Patt in Stuttgart

Kandidat der Stuttgart21-Gegner wird zum Zünglein an der Waage

Die Stuttgarter Bevölkerung muss am 21. Oktober noch einmal zu den Wahlurnen. Dann kann sie zwischen den von der Union, der FDP und den Freien Wählern unterstützten parteilosen Werbefachmann Sebastian Turner und den Grünen Realo Fritz Kuhn entscheiden. Kuhn liegt mit 36, 6 % leicht in Führung, Turner folgt mit 34, 5. Der ehemalige Chef der Werbeagentur Scholz und Friends warb mit seinen guten Kontakten zur Wirtschaft und trat auf, als wäre er der Kandidat der Unternehmerverbände, die ihn auch hofierten.

Mit 15,1 % erzielt die von der SPD nominierte parteilose Bettina Wilhelm ein blamables Ergebnis. Einen Achtungserfolg erreichte der parteilose Hannes Rockenbauch, der von einem Großteil der S-21-Gegner und der Partei die Linken unterstützt wurde. Er konnte mit 10,4% ein zweistelliges Ergebnis einfahren und könnte so mit darüber entscheiden, ob die Grünen künftig in Baden-Württemberg nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch den Oberbürgermeister der Hauptstadt stellen. Obwohl Kuhn sich am Wahlabend schon als Sieger gab, ist für ihn das Amt noch längst nicht sicher. Auch wenn die Wahl zwischen Turner und Kuhn entschieden wird, haben auch alle anderen Kandidaten die Möglichkeit, noch einmal anzutreten. So können sie verhindern, dass sich ihr Wählerpotential entweder auf die beiden Bestplazierten aufteilt oder es eine große Wahlenthaltung gibt.

Am ehesten kann Kuhn jetzt auf die Wähler von Wilhelm hoffen. Schließlich gab es bereits vor den Wahlen Gespräche von Vertretern der SPD und der Grünen. Die beiden Parteien regieren auch in Baden Württemberg zusammen, allerdings befindet sich dort die SPD in der ungewohnten Rolle eines Juniorpartners gegenüber den Grünen. Das Stuttgarter Ergebnis macht deutlich, dass sich die Koalition für die SPD nicht auszahlt. Die Stuttgarter Nachrichten kommentierten deren Ergebnis mit den drei Worten: „Traurig, traurig, traurig“.

Dass die von der SPD unterstützte Kandidatin so weit abgeschlagen wurde, dürfte bei manchen SPD-Anhänger nicht gerade die Bereitschaft erhöhen, nun auch noch einen Grünen in Stuttgart ins Amt des Oberbürgermeisters zu hieven. Zumal das Verhältnis der beiden Parteien in Stuttgart äußerst desolat ist. Erinnerungen an die Wahlen 1996 und 2004 werden wach. Vor 16 Jahren lag der Kandidat der Grünen Rezzo Schlauch mit über 30 Prozent der Wählerstimmen acht Prozent vor dem SPD-Kandidaten. Der entschloss sich im zweiten Wahlgang trotzdem, erneut anzutreten, und der CDU-Kandidat Schuster gewann. Die Grünen nahmen bei den folgenden Wahlen 2004 dafür Rache. Dieses Mal lag ihr Kandidat Palmer an dritter Stelle. Die SPD-Kandidatin erzielte 32,8 %. Palmer zog seine Kandidatur zurück und rief zur Wiederwahl des CDU-Kandidaten Schuster auf. Damit hatten sie auch mit dazu beigetragen, dass ein erklärter Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21 das Amt weiterführen konnte.

Linke Opposition zu den Grünen gestärkt

Die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt wurde erst danach so bedeutend, dass es zeitweise die gesamte Republik beschäftige. Dass auch nach dem Volksbegehren, das die S21- Gegner verloren haben, dieses Thema weiter eine große Bedeutung hat, zeigt das Abschneiden von Rockenbauch. Auch er wird sich noch entscheiden, ob er im zweiten Wahlgang noch einmal antritt.

Ein Teil der S21-Gegner hat sich von ihrem Scheitern bei der Volksabstimmung erholt. Die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen gegen das Projekt wachsen wieder. Dazu hat auch die Bahn durch Pleiten, Pannen und eine undurchsichtiges Informationspolitik beigetragen. Die Kluft zwischen den Grünen, die als größte Regierungspartei nach der Volksabstimmung das Projekt S 21 umsetzen müssen und den Gegnern hat sich vertieft, wie das Wahlergebnis in Stuttgart zeigt. Es geht in erster Linie um Stuttgart 21, aber auch an der Wirtschafts- und Bildungspolitik des grünen Ministerpräsidenten wächst die Kritik von links. Ob diese Wähler sich noch einmal auf die Logik des kleineren Übels einlassen und Kuhn unterstützen, um Turner zu verhindern, ist fraglich.
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Peter Nowak