Kundgebung und Demonstration »Kein Soldat mehr« in Berlin
Aktion gegen den Krieg in Afghanistan. Lediglich 2000 Friedensbewegte demonstrierten in Berlin, obwohl die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in der Bevölkerung weiter verbreitet ist.
Rund 2000 Menschen demonstrierten am Sonnabend in Berlin für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. »Kein Soldat mehr. Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan« hieß das Motto der Aktion, zu der bundesweit aufgerufen worden war.
Unter den Teilnehmern befanden sich auch Bundes- und Landtagsabgeordnete der Linkspartei und einige Gewerkschafter, die mit der Fahne der IG Bauen Agrar Umwelt Flagge zeigten. »Krieg wird niemals Frieden, wie auch eine Katze niemals ein Hund wird«, widersprach der Theologe Eugen Drewermann unter Applaus den Beteuerungen der Bundesregierung, der Einsatz der Bundeswehr diene dem Frieden in Afghanistan. Drewermann schloss seinen Beitrag mit einem literarischen Klassiker der deutschen Friedensbewegung ab, indem er das Gedicht »Sag nein«, von Wolfgang Borchert rezitierte.
Einen anderen politischen Akzent setze eine Gruppe jüngerer Kriegsgegner mit einem Transparent, auf dem die Parole stand: »Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden anrichten«. »Wir wollen deutlich machen, dass es sehr unterschiedliche Formen des Antimilitarismus gibt. So haben in verschiedenen Ländern Antimilitaristen Kriegsgerät zerstört, bevor es zum Einsatz kommt«, betonte eine Frau hinter dem Transparent gegenüber ND. In Berlin sind im Dezember 2009 drei Männer, denen versuchte Brandstiftung an Militärfahrzeugen vorgeworfen wurde, zu Haftstrafen verurteilt worden.
An die Kundgebung schloss sich eine Demonstration zum Reichstagsgebäude an. Mit einem symbolischen »Die-In« (engl. Sterben) wollten Mitglieder der Internationalen Ärzteorganisation für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) auf die alltäglichen Opfer des Afghanistankrieges aufmerksam machen. »In unseren Medien werden Zivilisten, die in Afghanistan durch NATO-Bomben sterben, nur am Rande erwähnt«, beklagte eine IPPNW-Aktivistin.
Zum Abschluss der Demonstration wurden Schilder mit den Namen von 100 Städten, in denen Kriegsgegner aktiv sind, in der Nähe des Reichstags platziert. Darunter waren Berlin, Bremen und Hamburg, das sachsen-anhaltische Halle an der Saale und das osthessische Fulda, die bisher nicht als politische Hochburgen bekannt waren.
Seit einigen Monaten ruft der DGB-Kreisverband Fulda mit einem Appell zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und zur Schaffung ziviler Arbeitsplätze auf. Auch in Berlin wurden Unterschriften für den Fuldaer Appell gesammelt.
»Anlass war der Tod eines jungen Mannes aus Fulda, der an den Folgen seiner Verletzungen, die er sich als Soldat in Afghanistan zugezogen hatte, im letzten Jahr starb. Bei der Beerdigung wurde viel vom Tod für das Vaterland gesprochen. Dass sich der Mann zur Bundeswehr gemeldet hatte, weil er arbeitslos war, wurde nicht erwähnt.« Das sei der Anlass für die Gewerkschafter gewesen, friedenspolitische Position zu beziehen, berichtet Karin Masche vom Fuldaer DGB-Kreisvorstand.
Wie die Städteschilder deutlich machten, ist das Beispiel aus Osthessen keine Ausnahme. An der Basis laufen mehr Aktivitäten gegen die Bundeswehr in Afghanistan, als die relativ bescheidene Zahl der Demonstrationsteilnehmer am Sonnabend vermutet lässt. »Obwohl Umfragen zufolge die Mehrzahl der Bundesbürger den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnt, lassen sich nur wenige Menschen dafür mobilisieren«, diese Einschätzung von Ute Finckh vom Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hat sich wieder einmal bestätigt.
Es gibt aber eine ganze Reihe lokaler Aktivitäten gegen das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan.
„Obwohl Umfragen zufolge die Mehrzahl der Bundesbürger den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnt, lassen sich nur wenige Menschen dagegen mobilisieren.“ Diese Einschätzung von Ute Finckh vom Bund für Soziale Verteidigung hat sich am Samstag wieder einmal bestätigt.
Ca. 2000 Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. „Kein Soldat mehr. Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan“ hieß das Motto der Aktion, zu der bundesweit mobilisiert wurde.
„Krieg wird niemals Frieden, wie auch eine Katze niemals ein Hund wird“, widersprach der Theologe Eugen Drewermann unter Applaus den Beteuerungen der Bundesregierung, der Einsatz der Bundeswehr diene dem Frieden in Afghanistan. Drewermann schloss seinen Beitrag mit einem literarischen Klassiker der deutschen Friedensbewegung ab, indem er das Gedicht „Sag nein“, von Wolfgang Borchert rezitierte.
Zum Abschluss der Demonstration wurden Schilder mit den Namen von 100 Städten, in denen Antimilitaristen aktiv sind, in der Nähe des Reichstags platziert. Darunter waren neben Großstädte wie Berlin, Bremen und Hamburg auch Orte wie Halle an der Saale und das osthessische Fulda, die bisher nicht als politische Hochburgen bekannt waren.
Seit einigen Monaten ruft der Kreisverband des Fuldaer DGB mit einem Appell zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und zur Schaffung von zivilen Arbeitsplätzen auf. „Der Anlass war der Tod eines jungen Mannes aus Fulda, der an den Folgen seiner Verletzungen, die er sich als Soldat in Afghanistan zugezogen hat, im letzten Jahr gestorben war. Bei der Beerdigung sei viel vom Tod für das Vaterland gesprochen worden, nicht aber, dass sich der Mann zur Bundeswehr gemeldet hatte, weil er arbeitslos war“, berichtet Karin Masche vom Fuldaer DGB-Kreisvorstand. Das sei der Anlass für die osthessischen Gewerkschafter gewesen, friedenspolitische Position zu beziehen.
Wie die Städteschilder deutlich machten, ist das Beispiel aus Osthessen keine Ausnahme. An der Basis laufen mehr Aktivitäten gegen das Engagement in Bundeswehr in Afghanistan, als die relativ bescheidene Zahl der Demonstrationsteilnehmer am Samstag vermuten lässt. http://www.heise.de/tp/blogs/8/147115
Die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) hat in ihrem Rundumschlag gegen alle Nichtschweizer auch einen Passus über deutschen Filz und deutsche Arroganz mit aufgenommen. Ins Visier der Schweizer Rechten sind vor allem Studierende und Wissenschaftler aus Deutschland geraten.
Die Klage über die zunehmende Zahl deutscher Wissenschaftler und Studierende in der Schweiz ist allerdings längst nicht nur auf rechte Kreise beschränkt. Schon seit Jahren monieren in der Schweiz arbeitende IT-Wissenschaftler in Internetblogs die Arroganz in ihrem Gastland. Gelegentlich seien sie auch schon aufgefordert worden, »heim ins Reich« zu gehen.
Bei den deutsch-schweizer Animositäten handelt es sich nicht um Rassismus, wie in auch in hiesigen Medien zu lesen war, sondern um Standortnationalismus. Schweizer rivalisieren mit den Zuwanderern um die besten Jobs und die attraktivsten Studienplätze. Da wird in Schweizer Medien schon mal vor deutschen Verhältnissen an Schweizer Hochschulen gewarnt. Gemeint sind damit überfüllte Hörsäle und rare Lehrmittel.
Ähnliche Töne kommen übrigens auch aus Österreich. Nachdem in dem Land die Studiengebühren abgeschafft wurden, warnten nicht nur rechte Medien vor Studierenden aus Deutschland, die auf der Flucht vor der Unimaut in Deutschland in österreichischen Hörsälen Asyl suchen.
Das Lamento vieler deutscher Medien und Politiker über die Ausfälle der Schweizer und österreichischen Nachbarn gegen deutsche Wissenschaftler und Studierende ist allerdings scheinheilig. Ihnen sollte man die Frage stellen, ob sie sich mit der gleichen Vehemenz auch gegen die vielfältigen Diskriminierungen wenden, denen sich Menschen ohne deutschen Pass im deutschen Bildungswesen und der deutschen Gesellschaft ausgesetzt sehen.
Hinter dem von der FDP-Führung bewusst gesuchten Streit in der Bundesregierung stehen unterschiedliche Politikvorstellungen der Koalitionäre
Die Bundeskanzlerin ruft ihren Vizekanzler zur Ordnung, ein CDU-Politiker in Ruhe nennt Westerwelle einen Esel im Außenministerium und in der FDP mehren sich die Stimmen, die einer Arbeitsteilung in der Partei das Wort reden. In den letzten Tagen konnte man den Eindruck haben, die Bundesregierung befinde sich in Auflösung und die Propheten von der Opposition, die schon am Wahlabend voraussagten, dass diese Regierung nicht die gesamte Legislaturperiode übersteht, könnten recht behalten.
Mehrere Krisengipfel der Koalition und der sie tragenden Parteien haben nicht etwa die erwünschte Ruhe an der Regierungsfront gebracht sondern das Chaos noch verstärkt. Würde nun wieder ein Gipfel einberufen, würde er wohl vor allem für Spott sorgen. Denn zunehmend zeigt sich, es sind nicht Anlaufschwierigkeiten der Wunschpartner, die die Regierung lähmen. Es sind auch nicht die Schwierigkeiten der langjährigen Oppositionspartei FDP, wieder Regierungsverantwortung zu tragen, die gerne zur Begründung herangezogen werden. Es handelt sich um vielleicht unüberbrückbare Differenzen unter den Koalitionspartnern, die aber weniger im Ziel besteht, als in dem Weg, um es zu erreichen.
Neoliberale Speerspitze
Die FDP-Spitze unter Westerwelle ist auch nach der Regierungsübernahme nicht bereit, sich verbal staatsmännisch zu gerieren. Vielmehr wird der Kampf gegen den Sozialstaat vor allem von Westerwelle auf allen Ebenen fortgesetzt.
Die FDP will sich konsequent als Partei der Wirtschaftsliberalen profilieren. Die logische Konsequenz ist dann, dass der Staat kaum noch finanzielle Mittel hat, um beispielsweise eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze zu finanzieren. Aus dieser Sicht ist es für Westerwelle nur folgerichtig, dass er sich als mögliche Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sätzen sofort gegen jede Erhöhung aussprach (Westerwelles kleine Welt).
Dass er dann gleich den Sozialismus am Horizont wähnt, wenn die prekären Lebensbedingungen der Hartz-Empfänger, Erwerbslosen und Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich etwas verbessert werden, macht die Entschlossenheit der FDP-Spitze deutlich, den Sozialstaat der alten BRD möglichst restlos zu schleifen. Dabei geht es nicht nur um eine Reduzierung der Staatsausgaben. Es geht auch darum, den Preis der Ware Arbeitskraft noch weiter zu senken und den Niedriglohnsektor auszuweiten (Hartz IV und der hausgemachte Niedriglohnsektor).
Abgrenzung von Union und Grünen
Dabei ist das Vorgehen von Westerwelle und seiner Anhänger längst nicht so irrational, wie manche Kommentatoren unterstellen. Es zielt darauf, die Marktradikalen möglichst an die FDP zu binden. Viele von ihnen fanden sich in der Union, deren Leipziger Programm von 2005 durchaus mit den Westerwelle-Vorschlägen kompatibel war. Doch mit der Beinahe-Pleite der Union von 2005, der darauffolgenden schnellen Entsorgung des von Merkel erst hochgelobten Wirtschaftsberater Paul Kirchhoff und der nachfolgenden Entmachtung von Friedrich Merz fremdeln die Wirtschaftsradikalen in einer Union, der Merkel und ihre Berater Pragmatismus verordnet haben, was von Kritikern auch als Sozialdemokratisierung bezeichnet wird.
Genau auf diese Klientel zielt Westerwelle, wenn er signalisiert, dass in der FDP auch eine Regierungsübernahme kein Aufweichen des Programms bedeutet. Er kann sich dabei auch rechtsliberale Anti-Steuer-Parteien im europäischen Ausland ebenso berufen, wie auf temporäre, moralische Aufwallungen lamentierender Bürger, die sich am Steuer- und Sozialstaat abarbeiten.
Eine der längst weitgehenden vergessenen Interventionen war der in der Spätphase der rot-grünen Regierung vom Historiker Arnulf Baring ausgerufene Aufstand der Steuerbürger. Die martialische Wortwahl darf nicht täuschen. Auf die Barrikaden gehen die renitenten Steuerbürger nicht, aber FDP wählen könnten sie schon. Die etwas postmodernere Variante dieser lamentieren Bürger hat vor einigen Wochen der Philosoph Peter Sloterdijk präsentiert, der wie Karl-Heinz Bohrer ebenfalls zur Schleifung des Sozialstaates aufgerufen hat.
Grüne Konkurrenz
Mit der Profilierung als Marktradikale sucht Westerwelle auch den Abstand zu den Grünen zu vergrößern. Denn auch bei ihnen handelt es schon längst um eine liberale Partei, die mit der FDP durchaus um ein ähnliches Wählerklientel streiten könnte. Der FDP liegt daher umso mehr an der Markierung der Differenz. Das machte Westerwelle mit seinen obligatorischen 68er-Bashing deutlich. Mit seiner radikalen Steuersenkungspolitik und mehr noch mit der Stilisierung als Pro-Atom-Partei soll die Trennungslinie zu den Grünen verschärft werden.
Daher war auch die Kritik aus der FDP besonders vehement, als Bundesumweltminister Norbert Röttgen in Interviews deutlich machte, dass er die AKW-Nutzung nicht als ideologische Frage sieht. Mit seiner Einlassung, dass dann, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien wächst, die Atomkraft überflüssig wird, hat er sich ganz auf der argumentativen Linie bewegt, den auch offiziell auch die Lobbyvereine der Atomindustrie verwenden. Da wird eine Entideologisierung der Debatte um die Atomkraft gefordert und von einem Energiemix gesprochen.
Eine solche Position war in der Union, in dem die Christlichen Demokraten gegen Atomkraft jahrzehntelang den Status einer geschützten Minderheit genossen, lange tabu. Erst seit hinter den erneuerbaren Energien ein wachsender Industriesektor mit eigenen Lobbyorganisationen steht, werden dort ideologische Positionen aufgeweicht. Dass sie damit auch Barrieren für eine mögliche Zusammenarbeit mit den Grünen abräumen, ist für die Union ein Zugewinn an Regierungsoptionen. Die FDP aber würde an Einfluss verlieren, wenn eine bürgerliche Koalition auch ohne sie gebildet werden könnte.
Dass sich die FDP besonders vehement für die AKW-Nutzung aussprach, zielt auch auf den Teil der Union, der sich noch immer schwer an eine Zusammenarbeit mit den Grünen gewöhnen kann. Wie einflussreich er ist, dürfte sich beim Bürgerentscheid um die Hamburger Schulpolitik zeigen. Dort rebellieren Eltern aus gutbürgerlichen Staatteilen gegen eine Schulreform, auf die sich die Union und die Grünen verständigt hatten und die mehr egalitäre Strukturen in das Bildungswesen bringen sollte, was von den wohlhabenden Eltern, die ihre Kinder nicht unnötig lange mit Hartz IV-Empfängern zusammen unterrichten lassen wollen, abgelehnt wird. Ein Erfolg des Bürgerbegehrens würde auch deutlich machen, dass die CDU-Basis einer Liaison mit den Grünen weniger aufgeschlossen ist als die Parteigremien.
Rettungsanker große Koalition?
Aber am Ende kann sich die Union auch in die gute alte Koalition mit der SPD retten, wenn es Westerwelle gar zu ideologisch treibt und ein Bündnis mit den Grünen noch nicht von allen Konservativen auf Bundesebene akzeptiert wird. Mit der Entscheidung für eine Grundgesetzänderung bei der Reform der Jobcenter haben Teile der Union, sehr zum Missfallen der FDP, eine Kooperation mit der SPD erzwungen. Auch beim Afghanistan-Einsatz setzt die Union auf die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, die auch mehrheitlich schon Zustimmung signalisiert haben.
Die FDP scheint der Verlierer dieser Szenarien zu sein. Für den Teil der Liberalen, die eher auf pragmatisches Mitregieren setzt und Westerwelle schon heftig für seinen ideologischen Marktradikalismus kritisieren, trifft das sicher zu. Für die Verfechter einer marktradikalen, rechtsliberalen Partei aber würde die Stunde schlagen, wenn die jetzige Koalition platzt und es erneut zu einer großen oder bundesweit erstmals zu einer schwarz-grünen Koalition käme. Die FDP könnte damit werben, dass sie sich selbst um den Preis der Ministerämter dem sozialdemokratischen Steuerstaat entgegengestellt hat. Aber wie viele der karrierebewussten Liberalen diesen Weg zu gehen bereit wären, ist auch für Westerwelle die große Frage.
Anfang der fünfziger Jahre wurde das Waldviertel in Berlin-Zehlendorf noch ganz unbefangen „SS-Siedlung“ genannt. Am Rande der Hauptstadt war Ende der dreißiger Jahre eine Kameradschaftssiedlung der Nazi-Schutzstaffel errichtet worden. Man lebte in einem Umfeld, „in dem die Angehörigen der SS ausreichend und gesunden Wohnraum finden und das insbesondere den Aufstieg der Familien zu fördern geeignet ist“, so „Reichsführer“ Heinrich Himmler.
Nach dem Ende des NS-Regimes war es für die braune Elite erst einmal mit dem Stadtrandidyll vorbei. Die Alliierten vergaben die Wohnungen an Verfolgte und Emigranten. Doch schon Mitte der fünfziger Jahre wehte wieder ein anderer Wind. Antonin Dick, der als Emigrantenkind seine Schulzeit in dem Viertel verbracht hat, kann sich noch erinnern, wie SS-Leute Anspruch auf ehemaligen Wohnungen und zurückgelassenes Mobiliars erhoben.
Heute will ein Großteil der Bewohner an die Nazi-Vergangenheit der Siedlung möglichst nicht mehr erinnert werden. Man solle doch endlich die Vergangenheit ruhen lassen, hieß es, als das Zehlendorfer Kulturamt die Aufstellung einer Informationstafel zur Geschichte der Siedlung beschloss. Die Siedlung stehe schon siebzig Jahre – und habe nur sieben Jahre davon SS-Zwecken gedient, so ein Bewohner. Ein anderer befürchtete gar, dass Neonazis angelockt werden könnten.
Anwohner stellen Fragen
Die Einwände hatten Erfolg. Das zuständige Kulturamt wartete mit einer ganz neuen Variante des Prinzips „Geschichte von Unten“ auf. Da die Bewohner mehrheitlich den Namen Himmler im Zusammenhang mit der Vergangenheit der Siedlung nicht lesen wollten, wurde der kurzerhand gestrichen. Auch die Rolle der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) wird in dem Text weitgehend ausgeblendet. Das Unternehmen war für Bau und Verwaltung der Siedlung zuständig. Gagfah-Architekt Hans Gerlach hatte die Planung mit dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS für abgestimmt. Die Gagfah gehörte auch in der Nachkriegszeit zu den führenden Berliner Wohnungskonzernen.
Kulturamtschefin Sabine Weißler räumte ein, dass es schwierig sei, historisch korrekt zu bleiben und gleichzeitig die Anwohner-Wünsche zu berücksichtigen. Die Zehlendorfer Version der Vergangenheit kann man nun auf der Tafel lesen. „Die friedvolle Atmosphäre, welche die in den Landschaftsraum eingebettete Siedlung dem unbefangenen Betrachter heute vermittelt, macht es schwer, ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Diese ist unmittelbar mit ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus verwoben.“ Eine NS-Verfolgte, die von den Alliierten eine Wohnung in der Siedlung zugewiesen bekam und dort bis heute wohnt, wurde ebenso wenig zur Diskussion um die Tafel eingeladen, wie ihr in der Emigration geborener und in Berlin aufgewachsener Sohn.
Sollte das Zehlendorfer Modell Schule machen und Informationstexte über die NS-Vergangenheit künftig mit den Anwohnern ausgehandelt werden? Dann würde wohl bald kein bekannter Nazi mehr namentlich genannt werden – weil die heutigen Bewohner nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen.
Landtagswahl in NRW wird der interne Burgfrieden halten
So schnell kann es gehen. Am Tag der Bundestagswahl wurde die FDP unter ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle noch als die große Siegerin gefeiert. Knapp vier Monate später sehen selbst die den Liberalen nahestehenden Medien die FDP im Sinkflug. Am Sonntag lud Westerwelle dann zu einer parteiinternen Krisensitzung, die natürlich offiziell nicht so genannt wurde. Kurs halten und die eigenen Pläne, vor allem bei den Steuersenkungen noch beschleunigen, hießen die Stichworte. Doch damit wird sich der koalitionsinterne Streit fortsetzen, bei dem die FDP momentan am meisten verliert.
Mittlerweile ist den liberalen Spitzenpolitikern klar geworden, dass es um ihre Zukunft geht. Es reicht nicht mehr, wie es Westerwelle vor einigen Tagen noch gemacht hat, als Bundesminister weiter so zu agieren, als sei er noch in der Opposition, und gleichzeitig den jetzigen Oppositionsparteien eine Kampagne vorzuwerfen. Wenn eine Partei innerhalb weniger Monate in Umfragen fast die Hälfte der Wähler weg bricht, müssen die Parteistrategen die Ursachen in erster Linie im eigenen Lager suchen.
Erfolg mit Leihstimmen
Dass die FDP mit dem Wahlerfolg unabhängig von ihrer späteren Politik ihren Zenit schon überschritten hatte, war Politbeobachtern klar. Denn die hohen Ergebnisse bestanden zum nicht unerheblichen Teil aus Leihstimmen aus dem christdemokratischen Lager. Diese Wähler wollten die Fortsetzung der großen Koalition verhindern und gaben dieses Mal der FDP ihre Stimme.
Daneben hat das konkrete Agieren der FDP in den letzten Wochen auch einen Teil der liberalen Stammwähler vor den Kopf gestoßen. Sie gerierte sich in der Debatte über die Gesundheitsreform und die Steuersenkungen als eine Programmpartei, die ihre Politik von ideologischen Prämissen ableitet. Ein nicht geringer Teil der FDP-Wähler sieht sich aber als ideologiefrei. Ideologisch sind im zweifelsfrei immer die politischen Gegner, vor allem die Gewerkschaften und die Grünen.
Dieser Teil der Liberalen wirft Westerwelle vor, mit der Ideologisierung der Debatte die Verwirklichung der Ziele eher erschwert zu haben. Sie sehen sich als Pragmatiker der Macht, denen es mehr um die konkreten Ergebnisse als auf die korrekte ideologische Begründung ankommt. Sie kreiden der FDP an, ihre Rolle als Regierungspartei noch nicht gefunden zu haben. Diese Kritik kommt auch aus der FDP selber und dürfte deshalb von der gegenwärtigen Parteiführung besonders ernst genommen werden. Denn hier könnte sich ein zukünftiger innerparteilicher Konflikt auftun, an dem Westerwelle sicher kein Interesse hat.
Erinnerung an J.W.Möllemann
Dabei würde es auch um eine parteiintern nie geleistete Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit gehen. Es war der FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann, der die Strategie der Ideologisierung der Partei gegen den Willen der an pragmatischen Politikmodellen interessierten Altliberalen vorangetrieben hatte. Zu seinen eifrigsten Unterstützern gehörte der damalige aufstrebende Jungpolitiker Westerwelle. Zeitweise wirkten beide im Kampf gegen die alte Garde aus der Kohlära wie ein Tandem.
Erst nachdem Möllemann mit dubiösen Spendentricksereien und antiisraelischen Tönen politischen und kurz danach auch physischen Selbstmord verübt hatte, war für Westerwelle der Weg an die Parteispitze frei. Möllemann wurde in kurzer Zeit zur Persona non grata. Nur die hohen Geldstrafen für die nicht angegebenen Spenden erinnern noch an seine Zeit. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Politikkonzept, das in modifizierter Form auch das von Westerwelle ist, hat es nicht gegeben. Wenn jetzt in den Medien beim Streit in der FDP auch wieder an Möllemann erinnert wird, muss das an der Parteispitze als Warnsignal aufgefasst werden.
Gnadenfrist für Westerwelle
Noch scheint Westerwelle parteiintern unangefochten. Seit er selber potentielle Konkurrenten wie seinen Vorgänger Wolfgang Gerhardt abservierte, gab es in der FDP keine personelle Alternative mehr. Zudem ist es Westerwelle gelungen, die Bürgerrechtsliberalen um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger parteiintern einzubinden, die zeitweise in der FDP wie ein versprengter Haufen unter all den Wirtschaftsliberalen wirkten.
Die Kritik dürfte schnell zunehmen, wenn sich die momentane Schwäche der FDP nicht nur an Umfragewerten, sondern an Wahlergebnissen festmachen lässt. Der Wahl in NRW kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Auch dort werden der FDP hohe Verluste prognostiziert, die der schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf die Mehrheit kosten könnten. Die Neuauflage eines Bündnisses zwischen SPD und Grünen wäre ebenso denkbar, wie ein schwarz-grünes Bündnis an der Ruhr. Nachdem die Grünen dort auch schon mit Wolfgang Clement regierten, gegen den Rüttgers fast schon wie ein Herz-Jesu-Sozialist wirkt, dürften sie keine großen Probleme damit haben. Wohl aber die FDP, denn jede weitere schwarz-grüne Koalition geht an ihre Existenz. Es würde sich damit eine zweite Variante einer bürgerlichen Koalition mit den auch nicht mehr ganz so jungen Linksliberalen von den Grünen etablieren.
Laufzeitverlängerung verletzt Schutzpflicht
In die Diskussion um die Laufzeitverlängerung von AKW hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einen besonderen Akzent gesetzt. Sie stellte in dieser Woche in Berlin ein Gutachten vor, in dem ein längerer Weiterbetrieb der AKW für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird.
Für die Autorin Cornelia Ziehm, die bei der DUH das Ressort Klimawende und Energiewandel leitet, verletzt der Staat seine Schutzpflichten, wenn er die Produktion weiteren Atommülls zulässt, ohne dass es eine Lösung für die Endlagerung hoch radioaktiven Abfalls gibt. Ziehm leitet diese Einschätzung aus den im Grundgesetz festgelegten Grundrechten auf Leben, Gesundheit und Eigentum sowie dem seit 1994 dort festgeschriebenen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen ab.
Das mediale und politische Interesse an dieser Expertise hielt sich in Grenzen. Die SPD hat die Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert, das Thema aber auch nicht besonders hoch gehängt. Denn einen Hebel zum Ausstieg liefert das Gutachten wohl kaum. Sonst hätte der AKW-kritische Teil des Parlaments schon längst ein Normenkontrollverfahren einleitet, um die Frage zu klären, ob der Betrieb der AKW überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die in dem Gutachten angesprochenen Probleme beginnen nicht erst bei einer Laufzeitverlängerung.
Der Schritt unterbleibt aber aus gutem Grund. Die zuständigen Richter werden sich der Auslegung des DUH schwerlich anschließen. Verfassungsfragen sind auch und in erster Linie Machtfragen. Wenn AKW stillgelegt werden, dann wegen des politischen Drucks oder aus ökonomischen Gründen. Deswegen sind die AKW-Gegner auch gut beraten, ihren außerparlamentarischen Widerstand zu vergrößern. Wenn der Druck groß genug ist, könnte auch eine Debatte darüber geführt werden, wie realistisch ein AKW-Verbot im Grundgesetz ist.
Seit 2008 werden in Deutschland im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung E-Mail-Adressen sowie Telefon- und Handydaten gespeichert. Wird deswegen weniger telefoniert? Äußern sich die Kommunikationsteilnehmer jetzt vorsichtiger als vorher? Oder hat die Speicherung gar keine Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten? Das sind Fragen, die der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) auf wissenschaftlicher Grundlage erforschen lassen will. Deshalb ist die Bürgerrechtsorganisation auf der Suche nach Wissenschaftlern, die ein solches Forschungsprojekt betreuen wollen.
Das ist zu begrüßen, man muss sich jedoch fragen, warum es dazu erst des Anstoßes des AK Vorrat bedurfte. Gibt es keine kritischen Wissenschaftler, die angesichts einer in der letzten Zeit intensiv geführten Diskussion um Datenschutz im Internet selber auf die Idee gekommen sind, ein solches Forschungsprojekt in Angriff zu nehmen? Auch von der nun auch schon einige Monate amtierenden Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger könnte man eigentlich erwarten, dass sie ein solches Projekt in Auftrag gibt. Schließlich hat sich die FDP-Politikerin zumindest vor ihrer Amtsübernahme als vehemente Kritikerin der Datenspeicherung profiliert. Leutheusser-Schnarrenberger gehört zu den mehr als 34 000 Personen, die sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Datensammeln wandten. Im Laufe der Verhandlung über diese Beschwerde Ende letzten Jahres fragte einer der am Verfahren beteiligten Verfassungsrichter nach empirischen Belegen für die von den Datenschützern angeführte These, dass die Kommunikationserfassung von der unbefangenen Benutzung von Telefon, Handy und E-Mail abschrecke.
Dass die Gegner der Datenspeicherung nun selber die Initiative ergriffen haben, ist eine mutige Entscheidung. Schließlich ist längst nicht ausgemacht, dass die Ergebnisse einer solchen Forschungsarbeit die Argumente der Datenschützer stützen. Schließlich scheint der Kampf um die eigenen Daten nicht unbedingt zu den größten Sorgen von Teilen der jungen Generation zu gehören. Sonst würden sich nicht derart viele Fotos und private Angaben im Netz finden.
Auch die Ergebnisse zweier Umfragen geben keine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Änderung des Kommunikationsverhaltens nach Einführung der Speicherung. So befragte das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienerforschung der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität im Jahr 2008 Journalisten, ob sich das Bewusstsein der Vorratsdatenspeicherung negativ auf die Kommunikation mit ihren Informanten ausgewirkt hat. 7,1 Prozent bejahten diese Frage, 70,4 Prozent verneinten sie und 22,5 Prozent hatten keine Meinung. Eindeutiger ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage bei 1002 Bundesbürgern aus dem gleichen Jahr. Dort gaben 571 Befragte an, sie würden wegen der Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt zu einer Eheberatungsstelle, einem Psychotherapeuten oder einer Drogenberatungsstelle aufzunehmen, wenn sie deren Rat benötigten. Die abschreckende Wirkung dieses Gesetzes »könne lebensgefährlich werden, wenn etwa telefonische Hilferufe bei Psychotherapeuten oder Drogenberatungsstellen unterbleiben«, kommentierte Patrick Breyer vom AK Vorrat diese Ergebnisse.
Wie sehr die – begründete oder unbegründete – Angst vor Überwachung das Kommunikationsverhalten beeinflusst, zeigte eine Studie der Universität Newcastle aus dem Jahr 2006. Die Forscher befassten sich mit den Reaktionen von Personen auf Überwachung und kamen zu dem Schluss, dass bereits ein Poster mit einem Auge als Symbol einen negativen Einfluss auf das Kommunikationsverhalten hat.
Die Linkspartei mit neuem Personal, aber die Politiker der Zukunft bleiben noch in der zweiten Reihe
Mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an der Spitze präsentiert die Linkspartei den Vorschlag einer doppelt quotierten Parteispitze. Ein westdeutscher Mann und eine Frau aus dem Osten sollen die Partei künftig vertreten. Dass Gregor Gysi bei der Vorstellung des Personalvorschlags betonte, wie froh er über die schnelle Einigung gewesen sei, macht schon deutlich, unter welchem Druck die Partei zurzeit steht.
Wenige Monate nach ihren Wahlerfolgen in Bund und verschiedenen westdeutschen Ländern hatte sie sich in eine Personaldebatte verstrickt (Warten auf Lafontaine), bei der persönliche und politische Animositäten zwischen Bundesgeschäftsführer Bartsch und dem bisherigen Parteivorsitzenden Lafontaine ebenso eine Rolle spielten, wie politische Machtambitionen der verschiedenen Spektren in der Partei, die sich auf die Post-Lafontaine-Ära vorbereiten
Die kam nun schneller als erwartet. Der gesundheitlich begründete Rückzug des Saarländers ist für weite Teile der Partei mehr als ein Personalwechsel. Dazu musste man nur die Schlagzeilen und Leserkommentare in den der Linkspartei nahestehenden Tageszeitungen junge Welt und Neues Deutschland in den letzten Wochen zur Kenntnis nehmen. Da hieß es, die Partei müsse noch auf Lafontaine warten. Und als der sich dann im neuen Jahr erstmals öffentlich zu Wort meldete, war Lafontaine wieder da. Auch in Leserkommentaren wurde dieser Hoffnung Ausdruck verliehen.
Die große Bedeutung, die Lafontaine für die Linkspartei hat, erklärt sich zunächst aus seiner historischen Rolle bei der Parteigründung. Er war es schließlich, der 2005 nach der Verkündung von Neuwahlen durch die Schröder-Regierung erklärte, er stehe zur Verfügung, wenn sich PDS und WASG bei den Wahlen zusammenschließen. Damals gab es aus der WASG-Führungsspitze, aber auch an der Basis noch große Vorbehalte gegen eine Kooperation mit der PDS. Bei einigen ging es darum, gute Bedingungen für Verhandlungen auszuloten, bei anderen aber waren die Bedenken grundsätzlicher Art. Lafontaines Eingreifen hat jedenfalls die Parteigründung wesentlich beschleunigt.
In der Folge konnte er sich in der Öffentlichkeit den Ruf des kompromisslosen Politikers, vor allem in der Sozialpolitik und bei der Ablehnung des Afghanistan-Krieges, wahren. Dadurch geriet er in Opposition zu manchem ostdeutschen Realpolitiker aus der alten PDS und wurde von Teilen des linken Parteiflügels unterstützt. Dabei wurde gerne übersehen, dass Lafontaine kein grundsätzlicher Gegner von Regierungsbeteiligungen der Linkspartei war und sich seine sozialpolitischen Vorschläge mit den Positionen der SPD in den 90er Jahren und den Gewerkschaften deckten. Es ist ein Kennzeichen des gesellschaftlichen Rechtsrucks, dass solche Positionen in die Nähe des Fundamentalismus gerückt worden sind.
Fundis versus Realos?
Der ehemalige SPD-Politiker Albrecht Müller hat auf seiner Homepage die Rolle der Medien bei der Schaffung von Realos und Fundamentalisten analysiert und dabei auf das historische Beispiel der Grünen verwiesen. Dort geriet die Parteilinke ab Mitte der 80er Jahre zunehmend ins Visier der Medien. Sie wurde als regierungsunfähig und ultraradikal denunziert. Dagegen wurden die pragmatischen Realpolitiker hofiert. Diese Entwicklung haben auch damalige Exponenten der Parteilinken wie Jutta Ditfurth detailliert beschrieben.
Tatsächlich waren in den letzten Monaten in der Berichterstattung über die Linkspartei ähnliche Tendenzen festzustellen. Dabei gab es auch einen interessanten Perspektivwechsel. Die vorher als DDR-nah gescholtenen PDS-Politiker waren nun die pragmatischen Realos, die Ex-Sozialdemokraten und Gewerkschafter aus Westdeutschland die Fundamentalisten. Müller vergaß nur einen wichtigen Unterschied zwischen der Debatte zu erwähnen. Der linke Flügel der Grünen formulierte tatsächlich eine grundsätzliche Kritik an Staat, Nation und Kapitalverwertung. Bei der Auseinandersetzung in der Linkspartei werden keynesianistische Gewerkschaftler und der ausgewiesene Pragmatiker Oskar Lafontaine in die Fundamentalistenrolle gedrängt.
Abschied vom Übervater?
Wie die Linkspartei ohne Lafontaine zu Recht kommt, ist völlig offen. Ein lang andauernder Flügelstreit wäre für die Partei das Worst-Case-Szenario. Dann könnte Lafontaine auch noch einmal ein Comeback erleben, so wie bei seinem Überraschungscoup 1995 am SPD-Parteitag, wo er sich gegen Scharping positionierte und als Parteivorsitzender durchsetzte. Davor hatte er sich nach seiner Niederlage als Kanzlerkandidat weitgehend aus der Bundespolitik zurückgezogen und so wie jetzt auf das Saarland konzentriert.
Die Linkspartei könnte sich allerdings von Lafontaine genauso schnell emanzipieren, wie die Grünen nach 2005 von Josef Fischer. Die Partei hatte sich relativ geräuschlos vom jahrelangen Übervater befreit. Die Voraussetzungen hätte auch die Linkspartei. Dazu ist es nötig, nicht nur auf das designierte Führungsduo, sondern auch auf die Personalien der unteren Ebenen zu blicken. Dort wird die politische und nicht die geografische Herkunft berücksichtigt. Als stellvertretende Parteivorsitzende sollen Katja Kipping und Halina Wawzyniak bestätigt werden, die beide unterschiedlichen Strömungen der undogmatischen Linken angehören. Undogmatisch ist auch deren Verhältnis zum Mitregieren, das heißt, sie würden sich daran beteiligen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Damit unterscheiden sie sich kaum von der Position von Lafontaine, nur ihnen glauben es auch die potentiellen Regierungspartner.
Die Exponentin der Kommunistischen Plattform, Sahra Wagenknecht, und der saarländische Linke-Politiker Heinz Bierbaum sollen ebenfalls Stellvertretende Parteivorsitzende werden. Für den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch soll der Gewerkschafter Werner Dreibus und die Reformlinke Caren Lay vorgeschlagen werden.
Das Personaltableau muss nun beim nächsten Parteitag der Linken bestätigt werden. Die dortige Diskussion wird Aufschluss darüber geben, wie die Partei den Abschied von Lafontaine über die Bühne bringt. Ein Streitpunkt dürfte in dem Antrag liegen, dass die Mitglieder in der Führungsebene während dieser Tätigkeit ihre Aktivitäten in den parteiinternen Strömungen ruhen lassen sollen. Was der parteiinternen Geschlossenheit dienen soll, könnte neuen Streit auslösen.
Das Leben ist bunter
Sollten die Personalquerelen schließlich überstanden sein, dürfte die interessantere Debatte um die politische Perspektive der Linkspartei beginnen. Mehrere Politiker der Linkspartei, der Grünen und der SPD haben mit dem Aufruf Das Leben ist bunter die Debatte um ein sogenanntes Reformbündnis von SPD, Grünen und Linkspartei wiederaufgenommen.
Ähnliche Bemühungen sind keinesfalls neu. Nur wird ihnen nach dem Rückzug Lafontaines viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Das lag aber nicht daran, dass der Saarländer dagegen war, sondern dass die Vorbehalte gegen ihn zu groß waren. So hat sich Claudia Roth positiv zu den Bündnisbemühungen geäußert. Die Grünenpolitikerin gehörte zu den vehementen Kritikern von Lafontaine.
Doch mit einer zunehmenden Akzeptanz der Linkspartei als Teil eines solchen Reformbündnisses sind die Probleme für die Partei keineswegs gelöst. Der Politikwissenschaftler Sebastian Prinz brachte das Dilemma der Linken in einem Kommentar für Deutschlandradio Kultur auf den Punkt:
——————————————————————————–
Welche Kräfte werden sich in der Linkspartei durchsetzen? Sollten es die Radikalen sein, dann wird die Partei weiter fundamentalistisch und populistisch agieren und Proteststimmen einsammeln. Vielleicht kann sie durch diesen Druck aus der Opposition heraus mehr bewirken als mit Regierungsbeteiligung. Setzen sich aber die Regierungsbefürworter durch, dann würde die Partei sich der SPD als Mehrheitsbeschafferin andienen. Das wäre Regierungsbeteiligung als Selbstzweck beziehungsweise mit dem einzigen Zweck, führenden Linke-Politikern zu Ministerposten und Dienstwagen zu verhelfen. Aber wofür braucht man eine solche Partei neben der SPD? Und wer würde sie wählen?
Sebastian Prinz
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ruft dazu auf, die Folgen der Vorratsdatenspeicherung wissenschaftlich zu erforschen
Seit 2008 ist in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Emailadressen sowie Telefon- und Handydaten werden seitdem gespeichert. Wird deswegen weniger telefoniert? Äußern sich die Kommunikationsteilnehmer jetzt vorsichtiger als vorher? Oder hat die Speicherung kein Verhalten auf das Kommunikationsverhalten? Das sind Fragen, die der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auf wissenschaftlicher Grundlage erforschen will. Daher hat er einen Aufruf gestartet, um Wissenschaftler zu suchen, die ein solches Forschungsprojekt starten.
Bisher gibt es bisher sehr unterschiedliche Signale in dieser Frage. So erklärten in einer im Mai 2008 im Auftrag des Deutschen Journalisten-Verbandes erstellten Forsa-Umfrage 91 % der befragten Journalisten, dass sie ihr Kommunikationsverhalten auch nach der Datenspeicherung nicht geändert haben.
Allerdings erklärte die Mehrheit der Befragten, sie würden wegen der Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, Email oder Handy Kontakt zu einer Eheberatungsstelle, einem Psychotherapeuten oder einer Drogenberatungsstelle aufzunehmen, wenn sie deren Rat benötigten. Daraus schloss Patrick Beyer vom AK Vorrat, dass die Konsequenzen der Speicherung lebensgefährlich sein können, wenn ein notwendiger Anruf bei einer solchen Einrichtung unterbleibt.
Im Juni 2006 kam ein Forschungsprojekt der Universität Newcastle zu dem Ergebnis, dass schon ein Poster, auf dem ein Auge als Symbol der Überwachung abgebildet ist, Einfluss auf das Kommunikationsverhalten hat.
Die Frage des AK Vorrat, warum Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich vor ihrer Amtsübernahme als Gegnerin der Datenspeicherung profitierte, ein solches Forschungsprojekt nicht initiiert, ist natürlich berechtigt.
Die FDP verliert ein Mandat an die Linkspartei
Die Linkspartei in Schleswig-Holstein kann sich freuen. Gestern stellte der Landeswahlleiter nämlich fest, dass ihr im Kieler Landtag ein zusätzlicher Sitz zusteht. Dafür dürfte die FDP einen Abgeordnetensitz verlieren. Die Liberale Christina Musculus-Stahnke müsste ihren Sitz für den jungen Sozialisten Björn Thoroe räumen.
Der Grund für diesen Linksruck liegt an einer Neuauszählung im Wahlkreis Husum, die die Linkspartei beantragt hatte. Dort waren ihr bei der letzten Landtagswahl 9 Stimmen zuerkannt worden. Nun wurde festgestellt, dass sie eigentlich 41 Stimmen erhalten hat. Die schwarz-gelbe Landesregierung hätte statt bisher drei dann nur noch eine Mehrheit von einer Stimme. Ministerpräsidenten Carstensen gab sich unbeeindruckt. Schließlich sei schon öfter mit einer Stimme Mehrheit regiert worden. Tatsächlich können solch knappe Stimmenverhältnisse auch einen disziplinierenden Einfluss haben. Deshalb dürften Meldungen voreilig sein, die die Regierung schon in Gefahr sehen.
Allerdings war die schwarz-gelbe Mehrheit in Kiel von Anfang an umstritten. Weil drei Überhangmandate der CDU nicht durch Ausgleichsmandate anderer Fraktionen kompensieren wurden streiten Verfassungsrechtler bis jetzt über die Rechtmäßigkeit der konservativ-liberalen Mehrheit. Eine juristische Klärung könnte sich noch Jahre hinziehen. Ungeklärt blieb bisher, wer für die Falschauszählung verantwortlich ist – ob es sich um eine Computerpanne oder um gezielte Manipulation handelt. Aus diesem Grund stellt sich auch die Frage, ob Husum eine Ausnahme war. Schließlich fand die Nachzählung nur deshalb statt, weil die Linkspartei sehr wenige Stimmen von dem zusätzlichen Mandat trennten. http://www.heise.de/tp/blogs/8/146950
Der Gewerkschafter Murad Akincilar sitzt in der Türkei im Gefängnis. Die Unia startete eine internationale Kampagne für seine Freilassung.
Murad Akincilar ist in der Schweiz als aktiver Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivist. Er arbeitet seit vielen Jahren als Gewerkschaftssekretär für die Gewerkschaft Unia in Genf, wo er seit 1999 wohnt. In diesem Jahr hat er gemeinsam mit seiner Frau Asyl in der Schweiz beantragt und erhalten. Als aktiver Linker und Gewerkschafter war er in der Türkei politischer Verfolgung ausgesetzt. Nun muss er diese Erfahrungen erneut machen. Denn Akincilar sitzt seit mehr als drei Monaten in einem türkischen Gefängnis. Am 30. September 2009 war er im Beisein seiner Frau in der Istanbuler Wohnung seiner Eltern von türkischen Zivilpolizisten ohne Angabe verhaftet worden. An diesem Tag fanden in mehreren türkischen Städten Razzien gegen Linke statt. 17 Personen wurden festgenommen, wenige Tage später wurde gegen acht von ihnen ein Haftbefehl erlassen, Akincilar gehörte dazu.
Ihm wird die Mitarbeit an der sozialistischen Zweimonatsschrift Demokratik Dönüsüm Dergisi (Demokratisches Transformations-Magazin) vorgeworfen, einem seit dem Jahr 2000 legal erscheinende linken Debattenzeitschrift.
Nachdem bisher alle Versuche von Akincilars Rechtsanwälten gescheitert sind, die Freilassung des Mannes zu erreichen, hat die Unia eine länderübergreifende Solidaritätskampagne gestartet.
Darin wird neben seiner sofortigen Freilassung auch die Gewährung der Grundrechte eingefordert. »Murad muss die Möglichkeit haben, mit seiner Familie und seinem Anwalt in Kontakt zu treten, die Vorwürfe gegen ihn zu kennen und würdige Haftbedingungen zu haben, die der internationalen Verpflichtung der Türkei entsprechen«, heißt es in einem Appell.
»Wir haben seine moralische Integrität und seinen Gerechtigkeitssinn immer geschätzt«, heißt es in einer Erklärung der Unia zu Akincilar. Unter dem Motto »Gewerkschafter gehören nicht ins Gefängnis« hat es in den letzten Wochen in der Schweiz zahlreiche Solidaritätsaktionen gegeben, an denen sich ein Bündnis linker Gruppen beteiligte.
Neben zahlreichen Gewerkschaftern aus verschiedenen europäischen Ländern hat sich auch die Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament den Forderungen nach seiner Freilassung angeschlossen.
Die Aktivisten befürchten, dass ein weiterer Gefängnisaufenthalt die schon lange angeschlagene Gesundheit von Akincilar weiter schädigt. So musste der schwer sehbehinderte Mann während der Haft an beiden Augen operiert werden.
Bundeswehrstudenten stellen Strafanzeige wegen angekündigten Sektumtrunks nach Soldatentod
Eine antimilitaristische Kampagne aus Berlin hat ihr erstes Ziel erreicht: Politik, Bundeswehr und Medien äußern öffentlich ihre Empörung.
Das Büro für Antimilitaristische Maßnahmen (BamM) und der Berliner Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner erhielten in den letzten Tagen viele Hassmails. Die Pazifisten werden dort als Vaterlandsverräter und Kakerlaken beschimpft und mit dem Tod bedroht.
Der Grund für diese Angriffe ist ein offener Brief der beiden Organisationen an die in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten. Gleich in den ersten Sätzen wird deutlich, dass die Absender den Soldaten keineswegs gewogen sind: »Sie führen Krieg in aller Welt. Das Töten unschuldiger Zivilisten ist dabei nach Meinung Ihres Vorgesetzten, des sog. Bundesverteidigungsministers, unvermeidlich. Sie setzen diese menschenverachtende Haltung um, indem Sie hin und wieder größere Menschenansammlungen bombardieren oder Ihre Bündnispartner bei solchen ›friedenserzwingenden Maßnahmen‹ unterstützen«, heißt es dort. Besonders erzürnt haben dürfte die Uniformierten der letzte Absatz, in dem sich die Kriegsgegner mit dem Ehrenmal für die getöteten Bundeswehrsoldaten in Berlin auseinandersetzen. Dort werden die Namen von umgekommenen Bundeswehrsoldaten mit einer LED-Lampe acht Sekunden lang an die Wand des Ehrenmals projiziert.
»Der ›ewige Ruhm‹ kommt bei Ihnen ganz schön kurz«, spotten die Pazifisten. »Um den Soldatentod noch ein wenig süßer zu machen als er ohnehin schon sein soll, werden wir künftig jedes Mal, wenn einer von Ihnen ›fällt‹, eine Runde Schampus schmeißen. Aus lauter Freude, direkt an Ihrem Ehrenmal.« Mittlerweile zirkulieren in Berlin Aufrufe, in denen dazu aufgerufen wird, sich an dem Tag, an dem ein Bundeswehrsoldat umkommt, um 17.30 Uhr zum Sekttrinken zu versammeln.
Die Aufregung auf diesen Brief war nicht nur bei der Springerpresse groß. Der Studentische Konvent der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, an der viele Offiziersanwärter studieren, hat Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Internetplattform bamm.de gestellt. »Wir wollen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden, es ist nicht das erste Mal, dass auf der Seite so etwas auftaucht«, erklärt ein Sprecher des Konvents. Auf der Internetplattform StudiVZ hat mittlerweile eine Nutzergruppe die Initiative »Flagge zeigen gegen bamm.de« gegründet, die sich gegen die »Verunglimpfung der Soldaten« wendet. Der Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe (SPD) spricht von einer perfiden und nicht zu überbietenden Geschmacklosigkeit.
Günther Schütz von der BamM sieht in der Aufregung den Beweis, dass »unsere Kampagne genau zum richtigen Zeitpunkt kommt und die richtige Wirkung hat«. Es gehe darum, den Soldaten auf eine drastische Art die Folgen ihrer Beteiligung am Kriegseinsatz vor Augen zu führen. Auch die angekündigten juristischen Schritte sieht der Sprecher der BamM gelassen. Bereits im November 2009 seien die Ermittlungen in einem ähnlichen Verfahren eingestellt worden.