Zahlen aus dem Bundesinnenministerium über rechte Gewalt rechtfertigen das Klischee vom bösen Osten und dem guten Westen nicht
Manche Leser eines Artikelsder Mitteldeutschen Zeitung über die Verteilung rechter Gewalt in den unterschiedlichen Regionen Deutschlandswerden etwas irritiert gewesen sein. „NRW ist Spitzenreiter bei rechtsextremen Gewalttaten“ [1] lautet die Überschrift.
Im Artikel heißt es dann aber: „Fast die Hälfte aller rassistisch motivierten Gewalttaten im vergangenen Jahr ist nach Presseinformationen in Ostdeutschland einschließlich Berlin verübt worden. Der Anteil liege bei 47 Prozent, obwohl die Ostdeutschen nur knapp 17 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten.“
Dabei haben sowohl die Überschrift wie auch der Inhalt des Artikels ihre Richtigkeit. Die Zeitung beruft sich dabei auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage [2] der grünen Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic. Demnach entfielen im Jahr 2014 genau 61 der bundesweit 130 als rassistisch eingestuften Gewalttaten auf den Osten sowie die Bundeshauptstadt. Das entspreche einem Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Neue Ost-West-Debatte?
Steht uns mit diesen Zahlen eine Neuauflage einermittlerweile 25 Jahre alten Debatte ins Haus? Es geht dabei in der Regel nicht um die Frage, ob der Anteil rechter Gewalt prozentual höher als in Westdeutschland ist, was ja schwerlich widerlegt werden kann. Der Streit beginnt bei der Frage nach den Ursachen. Ist der Rassismus in Ostdeutschland eine späte Rache der DDR oder ist sie Folge der Wendepolitik? Der Publizist Markus Liske schreibt [3] in der Wochenzeitung Jungle World:
„Warum der rechte Terror in den neunziger Jahren im Osten weiter verbreitet war und offensiver vom sogenannten Bürgertum unterstützt wurde als im Westen, ist bekannt. Da gibt es die DDR-spezifischen Gründe, wie die ungebrochene Fortführung von nationaler und völkischer Rhetorik nach 1945, militarisierte Gesellschaftsstrukturen, die Kasernierung ausländischer Vertragsarbeiter oder den selbst herbeigemauerten Provinzialismus.
Daneben stehen jene Erklärungen, die mit der konkreten Situation nach dem Mauerfall und dem Beitritt zur Bundesrepublik zu tun haben: Massenarbeitslosigkeit, Existenzangst, Demütigungen. Und schließlich ist da noch der Umstand, dass hier nicht einfach zwei Staaten beschlossen hatten, per Vertrag zu einem zu werden, sondern dass diese Vereinigung vom ersten ‚Wir sind ein Volk!‘-Ruf an völkisch legitimiert wurde.
All das hatte Anteil daran, dass Ostdeutschland in den frühen neunziger Jahren zur No-Go-Area für Menschen anderer Hautfarbe wurde und in großen Teilen bis heute ist. Aber, könnte man nun fragen, haben all die zivilgesellschaftlichen Förderprogramme, haben all die antirassistischen Bürgerinitiativen der letzten 25 Jahre denn gar nichts daran ändern können?“
Leider verfällt Liske an einer Stelle selbst in eine historisch nicht haltbare Verallgemeinerung. Dass es in der späteren DDR eine „ungebrochene Fortführung von nationaler und völkischer Rhetorik nach 1945“ gegeben haben soll, ist ein Klischee, dass den vielen Antifaschisten Unrecht tut, die nach dem Ende des NS dort mithelfen wollten, ein Land aufzubauen, in dem völkisches und nationalistisches Denken keinen Platz mehr haben sollte.
In kurzer Zeit wurden viele Romane verlegt und Filme gedreht, die diesem Ziel dienten. Vor allem wurde auch an die Verantwortung jener preußischen Ideologie bei der Herausbildung des deutschen Untertanengeistes benannt, die eine wichtige Rolle bei der Etablierung des Nationalsozialismus spielte. Es ist also verfehlt, in der DDR-Politik eine Fortsetzung der völkischen Ideologie zu sehen. Anders sah es natürlich vor allem in den Teilen der Bevölkerung aus, die sichweder mit der DDR-Politik noch mit deren linker Opposition identifizierten.
Gegen das Klischee vom guten Westen und dem bösen Osten
Völkische Ideologie wurde erst in den Wendezeiten wieder massenhaft auf Straßen und Plätzen Ostdeutschlands vertreten und die Protagonisten betonten dabei immer wieder, dass sie das jetzt auch deshalb machen, weil es ja nun mit der DDR vorbei ist, in der solche Äußerungen verboten waren. Daher müsste man eher in nationalistischen Mobilisierungen im Herbst 1989 die Gründe für die Zunahme rechter Gewalt in beiden Teilen Deutschlands sehen als in der Politik der DDR.
Die nationalistische Mobilisierung hat sich in einen Standortnationalismus transformiert, in dem sich Elite und Teile der Bevölkerung durchaus vereinigen, wie die Kampagne gegen Griechenland zeigt. Schäuble und Co. wurden von der Bild-Zeitung und ihren Lesern unterstützt, die sich mit Schildern fotografieren ließen, auf denen sie bekundeten, keinen Cent nach Athen geben zu wollen. 25 Jahre nach Wende wäre es an der Zeit, diese gesamtdeutsche nationale Mobilisierung alswichtige Ursache für den Rassismus und seine tödlichen Folgen in den Blick zu nehmen.
Dass dieser Standortnationalismus bei den verschiedenen Bevölkerungsschichten auch unterschiedlich praktiziert wird, ist selbstverständlich. Das gilt für alle Länder. So kann in Norditalien eine andere Form von Rassismus konstatiert werden, der sich teilweise auch in unterschiedlichen politischen Formationen ausdrückt als im Süden Italiens. Daher wäre es auch in Deutschland lohnend zu untersuchen, wie sich der Rassismus in Sachsen und in NRW unterscheidet. Eine verspätete Neuauflage des Klischees vom guten Westen und dem bösen Osten, so auch der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler [4], ist hingegen nur langweilig und überflüssig.
http://www.heise.de/tp/news/Warum-gibt-es-prozentual-mehr-Rassismus-in-Ostdeutschland-2784260.html
Peter Nowak
Links:
[1]
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[3]
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