Terrorurteil gegen Journalisten in Kairo

Im Saal der leeren Stühle

In Italien finden derzeit die letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse statt. Die deutsche Öffentlichkeit scheint das nicht zu ­interessieren.
 
Die Staatsanwaltschaft des Militärgerichts von Verona hat gegen Horst Günther, Erich Köppe, Alfred Gabriel Lühmann, Günther Heinroth, Helmut Odenwald, Ferdinand Osterhaus, Fritz Olberg, Wilhelm Karl Stark und Hans Georg Winkler lebenslängliche Haftstrafen wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs gefordert. Selbst wenn das Gericht diesem Antrag bei der für den 22. Juni geplanten Urteilsverkündung folgt, brauchen sich die Angeklagten, die an den Verhandlungen nicht teilnehmen, genauso wenig Sorgen zu machen wie die drei ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die am 25. Mai von einem Militärgericht in Rom wegen der Beteiligung an Wehrmachtverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden sind. Die deutsche Regierung wird sie nicht ausliefern, und in ihrem Herkunftsland müssen die ehemaligen Mitglieder der Fallschirm-Panzer-Division »Hermann Göring« kein Verfahren befürchten.
 
Die Division »Hermann Göring« bewährte sich bei der Verfolgung von NS-Gegnern in Berlin, bevor sie als Teil der Wehrmacht ihre Blutspur im von Deutschland besetzten Europa hinterließ. Sie war an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands ebenso beteiligt wie am Terror gegen die italienische Zivilbevölkerung. Das Militärgericht in Verona wirft den Angeklagten die Beteiligung an mehreren Massakern an italienischen Zivilisten in der Toscana und der Emilia-Romagna im März und April 1944 vor, bei denen mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen sind. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Frauen, Kinder sowie alte und kranke Menschen. Ein Großteil der männlichen Einwohner hatte sich versteckt, weil sie nicht als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt werden wollten. In dem Verfahren kamen die Verbrechen der Wehrmachtseinheit detailliert zur Sprache, wie Marianne Wienemann in Berlin berichtete. Sie ist Mitarbeiterin des Instituts für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte in der Provinz Reggio Emilia Istoreco und verfolgt das Verfahren als Prozessbeobachterin. So wurden in einem Dorf alle Einwohner in eine Kapelle getrieben, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Vor der brennenden Kirche feierte die Einheit ein Fest und machte sich über die Schmerzensschreie der Überlebenden lustig. Diese Aussage stammt von einem Jugendlichen, der sich vor der Wehrmacht versteckt hatte und ansehen musste, wie seine Verwandten und Freunde umkamen.
 
In den ersten Jahren nach der Niederlage der deutsch-italienischen Achse begannen britische und amerikanische Richter mit Ermittlungen über die Kriegsverbrechen. Die juristische Aufarbeitung geriet in den fünfziger Jahren ins Stocken, die Akten wurden in einem später »Schrank der Schande« genannten Archiv der italienischen Militärgerichtsbarkeit deponiert. Erst 1994 begannen neue Ermittlungen, die zu den gegenwärtigen Verfahren führten. Während des Kalten Krieges sollte die Partnerschaft zwischen Westdeutschland und der Nato nicht durch Ermittlungen über Wehrmachtsverbrechen belastet werden. Die Interessen der italienischen Opfer- und Widerstandsverbände, die gegen die Verschleppung der Verfahren protestierten, wurden ignoriert. Wie die Stimmung in Westdeutschland war, zeigte sich zum Beispiel 1977. Damals gelang Herbert Kappler, einem der wenigen wegen Wehrmachtsverbrechen in Italien verurteilten NS-Funktionäre, die ihre Strafe verbüßen mussten, die Flucht aus einem Gefängniskrankenhaus in die BRD. Er starb einige Monate später im niedersächsischen Soltau; mehr als 800 Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Neben Alt- und Neonazis waren Konservative aus der Mitte der Gesellschaft dabei, die ein Ende der Aufarbeitung der NS-Verbrechen forderten. 35 Jahre später scheint ihr Wunsch sich erfüllt zu haben. Die deutschen Medien nahmen von dem jüngsten Prozess kaum mehr Notiz. Die Angeklagten erklärten sich für nicht schuldig und ignorierten die Verhandlungen. Ihre Stühle im Gerichtssaal blieben während des Verfahrens leer
http://jungle-world.com/artikel/2011/23/43355.html

Peter Nowak