Der ANC macht eine Politik gegen die Armen


Stadtteilaktivist Jerome Ngongoma aus Durban über Selbstorganisierung in Südafrika
Jerome Ngongoma ist Vorstandsmitglied der Stadtteilinitiative »Abahlali baseMjondolo« (Bewegung der Wellblechhausbewohner) in Durban in Südafrika. Er ist an der Vorbereitung einer Armutskonferenz beteiligt. Über die soziale Lage in Südafrika sprach mit ihm Peter Nowak.

Jerome Ngongoma ist Vorstandsmitglied der Stadtteilinitiative »Abahlali baseMjondolo« (Bewegung der Wellblechhausbewohner) in Durban in Südafrika.


nd: Was ist der Schwerpunkt der Arbeit Ihrer Stadtteilinitiative?

Ngongoma: Wir bereiten zurzeit den Gipfel der Armen für Oktober vor. Dabei handelt es sich um eine Armutskonferenz, die von den betroffenen Menschen selbst organisiert wird.

Knüpft die Armutskonferenz an die regionale Weltsozialforen an, die auch in Südafrika tagten?

Nein, denn die Sozialforen waren weitgehend eine Mittelstandsveranstaltung und haben aus diesem Grunde das Leben der armen Menschen nicht verbessert. Bei der Armutskonferenz hingegen sollen die Betroffenen selbst über die Themen entscheiden, die es dort zu diskutieren gilt.

Welche Rolle spielt der Kampf um menschenwürdigen Wohnraum?
Das ist der zweite zentrale Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir unterstützen 38 Familien, die bereits 2007 zwangsgeräumt wurden. Ihre Hütten wurden für ein Wohnungsbauprojekt abgerissen. Sie leben noch immer in einem Übergangswohnheim unter unzumutbaren Bedingungen ohne Wasser und Strom. Dabei wurde ihnen von der ANC-Verwaltung versprochen, dass sie in neue Häuser ziehen können. Wir haben die Familien vor Gericht vertreten. Dort wurde ihr Recht auf ein Haus bestätigt. Dafür kämpfen wir jetzt.

Wie ist Ihr Verhältnis zum ANC?
Die meisten unserer Mitglieder haben den ANC wegen seiner Rolle im Kampf gegen die Apartheid unterstützt. Aber wir haben schnell gemerkt, dass er eine Politik gegen die Armen macht. Wir sind heute von sämtlichen Parteien unabhängig. Denn wir sind der Überzeugung, dass eine gesellschaftliche Veränderung nur durch Selbstorganisierung von unten und nicht durch Mitarbeit in den staatlichen Institutionen erreicht werden kann.

Welche Bedeutung hat das Massaker von Marikana Mitte August an den streikenden Bergarbeitern für Ihre Arbeit?
Es hat einen Aufschrei der Empörung im ganzen Land gegeben. Vergleiche mit der Repression während der Apartheid wurden gezogen. Wir waren davon nicht überrascht, weil wir seit Jahren erleben, wie die Regierung gegen die Armen vorgeht, wenn sie sich selbst organisieren und den vom ANC vorgegebenen Rahmen verlassen. Wir haben diese Gewalt selbst schon erfahren.

Wie ist man gegen Sie vorgegangen?
2009 wurden Aktivisten unserer Organisation überfallen und ihre Häuser zerstört. Es gab Tote und Verletzte. Offiziell erklärt die Regierung, sie habe mit dem Überfall nichts zu tun. Man wisse nicht, wer verantwortlich ist. Wir haben selbst recherchiert und dadurch erfahren, dass der ANC hinter dem Überfall steckt. Man wollte uns einschüchtern und unsere Arbeit erschweren. Vor dem Überfall hatten wir 10 000, danach knapp 5000 aktive Mitglieder. Viele Menschen hatten Angst und haben sich aus der Stadtteilarbeit zurückgezogen. In letzter Zeit beteiligen sich viele von ihnen wieder an unseren Aktionen.

Immer wieder machten in Südafrika auch rassistische Überfälle auf Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern Schlagzeilen. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben damals sofort erklärt, dass es sich um kriminelle Aktionen handelt. Zudem klären wir die Menschen darüber auf, dass die Migranten niemandem die Arbeitsplätze wegnehmen. Diese Aktionen fanden überall dort statt, wo es keine starke Stadtteilorganisierung gibt. In der Kennedy-Road-Siedlung, wo wir stark vertreten sind, gab es keine Überfälle

http://www.neues-deutschland.de/artikel/820822.der-anc-macht-eine-politik-gegen-die-armen.html

Interview: Peter Nowak

«Gesellschaftliche Veränderung ist nur von unten möglich»

Thembani Jerome Ngongoma ist Vorstandsmitglied der Stadtteilinitiative Abahlali baseMjondolo (Bewegung der Wellblechhäuserbewohner) in Durban in Südafrika. Der Vorwärts sprach mit ihm über die Auswirkungen der Fussball-WM, das Verhältnis zum ANC und die Streiks der BergarbeiterInnen.

In Europa waren die sozialen Bewegungen Südafrikas im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft ein größeres Thema. Was bedeutete dieser Event für Euch?
Es mag sein, dass die sozialen Bewegungen Südafrikas in dieser Zeit mehr wahrgenommen wurden, weil der Fokus der Medien auf dem Land lag. Wir aber haben die Zeit der WM nicht als Aufbruch sondern als Stillstand empfunden. Soziale Proteste waren viel schwerer zu organisieren, weil in dieser Zeit besondere Sicherheitsgesetze erlassen worden waren, die die Proteste massiv erschwert hatten. Für die sozialen Bewegungen ging es daher erst nach der WM richtig weiter.

Lag ein Grund, für die größeren Schwierigkeiten in dieser Zeit Proteste zu organisieren, nicht auch in der in weiten Kreisen der Bevölkerung geteilten Ideologie der Regenbogennation Südafrika, die es auch für das Ausland hochzuhalten galt?
Wir können nicht leugnen, dass im Vorfeld der WM eine solche Ideologie auch in großen Teilen der Bevölkerung Anklang fand. Die Menschen wollten zu einer Nation gehören und sich auch der Welt so zu präsentieren. Doch dieses Gefühl schwand schon bald. Die Menschen merkten sehr schnell, dass nicht sie sondern die Fifa bestimmt, was während der WM verkauft werden durfte. Es war für viele Menschen in Südafrika ein Schock, als sie mitbekamen, dass die Fifa und nicht die Regierung die Regeln durchsetze, und den schwarzen Menschen, die einzige Möglichkeit nahmen, an der WM zu partizipieren. Denn für die Straßenhändler gab es keine Möglichkeiten, ihre Waren zu verkaufen. Diese praktischen Erfahrungen vieler Menschen haben die offizielle Ideologie von Südafrika als der großen Regenbogennation für viele Menschen unglaubwürdig werden lassen.

Was ist momentan der Schwerpunkt Eurer Stadtteilinitiative?
Wir bereiten zurzeit den Gipfel der Armen vor. Dabei handelt es sich um eine Armutskonferenz, der von den Betroffenen Menschen selber von Anfang bis Ende organisiert wird. Daher müssen wir den Gipfel gründlich vorbereiten und auf drei Ebenen organisieren. Wir schaffen lokale Strukturen, gehen dann auf die bundesstaatliche Ebene um schließlich eine nationale Armutskonferenz für ganz Südafrika einzuberufen.

Knüpft die Armutskonferenz an das Weltsozialforum an, das auch in Südafrika tagte?
Nein, denn die Sozialforen waren weitgehend eine Mittelstandsveranstaltung und haben das Leben der armen Menschen nicht verbessert. Bei der Armutskonferenz hingegen sollen die Betroffenen selber über die Themen entscheiden, die dort besprochen werden.

Welche Rolle spielt der Kampf um menschenwürdigen Wohnraum in Ihrer Arbeit?
Das ist der zweite zentrale Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir unterstützen 38 Familien, die bereits 2007 zwangsgeräumt wurden. Ihre Hütten wurden für ein Wohnungsbauprojekt abgerissen und sie leben noch immer in einem Übergangswohnheim unter unzumutbaren Bedingungen ohne Wasser und Strom. Dabei wurde ihnen von der ANC-Verwaltung versprochen, dass sie in neue Häuser ziehen können. Wir haben die Familien vor Gericht vertreten und dort wurde ihr Recht auf ein Haus bestätigt. Dafür kämpfen wir jetzt.

Welches Verhältnis habt Ihr zum ANC?

Die meisten unserer Mitglieder haben den ANC wegen seiner Rolle im Kampf gegen die Apartheid unterstützt. Aber wir haben schnell gemerkt, dass er eine Politik gegen die Armen macht. Wir sind heute von sämtlichen Parteien unabhängig. Denn wir sind der Überzeugung, dass eine gesellschaftliche Veränderung nur durch Selbstorganisierung von unten und nicht durch Mitarbeit in den staatlichen Institutionen erreicht werden kann.

Welche Bedeutung hat das Massaker von Marikana Mitte August an den streikenden Bergarbeitern für Eure Arbeit?
Es hat einen Aufschrei der Empörung im ganzen Land gegeben. Vergleiche mit der Repression während des Apartheidregimes wurden gezogen. Wir waren darüber nicht überrascht, weil wir seit Jahren erfahren, wie die Regierung gegen die Armen vorgeht, wenn sie sich selber organisieren und dem vom ANC vorgegebenen Rahmen verlassen. Wir haben diese Gewalt selber schon erfahren.

Wie ist man gegen Euch vorgegangen?

2009 wurden Aktivisten unserer Organisation überfallen und ihre Häuser zerstört. Es gab Tote und Verletzte. Offiziell erklärt die Regierung, sie habe mit dem Überfall nichts zu tun und man wisse nicht, wer verantwortlich ist. Wir haben selber recherchiert und dadurch erfahren, dass der ANC hinter dem Überfall steckt. Er sollte uns einschüchtern und unsere Arbeit erschweren. Vor dem Überfall hatten wir 10 000 danach knapp 5000 aktive Mitglieder. Viele Menschen hatten Angst und haben sich aus der Stadtteilarbeit zurückgezogen. In letzter Zeit beteiligen sich viele von ihnen an unseren Aktionen.

In den letzten Monaten machten in Südafrika auch rassistische Überfälle auf Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern Schlagzeilen. Wie geht ihr damit um?

Wir haben damals sofort in einer Stellungnahme erklärt, dass es sich um kriminelle Aktionen handle. Zudem klären wir die Menschen darüber auf, dass die Migranten niemand die Arbeitsplätze wegnehmen. Diese Aktionen fanden überall dort statt, wo es keine starke Stadtteilorganisierung gibt. In der Kennedy-Road-Siedlung, wo wir stark vertreten sind, gab es keine Überfälle.

Interview: Peter Nowak

aus: Vorwärts/Schweiz

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