Die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung fürchtet den Abbau der Demokratie durch den Fiskalpakt
Die Kritik an den europäischen Krisenlösungsstrategien nimmt auch in Deutschland zu. Unter dem Motto Demokratie statt Fiskalpakt haben über 120 linke Wissenschaftler aus dem Umfeld der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung einen Aufruf veröffentlicht, der das Sparmodell einer vernichtenden Kritik unterzieht.
Die Autoren warnen vor einer Schockstrategie, die zu einem Abbau der Demokratie und der Verelendung von vielen Menschen in der europäischen Peripherie warnt. In dem Aufruf heißt es:
„Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik.“
Die Verfasser ziehen in diesem Zusammenhang eine große Linie: von der blutigen Durchsetzung der neoliberalen Politik in Chile nach dem Putsch gegen die demokratisch gewählte Allende-Regierung 1973 über die mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung verbundenen Transformationsprozesse in Osteuropa bis zu den aktuellen Sparprogrammen für die europäische Peripherie. Dabei setzen die Wissenschaftler ihren Schwerpunkt auf die Kritik an den mit dem Krisenprogramm verbundenen Abbau der Demokratie. So seien in Griechenland und in Italien nicht-gewählte Technokratenregierungen an die Macht gekommen, die gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung die Krisenprogramme umsetzen würden.
Dieser Befund wird auch von Gewerkschaftern aus verschiedenen europäischen Ländern bestätigt. So werden im Rahmen des Krisenprogramms in Griechenland, Italien und Spanien massiv Gewerkschaftsrechte eingeschränkt.
Herausbildung einer Opposition auch in Deutschland?
Der Aufruf der Wissenschaftler hat nach der Veröffentlichung in der taz schon zu Diskussionen in verschiedenen Spektren der sozialen Bewegung in Deutschland geführt. Der Appell könnte zur Herausbildung einer wahrnehmbaren Opposition auch in Deutschland beitragen. Schließlich wird in dem Aufruf auch zu den Krisenprotesten am 31. März, den Global Day of Action am 12. Mai und der internationalen Mobilisierung in Frankfurt am Main vom 17. bis 19. Mai aufgerufen. Damit kommt erstmals auch aus der Zivilgesellschaft und dem linken Wissenschaftsmilieu Unterstützung für das Anliegen. Jetzt wird sich zeigen, ob auch in Gewerkschaftskreisen ein ähnlicher Aufruf verfasst wird. Schon länger wird auch dort diskutiert, die Kritik an der Sparpolitik öffentlich zu machen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151624
Peter Nowak
Der Prozess um die Umstände des Todes des in einer Dessauer Polizeizelle unter ungeklärten Umständen verbrannten Flüchtlings geht weiter
Der Mann aus Sierra Leone war am 7.Januar 2005 von der Polizei festgenommen, durchsucht und in eine Arrestzelle verfrachtet worden. Wenige Stunden später verbrannte er dort. Die Staatsanwaltschaft hat die von der Richterin in die Diskussion gebrachte Einstellung des Verfahrens abgelehnt.
Dazu beigetragen haben dürfte die Empörung, die von Menschenrechtsinitiativen und Flüchtlingsgruppen laut wurde, als der Einstellungsantrag bekannt wurde. Schließlich haben diese über Jahre dafür gekämpft, dass es überhaupt zum Versuch der juristischen Aufarbeitung der Todesumstände gekommen ist. Dabei musste nach Angaben der Menschenrechtler um jedes Detail gerungen werden. So sollte anfangs die Mutter von Oury Yalloh nicht als Nebenklägerin zugelassen werden, weil die Geburtsurkunden in Sierra Leone nicht den bürokratischen Kriterien in Deutschland entsprachen.
Wenn das Verfahren nun eingestellt worden wäre, weil mit einer endgültigen Klärung nicht mehr rechnen ist hätten sich die Befürchtungen der Menschenrechtsgruppen bestätigt, die schon lange den Verdacht äußerten, dass die Bereitschaft, die Hintergründe des Verbrennungstodes aufzuklären, nicht vorhanden ist. Dabei sind die Unklarheiten, die in den letzten Jahren vor allen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Anwälten bekannt gemacht worden, groß.
Wie nach einer gründlichen Durchsuchung das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte, gehört ebenso dazu, wie die Frage, wie ein gefesselter Mann eine feuerfeste Matratze selber entzündet haben kann. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen in dem Verfahren auch das Umfeld der Dessauer Polizeiwache ausleuchten, wo vor Oury Yalloh ein Obdachloser unter ähnlich ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Wie im Fortgang des Verfahrens allerdings die offenen Fragen noch geklärt werden können, wenn die Richterin eigentlich mit ihren Einstellungsbegehren schon eingestand, dass die Grenzen der rechtsstaatlichen Ermittlungen erreicht seien, bleibt offen.
Ein Film weist schlampige Ermittlungen nach
Zurück bleibt vor allem bei Flüchtlingsorganisationen der Verdacht, dass in Deutschland die Justiz zurückhaltender ermittelt, wenn die Opfer einen Migrantenhintergrund haben. Dieser Verdacht wird nicht nur im Todesfall Oury Yalloh laut. So wurde kürzlich auch das Verfahren zum Tod der im letzten Sommer in einen Jobcenter in Frankfurt/Main von einer Polizeikugel getroffene Christy Schwundeck eingestellt. Auch bei ihr ist es Freunden und Unterstützern mit einem juristischen Verfahren weniger um eine Bestrafung gegangen, sondern um eine Aufklärung über die Hintergründe ihres Todes.
In der nächsten Zeit dürfte die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Todes der rumänischen Arbeitsmigranten Grigore Velcu und Eudache Caldera für Diskussionen sorgen. Die beiden wurden am 29.Juni 1992 angeblich von Jägern auf einem Feld in Mecklenburg Vorpommern erschossen, als sie nach dem Grenzübertritt auf einen Transfer nach Deutschland warteten. Die beiden Jäger, die für die Schüsse verantwortlich waren, wurden freigesprochen. Augenzeugen der Tat wurden nicht gehört, zahlreiche offensichtliche Widersprüche blieben ungeklärt und selbst die den Angehörigen der Getöteten bei einem Jagdunfall zustehende Entschädigung wurde nicht ausgezahlt.
Dass dieser Fall nach fast 20 Jahren wieder diskutiert wird, ist dem Filmemacher Philip Scheffner zu verdanken, der den ungeklärten Fragen dieses Todes im Getreidefeld in dem schon auf der Berlinale vielbeachteten Film Revision nach recherchierte. Er hat damit die Arbeit gemacht, die die Justizbehörden versäumten. Er besuchte die Angehörigen der Toten in Rumänien und spürte auch einen Augenzeugen auf, der mit Velcu und Caldera im Kornfeld wartete, als die tödlichen Schüsse fielen. Als der Prozess begann, war er schon längst wieder abgeschoben worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151588
Peter Nowak
Ein Bündnis will in Berlin die Rekommunalisierung der Energieversorgung und die Gründung von berlineigenen Stadtwerken erreichen
„Neue Energie für Berlin – demokratisch – ökologisch sozial“. Das Transparent erinnert unangenehm an die Wahlwerbung politischer Parteien. Damit soll allerdings für ein Volksbegehren geworben werden, das am vergangenen Dienstag begonnen hat. Der Berliner Energietisch, ein Bündnis von Umweltgruppen, Nichtregierungsorganisationen und linken Organisationen will die Rekommunalisierung der Energieversorgung und die Gründung von berlineigenen Stadtwerken erreichen.
Den Hebel, um die Stromversorgung von Berlin auf eine neue Grundlage zu stellen, sieht Stefan Taschner , der Sprecher des Energiertisches, im Auslaufen der Verträge des Landes Berlin mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall Ende 2014.
In den nächsten Monaten kommt allerdings auf die Aktivisten erst einmal viel Arbeit zu. Bis zur Sommerpause will das Bündnis ca. 20.000 Unterschriften wahlberechtigter Berliner sammeln, um das Volksbegehren einleiten zu können. In der zweiten Phase müssen bis Mitte nächsten Jahres ca. 170.000 Unterschriften zusammen kommen, damit über den vom Energietisch ausgearbeiteten Gesetzesentwurf abgestimmt werden kann. Läuft alles nach Plan, könnte diese Abstimmung mit der Bundestagswahl im Herbst 2013 zusammengelegt werden, so die Vertreter des Energietisches.
Die Aussichten für die Aktivisten sind eigentlich gut. Schließlich hat der Berliner Wassertisch vor einem Jahr erfolgreich ein Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserverträge durchgeführt. Während damals die Berliner Linkspartei als Teil der Berliner Regierungskoalition das Volksbegehren mehrheitlich nicht unterstützte, will sie als Oppositionspartei jetzt aktiv zum Gelingen der Rekommunalisierung der Energieversorgung beitragen.
Die Diskussionen beim Berliner Wassertisch machen allerdings auch die Schwierigkeiten deutlich, mittels Volksbegehren grundlegende politische Veränderungen durchzusetzen. Denn die zur Abstimmung gestellten Gesetzesentwürfe müssen von Juristen bis auf das Komma formuliert werden, damit sie zugelassen werden können. Jetzt fordert ein Teil der Aktivisten die Einleitung eines Organstreitverfahrens, das die Nichtigkeit der Wasserverträge wegen zahlreicher Verstöße gegen die Berliner Verfassung und das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses zur Folge haben könnte. Dieses Verfahren muss allerdings von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses eingeleitet werden. Ein weiteres Volksbegehren mit diesen Forderungen ist rechtlich nicht möglich. Noch hat keine der drei Oppositionsfraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus die Initiative für das Verfahren ergriffen.
Direkte Demokratie mit Hindernissen
Wie schwierig es ist, mittels Volksbegehren grundlegende politische Änderungen einzuleiten, zeigt sich auch an dem Volksbegehren des Berliner S-Bahntisches, für das in der ersten Phase ca. 30.000 Berliner Wahlberechtigte unterschrieben haben. Jetzt liegt es allerdings auf Eis, weil der Senat an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesentwurfes zweifelt und eine Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof angeordnet hat.
Weil die Neuausschreibung der Berliner S-Bahnlinien in diesem Sommer beginnen sollen, fürchten die Aktivisten, dass durch die Verzögerungstaktik vollendete politische Tatsachen geschaffen werden. Jedenfalls schützen diese Probleme vor der Illusion, man könnte mittels Volksbegehren einfach die Privatisierungspolitik umkehren. Deshalb sehen auch Gruppen wie fels, die Teil des Energietisches sind, den Hauptzweck der Initiative in der Herstellung eines politischen Klimas, das die Politik der großen Energiekonzerne wie Vattenfall insgesamt infrage stellen soll. „Die Erzeugung, der Vertrieb und der Zugang von Energie sind Teil der sozialen Infrastruktur der Berliner und diese sollen daher nicht als Ware ge- und verhandelt werden“, erklärt ein Sprecher von fels.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151567
Peter Nowak
Die beiden anderen Kandidaten, die ins Spiel gebracht wurden, hatten verzichtet
Die Linkspartei hat am Montag Beate Klarsfeld zur Präsidentschaftskandidatin nominiert. Damit ist ihr eigentlich ein politischer Coup gelungen. Denn Klarsfeld ist dadurch bekannt geworden, dass sie 1968 den damaligen CDU-Bundeskanzler Georg Kiesinger wegen dessen NS-Vergangenheit öffentlich geohrfeigt hat.
Während linke und liberale Kreise Klarsfeld für ihr Engagement lobten, wurde sie in konservativen Kreisen zur Buhfrau. Zumal sie auch in den folgenden Jahrzehnten mit ihrer Arbeit dafür sorgte, dass berüchtigte NS-Täter, die unbehelligt in Deutschland lebten, gerichtlich belangt werden konnten. In Deutschland wurde dieses Engagement zur privaten Angelegenheit von Klarsfeld erklärt, wo sie auch mit dem Begriff Nazijägerin belegt wurde. Bei diesen Formulierungen schwingen auch offen Ressentiments gegen eine Frau mit, für die die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit keine Angelegenheit von Sonntagsreden ist. In Frankreich hingegen genießt Klarsfeld quer durch alle politischen Lager Ansehen und wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht.
Bis in die jüngste Vergangenheit engagierte sich Klarsfeld gegen den Rassismus in Deutschland und beispielsweise für die Ehrung von jüdischen Kindern, die mit der deutschen Bahn in die Vernichtungslager transportiert wurden.
Streit um die Israelsolidarität
Mit ihrer Nominierung hat die Linkspartei gerade noch einmal eine Zerreißprobe vermieden. Denn am vergangenen Freitag war es gar nicht mehr so sicher, ob Klarsfeld, die von der Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch ins Gespräch gebracht worden war und sich zur Kandidatur bereit erklärt hatte, in der Partei akzeptiert wird. Dass antizionistische Flaggschiff junge Welt bezeichnete die Kandidatin als eine Fehlbesetzung, weil sich Klarsfeld für das Existenzrecht Israel ausgesprochen und auch den Aufruf Stop the Bomb unterzeichnet hat, in dem die europäischen Staaten zur Kappung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem iranischen Mullah-Regime aufgefordert werden. Damit könne, so hoffen die Organisatoren aus allen politischen Lagern, eine atomare Bewaffnung des Irans ohne kriegerisches Eingreifen verhindert werden.
Schnell wurde kolportiert, dass der immer noch einflussreiche Oskar Lafontaine mit dem linkssozialdemokratischen Kölner Politologen Christoph Butterwegge, der sich als Kritiker der neoliberalen Wirtschaftspolitik und vor allem der Hartz-IV-Gesetze einen Namen gemacht hatte, einen weiteren Kandidaten für die symbolische Präsidentschaftskandidatur ins Gespräch brachte. Als der am Sonntag aber erklärte, er stehe für innerlinke Machtspiele nicht bereit, und seine Bereitschaft zur Kandidatur zurückzog, war der Weg für Klarsfeld frei. Denn die Bundestagsabgeordnete der Linken Luc Joachimsen, die bei der letzten Präsidentenwahl für ihre Partei kandidiert hatte, machte schon vor Tagen deutlich, dass sie eigentlich eher für einen Boykott der Wahlen eingetreten ist.
Zwischenzeitlich hatten Teile der Linkspartei mit der Kandidatur des von der Piratenpartei ins Gespräch gebrachten Kabarettisten Georg Schramm geliebäugelt, der allerdings bald auf eine Kandidatur verzichtete. Auch gegen ihn waren Vorwürfe laut geworden, dass seine Reden nicht von antisemitischen Konnotationen frei gewesen seien.
Mit Beate Klarsfeld hat die Linke nun eine Kandidatin, der diese Vorwürfe niemand machen kann. Es muss sich zeigen, ob sie von allen Wahlmännern und -frauen der Linkspartei und vielleicht, wie sie hofft, auch noch von einigen Delegierten aus anderen politischen Spektren gewählt wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151514
Peter Nowak
Nach seiner Nominierung melden sich auch die ersten Kritiker des Rostocker Theologen zu Wort, die ein „blaues Wunder“ mit Gauck befürchten
Die Bild-Zeitung hatte mal wieder das Ohr anscheinend ganz nah am Volke. „Gebt uns Gauck“, leitartikelte das Blatt vor zwei Tagen. Nachdem die um ihr Überleben kämpfende FDP erkannt hatte, dass sie sich in dieser Frage gut profilieren konnte und sogar ein Koalitionsbruch drohte, hatte auch die Union die Zeichen der Zeit erkannt. Ist mit der Nominierung des von den Medien zum „Präsidenten der Herzen“ ernannten Pastors nun die Gauckomanie ausgebrochen? Fast scheint es so, wenn selbst der eher nüchterne Publizist Heribert Prantl von „einem Wunder namens Gauck“ schreibt.
Manche befürchten allerdings, mit Gauck eher ein „blaues Wunder“ zu erleben. Kaum wurde seine Nominierung bekannt, meldeten sich auch die Kritiker des Rostocker Theologen zu Wort. Für das Erwerbslosen Forum ist Gauck „eine unglückliche Entscheidung für Menschen in Armut“. Der Forumssprecher Martin Behrsing erinnerte an Kommentare von Gauck zu aktuellen Protestbewegungen.
„Wer Menschen, die bereits 2004 gegen die geplante Hartz-IV-Gesetzgebung demonstrierten, als töricht und geschichtsvergessen bezeichnet und die Occupy-Bewegung mit seiner Kapitalismuskritik für unsäglich albern hält, muss sich fragen lassen, ob er wirklich ein Bundespräsident für alle werden kann.“
Gauck kritisierte die Kritiker der Hartz-IV-Gesetze vor allem, weil sie sich in die Tradition der Montagsdemonstrationen in der Endphase der DDR stellen. Das sei „töricht und geschichtsvergessen“, monierte Gauck. Während es bei den Demonstrationen 1989 um fundamentalen Widerstand gegen das DDR-Regime gegangen sei, handele es sich bei den Erwerbslosenprotesten um „eine Opposition in einem demokratischen System“. Eine ähnliche Kritik an den Erwerbslosenprotesten äußerte damals auch die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die heute zum rechten Flügel der Union zählt und schon seit Wochen für eine zweite Chance für Gauck geworben hat.
Aber auch der frühere SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der wesentlich für die Etablierung der Hartz-IV-Gesetze verantwortlich war, schloss sich Gaucks Schelte der Erwerbslosenproteste an. Dass es ihm dabei nicht nur um den Bezug auf die Montagsdemonstrationen ging, machte er mit seiner Aufforderung an „die Anführer solcher Proteste“ deutlich, Alternativen zu formulieren und zu sagen, wofür sie einträten. Darin sahen viele Aktivisten der Bewegung, die sich gerade nicht auf Anführer stützte und die die Angst vor der Verarmung auf die Straße trieb, eine Parteinahme für die Agenda 2010.
Mut zur Kürzung von Sozialleistungen?
Schließlich hatte Gauck Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ausdrücklich für seinen Mut bei der Hartz-IV-Reform gelobt:
„Als Gerhard Schröder einst die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann, da ist er ein Risiko eingegangen. Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder.“
So ist es durchaus verständlich, wenn soziale Interessenverbände hellhörig werden. Auf Foren von Erwerbslosen wird Gauck daher noch heute als „Theologe der Herzlosigkeit“ bezeichnet. Die Publizistin Jutta Ditfurth nannte Gauck in einem Kommentar als „Prediger der verrohenden Mittelschicht“.
Tatsächlich könnte Gauck anders als Wulff als Präsident ein Wir-Gefühl erzeugen, das keine sozialen Interessen mehr zu kennen scheint und „aus Liebe zu Deutschland“ zu noch mehr Opfer und Verzicht mobilisiert. Wenn man einige Pressereaktionen nach seiner Nominierung liest, zeigt sich, dass solche Befürchtungen so grundlos nicht sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151465
Peter Nowak
Am 21. und 22.Januar fanden in Frankfurt am Main zwei Vorbereitungstreffen statt, um die Krisenproteste für dieses Jahr zu planen.
Bereits im letzten Jahr hatte das Ums-Ganze-Bündnis von Gruppen aus der BRD und Österreich die Initiative zu einem europäischen antikapitalistischen Aktionstag ergriffen. Mittlerweile hat sich ein internationales Netzwerk gebildet, dem weitere Gruppen aus der BRD, u.a. die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU sowie lokale Zusammenhänge, und Gruppen aus Griechenland, Polen, Italien und Belgien angehören.
Nach anfänglichen Gesprächen auch mit der Interventionistischen Linken (IL) über die Durchführung eines gemeinsamen Aktionstags in der BRD, hatte sich die IL schließlich entschlossen, (zusätzlich) eine eigene Demo mit Aktionstagen Mitte Mai anzustreben, und für den 22.Januar zu einem Ratschlag eingeladen.
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac schlägt dagegen vor, aus Anlass der Aktionärsversammlung der Deutschen Bank am 31.5., Ende Mai als Termin für Demonstration und Aktionstage zu nehmen.
In Bezug auf den europäischen Aktionstag, der in die Warnstreikphase der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst fällt, steht fest, dass dieser am 31.März in verschiedenen europäischen Ländern stattfinden soll. Zusätzlich zu den oben genannten Ländern werden u.a. noch Gespräch mit der Gewerkschaft SUD in Frankreich sowie mit den spanischen Gewerkschaften CNT, CGT und Solidaridad Obrera geführt. Auch erste Kontakte zu Mitgliedern von DGB-Gewerkschaften in der BRD wurden hergestellt; bei Labournet wurde eine Internet-Seite zu M31 (31.März) erstellt: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2011/
occupy.html.
In der BRD soll es am 31.März eine zentrale Demonstration in Frankfurt/Main und anschließende kreative Aktionen zur effektiven Beeinträchtigung der Arbeiten auf der Baustelle für ein neues Gebäude der Europäischen Zentralbank geben.
Für die Mai-Aktionen sind die Vorbereitungen noch nicht soweit gediehen – was allerdings nicht tragisch ist, da bis dahin ja auch noch mindestens sechs Wochen mehr Zeit sind. Der nächste Schritt dafür wird eine Aktionskonferenz vom 24. bis 26.Februar, wiederum in Frankfurt, sein, die gemeinsam mit Gruppen aus dem M31-Netzwerk vorbereitet wird. Auf dieser Aktionskonferenz soll der endgültige Termin für die Aktionen im Mai festgelegt und über die politischen Inhalte der Protest Mitte bzw. Ende Mai gesprochen werden.
In den nächsten Wochen wird es jetzt darum gehen, den 31.März als Auftakt der diesjährigen Protestagenda zu einem Erfolg zu machen. In verschiedenen Städten bilden sich Aktionsgruppen, die sich nicht nur um die Organisierung von Mitfahrgelegenheiten nach Frankfurt kümmern, sondern auch Veranstaltungen in verschiedenen Städten organisieren. Die Stärke dieses Aktionstags ist die europaweite Vorbereitung und die klar antikapitalistische Stoßrichtung. Ein Erfolg könnte auch positive Auswirkungen auf alle weiteren Aktionen haben.
Detlef Georgia Schulze, Peter Nowak aus Sozialistische Zeitung, SoZ, 2/2012
http://www.sozonline.de
Die Kommandozentrale des US-Raketenabwehrsystems soll im Luftwaffenstützpunkt Ramstein eingerichtet werden
Der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein war in den 1980er Jahren ein zentraler Fokus der Proteste der deutschen Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen. Zahlreiche Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams haben damals rund um das Gelände stattgefunden. Dann war es still geworden um Ramstein und viele anderen Protestorte der damaligen Zeit. Die Meldung, dass die US-Militär die nuklearen Sprengköpfe aus Rammstein entfernt hätten, interessierte nur wenige.
Doch seit einigen Tagen ist Ramstein wieder in den Medien aufgetaucht. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte Ende letzter Woche, dass die Kommandozentrale für das europäische Raketenschild in Ramstein eingerichtet werden soll. Darauf hätten sich die USA und die Nato bereits geeinigt. Zudem sollen die auf den Stützpunkt Ramstein gelagerten Patriot-Raketen Teil des Nato-Raketenschilds werden soll, das bis 2020 aufgebaut werden soll.
Die Reaktionen der Oppositionspolitiker waren sehr unterschiedlich. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold bezeichnete das Raketenschild in einem Interview mit dem Deutschlandfunk als richtige und sinnvolle Einrichtung.
Für die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen Agnieszka Brugger kam diese Entscheidung überraschend. Sie war bisher davon ausgegangen, dass sich Deutschland nicht mit Hardware an dem Raketenschild beteiligt und warnt vor unübersehbaren politischen und finanziellen Folgen. Vor allem aber befürchtet Brugger, dass damit mögliche Abrüstungsziele konterkariert werden. Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Linken Paul Schäfer sieht mit der Entscheidung für den Raketenschild in Ramstein das „Pulverfass geöffnet“.
Gegen wen soll das Raketenschild schützen?
Die Warnungen der Kritiker, dass das Raketenschild auch international die Spannungen eher erhöhen dürfte, haben sich bei der Nato-Sicherheitskonferenz in München bestätigt. Während die Nato-Politiker bekräftigen, dass das Raketenabwehrsystem vor den Angriffen unberechenbarer Staaten wie dem Iran schützen soll, haben russische Politiker noch einmal ihre ablehnende Haltung bekräftigt. Sie befürchten, dass das System gegen die eigenen Raketen gerichtet werden könnte. Dieses Misstrauen erhält dadurch neue Nahrung, dass die Nato russische Forderungen nach einer Mitentscheidung beim Einsatz des Raketenschildes ablehnt.
Auch der auf Rüstungsfragen spezialisierte Publizist Jerry Sommer hat in einer für die Linkspartei erarbeiteten Studie nachgewiesen, dass die USA das Raketenschild nicht nur als Schutz gegen den Iran aufbauen. Vielmehr arbeite die US-Regierung an einer Ausweitung der „Bedrohungsperzeption“, nach der die Raketen von bis zu 30 Staaten als Bedrohung angesehen werden, schreibt Sommer in der Studie. Er hat schon 2010 in einem NDR-Beitrag in der Reihe „Streitkräfte und Strategien“ die jahrelange Diskussion um das Raketenschild nachgezeichnet. Nato-Generalsekretär Rasmussen hatte bereits 2010 erklärt: „Die Zeit ist gekommen, mit der Raketenabwehr voranzuschreiten. Wir müssen beim Nato-Gipfel im November beschließen, dass Raketenabwehr für unsere Bevölkerung und unser Territorium eine Aufgabe der Allianz ist.“
Sommer weist auf die erheblichen Zweifel vieler Wissenschaftler hin, dass das Raketensystem tatsächlich den versprochenen Schutz bietet. So kommt der US-Physiker Theodore Postol vom Massachusetts Institute of Technology nach der Analyse von vom Pentagon veröffentlichten Videoaufnahmen zu einem ernüchternden Fazit:
Wir haben die Aufnahmen von den auf den Abfangraketen montierten Infrarotkameras analysiert. Wir stellten fest, dass niemals der Sprengkopf, sondern immer nur der Raketenkörper dahinter getroffen wurde. Aber jeder weiß, dass man den Sprengkopf treffen muss.
Auch der Physiker Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hält einen absoluten Raketenschutz weder für die USA noch für Europa technisch für möglich. Daher sei es auch unwahrscheinlich, dass sich die Nato-Politiker auf den Raketenschild verlassen würden. Sollte ein Angriff akut sein, würde man wie bisher eher versuchen, die gegnerischen Raketen am Boden zu zerstören. Dann bräuchte man aber auch kein teures Raketenschild, das die Spannungen noch erhöht, ist auch die Meinung von Sommer. Schließlich könnte auch die Gefahr darin bestehen, dass der Raketenschild eine Sicherheit suggeriert, die es nicht gibt, womit sich auch die Spannungen erhöhen könnten. Daher würde sich wahrscheinlich Israel, das anders als Deutschland von möglichen iranischen Raketen bedroht wäre, nicht allein durch den Aufbau eines Raketenschilds im eigenen Land beruhigen lassen.
Die Diskussionen zeigen zumindest, dass der sicherste Schutz vor Raketen eine globale Abrüstung ist. Auch diese Erkenntnis, die in den 80er Jahren immerhin durch die Friedensbewegung zentral in die Öffentlichkeit diskutiert wurde, könnte damit verloren gehen Ob die Pläne zum Aufbau einer Raketenabwehr durch die zentrale Rolle von Rammstein auch in der deutschen Innenpolitik wieder kritischer diskutiert werden, könnte sich schon an der Resonanz bei den diesjährigen Ostermärschen (http://www.dfg-vk-mainz.de/aktuell/ ) zeigen . Ob die Organisatoren so flexibel sind, die Aufwertung von Ramstein mit in der Protestagenda zu berücksichtigen ist keinesfalls sicher. Dabei dürften sich manche der Organisatoren noch an die Protestaktionen in den 80er Jahren in Rammstein erinnern.
Allerdings könnte sich bis 2020 auch europaweit noch eine größere Bewegung gegen den Raketenschild entwickeln. In Polen und der Tschechischen Republik, wo das Raketenabwehrschild zunächst errichtet werden sollte, kam es zu Protesten, so dass diese unter Bush gefassten Pläne schließlich nicht weiter verfolgt wurden (Katzenjammer in Warschau und Prag).
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36374/1.html
Peter Nowak
Mehr Bürgerbeteiligung ist eine Forderung, die auch von rechts geäußert wird Bürgerbeteiligung ist nicht nur eine Forderung, die von Links kommt. Das jedenfalls meint der Soziologe Thomas Wagner. Auch rechte Parteien versuchen damit zu punkten.
»Ihre Ideen und Vorschläge sind mir wichtig. Ich freue mich auf Ihre Ideen.« Dieses Zitat von Kanzlerin Angela Merkel kann man auf der Homepage https://www.dialog-ueber-deutschland.de nachlesen. Drei Fragen sollen im Mittelpunk stehen: Wie wollen wir zusammen leben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel: „Jeder kann seine Ideen vorschlagen oder auf gute Praxisbeispiele hinweisen. Diese Vorschläge können dann wiederum kommentiert und bewertet werden,“ so Merkel.
Für den Publizisten Thomas Wagner ist dieser Bürgerdialog im Internet eine Form das Beispiel eines „demokratisch verkleideten autoritären Regierungsstils“. „Ein zentrales Kennzeichen dieser seit den Tagen von Napoleon III vor mehr als 150 Jahren wird diese Form des direkten Dialogs zwischen Regierenden und der Bevölkerung auch Bonapartismus genannt“, erklärte Wagner am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. „Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus“ lautet auch der Titel des Buches, das Wagner2011 im Papyrossa-Verlag veröffentlicht hat. Dort hat er sich kritisch mit verschiedenen Modellen der Bürgerbeteiligung auseinandergesetzt, die sich parteiübergreifend großer Beliebtheit erfreuen. So gratulierten dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“, der sich für mehr Volksentscheide einsetzt nicht nur Politiker der Linken und der Grünen, sondern auch führende Vertreter der FDP und der Union zu ihrem 20ten Jubiläum.
Für eine Direktwahl des Bundespräsidenten gibt es Unterstützung plädiert der konservative Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Er fordert zudem einen deutlichen Machtzuwachs des Staatsoberhauptes. Diese Forderung wird seit Jahren von verschiedenen Rechtsaußenparteien wie der NPD erhoben. „Unserer Ansicht nach sollte der Bundespräsident auch nehr als nur eine repräsentative Form Funktion habe
Pn, um ein Gegengewicht gegen den von zahlreichen Sonderinteressen beherrschten Parteienstaat bilden zu können“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der sächsische NPD-Fraktion Johannes Müller im Jahr 2007.
Diese Polemik wird von vielen konservativen Parteienkritiker immer wieder erhoben. Einer der bekanntesten Stimmen ist dort der ehemalige Wirtschaftslobbyist Olaf Henkel. Wagner nennt eine solche Form der Parlamentskritik eine „plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft“.. Dabei gehe es vor allem darum, den Einfluss organisierter Intereressenvertretung von Lohnabhängigen oder Erwerbslosen zu minimieren, betont Wagner. Bürgerbeteiligung als Vehikel für eine Verfestigung von Elitenherrschaft, mag auf den ersten Blick paradox klingen. Doch Wagner zeigte an verschiedenen Beispielen auf, wie in rechtskonservativen Kreisen mit dem Verweis auf die schweigende Mehrheit der Bürger soziale Regelungen, Forderungen von Gewerkschaften, aber auch von sozialen Initiativen und Umweltverbänden ausgehebelt werden sollen. Der Parteienstaat, der unterschiedliche Interessen austarieren müsse,, hindert am kraftvollen Durchregieren, lamentieren schon rechtskonservative Parlamentskritiker in der Weimarer Republik.
Ein fragwürdiges Plädoyer für mehr Bürgerbeteiligung kam 2008 vom damaligen Vorsitzenden des CDU-nahen Studierendenverbands RCDS Gottfried Ludewig. Er schlug 2ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht für sogenannte Leistungsträger vor. Damit sollte auch der Einfluss der neu ins Parlament eingezogenen Linkspartei begrenzt werden, so Wagner. Bejubelt wurde der Vorschlag von der Rechtsaußenpostille Blaue Narzisse mit den deutlichen Worten. Ludewigs Vorschlag, sei in sich schlüssig, denn er richte sich gegen den „systemimmanenten Fehler der Demokratie, die parasitäre Existenzen bevorzuge“. Gottfried Ludewig hat sich nicht nur theoretisch mit der Einschränkung der Demokratie befasst. Als kurzzeitiger Vorsitzender einer rechten Stupa-Mehrheit im AStA der Technischen Universität Berlin (TU-Berlin) sorgte er für die Zerschlagung einer über lange Jahre aufgebauten linken Infrastruktur. So wurde die AStA-Druckerei verkauft. Nach knapp einem Jahr wurde der rechte AStA wieder abgewählt. Aber Ludewig und Col. Dachte nicht daran, den Posten zu räumen. Schließlich hatte er die Zerstörung der Infrastruktur noch nicht beendet. Mit allen juristischen Tricks versuchte der abgewählte AStA kommissarisch im Amt zu bleiben: http://astawatch.wordpress.com/2008/01/13/asta-der-tu-weiterhin-lahmgelegt/ Thomas Wagner: Direkte Demokratie als Mogelpackung. Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus, Köln 2011, Papyrossa-Verlag, 142 Seiten, 11,90 Euro, ISBN: 978-3-89438-470-8
https://www.neues-deutschland.de/artikel/217557.
merkels-weg-zum-bonapartismus.html
Peter Nowak
Merkels Zukunftsdialoge über Deutschland stoßen nicht nur auf Zustimmung
„Ihre Ideen und Vorschläge sind mir wichtig. Ich freue mich auf Ihre Ideen.“ Dieses Zitat von Bundeskanzlerin Merkel kann man auf der Website Dialog über Deutschland lesen, die am 1. Februar online geschaltet wurde. Drei Fragen sollen im Mittelpunk stehen: Wie wollen wir zusammen leben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel: „Jeder kann seine Ideen vorschlagen oder auf gute Praxisbeispiele hinweisen. Diese Vorschläge können dann wiederum kommentiert und bewertet werden“, so Merkel.
SPD und Grüne sorgten sich nach dem Start des Online-Bürgerdialogs, ob auch die Trennung zwischen Regierung und Partei gewahrt bleibt. Es dürfe nicht sein, dass sich Merkel durch den Zukunftsdialog „mit viel Steuergeld, großem Stab und vielen Mitarbeitern“ auf den Wahlkampf 2013 vorbereite, mäkelt der SPD-Politiker Oppermann. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck ist gespannt, ob es dabei um „echte und nicht nur PR-orientierte, simulierte Bürgerbeteiligung geht“. Diese Äußerungen lassen auch den Neid derer erkennen, die gerne selber an Merkels Stelle die Fragen stellen würden.
Bürgerbeteiligung als Absicherung von Elitenherrschaft
Grundsätzlichere Einwände gegen Merkels Online-Dialog hat der Kultursoziologe und Publizist Thomas Wagner. Er sieht darin das Kennzeichen eines „demokratisch verkleideten autoritären Regierungsstils“. Dieser direkte Dialog zwischen Regierenden und der Bevölkerung werde „seit den Tagen von Napoleon III vor mehr als 150 Jahren auch Bonapartismus genannt „, erklärte Wagner am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin, wo er sein im Papyrossa Verlag herausgegebene Buch Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus vorstellte.
Dort befasst er sich kritisch mit verschiedenen Herrschaftsmethoden, die sich als Bürgerbeteiligung ausgeben, aber in Wagners Augen Formen einer „plebiszitär abgesicherten Elitenherrschaft“ sind. Dabei nimmt die direkte Ansprache an die Bürger ohne Vermittlung durch Parlamente oder Gewerkschaften ebenso eine zentrale Rolle ein wie die Forderungen nach Volksbefragungen. Solche Modelle erfreuen sich nicht nur in allen politischen Parteien, sondern auch in der außerparlamentarischen Bewegung einer großen Beliebtheit.
Übernimmt Merkel Rolle des Bundespräsidenten mit
So wurde die Forderung nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten von Politikern der Linkspartei genau so erhoben wie von dem konservativen Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Der plädiert zudem für einen deutlichen Machtzuwachs des Staatsoberhauptes und findet Unterstützung bei verschiedenen Rechtsaußenparteien wie der NPD. „Unserer Ansicht nach sollte der Bundespräsident mehr als nur eine repräsentative Funktion haben, um ein Gegengewicht gegen den von zahlreichen Sonderinteressen beherrschten Parteienstaat bilden zu können“, zitiert Wagner den parlamentarischen Geschäftsführer der sächsische NPD-Fraktion Johannes Müller. Der Parteienstaat, der unterschiedliche Interessen austarieren müsse, hindere am kraftvollen Durchregieren, lamentierten schon rechtskonservative Parlamentskritiker in der Weimarer Republik. Wagner sieht in dieser Polemik in erster Linie einen Versuch, den Einfluss organisierter Interessenvertretung von Lohnabhängigen oder Erwerbslosen auf die Politik zu minimieren.
In einer Zeit, in der der ins Gerede gekommene Bundespräsident als Prototyp eines starken Politikers ausfällt, scheint Merkel diese Rolle mit zu übernehmen. Ihre Beliebtheitswerte steigen und mit dem Bürgerdialog inszeniert sie sich als Politikerin, die über das Parlament hinweg direkt mit dem Bürger kommuniziert. „Das kann der Beginn von etwas ganz Großem werden“, lautete ein Eintrag auf Kommentarspalte der Zukunftsdialoge. Scheinbar sehnen sich manche nach etwas Bonapartismus in Berlin.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151356
Peter Nowak
Datenschützer ziehen Bilanz über die Volkszählung im letzten Jahr
Die Zensus 2011 genannte Volkszählung ist im öffentlichen Bewusstsein längst vergessen und auch die Medien haben längst andere Themen entdeckt. Manche linken Aktivisten erinnern sich vielleicht wehmütig an die große Anti-Volkszählungsbewegung in der BRD der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals beschäftigte das Thema Gerichte, Gesellschaft und Politik über Jahre.
Doch die Bilanz, die der Arbeitskreis (AK) Zensus, eine im Mai 2010 unter dem Dach des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung gegründete Bürgerinitiative, jetzt vorgelegt hat, zieht eine für die Kritiker positive Bilanz.
Anfang November 2011, sechs Monate nach dem Stichtag der Volkszählung „Zensus 2011“ hatten nach Auskunft der Behörden noch rund 400.000 Haushaltsbefragte keine Antworten gegeben und beinahe 4 Millionen ausgesendete Fragebögen der Gebäude- und Wohnungszählung waren noch nicht zurückgeschickt worden. „Es gibt also trotz allerlei anderslautender Bekundungen ein nicht zu unterschätzendes Verweigerungspotential der Bevölkerung gegenüber den per Gesetz verankerten Auskunftspflichten“, schreibt der AK Zensus.
Erzwingungshaft angedroht
Nach Angaben des Datenschutzexperten Werner Hülsmann, der den Zensus mit einer Klage verhindern wollte, hätten die Landesstatistikämter mittlerweile Zwangsgelddrohungen an die Volkszählungsmuffel verschickt. In einigen Bundesländern seien die Briefe bereits im November 2011, in anderen in den letzten Tagen rausgegangen.
Das angedrohte Zwangsgeld beträgt mit den anfallenden Amtsgebühren 406 Euro, kann aber bei konsequenter Weigerung an der Volkszählung teilzunehmen, mehrmals vollstreckt werden. In Berlin sei bereits mit der Verhängung von Ersatzzwangshaft gedroht worden. Hülsmann hält eine Vollstreckung allerdings für extrem unwahrscheinlich, weil sie nach juristischen Gesichtspunkten unverhältnismäßig sei.
Wegen einer Panne könnten in Hamburg und Schleswig-Holstein verschickte Zwangsgeldandrohungen aus juristischer Sicht haltlos sein. In den förmlichen Zustellungen forderten die Behörden mit Nachdruck auf, „den mit diesem Schreiben übermittelten Fragebogen“ unbedingt zu beantworten. Doch dem Schreiben lag kein Fragebogen bei, berichteten Betroffene dem AK Zensus.
Pannen hat es nach Ansicht der Datenschützer auch beim Ablauf der Befragung in zahlreichen Bundesländern gegeben. So monierte die hessische Landesdatenschutzbehörde erhebliche Mängel bei der praktischen Umsetzung der Volkszählung. Amtsräume, die für die Durchführung der Volkszählung genutzt wurden, seien unbesetzt gewesen, während die Tür offen stand. Rechner seien widerrechtlich ans Internet angeschlossen gewesen, Software falsch installiert gewesen.
Das hessische Datenschutzamt spricht allerdings lediglich von kleinen Fehlern bei der Durchführung. „Dass die hessische Landesdatenschutzbehörde die gravierenden Vorfälle zu bagatellisieren versucht, ist für mich völlig unverständlich“, meint dagegen Michael Ebeling vom AK Zensus. Er vermutet in den bekannt gewordenen Pannen „nicht mehr als nur die Spitze des Eisbergs“. Schließlich seien in einigen Bundesländern, beispielsweise in Niedersachsen, keine Überprüfungen durchgeführt worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151332
Peter Nowak
Bürgerrechtler haben eine Bilanz des Zensus 2011 vorgelegt.
Dabei sieht es für die Gegner der Volkszählung gar nicht so schlecht aus. Offenbar gibt es weit mehr Verweigerer als bis jetzt bekannt, teilte der Arbeitskreis (AK) Zensus, eine Bürgerinitiative unter dem Dach des AK Vorratsdatenspeicherung, mit. So hätten Anfang November 2011, also sechs Monate nach dem Stichtag der Volkszählung, nach Auskunft der Behörden noch rund 400 000 Haushaltsbefragte keine Antworten gegeben und beinahe vier Millionen Fragebögen der Gebäude- und Wohnungszählung seien noch nicht zurückgeschickt worden. »Es gibt also trotz allerlei anderslautender Bekundungen ein nicht zu unterschätzendes Verweigerungspotenzial der Bevölkerung gegenüber den per Gesetz verankerten Auskunftspflichten«, heißt es in einer Mitteilung des AK Zensus.
Die hohe Ausfallquote bei den Immobilienbesitzern erklärt das Statistische Bundesamt mit falsch verschickten Fragebögen. So seien 25,1 Millionen Fragebögen verschickt worden. Dabei gehe man nur von 17,5 Millionen Eigentümern von Wohnungen aus.
Nach Angaben des Datenschutzexperten Werner Hülsmann haben die Landesstatistikämter mittlerweile Zwangsgelddrohungen an die Volkszählungsmuffel verschickt. In einigen Bundesländern seien die Briefe bereits im November, in anderen in den letzten Tagen rausgegangen. Das angedrohte Zwangsgeld beträgt mit den anfallenden Gebühren 406 Euro. Es kann aber bei fortgesetzter Weigerung mehrmals verhängt werden. In Berlin sei bereits mit Ersatzzwangshaft gedroht worden. Hülsmann hält eine Vollstreckung allerdings für extrem unwahrscheinlich, weil sie nach juristischen Gesichtspunkten unverhältnismäßig sei. Wegen einer Panne könnten Zwangsgeldandrohungen in Hamburg und Schleswig-Holstein gänzlich haltlos sein. So sehen es Juristen aus den Reihen der Volkszählungsgegner. Demnach haben Boykotteure die amtliche Aufforderung bekommen, »den mit diesem Schreiben übermittelten Fragebogen« unbedingt zu beantworten. Doch der Fragebogen fehlte, wie Betroffene dem AK Zensus berichteten.
Pannen hat es nach Angaben der Datenschützer auch beim Ablauf der Befragung gegeben. So monierte die hessische Landesdatenschutzbehörde erhebliche Mängel bei der praktischen Umsetzung der Volkszählung. Amtsräume, die für die Durchführung der Zählung genutzt wurden, seien unbesetzt gewesen, während die Tür offen stand. Rechner seien widerrechtlich ans Internet angeschlossen, Software falsch installiert gewesen. Die sensiblen Personendaten hätten also leicht abhanden kommen können. »Unsere Bedenken wurden offenbar nicht ernst genommen«, kritisiert Michael Ebeling vom AK Zensus die Sicherheitsmängel.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/217173.zensusmuffel-sind-gezaehlt.html
Peter Nowak
Die Occupy-Bewegung streitet über ihre politische Orientierung
Occupy-Aktivisten loben den wirtschaftsliberalen Parteienkritiker Hans-Olaf Henkel und strapazieren damit die Solidarität bei Unterstützern.
Die Kontroverse macht sich an der Person von Hans-Olaf Henkel fest. Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wurde in einem Facebook-Beitrag von einigen Occupy-Aktivisten zum Bündnispartner erklärt. Henkel gehört zu den rechten Parteienkritikern, die der Bundesregierung eine angebliche Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus vorwerfen. Auch als Kritiker des Euros hat sich Henkel einen Namen gemacht. Sein Name fällt immer wieder, wenn von einer deutschen Version der Teaparty-Bewegung, einer rechten, von Großkonzernen gesponserten US-Bürgerbewegung, die Rede ist. Von Anfang an gab es Versuche, die Occupy-Bewegung in ein solches Bündnis einzugliedern, das sich gegen alle Parteien und Gewerkschaften, den Euro und eine angebliche Bevormundung durch die EU-Gremien in Brüssel wendet.
Erst im Dezember wurde unter dem Titel »Tea Party und/oder Occupy?« in Berlin das Potenzial einer solchen Verbindung diskutiert. Daran nahm Bastian Menningen von Occupy Berlin teil. »Er machte auf dem Podium Bella Figura, war freundlich und verbindlich«, schrieb Jürgen Elsässer in seinem Blog. Der einst linke und nun volksfrontbefürwortende Publizist hatte die Veranstaltung moderiert und spricht sich für ein Bündnis zwischen Teaparty und Occupy-Bewegung aus.
Doch diesen Weg wollen längst nicht alle Occupy-Aktivisten mitgehen. »Wir nehmen Abstand von Rechtspopulisten wie Hans-Olaf Henkel und sehen uns in keiner Weise der eigenverantwortlichen Gruppe Occupy Germany verbunden oder zugehörig«, heißt es in einer von den Thüringer Gruppen Gera und Zeulenroda unterschriebenen Erklärung. Auch bisher solidarische Unterstützer sind irritiert. So fragte der Mitarbeiter der antineoliberalen Internetplattform »Nachdenkseiten«, Jens Berger, jetzt in einem Beitrag, ob es mit den inhaltlichen Ansprüchen der Bewegung vereinbar sei, »den Rechtspopulisten Hans-Olaf Henkel zu ›interviewen‹ und dazu auf Facebook einen wohlwollenden, komplett kritiklosen Artikel zu schreiben, der jedem Leser den Eindruck vermittelt, die Ziele von Henkel seien mit denen von Occupy Deutschland deckungsgleich«? Die unter dem Henkel-Lob geposteten Links zu Artikeln, die sich kritisch mit dem Ex-BDI-Chef befassen, waren dagegen gelöscht worden.
Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis, der mit Occupy zusammenarbeitet, glaubt nicht an eine rechte Unterwanderung. Er sieht in den losen Strukturen das Problem. »Die Occupy-Gruppen haben einen vorpolitischen Unmut ohne festgelegte Position und sind in dieser Hinsicht unerfahren.« Deshalb würden auch rechtspopulistische Positionen teilweise kritiklos aufgenommen, analysiert Passadakis.
Occupy-Aktivisten bestätigen diesen Befund. Ein Mann aus Berlin moniert, dass Kritik an rechten Positionen schnell als ideologisch abgewehrt würden.
Steckbrief
Der Name
Der Name »Occupy« – Besetzen – ist Programm. Nach dem Vorbild von Ägypten, Spanien und den USA besetzten Aktivisten im Oktober 2011 in mehreren deutschen Städten öffentliche Plätze und stellten Zelte auf. In Berlin wurde das Camp Anfang Januar geräumt. In Frankfurt am Main hingegen trotzt es der Winterkälte.
Die Verbreitung
Bundesweit gibt es rund 40 Occupy-Zusammenhänge.
Das Programm
Die gemeinsamen Vorstellungen sind vage. Geteilt werden die Kritik an der Macht der Banken und der Wunsch nach mehr direkter Demokratie. Im Selbstverständnis von Occupy Deutschland heißt es: »Wir brauchen eine ethische Revolution. Anstatt das Geld über Menschen zu stellen, sollten wir es wieder in unsere Dienste stellen.«
Die Aktionen
Derzeit passiert nicht viel. Aber im Frühjahr sollen wieder verstärkt Aktionen stattfinden.
Besonderes Merkmal
Die täglichen Vollversammlungen mit ihren basisdemokratischen Entscheidungs- und Kommunikationsformen.
Peter Nowak
http://www.neues-deutschland.de/artikel/217171.deutsche-teaparty.html
Solidarität mit dem wirtschaftliberalen Parteienkritiker Karl Olaf Henkel sorgt bei Occupy-Unterstützern für Verwirrung
Um die Occupy-Bewegung ist es zumindest in Deutschland in der letzten Zeit ruhig geworden. Als in Berlin Anfang Januar das dortige Zeltlager in Berlin-Mitte geräumt wurde, protestierten gerade mal ein Dutzend Menschen. In Frankfurt/Main hat das dortige Occupy-Camp am Rande des Bahnhofsviertels die Funktion, dass die zahlreichen Wohnungslosen besser durch den Winter kommen.
Auch die Protestaktion von Occupy-Aktivisten am Rande des World-Economic-Forums in der Schweiz war eher ein Ausdruck der Harm- und Hilflosigkeit der Protestbewegung. Wenn man bedenkt, dass vor knapp 10 Jahren tausende Menschen aus ganz Europa in der Schweiz gegen das WEF protestierten und in der Region durch die Polizei faktisch der Ausnahmezustand ausgerufen worden war, war der diesjährige Occupy-Einsatz eher der bunte Tupfer Kritik, den der WEF-Gründer Klaus Schwab so gerne als Beweis für die Liberalität und Offenheit anführen kann.
Doch der Hauptgrund für manch kritische Töne von Occupy-Unterstützern war ein mittlerweile nicht mehr verfügbarer Beitrag, in dem der rechte Parlamentskritiker und Verfechter eines Turbokapitalismus Olaf Henkel positiv gewürdigt wurde.
Dazu gehören die NachDenkSeiten, die mit kritischen Beiträgen zu wirtschaftsliberalen Dogmen bekannt geworden sind. Jens Berger bekennt in einem Beitrag, dass die NachDenkSeiten „die Occupy-Bewegung stets konstruktiv begleitet und als neue Form des Protests gesehen haben, der ohne eine klare politische Agenda daherkommt und seine Richtung erst noch finden muss … Leider mehren sich in den letzten Tagen die Zeichen, dass die Occupy-Bewegung ihre Inhalte und Ziele dadurch kompromittiert, dass sie rechten Rattenfängern wie Hans Olaf Henkel hinterherläuft und Kritik an diesem Kurs mit Zensur belegt.“ Auch das Mitglied des Attac-Koordinationsates (http://www.attac.de/) Alexis Passadakis übt Kritik am Bündnispartner Occupy. Allerdings stellt er fest, dass es falsch ist, von Unterwanderung zu reden. Vielmehr sieht er in den losen Strukturen und der politischen Unerfahrenheit den Hauptgrund: “ Das führt dazu, dass rechtspopulistische Positionen dort teilweise von einigen tatsächlich kritiklos aufgenommen werden. Ich würde nicht sagen, dass das alle Gruppen bestimmt, auffällig ist aber, dass es dagegen kaum Abwehrreflexe gibt.“
Schwarmintelligenz oder doch eher Schwarmdummheit?
Tatsächlich hatte die Occupy-Bewegung in Deutschland seit ihrer Entstehung zweifelhafte Unterstützer wie die Zeitgeistbewegung.
Es gab auch schon länger Versuche, aus der Occupy-Bewegung eine Art Teaparty-Imitation zu machen. oder zumindest die Gemeinsamkeiten zu betonen. In eine solche diffuse Bewegung gegen den Staat, alle Parteien und Gewerkschaften, gegen den Euro und gegen angeblich allmächtige Überwachungsbehörden würde ein Olaf Henkel passen.
Lange wurde der Occupy-Bewegung und ihren Strukturen eine Schwarmintelligenz zugeschrieben und Kritik eher als altmodisch abgetan. Doch die Geduld scheint auch bei manchen wohlwollenden Kritiker vorbei zu sein. Gelegentlich wird in Bezug auf die Occupy-Bewegung schon über die Schwarmdummheit gelästert.
Während sich der Bundestag über die Überwachung der Linksparteiparlamentarier stritt, verdichten sich die Hinweise, dass auch deren geheimdienstliche Überwachung häufig angewandt wurde
Die Überwachung von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei sorgte heute für einen offenen Schlagabtausch zwischen Parlamentariern von Regierung und Opposition im Bundestag. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde hatte die Linkspartei das Thema auf die parlamentarische Agenda gesetzt und ein Ende der Überwachung verlangt. Seine Partei werde damit diskreditiert und die Verfassungsschutzbehörden würden parteipolitisch instrumentalisiert, monierte Dietmar Bartsch, einer von der offenen Überwachung betroffenen Bundestagsabgeordneten in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Seit die Überwachung zum Thema wurde, sind Politiker der Partei regelmäßige Interviewpartner des Senders. Dabei werden durchaus unterschiedliche Akzente auch in der Linken deutlich. So sah der Rechtsexperte der Linken, der ehemalige Richter Wolfgang Neskovic, in der Überwachung eine Form der Diffamierung. Auf den Vorhalt des Interviewers, dass es in der Linkspartei in Form der Kommunistischen Plattform und anderer Gruppen Tendenzen gäbe, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten, antwortete der ehemalige Richter: „Also dies ist ein Argument, das bewegt sich juristisch gesehen – ich sage das als ehemaliger Bundesrichter – auf Kindergartenniveau, weil ganz offenkundig die Ausrichtung einer Partei nicht an irgendwelchen Splittergruppen orientiert werden kann, sondern an ihrer Gesamtaussage.“
Solidarität sieht anders aus. Der Rechtsexperte der Partei erklärte nicht einmal pro forma, dass er auch diese genannten Gruppierungen nicht außerhalb des Verfassungsbogens stehen sehe, auch wenn er deren politische Ausrichtung nicht teilt. Vielmehr übernahm er mit der Formulierung „irgendwelche Splittergruppen“ die Stigmatisierung, will damit aber nicht die ganze Partei in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit gerückt sehen. Ob diese öffentliche Form der Entsolidarisierung parteiintern kritisiert wird, ist unklar.
Während der Aktuellen Stunde im Bundestag zumindest gab sich die Partei kämpferisch und geschlossen. Das viel auch nicht schwer, weil auch vor allem Unionspolitiker die Überwachung verteidigten. „Wer sich in der Partei eine Kommunistische Plattform hält, darf sich nicht wundern, dass es eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gibt“, erklärte der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach. Im Fall von Realpolitikern solle der Verfassungsschutz bei der Überwachung aber künftig Einzelfallentscheidungen treffen. Während auch Politiker von Grünen und SPD deren Überwachung kritisierten, meldeten sich Kritiker innerhalb der Regierungskoalition, wie die amtierende Bundesjustizministerin in der Aktuellen Stunde nicht zu Wort.
Geheime Überwachung in mehreren Bundesländern
Nach Informationen der der Linkspartei nahestehenden Tageszeitung Neues Deutschland ist die Überwachung ihrer Parlamentarier mit geheimdienstlichen Mitteln wahrscheinlich weiter verbreitet als bisher angenommen. Der niedersächsische Verfassungsschutzchef hatte diese Art der Überwachung in seinem Bundesland bestätigt.
Nach ND-Informationen wird die geheimdienstliche Überwachung in Bayern, aber auch in Baden-Württemberg weiter angewandt. Die grün-rote Landesregierung ließe dann eine Linkspartei kontrollieren, die weitgehend aus Gewerkschaftern des IG-Metall-Mittelbaus besteht. Aus den Jahresberichten der Verfassungsschutzämter von Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz würden sich nach ND-Angaben ebenfalls Hinweise auf eine geheimdienstliche Überwachung ergeben.
Unklar sei die Situation im Saarland. Zumindest 2006 soll der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden haben. Lafontaine steht damit aber in einer guten Tradition Auch der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann ist ins Visier der Geheimdienste geraten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151304
Peter Nowak
Gerätselt wird über die seltsame Ausrichtung der Überwachung
Soviel Unterstützung hatte die Linkspartei schon lange nicht mehr. Nachdem bekannt geworden war, dass der Verfassungsschutz mindestens 27 Bundes- und 11 Landtagsabgeordnete der Linkspartei überwacht , wächst die Empörung auch bei den politischen Kontrahenten.
Für den SPD-Politiker Wolfgang Thierse ist die Überwachung von Parlamentariern ein Unding. Er kündigte im Neuen Deutschland, das mit seiner regierungsamtlichen Einstufung als „linksextremes“ Medium“ kreativ umgeht, Gespräche des Bundestagspräsidiums an. Auch der Grüne Volker Beck stellt den Sinn der Überwachung infrage.
Selbst in der Bundesregierung herrscht darüber keine Einigkeit. Verschiedene Unionspolitiker verteidigen die Überwachung, darunter auch der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der erst zu Jahresbeginn wieder einmal ein Verbot der Linkspartei gefordert hatte. Er bedient damit den konservativen Flügel der Union, die gerade mit der Kampagne den Linkstrend stoppen für Aufsehen sorgt (Wenn Teile der CDU mit dem Rechtspopulismus liebäugeln).
Andere Akzente setzt die liberale Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Sie bezeichnet die Überwachung als unerträglich.
Warum sind mehr ostdeutsche Politiker im Visier?
Das Neue Deutschland wertete schon gestern die Tatsache, dass vor allem Linksparteimitglieder mit ostdeutschen Biographien vom Verfassungsschutz beobachtet wurden, als Fortsetzung des Kalte-Kriegs-Denken. „Das legt den Verdacht nahe, dass den ‚Kalten Kriegern‘ in Köln – dort hat der Geheimdienst sein Hauptquartier – auch 20 Jahre nach der staatlichen Einheit Ostbiografien in der Regel verdächtiger sind als westdeutsche“, kommentierte die Zeitung.
Sollte da wieder einmal die ostdeutsche Seele gestreichelt werden? Schließlich hat der Linksparteipolitiker mit Westbiographie Bodo Ramelow mit seiner Klage gegen die Überwachung bundesweit Schlagzeilen gemacht. Nachdem nun die Namen der überwachten Politiker bekannt wurden, stellt auch der Spiegel die Frage, warum von der Überwachung fast nur Politiker der Linkspartei mit Ostbiographie oder Ostwahlkreis betroffen sind.
Die Antwort könnte in einer weiteren vom Spiegel-Korrespondenten erkannten Eigenschaft der Überwachten liegen. „Die Liste liest sich wie ein „Who is who“ des Reformerflügels der Linken“, von Katja Kipping über Gregor Gysi bis zu Dietmar Bartsch und Halina Wawzyniak. Das Lamento, dass vermeintlich viel radikalere Politiker der Linkspartei mit Westbiographie nicht vertreten sind, liest könnte man hingegen als Aufforderung verstehen, der Verfassungsschutz solle noch genauer beobachten. Dabei würde sich hier die Frage stellen, ob die hier nicht erwähnten Politiker der Linkspartei nicht anderweitig beobachtet werden und in der jetzt bekannten Liste nur die Politiker aufgeführt sind, die wegen ihrer politischen Harmlosigkeit im Sinne des Verfassungsschutzes eben nur offen beobachtet werden können. Hier nachzuforschen wäre wohl ergiebiger, als eine Ost-West-Spaltung bei der Überwachung zu konstruieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151288
Peter Nowak