schreibtisch ihrer New Yorker Wohnung sitzen. Als sie ihre Arbeit schließlich beendet hatte, kamen vom Verlag sofort erschrockene Rückmeldungen. Man befürchtete, dass der Text einen Skandal auslösen würde, doch die Dimension des Konflikts konnte niemand vorhersehen.
Es waren vor allem drei Textpassagen, die die Kritik hervorrief. Arendt hatte den Judenräten vorgeworfen, mit den deutschen Behörden kooperiert zu haben, und ihnen eine Mitschuld an der Vernichtung gegeben. Zudem bescheinigte sie Eichmann. ein Prototyp der „Banalität des Bösen“ gewesen zu sein, der sich auf Befehle höherer Dienststellen berief und vorgab, nicht selber über diese nachgedacht zu haben. Arendt sah in dieser Unfähigkeit zu denken das Wesen von Eichmanns Persönlichkeit.
„Warum soll ich die Juden lieben, wo ich doch keine Völker liebe“
Im Film wird gezeigt, wie sich langjährige Bekannte, Freunde und selbst Verwandte sich von Arendt abwandten. Ein dramatischer Höhepunkt des Films ist erreicht, als Arendt am Bett des schwerkranken Verwandten sitzt, der ihr demonstrativ den Rücken zukehrt, nachdem er ihr vorgeworfen hat: „Du liebst die Juden nicht.“ Ihre Gegenfrage im Film hört sich fast programmatisch an. „Warum soll ich die Juden lieben, wo ich doch keine Völker liebe? Ich liebe Menschen.“ So würden auch viele linke Israelkritiker heute antworten, wenn ihnen jüdischer Selbsthass oder Feindschaft zu Israel vorgeworfen wird. So kann die Kontroverse um das Buch von Hannah Arendt tatsächlich als Beginn einer Kontroverse zwischen linken jüdischen Intellektuellen und dem Staat Israel gesehen werden, die bis heute andauert. Margarethe von Trotta macht Arendts zur Streiterin für Meinungsfreiheit. Kompromisslos widersetzt sie sich allen Aufforderungen, das Buch zurückzuziehen. An einer Stelle wird dramaturgisch übertrieben, als Arendt bei einem Waldspaziergang von mehreren Männern mit dunklen Brillen angehalten und barsch aufgefordert wird, das Buch zurück zu ziehen. Schnell stellt sich heraus, dass es Mossad-Mitarbeiter sind, die auch gleich erklären, zumindest in Israel werde das Eichmann-Buch nicht erscheinen. Tatsächlich wurde es dort erst im Jahr 2000 verlegt. Die Szene erinnert an staatliche Rollkommandos und scheint schon deshalb übertrieben, weil gleich im Anschluss gezeigt wird, wie Arendt ungehindert zu dem schwerkranken Verwandten nach Israel reist, der ihr wegen des Buches seine Freundschaft aufgekündigt hat.
Der Film dürfte in Deutschland aus den falschen Gründen viel Zustimmung bekommen. So wird es zumindest in großen Teilen der Bevölkerung nicht um die Wiederentdeckung von Hannah Arendt und ihrer radikalen Kritik an der Mehrheit der Deutschen im Nationalsozialismus gehen, wie sie in dem Eichmann-Buch formuliert wird. Sie wird vielmehr als Israelkritikerin gefeiert werden. Diese falsche Eingemeindung erleben linke jüdische Kritiker der israelischen Politik auch heute noch. Da wird dann womöglich Arendt noch mit Günther Grass auf eine Stufe gestellt, was die Politologin nun wirklich nicht verdient hat.
Die Instrumentalisierung von Hannah Arendt begann schon kurz nach der Herausgabe des Eichmann-Buches. Der Verlagsleiter des Piper-Verlag Hans Rößner, der die deutsche Ausgabe des Eichmann-Buches betreute, war während der NS-Zeit SS-Obersturmbannführer und Kulturreferatsleiter im Reichssicherheitshauptamt. Arendt hat davon nie erfahren.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153438
Peter Nowak
Am 24. Oktober, 20 Jahre nach dem Beschluss für die Errichtung, wurde endlich das »Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas« feierlich eröffnet. In dem kürzlich von LLith Bahlmann, Moritz Pankow und Matthias Reichelt herausgegebene Buch „Das schwarze Wasser“ wird noch einmal auf den langen in verschiedenen europäischen Ländern geführten Kampf für die Fertigstellung des Erinnerungsort erinnert. Die Aktionen sind von den Medien in Deutschland kaum wahrgenommen worden. Völlig ignoriert wurde eine Kunstperfomance, mit der die US-Künstlerin De Laine Le Bais am 27.Januar 2012 auf der damaligen Denkmalbaustelle gegen die Ignoranz der politisch Verantwortlichen protestierte. Auch über eine von Romaktivisten aus ganz Europa im Rahmen der diesjährigen Berlin-Biennale am gleichen Ort initiierten Protestkundgebung am 2. Juni dieses Jahres berichten nur wenige Medien, darunter das ND. Am Ende der knapp einstündigen Kundgebung wurden Zettel an dem Bauzaun angebracht, auf denen Angriffe, Brandschläge schwere Körperverletzungen und Morde gegen Roma und Sinti in ganz Europa dokumentiert sind. Die Tatorte befinden sich in Rumänien und Ungarn aber auch in Dänemark, Italien und Frankreich. Der Inhalt der erschreckenden Liste von rassistischem Hass ist in dem Buch auf mehreren Seiten abgedruckt. Das Buch ist aber auch ein Dokument des Widerstands von Romaaktivisten gegen Entrechtung und Diskriminierung. Besonders der Beitrag der ungarischen Kunsthistorikerin Timea Junghaus macht deutlich, dass dabei die europäischen Institutionen und Rechte genutzt werden sollen. In einer von den Romaaktivisten am 2. Juni 2012 angenommenen Resolution wurden Empfehlungen an das Europäische Parlament verabschiedet, in denen es um das würdige Gedenken geht. So soll der 2. August vom EU-Parlament zum Gedenktag für den Massenmord an den Roma im Nationalsozialismus erklärt werden. Zudem sollen an allen Orten der Verfolgung Archive eingerichtet werden, in denen die Entrechtung der Menschen dokumentiert werden. Für die Gegenwart sollen in allen EU-Staaten Gesetze garantieren, dass Roma als gleichwertige Bürger ohne Diskriminierung leben können.
Die europäische Dimension nimmt in mehreren Aufsätzen in dem Buch eine zentrale Rolle ein. Die Historiker Wolfgang Wippermann, Silvio Peritore und Frank Reuter untersuchen hingegen verschiedene Aspekte der NS-Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma. Beeindruckende Fotos von Verfolgung und Widerstand der Sinti und Roma, sowie von dem Denkmal in den verschiedenen Perspektiven und Bauphasen machen das Buch zu einem kleinen Katalog zum Erinnerungsort.
Bahlmann, Lith, Pankok Moritz, Reichelt Matthias, Das schwarze Wasser, Das Denkmal für die Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Berlin 2012, Edition Braus, 96 Seiten, 14,95 EURO, ISBN 9783862280384
Die Planungen für einen Gedenkort an die Euthanasiemorde in der NS-Zeit treten in eine neue Etappe
Am Sonntag konnten Besucher das letzte Mal die Entwürfe für ein Denkmal für die sogenannten T 4-Morde in der Berliner Topographie des Terrors besichtigen. Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten beginnen. Betroffenenorganisationen kritisieren das Vorhaben als »Pro-Forma-Gedenken zum Billigtarif«.
»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«. Diese Zeilen schrieb ein Schuhmachermeister am 3. September 1939 aus der PsyPsychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Er war von den nationalsozialistischen Behörden als geisteskrank verhaftet worden und hat die Anstalt nicht mehr lebend verlassen. Wie er sind viele Patienten im Nationalsozialismus ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Noch bis zum 16. Dezember können die Entwürfe für den geplanten Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4 in einer Sonderausstellung in Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion geplant wurde. Sie wird auchT4-Morde genannt. Dass sich der Begriff durchsetzte, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff Euthanasiemorde wehrten. Denn Euthanasie heißt wörtlich übersetzt „schöner Tod“. Dabei wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. In verschiedenen ausgestellten Erinnerungsmodellen sollen neben dem Täterort, die Opfer ein Gesicht bekommen. So steht beim als Siegerentwurf prämierten Modell eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand im Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des Andernacher Spiegelcontainers auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde und an Opfer der T4-Morde erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach in Hadamar vergast wurden. Eine Gedenkplatte, die bereits am Täterort eingelassen ist, soll in das mit dem ersten Preis prämierten Modell integriert werden. Dort heißt es schlicht aber aussagekräftig: „Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter“. Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands nicht nur die meisten an den T4-Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht bestraft worden. Viele haben ihre Karriere oft bruchlos fortgesetzt.
Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und auch an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart ansprechen, kamen nicht in die engere Auswahl. So sollen in einem Modell 6 Stelen aus dem Holocaust-Denkmal verwendet werden, um an die 6 Orte zu erinnern, an denen die T4-Morde in Deutschland durchgeführt werden. Damit würde auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der als geisteskrank erklärten Menschen und der Shoah hergestellt. Auch Rene Talbot von der Gruppe Irrenoffensive erinnert daran, dass viele der in die T4-Mordaktionen involvierten Täter auch an der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt waren. Verbände der Psychiatrieerfahrenen kritisieren die aktuelle Denkmalauslobung als „Proforma-Gedenken zum Billigtarif“. Damit monierten sie die begrenzten finanziellen Mittel und den engen vorgegebenen Rahmen für den Erinnerungsort, der auch von einigen an der Ausstellung beteiligten Künstler in den Begleittexten kritisch angesprochen wird. 500000 Euro stellte der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung. Mit dem Bau soll im nächsten Jahr begonnen werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/807524.den-opfern-ein-gesicht.html
Peter Nowak
Mit dem Freitag ist ein Medienprojekt betroffen, das gerade mit der besonderen Nutzung des Internets neue Wege aufzeigen wollte
„Medienkrise“, dieser Begriff könnte durchaus auch das inoffizielle Wort des Jahres werden. Die Financial Times ist schon eingestellt, bei der Frankfurter Rundschau besteht noch Hoffnung auf die Rettungsroutine. Jetzt bleibt auch bei der Wochenzeitung Freitag „nichts wie es war“, wie ein Onlineautor die aktuelle Lage treffend beschreibt.
Klar ist, dass sich einiges ändern wird, doch niemand weiß so recht, wie die Zeitung danach aussieht. Sicher scheint nur, dass es bei der Wochenzeitung Stellenstreichungen geben wird.
„Wir müssen jetzt alles tun, dass der Freitag als Wochenzeitung am Leben bleibt. Das ist das oberste Ziel. Der Freitag soll nicht das Schicksal von FR und FTD erleiden“, erklärte Herausgeber Jakob Augstein gegenüber MEEDIA und bestätigte damit nur, was vielen bekannt war. Das Projekt war auch nach Augsteins Übernahme 2008 aus der Verlustzone nicht herausgekommen. Dabei hat die Wochenzeitung nach Angaben der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) gegenüber dem Vorjahr sogar leichte Zugänge bei den Abonnenten erzielt, was bei einer Printausgabe heute schon ein Erfolg darstellen dürfte.
Daher wurde auch sehr kritisch kommentiert, dass ausgerechnet jetzt der Herausgeber seine Kürzungspläne ankündigte. Die Taz, in der viele ehemalige Freitag-Redakteure arbeiten und die daher als gute Informationsquelle gilt, nannte auch Zahlen, die gravierende Einschnitte bedeuten würden, sollten sie tatsächlich umgesetzt werden. Demnach sollen 9 Stellen eingespart werden, was die Reduzierung der schon jetzt sehr kleinen Redaktion um ein Viertel bedeuten würde.
Kritiker bemängeln, dass das Ressort Innenpolitik beim Freitag weitgehend brachliegt, nachdem der dafür jahrelang verantwortliche Redakteur Tom Strohschneider die Zeitung verlassen hat. Er versucht mittlerweile als Chefredakteur das Neue Deutschland in eine moderne linke Tagezeitung zu transformieren, die auch für Leser außerhalb des SED-Zusammenhangs interessant sein soll.
Projekt oder normale Zeitung?
Die Kritik an Augstein hat schon zugenommen, als er vor einem Jahr die vier Mitherausgeber vor die Tür gesetzt hat. Eine der Betroffenen, die Publizistin Daniela Dahm. berichtet, was nach einer kontroversen Diskussion über die Funktion des Herausgeberkreises geschah: „Zehn Tage später bekamen alle Herausgeber von Jakob Augstein einen Brief, in dem er uns für unsere hilfreiche Begleitung in der Zeit des Überganges dankt. Diese Phase sei nun abgeschlossen, der Freitag habe den Charakter eines ‚Projekts‘ gegen den einer ’normalen Zeitung‘ eingetauscht, woraus folge, ‚dass das Institut der Herausgeber sich für den Freitag überlebt hat‘.“
Auch wenn Dahn inhaltliche Gründe für die Trennung von den Herausgebern erwähnt, haben doch viele Freitag-Leser diesen Schritt nicht allzu sehr bedauert. Hatten doch die Herausgeber ihre Funktion vor allem dafür genutzt, oft sehr lange moralisch aufgeladene Abhandlungen in die Zeitung zu bringen, mit denen sie ihre Rolle als Querdenker festigen wollten. Vor allem aber standen die Herausgeber für das Konzept einer Printzeitung alten Stils.
Modell Guardian auf deutsche Medienlandschaft nicht anwendbar?
Dabei lag das Projekthafte beim Freitag gerade daran, dass sie nach dem Modell des britischen Guardian auch in Deutschland das Modell einer Zeitung etablieren wollte, für die die Onlineausgabe ein eigenständiger Bereich und nicht ein Abfallprodukt der Printausgabe ist.
So sind auf Freitag-Online völlig eigenständige Artikel und Interviews und nicht nur längere Fassungen aus der Printausgabe zu finden. Zudem wurde auch der Community-Bereich beim Freitag in den letzten zwei Jahren ausgebaut. Zudem sollten die einzelnen Bereiche durchlässig sein. So kam es immer wieder vor, dass interessante Beiträge aus dem Community-Bereich entweder in die Online-Ausgabe oder seltener in die Printausgabe übernommen wurden. Vor zwei Jahren wurde dieses Konzept auf einer Veranstaltung im Rahmen der Linken Medien Akademie als beispielgebend für die Zeitungsbranche gelobt.
Nun wäre zu fragen, was von diesen Ansprüchen übrig geblieben ist. Wurden sie nicht eingelöst und warum lasst Augstein, der sein Geld nicht beim Freitag verdient, einem solchen Projekt nicht mehr Zeit? Ist er zu dem Schluss gekommen, dass das Modell Guardian für die deutsche Medienlandschaft nicht geeignet ist? Jedenfalls zeigt die erneute Krise des Freitag, dass auch ein Gang ins Netz keine Überlebensgarantie für Printmedien ist.
Über 300.000 Unterzeichner: eine Petition an das Bundesjustizministerium soll die Tarifreform verhindern
Gestern übergaben Kulturinitiativen die nach ihren Angaben bundesweit größte Petition an das Bundesjustizministerium. Dafür haben die Kritiker der GEMA seit Monaten eifrig die Werbetrommel gerührt. 305.122 Unterschriften sind schließlich zustande gekommen. Die Ministerin hat sich ca. 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit den Initiatoren der Proteste genommen.
Stein des Anstoßes ist die für kommendes Jahr geplante neue GEMA-Tarifstruktur. Nicht nur die Clubszene befürchtet dadurch massive Preissteigerungen. Auch sächsische Kleingärtner haben sich gegen die GEMA-Pläne positioniert. Schließlich fallen auch ihre Vereinsfeste unter die GEMA-Tarife. So heißt es in einer Pressemeldung der sächsischen Linkspartei:
„Land auf, Land ab beklagten sich Initiatoren von Musikveranstaltungen, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Diskotheken- und Clubbetreiber, Veranstalter von Straßen-, Volks- und Vereinsfesten, insbesondere auch der Landesverband der Sächsischen Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, dass diese durch die vorgesehenen Gebührensteigerungen von teils mehreren hundert Prozent vor existenzielle wirtschaftliche Probleme gestellt werden.“
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die gemakritische Petition große Resonanz gefunden hat. Die Übergabe der Unterschriften haben mehrere der in den Protest gegen die GEMA involvierten Bündnisse wie Fairplay und die Kulturretter noch einmal zur Darstellung ihrer Argumente genutzt.
Standortargumente wurde strapaziert
„Die über 300.000 Unterstützer dieser Petition haben ein klares Signal an die GEMA gesandt, das bis dato komplett ignoriert wurde: So sollte die sogenannte Tarifreform endgültig zu den Akten gelegt werden, um endlich eine Tarifstruktur zu schaffen, welche Kultur fördert und nicht vernichtet. Die GEMA hat damit Ihren Offenbarungseid bereits geleistet und ist offensichtlich nicht reformfähig“, meint der Kulturarbeiter und Anmelder der Berliner Protest-Kundgebungen Lothar Küpper.
Der Eventmanager und Fairplay-Aktivist Alexander Beck erklärt: „Mein privates und berufliches Umfeld setzt sich vorwiegend aus im Event-Bereich Tätigen zusammen, welche – wie ich – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, sollte die Tariferhöhung so umgesetzt werden. Durch diese werden Clubs, Veranstaltungshallen und allerlei verwandte Gewerke schlichtweg pleite gehen. Gerade in Berlin mit seinen vielen Events sind tausende Arbeitsplätze gefährdet.“
Standortargumente spielten bei den GEMA-Kritikern eine zentrale Rolle. Angeblich 150.000 Jobs sollen durch die Tarifstruktur der GEMA gefährdet sein und auch die wichtige Rolle, die die Kulturszene für den Berlintourismus hat, wird bei ihnen immer wieder betont. Dass es neben solchen Lobbyinteressen gute Argumente gegen die GEMA-Pläne gibt, machen die Stellungnahmen des Berliner Konzertveranstalters Berthold Seeliger deutlich, der den Argumenten der Verwertungsindustrie, sie kämpfe für die Interessen der Künstler widerspricht.
Nach der Petitionsübergabe ist der Termin des Schiedsgerichts am 19.12. ein weiterer wichtiger Termin für die GEMA-Kritiker. Noch hoffen sie, die schon um mehrere Monate verschobene GEMA-Tarifreform ganz zu verhindern.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153369
Peter Nowak