»Nicht spalten lassen«

In den vergangenen Monaten war es ruhig um die Berliner Mieterbewegung. Doch am Wochenende machte sie mit einem Kongress auf sich aufmerksam. Ralph Neumann ist Mitglied der Stadt-AG der Interventionistischen Linken Berlin. Die Gruppe gehörte zu den Organisatoren der »stadtpolitischen Aktivenkonferenz« an der Technischen Universität Berlin.

Was war der Anlass für den Kongress?

Mit dem Mietenvolksentscheid 2015 ist es uns gelungen, die Wohnungsmisere zu einem stadtweiten Thema zu machen. Nachdem die SPD ihr eigenes Gesetz gemacht hatte, gab es bei den Aktiven eine ­Krise. Auf dem Kongress wollten wir neue Perspektiven entwickeln.

Ist das gelungen?

An der Konferenz haben über 200 Menschen teilgenommen, womit uns ein Neustart für die Berliner Mieterbewegung gelungen ist. Wir haben uns geeinigt, die künftigen Aktionen unter das Motto »Wohnen für alle« zu stellen. Damit wollen wir ausdrücken, dass Mieter mit geringem Einkommen und Geflüchtete zusammen kämpfen und sich nicht spalten lassen sollten. Mit dieser Parole können die Mieter- und die antirassistische Bewegung künftig gemeinsam Proteste organisieren und Pegida und AfD, aber auch der entsolidarisierenden Politik der anderen Parteien etwas entgegensetzen.

Unter Mietern in der Heidelberger Straße in Neukölln, die gegen den Abriss ihrer Häuser kämpfen, sorgte die Forderung von Stadtteilinitiativen, Geflüchtete sollten in die leeren Wohnungen ziehen, für Streit. Ist die Kooperation an der Basis der Mieterbewegung Konsens?

Die Forderung der dezentralen Unterbringung der Geflüchteten würden die meisten Mieterinitiativen unterschreiben. Die Lagerbildung und die Sammelunterkünfte werden weitgehend abgelehnt. Es entstehen dort Unterkünfte im Substandard, einkommensschwache Menschen fürchten, dass sie später auch dort landen könnten. Daher ist die Losung »sozialer Wohnungsbau für alle« durchaus konsensfähig.

Von »Verbietet das Bauen« bis zu »Neuer kommunaler Wohnungsbau jetzt« reichen zurzeit die For­derungen. Wie wurden solch gegensätzliche Anliegen diskutiert?

Die Zeit, in der gesagt wurde, dass keine Grünflächen erdichtet werden dürfen, ist vorbei. Es gab auf dem Kongress den Konsens, dass Neubau gebraucht wird, allerdings unter der Maßgabe, dass der Quadratmeterpreis 6,50 Euro nicht überschreiten darf und die Häuser komplett in öffentlichem Eigentum stehen müssen. Eine Neuauflage des Berliner Filzes der siebziger Jahre soll ausgeschlossen werden.

Auf der Auftaktkundgebung äußerte sich ein Mitglied der Bewegung gegen die Hypothekenschulden (PAH) sehr optimistisch über die neue Bürgermeisterin von Barcelona, die aus dieser Bewegung kommt. Ist die PAH für euch ein Vorbild?

Die Aktivistin hat auch betont, dass die PAH immer eine außerparlamentarische Bewegung war, und in dieser Hinsicht ist sie für uns ein Vorbild. Eine neue Linke wie Podemos existiert bei uns nicht. Die real existierende Linkspartei/PDS hat in der Koalition mit der SPD in Berlin die größte Wohnungsprivatisierung durchgeführt. Daher gibt es für uns nur als außerparlamentarische Kraft eine Perspektive.

Wieso wollen Sie trotzdem in den bevorstehenden Berliner Wahlkampf intervenieren?

Wir wollen eine gesellschaftliche Kraft werden, die so stark ist, dass keine Partei unsere Forderungen ­ignorieren kann. Dass wir von der Politik ernst genommen werden, zeigt sich auch daran, dass an der Konferenz ein Senatsmitarbeiter teilgenommen hat. Als er erkannt wurde, wurde er zum Verlassen des Treffens aufgefordert, weil es eine Perspektivkonferenz der Mieterbewegung war.

http://jungle-world.com/artikel/2016/09/53613.html

Smalltalk mit Peter Nowak

Die Mieterstadt löst sich auf

Können Mietpreisbremse und Selbstbau-Initiativen den Wohnungsmarkt entlasten?

Senat, Opposition, Stadtforscher und Initiativen diskutierten, welche Möglichkeiten es gibt, Wohnungsnot und steigenden Mieten beizukommen.

Die Werbetafeln an der Großbaustelle an der Otto Suhr Allee im Stadtteil Charlottenburg zeigen deutlich, dass dort Lofts für eine einkommensstarke Klientel entstehen. Nur wenige Hundert Meter weiter im Rathaus Charlottenburg widmeten sich am Mittwochabend unter dem Motto »Weder Lofts noch Laube« Stadtsoziologen und Politiker der Frage, wie Menschen mit wenig Einkommen in Berlin eine Wohnung finden und ob Genossenschaften und Selbstbauinitiativen dafür eine Lösung haben. Eingeladen hatte die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin.

Wohnungsnot und steigende Mieten erfordern kreative Lösungen durch Politik und Gesellschaft. In der stadtentwicklungspolitischen Diskussion sind neben einer Mietpreisbremse bei Neuvermietungen und nach Modernisierungen vor allem Möglichkeiten der Förderung von Neubauten. Hoffnungen werden auf Genossenschaften und Selbstbau-Initiativen gesetzt. Kann durch sie bezahlbarer Wohnraum geschaffen und der Mietanstieg wirksam begrenzt werden? Welche weiteren Ideen und Projekte gibt es, um die »Berliner Mischung« zu erhalten?

Der an der Humboldt Universität lehrende Stadtsoziologe Andrej Holm lieferte eine eine ungeschminkte Zusammenfassung der Wohnsituation in der Hauptstadt: »Die Mieterstadt Berlin ist in Auflösung begriffen«, so sein Befund, den er mit einer Analyse der Zeitungsanzeigen untermauerte. Lange Zeit habe es sich überwiegend um Mietannoncen gehandelt, im letzten Jahr aber hätten erstmals die Anzeigen für Wohnungsverkäufe überwogen. Auch die dramatische Situation für Hartz IV-Empfänger belegte Holm mit Zahlen.

Während 2007 in Berlin die Mieten von rund 40 Prozent der Wohnungen unter der Bemessungsgrundlage der Jobcenter lagen, waren es 2012 nur noch 6 Prozent. Neubauwohnungen seien für einkommensschwache Bevölkerungsteile kaum erschwinglich.

Daher plädierte Maren Kern von den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) dafür, bei den Bestandswohnungen günstige Mieten zu erhalten. Kern betonte, ihr Unternehmen sorge seit Jahren dafür, dass einkommensschwache Menschen in Berlin wohnen können. Es sei eine alternative zu Immobilienfirmen, denen es nur um die Rendite gehe.

Wesentlich kritischer sah Thomas Schmidt von der Initiative »Genossenschaft von unten« das Agieren der etablierten Wohngenossenschaften. Die würden sich zu oft als Unternehmen der Immobilienwirtschaft sehen und hätten den Gründungsgedanken aus den Augen verloren. Viel Unterstützung bekam er aus dem Publikum. Der Zivilgesellschaft rechnete Andrej Holm das Verdienst zu, dazu beigetragen zu haben, dass in Berlin soviel über die Wohnungs- und Mietenproblematik geredet wird. Mehrere Mitglieder einer Neuköllner Genossenschaft beklagten das undemokratische Gebaren des Vorstands. Über den Bau neuer Wohnungen seien sie zu spät unterrichtet worden, auf Kritik habe der Vorstand mit Ausgrenzung reagiert. Ähnliche Kritik trugen auch Mitglieder anderer Genossenschaften vor.

Die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei Katrin Lompscher bekam Applaus, als sie mehr Transparenz und eine Demokratisierung der Genossenschaften anmahnte. Kritische Fragen musste sich hingegen die stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Abgeordnetenhaus Ülker Radziwill anhören, als sie den Milieuschutz als Erfolg ihrer Partei reklamierte. »Die SPD in Neukölln stellt sich dagegen«, hielt ihr ein Zuhörer vor. Aus dem Publikum stellte sich die vor einigen Monaten gegründete Initiative Neue Kommunaler Wohnungsbau (INKW) vor, die sich für einen sozialen Wohnungsbau durch die öffentliche Hand einsetzt. Damit könnten die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass auch in Berlin wieder Wohnungen für einen Quadratmeterpreis von 6,50 Euro gebaut werden.

Peter Nowak