Wieviel Schröder und Müntefering darf es denn sein?

 Der Streit um die Rente mit 67 in der SPD ist eine Auseinandersetzung über das Erbe von Schröder und Müntefering
„Gabriel versus Steinmeier?“ – solche Überschriften über den Streit in der SPD sind mittlerweile fast ein Jahr alt. Mittlerweile hat die SPD ihre Personalfragen geklärt. Die Arbeitsteilung zwischen dem Fraktionsvorsitzenden Steinmeier und dem Parteivorsitzenden Gabriel schien sogar zu funktionieren. Jedenfalls hat es die SPD in den letzten Monaten verstanden, sich geräuschloser als die gegenwärtigen Koalitionsparteien zu streiten. Allem Anschein nach zahlt sich das beim Wahlvolk aus. In momentanen Umfragewerten überholen SPD und Grüne schon mal die gegenwärtige Regierungskoalition. Genau in diesem Augenblick wollen die sozialdemokratischen Spitzenpolitiker beweisen, dass sie auch noch streiten können und prompt ist die alte Frontstellung von vor einem Jahr wieder da.
 Aktueller Streitpunkt ist die Frage, wie es die SPD mit der Rente mit 67 hält. Während Steinmeier mit dem Argument daran festhalten will, dass die Menschen heute älter werden und daher länger Rente beziehen, will Gabriel die längere Rente aussetzen, solange der Anteil der arbeitenden Menschen zwischen 60 und 64 nicht erhöht werden kann. Dabei hat er nach Angaben der FAZ große Teile der SPD auf seiner Seite, darunter die in der SPD rhetorisch eher auf den linken Flügel positionierten hessischen und saarländischen Landespolitiker. Zudem ist die Rente mit 67 in Gewerkschaftskreisen von Anfang an auf scharfe Kritik gestoßen.

Sogar größere Arbeitskampfmaßnahmen waren in der Diskussion. Mit der Rücknahme dieser Pläne könnte die SPD wieder näher an die Gewerkschaften rücken, was einige als links klassifizierte SPD-Politiker begrüßen würden, die darauf hoffen, die Linkspartei werde sich im Westen doch noch überflüssig machen. Kaum gab es Umfragewerte für eine rot-grüne Mehrheit, meinten einige SPD-Politiker, Anzeichen dafür zu entdecken, dass das 5-Parteien-System nicht von Dauer ist.
Sollten bei den künftigen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz der dienstälteste SPD-Ministerpräsident Kurt Beck die absolute Mehrheit verteidigen und die dort besonders zerstrittene Linkspartei an der 5-Prozent-Hürde scheitern, werden solche Stimmen lauter werden. Mit einem Abrücken von der Rente mit 67 könnte die SPD auf solche Sozialdemokraten zugehen, die die Schröder-SPD zur Passivität oder zur Linkspartei getrieben hat.

Münteferings Reform

Doch so einfach ist die sozialdemokratische Welt nicht. Die Rente mit 67 ist nämlich 2007, also zu Zeiten der großen Koalition, beschlossen worden. Sie wurde von den damaligen SPD-Spitzenpolitikern nicht etwa widersprechend mitgetragen, sondern aktiv unterstützt und gegen Kritik verteidigt.

Besonders für die Rente mit 67 eingesetzt hat sich der langjährige SPD-Spitzenpolitiker und Bundesarbeitsminister in der großen Koalition Franz Müntefering und der damalige Außenminister und SPD-Vorsitzende Frank-Walter Steinmeier.

Kaum in der Opposition hat in der SPD der Streit über den Umgang der von ihr beschlossenen und vertretenen Rentenverlängerung begonnen. Nur war der Dissens in den letzten Monaten nicht so demonstrativ in der Öffentlichkeit ausgetragen worden wie in den letzten Tagen.

Stunde der Apparatschiks

Dass der Streit gerade jetzt wieder hochkocht, kann durchaus mit den guten Umfragewerten in Verbindung gebracht werden. Unmittelbar nach der Wahl hatten Beobachter der SPD eine längere Regenerationsperiode prophezeit. Da – nicht einmal ein Jahr später – in Umfragen wieder rot-grüne Mehrheiten möglich scheinen, regen sich in der SPD Kräfte, die bei nächsten Wahlen die Machtoption stark machen und die Oppositionszeit als einen kurzen Ausrutscher betrachten.

Vorteile aus einer solchen Situation ziehen dabei die SPD-Apparatschiks, die meist noch aus der Schröder-Ära stammen und dessen Politik am liebsten nahtlos fortsetzen würden. Sie haben Erfahren in Management und Verwaltung und sind noch jung genug, um ihre Fähigkeiten sofort wieder zur Verfügung zu stellen, wenn die SPD in welcher Koalition auch immer, wieder Teil der Regierung wird.

Sie teilen mit Müntefering die Ansicht, dass Opposition Mist ist und deshalb ist ihr größtes Ziel, die SPD wieder an der Regierung zu sehen. Dass sie persönlich sich damit auch wieder Posten verschaffen, ist ein nicht zu vernachlässigender Nebeneffekt. Schließlich würde eine längere Oppositionszeit für die SPD auch bedeuten, dass diese Apparatschiks ihrem Vorbild Schroder in die Wirtschaft folgen würden.

Für diesen Typus steht Steinmeier. Unter Schröder der Mann im Hintergrund kam er während der großen Koalition als Schröderianer zum Zuge. Die Apparatschiks, die mit den früher „Kanalarbeiter“, heute „Seeheimer Kreis“ genannten Parteirechten, aber auch mit jüngeren, selbsternannten Pragmatikern gut vernetzt sind, geht es in erster Linie ums Mitregieren und um den Erhalt einer ideologiefreien SPD à la Schröder. Alle Ansätze, die als Rückkehr zu klassenkämpferischen Parolen gedeutet werden, sind ihnen ein Gräuel. Denn, ohne gute Beziehung zur Wirtschaft kann ein Sozialdemokrat nicht lange Regierung spielen, was Bundesfinanzminister Lafontaine gut bewiesen hat. Deshalb ist für sie nicht nur die Rente mit 67 sondern die gesamte „Agenda 2010-Politik“ sakrosankt. Sie sehen in der aktuellen Wirtschaftspolitik den Beweis für die Richtigkeit dieser Politik.

Widerstand der Nachwuchspolitiker

Diesen Apparatschiks stehen die auch schon in die Jahre gekommenen SPD-Nachwuchspolitiker gegenüber, die in der Schröder-Ära nicht in den engeren Machtzirkeln verkehrten, sondern es nur zum SPD-Popbeauftragten gebracht haben, wie Sigmar Gabriel – oder im Machtkampf der Apparatschiks unterlegen sind wie Kurt Beck.

Sie sind gar nicht darauf erpicht, ganz schnell wieder in die Regierung zu wechseln, gerade weil sie hoffen, dass die Apparatschiks sich nach lukrativeren Posten umsehen und sie dann die vakanten Posten besetzen können. Sie sind flexibler, wenn es darum geht, Fehler bei der Agenda-Politik einzugestehen, wobei auch von ihnen immer betont wird, dass diese Politik in den Grundlinien richtig war.

Sie wollen daher die Agenda-Politik nicht grundlegend verändern, sondern höchstens hier und da nachjustieren oder die Stellschrauben etwas anziehen, wie es in ihrer Technokratensprache heißt. Sie sind auch eher als die Apparatschiks bereit, einige sozialpolitische Zugeständnisse zu machen und bei der eigenen Klientel besonders unpopuläre Projekte wie die Rente mit 67 in Frage zu stellen, zumindest solange sie in der Opposition sind.

Alles nur Show?

„Gabriel setzt heute den Keim für ein gebrochenes Wahlversprechen von morgen“, kommentiert der Kölner Stadtanzeiger Gabriels Rütteln an der Rente mit 67 und dürfte damit nicht ganz falsch liegen. Denn Gabriel und Steinmeier teilen mit den meisten Zeitungskommentatoren die Ansicht, dass länger gearbeitet werden muss, aber dann müssen auch die Arbeitsplätze da sein.

„Der Unterschied besteht darin, dass der eine (Steinmeier) das längere Arbeiten mehr betont und die anderen (Gabriel, Beck) lieber von den Risiken reden“, meint der Chefkommentator der SPD-nahen FR die sozialdemokratische Rentenshow. Die Vorstellung, angesichts der gestiegenen Produktivität durch den technischen Fortschritt, die Rente zum Grundrecht für Alle – unabhängig von der Lohnarbeit und Produktivität zu erklären – liegt jenseits des sozialdemokratischen Horizonts. Darin sind sich die Gabriels, Becks und Steinmeiers einig.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33111/1.html

Peter Nowak