Akut von Räumung bedroht

PROTEST Vor dem Gemischtwarenladen M99 finden jetzt donnerstags Stadtteilversammlungen statt

Ab 2. Juni soll es bis Anfang Oktober jeden Donnerstag von 18 bis 22 Uhr vor dem Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf
in der Manteuffelstraße 99 eine Stadtteilversammlung geben. „Es geht darum, dass sich die Nachbarschaft kennenlernt, vernetzt und gemeinsam überlegt, wie sie sich gegen die Gentrifizierung wehrt“, erklärt M99-Betreiber Hans Georg Lindenau gegenüber der taz. Damit knüpfen er und seine UnterstützerInnen an die Bizim-Kiezbewegung an, die im letzten Jahr über mehrere Monate im Wrangelkiez wöchentlich eine große Zahl von Menschen gegen Gentrifizierung auf die Straße gebracht hat. Auslöser war damals die Kündigung eines Gemüseladens. Doch bald berichteten MieterInnen und Gewerbetreibende aus der Nachbarschaft über Mieterhöhungen und Kündigungen. In mehreren Fällen konnte eine Vertreibung erfolgreich verhindert werden. Lindenau hat durch die Bizim-Bewegung Unterstützung erfahren. Seine Ladenwohnung ist akut räumungsbedroht. Kürzlich hatte das Berliner Landgericht entschieden, dass auch ein von Lindenau genutzter Kellerraum, der bei der letzten Kündigung vergessen worden war, geräumt werden kann. Damit ist der Eigentümer im Besitz eines Räumungstitels für die komplette Ladenwohnung des auf einen Rollstuhl angewiesenen Mannes. Er befürchtet, dass die Vorbereitungen seiner Zwangsräumung schon laufen. „In der letzten Nacht leuchtete die Polizei längere Zeit die gesamte
Hausfassade ab“, berichtet er.

Erinnerung an Ohnesorg
Die wöchentlichen Protestkundgebungen bekämen nach einer Räumung eine neue Bedeutung. „Ich bleibe vor dem Haus und
signalisiere potenziellen NachmieterInnen, dass ich die Räume zurückwill.“ Den Termin für den Kiezwiderstand hat Lindenau bewusst
auf den 49. Jahrestag der Erschießung von Benno Ohnesorg gelegt. Sein Tod wurde damals zum Auslöser einer starken außerparlamentarischen Bewegung.
aus Taz 2.6.2015

Peter Nowak

Mit einen Mietwal gegen Miethaie

Vor einigen Monaten sorgte die Bizim-Bakkal-Bewegung im Kreuzberger Wrangelkiez für großes mediales Interesse. Nachdem bekannt geworden war, dass ein Gemüseladen in der Wrangelstraße 77 gekündigt wurde, mobilisierten NachbarInnen über Internet den Protest und gingen jeden Mittwoch auf die Straße (MieterEcho Online berichtete).  In den letzten Wochen war es um die Bizim-Bakkal-Bewegung still geworden. Doch am 11.11. meldete sie sich mit einem Lichterumzug zurück.
Ca. 400 MieterInnen trafen sich vor dem Gemüseladen, dessen Zukunft noch immer ungewiss ist. Die Wrangelstr. 77 GmbH hat zwar die Kündigung zurückgenommen, doch ein neuer Mietvertrag ist bis heute nicht unterschrieben.  Daher ist auch völlig unklar, welche Mieterhöhungen auf die LadeninhaberInnen zukommen könnten. In einer kurzen Rede wurde nicht nur ein langfristiger Mietvertrag für den Gemüseladen sondern von der Politik auch ein besserer Schutz des Kleingewerbes im Stadtteil gefordert.
Nur wenige Meter entfernt befindet sich die Wrangelstraße 66. Die  MieterInnen hatten Ende Juli, als die Bizim-Bewegung auf den Höhepunkt war, die Mitteilung erhalten, dass ihre Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen und es bereits einen Kaufinteressanten, die  mit Sitz in Luxemburg, gebe. Die  MieterInnen wurden aufgefordert,  innerhalb von zwei Monaten mitzuteilen, ob sie ihr gesetzliches Vorverkaufsrecht ausüben wollten. Doch sie organisierten sich und wurden Teil der Bizim-Bewegung. BezirkspolitikerInnen  haben sich eingeschaltet und  angekündigt, dass im Milieuschutzgebiet die Umwandlung in Eigentumswohnungen nicht infrage komme. Doch die MieterInnen fordern nun konkrete Taten.  Der Bezirk solle von seinem Vorverkaufsrecht Gebrauch machen und das Haus einer öffentlichen  Trägerschaft übertragen, lautet die Forderung einer Mieterin. Das wäre ein Signal über die Wrangelstraße 66 hinaus, dass die Investorenpläne auch von der Bezirkspolitik behindert werden können.

Protestlieder statt Rede
Weiter ging es dann in die Manteuffelstraße 99.  Dort betreibt Hans Georg Lindenau seit mehr als zwei  Jahrzehnten seinen  „Gemischtladen mit Revolutionsbedarf“, den sich  der auf einen Rollstuhl angewiesene Ladenbesitzer nach seinen Bedürfnissen eingerichtet hat. Seit Jahren haben verschiedene InvestorInnen  das als Haus Profitquelle entdeckt.  Doch sie haben es schnell wieder verkauft, als sie mitbekamen, dass Lindenau und viele MieterInnen des Hauses ihrer drohende Vertreibung  nicht einfach hinnehmen wollten. Jetzt aber soll Lindenau zum Jahresende den Laden verlassen. Die Hausverwaltung IDEMA GmbH hat viele der ursprünglichen MieterInnen des Hauses gekündigt. Manche sind schon ausgezogen. Lindenau gab statt einer Rede einige Protestlieder zum Besten und machte deutlich, dass er den Laden nicht freiwillig räumen wird. Der Lichterumzug endete mit einem Konzert vor der  Zeughofstraße 20, das von einem Münchner Rechtsanwalt erworben wurde. Anfangs gab er sich bewusst  mieterInnenfreundlich und kündigte eine soziale Modernsierung an.  Daher waren die BewohnerInnen besonders empört, als sie im Dezember 2014 mit einer Modernisierungsankündigung  konfrontiert wurden,  nach der sich die Mieten mehr als verdreifachen sollen.  Schikanen setzten ein und zwischenzeitlich sei die Heizung abgestellt worden,  berichteten Bewohner/innen auf der Kundgebung. Auf der Route berichteten weitere MieterInnen aus der Nachbarschaft  von geplanten Luxusmodernisierungen. Sie wären zunächst unschlüssig gewesen, ob sie den Widerstand aufnehmen sollen. Doch  die Existenz der Bizim-Bewegung habe ihnen Mut   gemacht, berichtete eine Bewohnerin der Muskauer Straße.  Tatsächlich hat der Lichterumzug deutlich gemacht, dass es der Bizim-Bewegung um mehr als den Erhalt eines Gemüseladens geht. Ein Maskottchen hat sie bereits. An der Spitze des Zuges wurde ein beleuchteter Wal getragen. Der hat keine Angst vor dem Miethai, dem nehmen wir jetzt immer mit zu unseren Aktionen, erklärten die TrägerInnen das Symbol.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/laternenumzug-bizim.html
Peter Nowak

Modernisierung in der Manteuffelstraße 99


Kreuzberger Mieter/innen wehren sich gegen Vertreibung

Wo sich die Manteuffelstraße und die Waldemarstraße kreuzen, treffen zwei Realitäten aufeinander. Das grelle Schild mit der Leuchtschrift „Casino“ über dem Laden in der einen Haushälfte des Eckgebäudes zeugt von der Ausbreitung einer Unterhaltungsbranche auf Niedriglohnbasis. Auf anderen Haushälfte prangt wie ein Relikt aus dem Kreuzberg der 80er Jahre der handgemalte Schriftzug „M99 – Gemischtwarenhandel mit Revolutionsbedarf“.

Erst vor wenigen Monaten konnte der Betreiber des Geschäfts „M99“ Hans-Georg Lindenau wieder einmal eine Klage zur Räumung seiner Ladenwohnung zurückweisen. Er weiß, dass er mit dem juristischen Erfolg vor allem Zeit gewonnen hat. Denn die Vertreter der Hauseigentümer, der BPP Berlin Property GmbH & Co. KG, verhehlen nicht, dass sie bereits eine neue Kündigung vorbereiten und mit dem Fotoapparat nach möglichen Gründen Ausschau halten. Für sie sind die Altmieter/innen ein Investitionshindernis. Das große vor 1862 erbaute Gebäude weckte bereits das Interesse verschiedener Investoren. In den letzten Jahren kapitulierten nacheinander fünf Hauseigentümer vor den gut vernetzten Mieter/innen, die ihre Rechte kennen und so manche Modernisierungspläne durchkreuzten. Der sechste Eigentümer scheint hartnäckiger zu sein.

Verdoppelung der Mieten nach Modernisierung

Die BPP Berlin Property GmbH & Co. KG besitzt Immobilien in verschiedenen Berliner Stadtteilen, darunter mehrere große Eckhäuser, beispielsweise in der Mittenwalder Straße 51 und der Reichenbergerstraße 152 in Kreuzberg sowie in der Eisenacher Straße 3 und 3a in Schöneberg. Auch in der Manteuffelstraße 99 sind mittlerweile sieben Wohnungen modernisiert und zu Quadratmeterpreisen von 10 Euro vermietet, während die fünf Altmieter/innen weiterhin weniger als die Hälfte zahlen. Zwischen den beiden Mietergruppen gibt es wenig Berührungspunkte. Das liege aber nicht an einer emotionalen Ablehnung, sondern an den unterschiedlichen Interessen, betont Lindenau. Weil die Neumieter/innen nicht nur mehr als die doppelte Miete zahlen, sondern auch ganz andere Mietverträge als die Altmieter/innen haben, sind ihre Forderungen oft auch völlig verschieden. So haben die Neumieter/innen in einem Brief an die Eigentümerin die Abschaffung des Hausmeisters gefordert. Die Altmieter/innen lehnen das strikt ab, weil sie befürchten, dass es dann noch schwieriger wird, Reparaturen oder auch nur das Auswechseln einer kaputten Glühbirne im Treppenhaus durchzusetzen. Vor Gericht mussten die Altmieter/innen ziehen, weil die ihnen mietvertraglich zustehenden Keller an die Neumieter/innen verteilt werden sollten. Diese hatten übersehen, dass ihnen entsprechend ihrer Mietverträge kein Keller zusteht. Der Erhalt ihrer Kellerräume war ein weiterer Erfolg der Altmieter/innen. Sie bekommen Unterstützung von anderen Kreuzberger Mieter/innen, die sich ebenfalls gegen Verdrängungsversuche wehren. So hat eine Projektgemeinschaft, die vor zwei Jahren die Räume eines ehemaligen Schülerladens in der Oranienstraße 14a gemietet hat, ihre Nachbar/innen in einen offenen Brief über ihren Widerstand gegen eine Mieterhöhung von 50% zum 1. Mai 2012 informiert.

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2012/me-single/article/
modernisierung-in-der-manteuffelstrasse-99.htm

MieterEcho 354 / Mai 2012

Peter Nowak