Seit 30 Jahren gibt es Kritik an Günter Wallraff, doch eine eingeschworene Fangemeinde wehrt alle Angriffe ab
Der Kölner Enthüllungsjournalist und Buchautor Günter Wallraff ist seit Jahrzehnten immer wieder in den Medien und bisher machte er nie den Eindruck, als werde er die Publicity nicht genießen. Doch die Pressemeldungen der letzten Tage werden Wallraff gar nicht gefallen. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Sie wirft ihm unter anderem Steuerbetrug und Urkundenfälschung vor.
Ein ehemaliger Mitarbeiter hatte sich selbst angezeigt und damit die Ermittlungen ausgelöst. Er soll als eine Art Privatsekretär Wallraffs fungiert und auch in seinem Haus gewohnt haben. Nachdem er sich mit seinem Freund und Arbeitgeber überworfen hat, sinnt er auf Rache. Über die Stichhaltigkeit der Beschuldigungen kann zur Zeit kein Urteil abgegeben werden. Dass aber der gekränkte Mitarbeiter Kontakt mit einer Großbäckerei aufgenommen hat, mit der Wallraff wegen seiner Enthüllungen über die Arbeitsbedingungen im politischen und juristischen Clinch liegt, spricht zumindest dafür, dass es längst nicht mehr nur um eine Einzelaktion geht. Wie immer, wenn sehr persönliche Beziehungen in die Brüche gehen, wird hinterher besonders viel schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit ausgebreitet. Dass sind eigentlich Stoffe, mit denen die Regenbogenpresse und auch das Boulevard ihre Seiten füllen.
Wenn „gute Menschen“ einander gram sind
Doch im Fall Wallraff wurde die Meldung über die Ermittlungen schnell zum Politikum. Schließlich gilt der Publizist bei manchen seiner Anhänger als guter Mensch von Köln und jede Ermittlung und jeder kritische Artikel kann dann nur dazu dienen, dieses Denkmal anzukratzen. Die Ermittlungen gegen Wallraff hat nun in der Süddeutschen Zeitung Hans Leyendecker bekannt gemacht, der in bestimmten Kreisen als Doyen des Enthüllungsjournalismus gilt und ebenfalls Denkmalstatus genießt. Er beschränkte sich nicht darauf, die Ermittlungen gegen seinen Kölner Kollegen zu vermelden, sondern konnte sich Anmerkungen zu dessen Biographie und moralischen Anspruch nicht verkneifen.
Doch manche Wallraff-Freunde sahen in den Leyendecker-Artikel eine Art Denkmalsbeschmutzung und holten zum Gegenschlag aus. Unter der Überschrift „Der Niedermacher“ knöpft sich Wallraffs Freund und Kollege Jürgen Roth Leyendecker vor, dem er vorwirft, auf Kosten eines Kollegen „das Image des Moralapostels zu pflegen“. Dabei ist die Causa Wallraff nur der Aufhänger. Mehr als die Hälfte des Artikels handelt von tatsächlichen oder vermeintlichen Verfehlungen in Leyendeckers journalistischer Laufbahn.
Interessant ist aber, dass Roth offen bekundet, dass es ihm egal ist, ob die Vorwürfe gegen Wallraff stimmen oder nicht. Vielmehr wendet er sich gegen „die gnadenlose Vorverurteilung eines Kollegen, der im Gegensatz zu seinen Kritikern eine politische Gradlinigkeit gezeigt hat, die heute leider nur noch bei wenigen Journalisten zu finden ist“. Hier vermischt Roth juristische Fragen und persönliche Sympathien. Der Artikel versucht krampfhaft, das Image des guten Menschen von Köln zu retten, das schon lange vor den jüngsten Ermittlungen angekratzt war.
Ein gutes Beispiel ist der Versuch Wallraffs, in dem Film „Schwarz auf Weiss“ als Somalier in Deutschland rassistische Diskriminierung aufzuspüren und dabei nach Meinung von Kritikern selber rassistische Stereotype zu verbreiten.
„Mann mit einem Doppelgesicht“
Schon 1987 nannten Levent Sinirlioglu und Taner Aday Wallraff, der damals mit dem Bestseller „Ganz unten“ auf Lesereise war, einen „Mann mit einem Doppelgesicht“, der in der Öffentlichkeit das Bild des selbstlosen Philanthropen pflege, während er im Kreis seiner Getreuen als ein auf seinen Erfolg bedachter Kapitalist agiere. Ebenfalls seit 25 Jahren ist bekannt, dass Wallraff neben dem Glaubwürdigkeits- vor allem ein Schreibproblem hat.
1987 enthüllte Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, dass er den Wallraff-Bestseller Der Mann, der bei Bild Hans Esser war verfasst hat. Gremliza vergab dem von ihn gestifteten Karl-Kraus-Preis an Wallraff, mit der Auflage, künftig keine Schreibversuche mehr zu unternehmen.
Wallraffs Fanclub sprach von „Schlägen unter die Gürtellinie“ und „der Vernichtung seiner schriftstellerischen Existenz“. Fast mit der gleichen Wortwahl verteidigt Roth den guten Menschen von Köln im Jahr 2012.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152582
Peter Nowak