Reif für den Zeitgeist

Die Occupy-Bewegung ist nach allen Seiten offen. Das ist ihr Problem.
Von Peter Nowak
Nach der Krise werden wahrscheinlich alle wirtschaftlichen Strukturen zunächst zusammenbrechen, weil durch eine weltweite Globalisierung und die Konzentration auf das schuldenbasierte Wirtschaftssystem Währungen, wie derzeit der US-Dollar und vor ihm andere Währungen, unter ihren Schulden früher oder später zusammenbrechen werden. In den daraus folgenden sozialen Unruhen bietet das Zeitgeist-Movement eine noch nicht dagewesene friedliche Alternative an, in der das Gesellschaftskonzept auf modernen technologischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. – Solche Endzeit- und Erlösungsvisionen äußerte ein Anonymus, der sich im Internet als »Aktivist des Zeitgeist-Movements« vorstellt. Bis vor kurzem war diese Bewegung nur Insidern bekannt. Doch seit in verschiedenen Ländern Menschen ihre Kritik am Finanzsystem und an den Banken durch öffentliches Camping ausdrücken und die Occupy-Bewegung ins Leben gerufen haben, hat sich das geändert.
Denn dort mischen die Zeitgeistler eifrig mit. Der medientaugliche Frankfurter Occupy-Sprecher Wolfram Siener, der es bis in die Spätausgabe der Tagesschau geschafft hatte, obwohl es ihn nach den Regeln der Okkupanten gar nicht geben dürfte, da auf den »Asamblea« genannten Campversammlungen jeder nur für sich selbst sprechen darf, verschwand in der Versenkung, nachdem seine Zeitgeistkontakte bekannt geworden waren. Doch obwohl viele Campteilnehmer betonen, sich von diesen Esoterikern nicht instrumentalisieren zu lassen, finden sich in der Occupy-Bewegung doch allerlei theoretische Übereinstimmungen, die sie reif fürs »Zeitgeist-Movement« machen. Die Ablehnung von Parteien und Gewerkschaften, die von manchen linken Aktivisten als sympathischer anarchistischer Zug verstanden wird, gehört ebenso dazu wie die hartnäckige Behauptung, frei von jeder Ideologie zu sein und mit Politik nichts zu tun zu haben.
Der in den USA lebende Gründer der Zeitgeist-Bewegung, Peter Joseph, wirbt für eine Abkehr von jeder Politik und Ideologie; er will mit technischen Mitteln das nebulöse Ziel einer »ressourcenbasierten Wirtschaft ohne Geld« erreichen. Der aus dem ideologischen Umfeld des Rechtslibertären Ron Paul stammende Joseph hatte 2007 in dem populär aufgemachten Film »Zeitgeist« Bankenbashing mit Verschwörungstheorien über die Anschläge vom 11. September 2001 gekoppelt. Der kostenlos im Netz zur Schau gestellte Film fand schnell Zustimmung.
Auch in Deutschland entstand eine Szene, die Filmmitschnitte von »Zeitgeist« und »Loose Changes« vor allem in subkulturellen Kreisen verbreitete. Sie beteiligte sich an den Fuck-Paraden, die in Berlin als nichtkommerzielles Pendant zur Loveparade entstanden waren, und organisierten Freigeistfestivals, auf denen mit Symbolen aus der Hippie-, Umwelt und Friedensbewegung geworben wurde. Dort kombinierte man Banken- und Geldkritik mit Verschwörungstheorien zu 9/11. Jede Kritik daran wurde unter Ideologieverdacht gestellt.
Wie schnell die Grenzen zur offenen Rechten verschwimmen, zeigte sich an einer Debatte des Occupy-Umfelds auf der Internetplattform Studi-VZ in Österreich. Nachdem der Zeitgeist-Aktivist Theo G. den Holocaust als »das Beste, was den Israelis je passieren konnte«, bezeichnet hatte, kam milder Tadel von einem Zeitgeist-Freund aus Salzburg: »Das mit dem Holocaust mag sein, wie es will, es ist einfach nur so, daß wir momentan noch in einem System leben, wo du mit derartigen Aussagen große negative Wellen schlagen kannst … es ist einfach schlauer, sich an gewisse Regeln zu halten, und die Informationen SUBTIL zu verbreiten …«.
Die Kameraden von der NPD waren da weniger subtil. »Occupy-Demo erfolgreich okkupiert «, vermeldete die NPD Frankfurt auf ihrer Homepage. Auch ein »Aktionsbündnis Direkte Demokratie«, das gegen »Enteignung, Schuldversklavung und Entrechung der Bürger« ein Bündnis »von rechts bis links, von oben bis unten, von arm bis reich« anstrebt, nutzte das Frankfurter Occupy-Camp als Kulisse für seine Propaganda. Viel zu okkupieren brauchten sie nicht bei einer Bewegung, die für sich in Anspruch nimmt, 99 Prozent der Bevölkerung zu repräsentieren und die in der Finanzwelt das zentrale Problem sieht. Dahinter steckt nun mal die Vorstellung, daß eine winzige Minderheit die Strippen zieht.
»Der Verstand wird zugunsten des Affekts suspendiert«, beschreibt der Politologe Samuel Salzborn die Aktivitäten einer Bewegung, die Personalisierung und Moralisierung an die Stelle von Gesellschaftskritik setzt. Das zeigen die Asamblea-Gesänge der Okkupanten, bei denen die Worte eines Redners von den Umsitzenden wiederholt werden, ebenso wie die Stilisierung des Humanmic, des menschlichen Mikrophons, zum Symbol der Bewegung. Auf diese Weise wurde in den USA bei einem Protestevent eine Minimalkommunikation aufrechterhalten, nachdem sämtliche technischen Übertragungsanlagen verboten worden waren. In den Camps in Deutschland soll mit dem Humanmic ein diffuses Wirgefühl erzeugt werden, inhaltliche Debatten, gar Streit um politische Inhalte sind so nicht zu führen, aber das wäre ja auch »ideologisch«.
Einige Anhänger der postautonomen Interventionistischen Linken, die ihr Motto »Dazwischengehen « lieber in »Überall mitmischen « ändern sollte, empfahlen zum Umgang mit der Occupy-Bewegung, daß »die Linke das Zuhören wieder lernen muß«. Vielleicht ist es ja tatsächlich besser, wenn sie erstmal schweigt. Denn wenn Linkspartei-nahe Erwerbsloseninitiativen in Sachsen-Anhalt à la Luther 95 Thesen zum Kapitalismus an Kirchen und Parteibüros pappen und eine Tageszeitung, die das Adjektiv »marxistisch« im Titel führt, diese nicht etwa auf der Satire-, sondern auf der »Hintergrund«-Seite dokumentiert, dann zeigt sich, daß nicht nur die Okkupanten reif für den Zeitgeist sind.

Peter Nowak schrieb in KONKRET 6/11 über die deutsche Weigerung, NS-Ghetto-Arbeiter zu entschädigen

aus Konkret 12/2011
http://www.konkret-verlage.de/kvv/kh.php?jahr=2011&mon=12

Zeitgeist statt Politik

Die Occupy-Bewegung stößt in Deutschland an ihre Grenzen

In mehreren Städten in Deutschland gingen am Samstag Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Krisenlösungsmodelle zugunsten der großen Banken zu demonstrieren. Dabei gehen wie üblich die Meldungen über die Teilnehmerzahlen weit auseinander. Nach Polizeiangaben waren in Berlin 1000 und in Frankfurt/Main 2500 Menschen auf der Straße. Die Veranstalter gaben hingegen für die Mainmetropole 5000 und für die Hauptstadt 3000 Demonstranten an.

Dort hatte ein Bündnis unter dem Motto „Die Krise heißt Kapitalismus“ mit konkreten sozialpolitischen Forderungen aufgerufen, in dem verschiedene linke Gruppen, aber auch die Linkspartei und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vertreten sind. Das Krisenbündnis hatte in den vergangenen zwei Jahren mehrmals Demonstrationen organisiert, zuletzt im November 2010. Die Occupy-Proteste haben zu einer Reanimierung des Bündnisses geführt. Dabei gibt es allerdings über die Beurteilung dieser neuen Proteste unterschiedliche Einschätzungen. Während einige Gruppen vom Beginn einer neuen eigenständigen Bewegung sprechen, deren Eigendynamik ernst zu nehmen sei, gehen andere davon aus, dass sie eher ein Medienhype als eine machtvolle Bewegung ist.

Auch in ihrer Hochburg Frankfurt/Main stößt die Mobilisierungsfähigkeit der Occupy-Bewegung an ihre Grenzen. Dass der harte Kern der Aktivisten beschlossen hat, das Camp an der EZB zu verlängern, dürfte der milden Witterung und der Eigendynamik des Campkosmos geschuldet sein. Für viele Aktivisten handelt es sich um ein einschneidendes Ereignis, das möglichst lange erhalten bleiben soll. Dabei spielen eher gruppendynamische Prozesse als politische Erwägungen die zentrale Rolle. Ein wichtiges Zeichen dafür ist die Herausbildung einer eigenen Campidentität, wie sie gerade bei der Occupy-Bewegung zu beobachten ist. Dazu gehört das vielzitierte menschliche Mikrophon, bei dem die Teilnehmer einer Versammlung die Worte des jeweiligen Redners nachsprechen. Was aus einer Notlage entstanden ist, weil den Campern in den USA das Benutzen von Mikrophonen verboten war, wurde bald zum heftig verteidigten Markenzeichen der Campbewegung. Allerdings fiel mittlerweile vielen Besucher der Camps auf, dass diese Art der Kommunikation auch eine bestimmte Herrschaftstechnik ist. Es wird ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt und verstärkt, wenn man auch Positionen, die man selber ablehnt, nachsprechen soll, grundlegende inhaltliche Auseinandersetzungen sind mit dieser Methode aber kaum möglich.

Ressourcen statt Politik, Ideologie und Geld

Mittlerweile wird darüber diskutiert, dass „obskure“ Gruppen in der scheinbar so spontanen Bewegung Einfluss zu nehmen versuchen. So stellte sich heraus, dass der Sprecher des Frankfurter Camps, der es sogar in die Tagesschau geschafft hatte, gute Beziehungen zu der 2008 gegründeten Zeitgeistbewegung hat, die sich für eine Abkehr von jeder Politik und Ideologie einsetzt und das Ziel einer „ressourcenbasierten Wirtschaft ohne Geld“ verfolgt. Mit Filmen werden in der letzten Zeit besonders intensiv die Zeitgeist-Ideen verbreitet, die auf Jacque Fresco und sein Venus-Projekt zurückgehen. Kritiker warnen vor verschwörungstheoretischen und strukturell antisemitische Tendenzen in den Filmen und der Bewegung.

Die Abneigung vieler Aktivisten gegen jegliche politische Organisationen und Ideologien kommt den Intentionen dieser Bewegung entgegen und wird von ihr auch stark gefördert. So gehörte der Frankfurter Sprecher zu denen, die immer besonders auf die Unabhängigkeit der Occupy-Bewegung vor allem zu linken Bewegungen, aber auch zu Parteien und Gewerkschaften pochte.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150729

Peter Nowak