Deutsch gegen Deutschland

Burkhart List erinnert an die »Affäre Deutsch« und einen der größten Raubkunstskandale der Nachkriegszeit

Wenn sich Deutschland heute als Weltmeister bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen feiern lässt, wird häufig vergessen, dass in Westdeutschland bis in die 1980er Jahre hinein die NS-Opfer und ihre Unterstützer bekämpft und verleumdet worden sind. Wie die wieder in Amt und Würden gelangte ehemalige NS-Beamtenschaft dabei vorging, zeigt die Kampagne gegen den Rechtsanwalt Hans Deutsch.
Der 1906 in Wien Geborene schaffte es, nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich rechtzeitig zu fliehen, seine jüdischen Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Nach der Befreiung kehrte Deutsch aus Tel Aviv nach Wien zurück, wo er in der Presse alsbald »Mister Wiedergutmachung« genannt wurde. Der Rechtsanwalt kämpfte um finanzielle Kompensationen für die von den Nazis beraubten Jüdinnen und Juden. Dabei ging es um wertvolle Möbel und Kunstwerke, um Teppiche und Porzellan, die aus den Häusern jüdischer Familien in Deutschland und dann in sämtlichen von der Wehrmacht besetzten Länder verschleppt worden sind. Mit einer israelischen Vollmacht reichte Deutsch die ersten Sammelklagen der Opfer ein. Profiteure des Raubes an jüdischem Eigentum erachteten ihn natürlich als einen Feind, der zur Strecke gebracht werden müsse. Wie Bürokraten, Politiker und auch manche Medien ihn attackierten, ist ein wahrer Politkrimi, den der Publizist Burkhart List nunmehr spannend und kenntnisreich unter die Leser bringt. 1964 wurde Deutsch unter dem Vorwurf verhaftet, er habe Beweismaterial über die ungarische Kunstsammlung Hatvany gefälscht. Die Bilder seien nicht von der SS, sondern von der Roten Armee geraubt worden, so die Anklage. Deutsch wurde des Betrugs beschuldigt, weil er von der BRD hierfür Entschädigung einklagte. List befasst sich akribisch mit den Gegenspielern von Deutsch, nennt deren NSDAP-Mitgliedsnummern und Nachkriegskarrieren. Beispielsweise der ehemalige SS-Untersturmbannführer und spätere Präsident des Bundeskriminalamt Paul Dickopf sowie der Beamte im Bundesfinanzministerium, Feaux de le Croix. Deutsch saß 18 Monaten in Untersuchungshaft, der Prozess führte erst nach neun Jahren zu einem Freispruch. Deutsch stritt bis zum Lebensende um seine Rehabilitation. Unterstützt wurde er von einem kleinen Freundeskreis, der wie List betont, vor allem in Frankreich aktiv war. In Deutschland kannte kaum jemand den Mann, der bis zu seinem Tod im Jahr 2002 die »deutsche Unverschämtheit« anklagte, »die Mörder meines Volkes gegen mich aufmarschieren zu lassen«. Sein Sohn setzte den Kampf um Gerechtigkeit fort. Mit dem 2005 erstellten Film »Deutsch gegen Deutschland« wurde ein Anfang gemacht. Und mit seinem Buch unterstützt List, der über viele Jahre die »Affäre Deutsch« publizistisch u. a. für die »Süddeutsche Zeitung« begleitete, diesen Kampf.

• Burkhart List: Die Affäre Deutsch. Braune Netzwerke hinter dem größten Raubkunst-Skandal.
Das Neue Berlin, 496 S., br., 29 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1102582.buchmesse-frankfurt-am-main-deutsch-gegen-deutschland.html

Peter Nowak