Widerstand ist organisierbar

Konferenz in Berlin – mit wenig Interesse bei Gewerkschaften
Am Wochenende lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin zu einer Konferenz ein, an der vor allem sogenannte Stadtteilorganizer teilnahmen.

Soziale Proteste sind in Deutschland selten. Bundesweite Demonstrationen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise« bleiben ohne nachhaltige Wirkung. Dieser Zustand frustriert viele politisch Aktive und lässt sie nach politischen Alternativen Ausschau halten. Zwei Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind in den USA fündig geworden. Sie haben auf dem dortigen Sozialforum das Community-Organizing, die politische Organisierung in den Stadtteilen, in Theorie und Praxis kennen gelernt. Einige Stadtteilorganizer nahmen am Wochenende in Berlin an einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung teil, die sich mit Strategie und Taktik einer revolutionären Realpolitik befassten.
Stadteilorganisator Eric Mann aus Los Angeles erinnerte darin, dass die Kommunistische Partei der USA in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreiche Organizing-Projekte initiiert. Auch für die US-Bürgerrechtsbewegung war die Stadtteilorganisierung ein wichtiges politisches Aktionsfeld. Mann erinnerte daran, dass Martin Luther King mit der Organisierung streikender Müllmänner beschäftigt war, als er von einem Rassisten erschossen wurde. Daran knüpft seine Organisation an, als sie mit den Beschäftigten und Stadtteilbewohnern gegen die Schließung einer CM-Filiale erfolgreich kämpfte. Sendolo Diaminah von der Initiative People’s Durham outet sich auf der Konferenz als Kommunist, der nach der weltweiten Krise der Linken nach dem Ende des Nominalsozialismus nach neuen Wegen suchte. Er sieht im Organizingkonzept eine Möglichkeit, die Lücke zu füllen, die der Zerfall linker Organisationen hinterlassen hat.

Auch für Steve Williams von der Initiative Power aus Los Angeles ist das Organizingkonzept heute besonders aktuell. Das Schrumpfen der Kernarbeiterschaft führe zum Bedeutungsverlust von Gewerkschaften. Erfolgreiche Streiks seien daher auf Organisierung außerhalb der Betriebe angewiesen. Als Beispiel nannte er eine gelungene Organisierung von Schülern und Busfahrern, als der Schultransport privatisiert wurde, was mit Preissteigerungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden war.
Auch in Deutschland hat die Debatte um Organizingstrategien inner- und außerhalb der Gewerkschaften begonnen. Der Stuttgarter verdi-Bezirk gehört zu den Vorreitern. „Innerhalb der deutschen Gewerkschaftsbewegung steht die Debatte noch ganz am Anfang,“ betont die Stuttgarter Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt auf der Konferenz.

Florian und Max, zwei Aktivisten vom „Recht auf Stadt-Bündnisses“, berichten über Erfolge und Grenzen ihrer Organisationsansätze in den Hamburger Stadtteilen Altona und Wilhelmsburg. In letzterem wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen, bei denen die Organisierer auf offene Ohren stießen. Innerhalb kurzer Zeit wurde eine Protestaktion gegen Mieterhöhungen zum Wohnungsbauunternehmen Gagfah organisiert. Allerdings sind nicht alle politischen Initiativen erfolgreich gewesen. Der These, dass man mit den Bewohnern über den Protest gegen steigende Mieten nicht aber über Stadtpolitik reden kann, widersprach der Soziologe Alex Demirovic und verweist auf andere Erfahrungen in Frankfurt/Main. Auch die Grundsatzfrage, ob Organizingkonzepte linke Parteien ersetzen oder ergänzen kann, blieb auf der Konferenz offen. Dass sie an Bedeutung gewinnen werden, scheint aber klar. Daher war es unverständlich, dass bei der Konferenz im Berliner IG-Metallhaus kaum Gewerkschaftler und politische Aktivisten anwesend waren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/207596.widerstand-ist-organisierbar.html?sstr=Organizing

Peter Nowak

Umsonstverkehr statt Schwarzfahrerjagd

Debatte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft der Mobilität

 Wie kann man den Verkehr in Städten bis 2050 umweltverträglich gestalten, lautete eine zentrale Frage beim Kongress zum 25. Geburtstag des Verkehrsklubs Deutschland (VCD). Am Wochenende stellten sich bei einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin Aktivisten aus mehreren Ländern die kaum weniger interessante Frage, wie Mobilität sozialverträglich gestaltet werden kann.

Die Beweggründe, sich für kostenlosen Nahverkehr in Großstädten einzusetzen sind durchaus vielfältig. Stadtplaner hoffen so, den Autoverkehr aus den Zentren heraushalten zu können, soziale Bewegungen wollen Geringverdienern das tägliche Leben erleichtern. Bei der Berliner Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichteten Teilnehmer aus Schweden, Norwegen, Griechenland, Kanada, den USA und Deutschland über ihre Kämpfe für einen unentgeltlichen öffentlichen Nahverkehr. Die vorgestellten Ansätze sind sehr unterschiedlich. In Norwegen, wo die Ticketpreise stark angestiegen sind, hat sich mittlerweile die aus Schweden stammende von anarchosyndikalistischen Gruppen inspirierte Planka-Bewegung ausgebreitet. Nachahmer gibt es auch in Deutschland. Mit einer Umsonstfahrerversicherung, in die Mitglieder monatlich zehn Euro einzahlen, sollen mögliche Strafgelder solidarisch geteilt werden, wie Christian Tenblag von Planka Stockholm erklärte.

Und in Griechenland streiten im Zuge der Anti-Krisen-Proteste auch Gruppen für das Recht auf Mobilität unabhängig vom Geldbeutel. Die Umwelt allerdings scheint dabei weniger zu interessieren. Alexander Kleitis von der No-Pay-Kampagne berichtet, dass daran auch Autofahrer teilnehmen, die sich weigern, Mautgebühren zu zahlen.

Eugenia Darnell und Mary Bricker-Jenknis aus Detroit in den USA stellen ihren Kampf um das Recht auf kostenfreien Transport in den Kontext sozialer Kämpfe gegen Häuserräumungen und für medizinische Versorgung.

Jens von der Gruppe »Hamburg-Umsonst« beobachtet allerdings ein Erschlaffen der Nulltarifkampagne in der letzten Zeit, da viele Aktivisten noch in anderen politischen Kampagnen engagiert seien. Über ähnliche Erfahrungen berichtete ein Teilnehmer der seit mehr als einem Jahr existierenden »Berlin-Umsonst«-Kampagne.

Matthias Bärwolff und Thomas Gotthardt von der LINKEN in Thüringen stellten das Konzept eines ticketfreien Nahverkehrs vor, mit dem die Partei in Erfurt wirbt. Durch eine einheitliche Gebühr sollen alle Einwohner an den Kosten für den Nahverkehr beteiligt werden. Darüber hinaus soll eine Art Kurtaxe für Touristen die Kosten decken helfen. Damit soll der Verkehr sozial und umweltfreundlich gestaltet werden. Gotthardt sieht dieses Modell als Umsetzung einer revolutionären Realpolitik. Erfahrungen aus Templin, wo 1997 ein kostenfreier Nahverkehr eingeführt wurde, zeigten, dass so die Innenstadt vom Autoverkehr entlastet werden könne. Templin mache aber auch die Finanzierungsprobleme deutlich. Innerhalb von wenigen Jahren stieg die Zahl der Nutzer so stark an, dass die Bezahlung seit 2003 über eine Kurkarte läuft, die mittlerweile pro Haushalt 44 Euro im Jahr kostet.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/201230.umsonstverkehr-statt-schwarzfahrerjagd.html

Peter Nowak