Viele Fragen an Andrea N.

Die Schweizerin Andrea N. wurde wegen mehrerer Brandstiftungen und des Verursachens einer Explosion zu einer bedingten Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Die militanten Aktionen soll sie in Berlin zwischen 2007 und 2010 verübt haben.

Die Schlagzeile in der Tageszeitung «Blick» von Anfang Oktober klang martialisch. «Linksextreme Berlinerin setzt Berlin in Flammen», hiess es da. Berichtet wurde über die Verurteilung der angehenden Lehrerin Andrea N., die in der Schweiz geboren, aber lange Zeit in Deutschland gelebt hat. Das Zürcher Bezirksgericht verurteilte die 49-Jährige wegen mehrerer Brandstiftungen und des Verursachens einer Explosion zu einer bedingten Haftstrafe von drei Jahren. Nach Abzug der Untersuchungshaft muss die Frau noch neun Monate in Haft bleiben. Strafmindernd bewerte das Gericht, dass N. sich von der linken Szene gelöst habe und die Straftaten einräumte. Allerdings belastete sie keine weiteren Personen und machte auch keine Angaben über linke Strukturen. Vorgeworfen wurden N. militante Aktionen in Berlin in den Jahren 2007 bis 2010. Dabei ging es um Brandanschläge unter anderem gegen die Geschäftsstelle der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin-Moabit, den Eingang des Berliner Land- und Amtsgerichts sowie das Institut für Internationale Politik und Sicherheit.

Widerstand im Gefängnis
In Deutschland wurde die Verurteilung der Frau nur in Berliner Boulevardzeitungen aufgegriffen und dabei genauso reisserisch wie im «Blick». Auch da wurde das Bild einer Frau gezeichnet, die in Berlin für Angst und Schrecken gesorgt und die Stadt in Brand gesetzt habe. Anders als im «Blick» wurde die Frau in der deutschen Boulevardpresse ohne Balken über den Augen auf die Titelseite gestellt. «Wir waren empört und bestürzt, nach vielen Jahren Andrea N. so an den Pranger gestellt zu sehen. Ich habe sie als selbstbewusste, mutige Frau kennengelernt, die im Gefängnis den Widerstand konsequent aufgenommen hatte», erinnerte sich eine Aktivistin der ausserparlamentarischen Linken in Berlin gegenüber dem vorwärts. Tatsächlich war Andrea N. 14 Monate in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin-Pankow inhaftiert. Ihr wurde unter anderem mehrmaliges Fahren ohne Ticket, Widerstand gegen die Staatsgewalt und das Mitführen von Pfefferspray auf einer Demonstration verworfen.
In den 14 Monaten ihrer Inhaftierung war Andrea N. Gegenstand einer Solidaritätskampagne unter dem Motto «Freiheit für Andrea». Es gab seit dem 1. Dezember 2007, als sie inhaftiert wurde, mehrere Demonstrationen und Kundgebungen. Andrea N. verstand sich als politische Gefangene und kombinierte ihre Forderungen im Gefängnis mit Hungerstreiks und unterstützte die Mobilisierung ausserhalb. Nachdem sie ihre Strafe bis zum letzten Tag abgesessen hatte, verschwand sie bald aus Berlin. Viele der heute in der ausserparlamentarischen Linken Aktiven sind zu jung, um sich noch an die Solidaritätskampagne für Andrea N. zu erinnern. Die wenigen, die sich noch an die Kampagne erinnern können, weigern sich, Andrea N. vorschnell als Verräterin und Agentin abzustempeln, nachdem sie nun vor der Schweizer Justiz Aussagen gemacht hat, ohne andere zu belasten. «Ich hätte viele Fragen an Andrea N., aber auch an eine linke Szene, aus der sich Menschen nach einigen Jahren immer wieder verabschieden. Statt Andrea N. jetzt auch von links abzuurteilen, sollten wir über unsere Strukturen reden, in denen Linke nicht alt werden und in denen es selbstbewusste Frauen besonders schwer haben, sich zu behaupten», so die Aktivistin.

aus Vorwärts, 27.10.2017.

Viele Fragen an Andrea N.


Peter Nowak