Farbenspiele in Schleswig-Holstein

Grüne und FDP: Rivalität in der liberalen Familie. Was ist eigentlich „sozialliberal“?

Nun beginnt wieder die Debatte um die Farbenspiele. Soll es nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein eine Jamaika- oder eine Ampelkoalition geben? Es ist eine seit Jahren geführte Mediendebatte, bei der es inhaltlich kaum um etwas geht. Die Kontroverse dient eher zur Profilierung der Parteien und zum Hochtreiben des Preises. Würden die Grünen beispielsweise sofort begeistert auf eine Koalition mit der Union zusteuern, dann würden sie ja in den Verhandlungen ihr Pulver verschießen.

Es geht um bessere Positionen bei Verhandlungen

Können sie doch mehr Posten oder vielleicht auch mehr Windkraftwerke oder was Grünen sonst noch so am Herzen liegt, bei den Verhandlungen herausschlagen, wenn sie sich die Option offen halten, auch mit der SPD regieren zu können. Wichtig ist dabei nur, keine Koalitionen auszuschließen. Politiker, wie die heute schon fast vergessene Andrea Ypsilantis mussten erfahren[1], dass eine Karriere beendet sein kann, wenn man erst eine Koalitionsvariante ausschließt und sie dann doch eingehen will.

Dagegen sind die Grünen in Schleswig Holstein schon schlau genug und haben ihre Präferenzen auf eine Ampelkoalition gesetzt – ohne ein Bündnis mit der CDU auszuschließen. Gleiches gilt natürlich umgekehrt auch für die FDP, die ihre Sympathie für eine Regierung mit der CDU anmeldet, ohne eine andere Koalition grundsätzlich auszuschließen. Nur mit dem noch amtierenden Ministerpräsidenten will man nicht regieren.

Doch diese Frage dürfte sich regeln lassen. Wenn es nach der Sitzung der SPD in Schleswig Holstein heißt, dass ein Rücktritt von Albig kein Thema war und dann noch hinzugesetzt wurde, dass aber die Enttäuschung über das Wahlergebnis groß ist, heißt das, dass niemand in der SPD für Albig kämpfen wird. Die Frage ist nur, wer ihn ersetzen soll. Bisher hat sich niemand gemeldet.


Alle Varianten möglich

Es sind grundsätzlich alle Varianten in Schleswig-Holstein möglich. Der Wahlausgang in NRW spielt da auch zumindest stimmungsmäßig eine Rolle. Wird auch in diesem entscheidenden Bundesland die SPD abgestraft, stehen auch in Schleswig-Holstein die Chancen für die CDU besser, die Regierung zu bilden. Solle in NRW die SPD ein respektables Ergebnis erhalten oder sogar zulegen, wächst auch im Norden das Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten. Schließlich befinden wir uns dann endgültig im Bundestagswahlkampf und alles was in einem Bundesland geschieht, wird auf bundesweite Auswirkungen abgeklopft.

Vor diesen Hintergrund dürfte eine Jamaika-Koalition in Schleswig Holstein die wahrscheinlichere Variante sein. Dann hätten CDU, Grüne und FDP schon mal signalisiert, es gibt auch eine Regierungsvariante ohne die SPD und eine Alternative zur gar nicht mehr so großen Koalition. Auch die Union hat verstärktes Interesse an einen solchen Modell, weil sie damit ihre Koalitionsmöglichkeiten erweitern könnte.

Dass es zwischen den beiden Parteien keine Berührungsangst mehr gibt, zeigt sich schon daran, dass ein schwarzgrünes Bündnis in Hessen relativ geräuschlos und ohne große Turbulenzen regiert. Dabei ist der hessische CDU-Landesverband besonders rechtslastig. Die Weichen für den Rechtskurs wurden schon unter dem Deutschnationalen Alfred Dregger gelegt und unter Roland Koch nahtlos fortgesetzt.

Das veranlasste den liberalen Publizisten Michel Friedmann zum Austritt aus der hessischen CDU[2]. Dass sich dort politisch etwas geändert hat, zeigt sich erst jetzt wieder, wo die CDU den Rechtsaußen Hans Jürgen Irmer[3], der eher zum rechten Flügel der AfD passen würde, in den Bundestag schicken will[4]. Und selbst mit diesem rechten CDU-Landesverband klappt eine Koalition mit den Grünen ohne größere Probleme. Das ist auch ein Signal dafür, dass die Grünen überall mit der Union koalieren können.

Streit in der liberalen Familie

Mit der FDP ist es oft etwas schwerer, was aber nicht an unüberwindlichen politischen Differenzen liegt, sondern an geschmäcklerischen Kulturkämpfe innerhalb der Liberalen in Deutschland, die sich mit den Grünen und der FDP in zwei Parteien organisiert. Gerade, weil Grüne und FDP aus dem gleichen bürgerlichen Milieu kommen, werden die feinen vor allem kulturalistischen Unterschiede von beiden Parteien besonders herausgestellt, was eine Kooperation schwieriger macht.

Dazu trägt natürlich auch bei, dass man durchaus im gleichen Milieu um Stimmen ringt. Jenseits dieser Kämpfe um Distinktion kann man heute einen Haushaltspolitiker der CDU kaum von einem der FDP unterscheiden. Dabei dürfen aber die kulturalistischen Kämpfe zwischen den Liberalen, die unter der grünen oder blauen Fahne in den Wahlkampf ziehen, nicht unterschätzt werden. Wenn eine Jamaika-Koalition im Norden scheitert, dann daran.

Was aber eher für diese Farbkonstellation spricht, ist das politische Interesse bei der Union und den Grünen. Die CDU hat bei fast allen Landtagswahlen der letzten Jahre Avancen an die Grünen gemacht. Die Partei will sich damit einfach eine weitere Machtoption jenseits der großen Koalition mit der SPD sichern. Noch ist die AfD nicht in einem Zustand, in dem die Union offen mit ihr kooperieren könnte. Das dürfte noch einige Jahre dauern. Daher ist es für die Union ein strategisches Ziel, ihr Verhältnis zu den Grünen zu verbessern.

Auf Abstand zur Sozialdemokratie

Bei denen stößt sie dabei auf offene Ohren. Denn die Spitze der Grünen versucht schon lange, zur SPD auf Abstand zu gehen. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Grünen nur mit der SPD koalieren können. Die Zahl der Publizisten und Politikberater aus dem grünen Milieu[5] wächst, die in schwarz-grün ein Zukunftsmodell für den in diesen Kreisen so hochgepriesenen sozialökologischen Umbau sehen. Mit der knappen Wahl des Spitzenduos vom konservativen Parteiflügel sind solche Pläne realistischer geworden.

Mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt sind zwei Personen gewählt worden, die beide ein Bündnis mit der Union als eine Option sehen. Ihre Wahl wurde auch als Signal gesehen, dass ein schwarz-grünes Bündnis auch bundesweit mehr Chancen denn je hätte, wenn es die Wahlergebnisse erlauben.

Für einige Wochen geriet dieses Konzept in die Krise, als sich die SPD mit ihren neuen Vorsitzenden Schulz als Regierungsalternative zur Merkel-CDU in Stellung brachte. Verschiedene Kommentatoren sprachen schon vom Pech der Grünen, die auf ein Bündnis mit der Union hinarbeiteten, während Schulz sich anschickte, der SPD neues Selbstvertrauen einzuhauchen. Nur ist von diesem vielzitierten Schulz-Effekt bei den letzten Landtagswahlen wenig zu spüren gewesen und so könnten sich die Grünen wieder ihrem alten Konzept zuwenden.

Der bei der Wahl des Spitzenduos knapp unterlegene Robert Habeck[6] könnte nun in Schleswig-Holstein dieses Bündnis realisieren. Inhaltliche Differenzen dürften dabei keine Hürde stellen. Die Union muss fürchten, dass ihr mancher Grüner Konkurrenz machen könnte, beim Wettbewerb „Das wird man doch noch sagen dürfen.“

Der wegen populistischer Stimmungsmache schon mal bei Facebook gesperrte[7] Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer[8] sorgt im eigenen Milieu für Irritationen, seit er so postet, wie man sonst eher von der AfD erwartet hat[9]. Nun will er auch noch das Parteitag der Grünen die Flüchtlingspolitik kompatibel für Konservative machen[10]. Da muss die Union eher fürchten, dass ihr ein Grüner zu ähnlich wird.

Was ist sozialliberal?

Die Palmers und Habecks bei den Grünen lassen sich nicht in irgendwelche politischen Koordinatensysteme einordnen. Sie können sich ökosozial oder sozialliberal nennen. Diese Begriffe haben keine inhaltliche Relevanz. Es soll nur irgendwie modern klingen. Gerade nach der Wahl von Macron in Frankreich erlebt plötzlich das Adjektiv „sozialliberal“, das in Deutschland während der SPD-FDP-Regierungen Konjunktur hatte, wieder ein Comeback.

Der Begriff ist eine Hülle ohne Inhalt und soll Macron[11] vom Vorwurf des Wirtschaftsliberalismus freisprechen. Gerade in einer Zeit, wo sich der lange Zeit in der Versenkung verschwundene Peter Hartz wieder zu Wort meldet[12] will man mit Begriffen Ideologie transformieren.

Mag der Begriff also ohne Inhalt sein, so ist er dennoch wirkmächtig. Unter das Label „sozialiberal“ könnten sich die Macron-Unterstützer von Cohn-Bendit bis Valls stellen und so eine neue Bewegung aus dem Boden stampfen, die keine Inhalte hat, was niemanden stört. Schließlich geht es ja nur darum, die Parlamentswahlen in Frankreich zu gewinnen.

Dass damit das was von der Sozialdemokratie noch übrig geblieben ist, entsorgt werden soll[13] ist offensichtlich aber nicht zu bedauern. Da zeigt sich, dass es vom Kandidaten der Linken, Mélenchon, richtig war, sich nicht mit einer toten Sozialdemokratie zu verbinden. So besteht noch die Chance, eine neue Linke aufzubauen und nicht den Rechtspopulisten die Oppositionsrolle zu überlassen.

Peter Nowak
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[1] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/hessen/andrea-ypsilanti-von-der-spitze-auf-die-hintere-bank-14961112.html
[2] http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-84375.html
[3] https://hessischer-landtag.de/content/hans-j%C3%BCrgen-irmer
[4] http://www.queer.de/detail.php?article_id=28476
[5] http://www.taz.de/!5383909/
[6] http://www.robert-habeck.de/
[7] http://www.stern.de/politik/deutschland/boris-palmer–facebook-sperrt-den-politiker-wegen-mohrenkopf-7223452.html
[8] http://www.borispalmer.de/
[9] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.tuebingens-ob-zu-schwarzfahrern-boris-palmer-sorgt-erneut-fuer-kontroverse.c0865a42-0615-462d-b819-bc37a846a1f4.html
[10] https://www.welt.de/politik/bundestagswahl/article164263719/Gruenen-Politiker-Palmer-Offene-Grenzen-sind-keine-Option.html
[11] http://www.focus.de/politik/ausland/emmanuel-macron-der-parteilose-sozialliberale-will-an-frankreichs-spitze_id_6987903.html
[12] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/konzept-gegen-arbeitslosigkeit-wenn-peter-hartz-koennte-wie-er-wollte/19776708.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Paris-und-Kiel-Die-Sozialdemokratie-endgueltig-auf-dem-Abstellgleis-3706593.html

FDP als Chaostruppe

Mit der Jamaica-Koalition ist es im Saarland nun Schluss

Schlechter hätte für die FDP das Timing gar nicht ausfallen können. Da wird seit Wochen das Dreikönigstreffen der Partei mit der Erwartung befrachtet, dass es die Wende zum Besseren bringen muss. Dann kommt am Vorabend die Meldung, dass die Liberalen in Form der FDP mittlerweile bei Umfragen bei bundesweit 2 % liegen. Und dann scheitert noch die saarländische Landesregierung, weil die dortige FDP sich als reine Chaostruppe diskreditiert hat.

Dabei ist das westliche Bundesland wahrlich nicht der Nabel der deutschen Politik. Eine dortige Regierungskrise hat nicht mehr oder weniger Auswirkungen, als wenn es in den Stadtstaaten Bremen oder Hamburg kriselt. Was die saarländische Krise für die FDP dennoch so unangenehm macht, ist neben dem Termin vor allem die Art, wie sich die Partei dort selber zerlegt hat.

Der Höhepunkt dieser parteiinternen Zerstörungslust bestand darin, dass der Vorsitzende der Saar-FDP Christian Schmitt im Dezember 2011 gleich in die CDU-Fraktion übergetreten ist. Als dann mit Ach und Krach mit Christoph Kühn ein neuer Kandidat zur Verfügung stand, wurde der von seinen „Parteifreunden“ mittels einer Debatte über seine Fahrzeugsteuer gleich wieder demontiert.

„Ich nutze ein Auto der FDP-Landtagsfraktion, das diese bei dem Hersteller BMW geleast hat. Dieser Wagen ist ein BMW X3. Bei diesem Auto handelt es sich nach Aussage meines Steuerberaters – und diese Aussage liegt mir auch schriftlich vor – um keinen Dienstwagen“, verteidigte sich Kühn in einer persönlichen Erklärung gegen seine parteiinternen Kritiker. In dieser Erklärung wird die ganze Banalität der Auseinandersetzung deutlich. Statt Streit um politische Programme und Ziele ging es um Mobbing und Intrigen.

FDP-NPD-Monopoly

Die Entwicklung kommt keineswegs überraschend. Schon im Juli wurde deutlich, wie tief die Gräben bei den saarländischen Liberalen sind. Der als Rechtsausleger bekannte Kreisvorsitzende des Saarpfalzkreises musste zurücktreten, nachdem sein Monopolyspiel mit einen NPD-Aktivisten bekannt wurde. Schnell wurde die Vermutung geäußert, dass er von „Parteifreunden“ bewusst in diese kompromittierende Situation gebracht wurde. Schon damals fragte man sich bei der CDU, wie lange man mit der liberalen Chaostruppe noch regieren kann. Seit heute ist die Frage beantwortet.

„Die nunmehr seit Monaten anhaltenden Zerwürfnisse innerhalb der FDP Saar stellen dieses notwendige Fundament aus Vertrauen, Stabilität und Berechenbarkeit in einem Maße in Frage, das aus Sicht der CDU Saar nicht mehr länger hinnehmbar ist“, erklärte die zurückgetretene saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Die FDP-Landtagsfraktion, aber auch der Landesverband der FDP Saar befinden sich im Zustand der Zerrüttung. Hinzu kommen die bekannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Umfeld der FDP sowie weitere personelle Unwägbarkeiten und Risiken. Eine nachhaltige Befriedung und eine Rückkehr der FDP Saar zu geordneten Verhältnissen ist aus meiner Sicht in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten. Damit ist auch eine stabile, verlässliche und vor allem sachorientierte Regierungsarbeit in dieser Konstellation nicht mehr voll umfänglich gewährleistet.“

Kramp-Karrenbauer hat bereits der SPD das Angebot einer großen Koalition gemacht. Die aber war vor den letzten Landtagswahlen zu einer Koalition mit der Linkspartei unter Oskar Lafontaine bereit.

Auch Saar-Grüne gehören zu den Verlierern

Diese Kooperation scheiterte schließlich an den Grünen, die es an innerparteilichen Intrigieren und Zerstrittenheit durchaus mit der FDP aufnehmen können. Allerdings hat der dortige Vorsitzende Hubert Ulrich, der von dem grünen Urgestein Daniel Cohn Bendit als „Mafiosi“ bezeichnet worden war, die Partei besser im Griff. Nach nie widerlegten Medienberichten hat Ulrich die FDP-Grünen-Connection durch berufliche und private Beziehungen zu führenden FDPlern kräftig befördert. Ulrich ließ sich und die Parteibasis seine Kooperation mit den Konservativen mit politischen Konzessionen versüßen.

So sind neben der FDP nun auch die Grünen die Verlierer des Koalitionsbruches. Kommt es zur großen Koalition werden sie in der Opposition neben der im Saarland verankerten Linkspartei kaum auffallen. Kommt es aber zu Neuwahlen, falls die SPD nicht zu einer großen Koalition bereit ist, dürften beide liberalen Formationen aus dem Landtag fliegen.
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Peter Nowak