Erinnerung an einen linken Aufbruch

Ein Sammelband vermittelt einen Überblick über Lateinamerikas Bewegungen in den 60ern

Den Spuren des linken Aufbruchs in Lateinamerika in den 60er Jahren ist der lesenswerte Sammelband »Kontinent der Befreiung?« gewidmet.

1

Alljährlich erinnern Aktivisten in Mexiko an das Massaker von 1968 und ihre Drahtzieher (Präsident Díaz/Innenminister Echeverría).
Foto: AFP

Noch immer ist unklar, wie viele Menschen ums Leben kamen, als Polizei und Militär am 2. Oktober 1968 in der Hauptstadt von Mexiko die Studentenproteste blutig niederschlugen. Diese Ereignisse haben im magischen Jahr 1968 in Europa kaum Reaktionen hervorgerufen. Für viele lateinamerikanische Linke hingegen ist das Massaker noch immer ein Trauma. »Auf Schläge und Gefängnis waren wir vorbereitet. Doch auf den Tod waren wir nicht vorbereitet«, sagt die damalige Aktivistin Elisa Ramirez im Gespräch mit der Lateinamerikaspezialistin Anne Huffschmid. Die arbeitet am Berliner Lateinamerikainstitut in einer Projektgruppe, die sich den Spuren des linken Aufbruchs in Zentral- und Lateinamerika widmet.

Mit dem jüngst im Verlag Assoziation A erschienenen Buch, das Huffschmid mit einer studentischen Projektgruppe erarbeitet hat, wird diese Arbeit jetzt auch über den universitären Rahmen hinaus bekannt.

Die Themenpalette, die in dem Buch behandelt wird, ist sehr breit. Der kolumbianische Guerillapriester Camilo Torres hat ebenso seinen Platz wie der in Europa kaum bekannte radikale argentinische Gewerkschaftsaktivist Agostin José Tosco und die brasilianische Feministin Leila Diniz. Neben der politischen Entwicklung in Lateinamerika spielt auch Kultur eine große Rolle. An den Internationalen Kulturkongress in Havanna, an dem im Januar 1968 Intellektuelle aus aller Welt teilnahmen und für eine Revolutionierung der Verhältnisse eintraten, wird erinnert. Es wäre interessant zu erfahren, wie der westdeutsche Kongressteilnehmer Hans Magnus Enzensberger heute darüber denkt.

Das in Europa kaum bekannte argentinische Kunstprojekt »Tucumán brennt« hat in Lateinamerika einen großen Anteil bei der Herausbildung einer gesellschaftsverändernden Kunst gehabt. Im Rahmen dieses Projektes haben Ende 1968 Künstler und Gewerkschafter gemeinsam mit den Bewohnern der argentinischen Armutsregion Tucumán die Gründe für Verelendung der Menschen erforscht und künstlerisch aufgearbeitet.

Die Zeitspanne der in dem Buch vorgestellten Themen reicht von Anfang der 60er bis Anfang der 70er Jahre. Dabei ist die kubanische Revolution ein zentraler Bezugspunkt für die unterschiedlichen Bewegungen auf dem amerikanischen Kontinent. In vielen Ländern forderten nicht nur Studenten, sondern auch aktive Arbeiter und Mitglieder linker Parteien einen offensiveren Oppositionskurs. Der Tod Che Guevaras trägt nicht zur Niederlage, sondern eher zur Radikalisierung der Bewegung bei. Erst gewaltsame Eingriffe, wie 1968 in Mexiko oder Militärputsche in den 70er Jahren in vielen lateinamerikanischen Ländern, sorgen für ein oft blutiges Ende des linken Aufbruchs. Nicht nur in Argentinien wird davon gesprochen, dass eine ganze Generation linker Aktivisten zum Verstummen gebracht wurde. Das Buch entreißt ihre Hoffnungen und Kämpfe dem Vergessen. Zugleich wird auch an die Vorgeschichte der hiesigen 68er Bewegung erinnert. Mehrere lateinamerikanische Gesprächspartner betonen, dass der Pariser Mai 68 für sie keine große Rolle gespielt hat. »In Frankreich begann alles, weil die Jungs mit den Mädchen schlafen wollten. In Brasilien gab es einen seit 1964 dauernden Kampf gegen die Militärdiktatur«, betont Vladimir Palmeira aus Brasilien die Differenzen. Umgekehrt hat der Kampf und Tod Che Guevaras für die Entwicklung der europäischen 68er schon eine Bedeutung gehabt.

Durch zum Thema passende Fotos und die Unterteilung in überschaubare Kapitel ist das Buch sehr lesefreundlich gestaltet.

Anne Huffschmid/Markus Rauchecker (Hrsg.), »Kontinent der Befreiung? Auf Spurensuche nach 1968 in Lateinamerika«, Assoziation A, 256 Seiten, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/163251.erinnerung-an-einen-linken-aufbruch.htmlPeter Nowak

Aufregung über Anti-Kriegs-Provokation

Bundeswehrstudenten stellen Strafanzeige wegen angekündigten Sektumtrunks nach Soldatentod
Eine antimilitaristische Kampagne aus Berlin hat ihr erstes Ziel erreicht: Politik, Bundeswehr und Medien äußern öffentlich ihre Empörung.

Das Büro für Antimilitaristische Maßnahmen (BamM) und der Berliner Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner erhielten in den letzten Tagen viele Hassmails. Die Pazifisten werden dort als Vaterlandsverräter und Kakerlaken beschimpft und mit dem Tod bedroht.

Der Grund für diese Angriffe ist ein offener Brief der beiden Organisationen an die in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten. Gleich in den ersten Sätzen wird deutlich, dass die Absender den Soldaten keineswegs gewogen sind: »Sie führen Krieg in aller Welt. Das Töten unschuldiger Zivilisten ist dabei nach Meinung Ihres Vorgesetzten, des sog. Bundesverteidigungsministers, unvermeidlich. Sie setzen diese menschenverachtende Haltung um, indem Sie hin und wieder größere Menschenansammlungen bombardieren oder Ihre Bündnispartner bei solchen ›friedenserzwingenden Maßnahmen‹ unterstützen«, heißt es dort. Besonders erzürnt haben dürfte die Uniformierten der letzte Absatz, in dem sich die Kriegsgegner mit dem Ehrenmal für die getöteten Bundeswehrsoldaten in Berlin auseinandersetzen. Dort werden die Namen von umgekommenen Bundeswehrsoldaten mit einer LED-Lampe acht Sekunden lang an die Wand des Ehrenmals projiziert.

»Der ›ewige Ruhm‹ kommt bei Ihnen ganz schön kurz«, spotten die Pazifisten. »Um den Soldatentod noch ein wenig süßer zu machen als er ohnehin schon sein soll, werden wir künftig jedes Mal, wenn einer von Ihnen ›fällt‹, eine Runde Schampus schmeißen. Aus lauter Freude, direkt an Ihrem Ehrenmal.« Mittlerweile zirkulieren in Berlin Aufrufe, in denen dazu aufgerufen wird, sich an dem Tag, an dem ein Bundeswehrsoldat umkommt, um 17.30 Uhr zum Sekttrinken zu versammeln.

Die Aufregung auf diesen Brief war nicht nur bei der Springerpresse groß. Der Studentische Konvent der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, an der viele Offiziersanwärter studieren, hat Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Internetplattform bamm.de gestellt. »Wir wollen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden, es ist nicht das erste Mal, dass auf der Seite so etwas auftaucht«, erklärt ein Sprecher des Konvents. Auf der Internetplattform StudiVZ hat mittlerweile eine Nutzergruppe die Initiative »Flagge zeigen gegen bamm.de« gegründet, die sich gegen die »Verunglimpfung der Soldaten« wendet. Der Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe (SPD) spricht von einer perfiden und nicht zu überbietenden Geschmacklosigkeit.

Günther Schütz von der BamM sieht in der Aufregung den Beweis, dass »unsere Kampagne genau zum richtigen Zeitpunkt kommt und die richtige Wirkung hat«. Es gehe darum, den Soldaten auf eine drastische Art die Folgen ihrer Beteiligung am Kriegseinsatz vor Augen zu führen. Auch die angekündigten juristischen Schritte sieht der Sprecher der BamM gelassen. Bereits im November 2009 seien die Ermittlungen in einem ähnlichen Verfahren eingestellt worden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/163337.aufregung-ueber-anti-kriegs-provokation.html

Peter Nowak

Im Gespräch mit Claude Lanzmann – eine Hamburger Begegnung

Schon um 18 Uhr hatte sich am 18. Januar vor einem alten Hamburger Bunker eine lange Schlange gebildet. Die Menschen wollten allerdings nicht eine angesagte Band, sondern eine Filmvorführung mit einem anschließenden Gespräch besuchen. Viele mussten wegen Überfüllung den Rückzug antreten. Im Popclub „Übel und gefährlich“ war jeder Platz besetzt und auch um die Theken drängten sich die Menschen. Auf vier Leinwänden war der Film „Warum Israel“ zu sehen. Seit im Oktober in einem Hamburger Kino sich als propalästinensisch verstehende Linke die Aufführung dieses Films verhinderten, wurde der Film mehrere Male in Hamburg und auch in anderen deutschen Städten gezeigt. In dem 1973 entstandenen Film lässt der französische Filmemacher Claude Lanzmann unterschiedliche Bewohner Israels zu Wort kommen, die über die Probleme des Staates, aber auch den Überlebenswillen der Bevölkerung in einer weitgehend feindlichen Umgebung sprechen. Wer den Film gesehen hat, wird noch weniger verstehen können, warum ausgerechnet Linke in Deutschland die Aufführung dieses Films verhindern wollten.

Beim anschließenden Gespräch bot der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit eine Erklärung. Für ihn sei das ein Beispiel für rechtes Gedankengut unter linken Vorzeichen. Der Publizist und Herausgeber der Monatszeitung KONKRET, Hermann L. Gremliza, wollte mit seiner Teilnahme an dem Gespräch vor allem ein Zeichen gegen jene setzen, die den Film verhindern wollten. Für ihn sind das Problem dabei nicht kleine, sich als links verstehende Gruppen sondern ein Großteil der Bevölkerung. Die habe allerdings mittlerweile gelernt, bestimmte Begrifflichkeiten zu vermeiden, um Ärger aus dem Weg zu geben, so Gremliza, der in der Konkret jeden Monat Beispiele für getarnten Antisemitismus aufspürt und sprachlich seziert. Gremliza hatte einen Einwand zu dem Film. Die Palästinenser fehlen weitgehend, sowohl als Bewohner als auch die Israel bedrohenden Organisationen.

Doch der Regisseur Claude Lanzmann, der für den Publikumsandrang gesorgt hatte, betonte, dass er zu Israel keinen ausgewogenen, beiden Seiten gerecht werdenden Film machen könne. Ein entsprechendes Angebot des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Rabin musste er daher ablehnen. Zur Erläuterung berichtete Lanzmann aus seiner Biographie.

Als Schüler war er Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und organisierte in seiner Heimatstadt den Widerstand gegen die Nazis und die französischen Unterstützer. Die Gründung Israels habe bei ihm noch kein besonderes Interesse erzeugt. Damals habe er an der Freien Universität Berlin gelehrt. Noch Anfang der 50er Jahre habe er sich mehrere Wochen in der jungen DDR ohne Papiere aufgehalten und Berichte für große französische Zeitungen geliefert. Als er einige Jahre später erstmals Israel besuchte, war es ihm aus persönlichen Gründen nicht möglich, Zeitungsartikel darüber zu schreiben. Auch eine geplante Buchveröffentlichung kam nicht zum Abschluss. Mit dem Film „Warum Israel“ lieferte er schließlich 1973 sein ganz persönliches Statement zu diesem Land und seinen Widersprüchen. Es war auch das Statement eines ehemals aktiven Kommunisten, der wegen der nominalsozialistischen Praxis von seinen politischen Überzeugungen abgerückt war und durch den Besuch in Israel den Zionismus entdeckte.

Rufmord an Lanzmann

Der Applaus des Publikums weit nach Mitternacht galt dem Film und dem Lebensweg dieses Mannes. Diese Anerkennung wird ihm in großen Teilen der Öffentlichkeit verweigert. Das zeigt sich an einer unerfreulichen Debatte über eine im Herbst im Rowohlt-Verlag erscheinende Biographie „Der patagonische Hase“. Ein Autor der ZEIT unterstellte Lanzmann indirekt, die Geschichte zu fälschen. Die FAZ hingegen sprach von einem Rufmord an Lanzmann. Die Tatsache, dass Teile des deutschen Feuilletons ausgerechnet den Regisseur des Filmes Shoah in die Nähe der Geschichtsfälschung bringen, zeigte die Notwendigkeit dieser Veranstaltung und gibt auch Gremliza recht, der das Problem in der deutschen Gesellschaft und nicht in erster Linie bei kleinen linken Gruppen sieht .

Die Reaktionen auf die Filmvorführung und die Debatte waren denkbar unterschiedlich. Im Hamburger Abendblatt wurde unter der Überschrift „Zu viel Ehrfurcht vor dem Stargast“  der Angriff gegen Lanzmann fortgesetzt: „Zwei Fragen nach der Aktualität des Films und seiner künstlerischen Handschrift nutzte der aus Paris eingeflogene Regisseur zu einem 45 Minuten langen Monolog, in dem er viel aus seinem Leben erzählte und nebenbei Werbung für seine im Herbst erscheinende Autobiografie machte.“

Diese Ausführungen, aus denen die Aversion gegen Lanzmann herauszulesen ist,  sind tatsächlich eine Unverschämtheit.

Diesen Vorwurf macht der Hamburger Publizist Günther Jakob in seinen „spontanen Notizen“ aber auch den Organisatoren der Veranstaltung. Er bezeichnete sie als „ein politisches Desaster“, und eine „unverschämte Zumutung“ für Lanzmann. Dieser schlug dann auch nach einer Stunde vor, den Abend abzubrechen.  Nun könnte dieser Wunsch auch der fortgeschrittenen Zeit geschuldet sein. Es war schon nach Mitternacht und der Saal begann sich zu leeren. Außerdem hat Lanzmann deutlich gemacht, dass er keine Lust hat, über den Gaza-Streifen und die Palästinenser zu diskutieren. Das hatte aber auch Hermann L. Gremliza nicht im Sinn, als er seine Frage stellte. Er betonte ausdrücklich, dass er auch die palästinensischen Organisationen, die Israel bedrohen, in dem Film vermisst.

Peter Nowak

lanzmann-israel-linke