Dass die Datendebatte jetzt bei den Versandhandelskonzernen Amazon, Zalando u.a. angekommen ist, könnte eine Chance für Kritik sein, die auch die Kunden nicht ausnimmt
„NSA – die Anatomie eines mächtigen Geheimdienstes“ lautet der Titel eines Bestsellers [1] beim Internetversandhandel Amazon. Ob die Käufer bedenken, dass sie unter Umständen mit ihren Kauftransaktionen selbst Teil der immensen Datenmenge werden, die dort gespeichert werden?
Schließlich wird seit einigen Tagen auch darüber diskutiert, ob Online-Versandhändler wie Zalando [2], Ebay [3] und Amazon [4] Teil des Ausforschungsprogramms sind.
Angestoßen wurde diese Debatte vom Datenschutzbeauftragen Peter Schaar [5], der in einem Gespräch [6] mit der Tageszeitung Die Welt erklärte, es könne „als sicher gelten, dass die von Unternehmen erhobenen Daten und Profile auch bei staatlichen Stellen landen oder von diesen zumindest abgerufen werden können“.
Zudem monierte Schaar, dass die Bundesregierung europäische Schutzregeln für Online-Shooper nur unzureichend anwende. Als ein Beispiel nannte das Problem der sogenannten Tracking Cookies. Sie protokollieren alle Internetseiten, die der Nutzer besucht hat und ermöglichen das Erstellen von Profilen. Nach der europäischen „E-Privacy-Richtlinie“ sind solche Cookies nur dann erlaubt, wenn der User zuvor zugestimmt hat. Deutschland habe die Richtlinie leider nicht umgesetzt, moniert Schaar. Die EU-Kommission prüfe derzeit, ob die Bundesregierung „an diesem Punkt nachbessern muss“.
Die maßgeschneiderten Kundenwünsche
Es ist eigentlich erstaunlich, dass es erst dieses Interviews bedurfte, um eine Diskussion über die Rolle solcher globalen Versandhandelskonzerne anzuregen. Schließlich hat der Datenschutzbeauftragte dort nur noch einmal formuliert, was offensichtlich ist und jeden Nutzer dieser Onlinedienste bekannt sein müsste. Deshalb greift es auch zu kurz, nur nach dem Schutz des Staates zu rufen. Schließlich muss sich auch jeder einzelne Online-Shooper selbst fragen, warum er sich lieber als Datenexibitionist in das Kalkül von Zalando, Amazon und Co. einfügt, als seine Waren beim Händler um die Ecke einzukaufen.
Die meisten Online-Shooper geben schließlich genau wie viele Facebook-Nutzer schon heute mehr Daten preis, als es technisch nötig wäre. Da werden Masken ignoriert, wo mit einem Häkchen zumindest formal bestimmte Zugriffe abgelehnt werden [7]. Ist das nur Bequemlichkeit und Ignoranz oder hat mancher Internetnutzer gar nichts dagegen anzuwenden, wenn ihm im Internet plötzlich die passgenaue Ware angeboten wird? Die Zusendung dieser angeblich individuellen und maßgeschneiderten Kundenwünsche ist ebenso nur durch die massive Datensammelei dieser Internetkonzerne möglich, wie die sekundenschnelle Feststellung der Bonität des Kunden.
Nachdem nun auch die Online-Versandriesen Teil der Überwachungsdebatte wurden, wäre es daher nun endgültig an der Zeit, von dem simplen NSA-USA-Bashing wegzukommen und auch die Subjekte des Internetzeitalters in den Fokus der Kritik zu nehmen. Denn diese Internetkonzerne konnten nur einen solchen Einfluss bekommen, weil sie von Millionen von passgenauen Internetkunden am Laufen gehalten werden. Der Vorwurf, diese würden von diesen Konzernen nur manipuliert, greift dabei zu kurz.
Um das System Amazon und Co. adäquat kritisieren zu können, wäre ein Rekurs auf eine Konsumkritik im Spätkapitalismus sinnvoll. Es wäre zu fragen, welche Frustrationserlebnisse Menschen hinter sich haben müssen, die sich ganz freiwillig vor Amazon und Co. exhibitionieren und im Run auf billige Massenprodukte mit begrenzter Haltbarkeit die Erfüllung ihrer Konsumwünsche erblicken und sich daher von den Angeboten dieser Konzerne angesprochen fühlen.
Die Konsequenzen dieser schönen Amazon- Ebay- und Zalandowelt beginnen nicht erst, wenn angeblich die NSA auch an dem Datenstrom partizipiert. Der Aufstieg dieser Online-Versand-Konzerne ist mit einem Ruin der Einzelhandelsbranche und dem Verlust vieler Arbeitsplätze verbunden. Die dort freigesetzten Menschen können dann im Niedriglohnsektor von Amazon, Ebay und Zalando ihr Glück versuchen. Alle diese Konzerne haben bereits Schlagzeilen mit besonders schlechten Arbeitsbedingungen gemacht [8]. Bei Amazon haben sich mittlerweile die Beschäftigten mit Warnstreiks zu wehren begonnen [9].
Sind Vielumtauscher „Schmarotzer“?
Bisher wurde in der veröffentlichten Diskussion kaum thematisiert, welch große Rolle kritische Konsumenten im System Amazon und Co. spielen könnten. Schließlich haben diese Unternehmen immer ihre besonders kulanten Umtauschregelungen herausgestellt. Diese Klausel wurde von den Kunden ausgiebig genutzt. Besonders dem Zalando-Management bereitete dieses Kundenverhalten schon Probleme [10].
Amazon hat mittlerweile damit begonnen, die Kundenkonten von Konsumenten zu sperren, die die angebotenen Umtauschregeln zu häufig nutzen. Diese Kunden würden sich nicht „verbrauchergemäß“ verhalten, begründet das Management diese Einschränkungen der Verbraucherrechte und bekommen dafür ausgerechnet von der linksliberalen taz Unterstützung.
In einem Artikel [11] wurden Kunden, die besonders viele Waren zurückschicken, als „Schmarotzer“ diffamiert, die sich nicht zu beschweren hätten. Dabei könnte doch die große Umtauschquote ein kleines Signal der Hoffnung dafür sein, dass auch manche Kunden die schöne Amazon-Welt zu durchschauen beginnen.
Wenn sie dabei auch zunächst nur ihren eigenen Vorteil sehen und den ganzen Plunder, der ihnen als „Musst habe“ als unverzichtbar nahegebracht wird, möglich gratis nutzen wollen, so ist dagegen wenig einzuwenden. Zur kritischen Verbraucheraktion würde dieser Massenumtausch allerdings erst, wenn den Waren kleine Informationen beigefügt würden, in denen die Ausbeutung der Beschäftigten, die Datensammelwut, die Kooperation mit der NSA und die vielen anderen Realitäten der Welt von Amazon, Zalando und Co. benannt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154729
Peter Nowak 04.08.2013
Links
[1]
http://www.amazon.de/NSA-Anatomie-m%C3%A4chtigsten-Geheimdienstes-Welt/dp/3442151511
[2]
http://www.zalando.de/?wt_ga41=5671686226_22217536906&wt_gk41=Exact_5671686226_zalando&gclid=CNOd4svw47gCFYmR3goddggAVQ
[3]
http://www.ebay.de/
[4]
http://www.amazon.de
[5]
http://www.bfdi.bund.de/Vorschaltseite_DE_node.html
[6]
http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article118659616/Als-schaue-einem-jemand-ueber-die-Schulter.html
[7]
http://www.taz.de/!88365/
[8]
http://www.ftd.de/unternehmen/handel-dienstleister/:internethaendler-zalando-am-pranger/70069695.html
[9]
http://www.amazon-verdi.de
[10]
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/deutscher-marketing-preis-warum-schreit-bei-zalando-keiner-vor-glueck/7443278.html
[11]
http://www.taz.de/Kommentar-Amazon-sperrt-Nutzerkonten/!121074/