Ist der Mindestlohn ein verfaulter Apfel?

Kapitalismus zum Anfassen

KULTUR Im neu eröffneten „Museum des Kapitalismus“ in einem ehemaligen Trödelladen in Neukölln können Besucher durch Videos und Installationen mehr über das System erfahren, in dem sie leben

Auf dem Tisch liegen ein Handy und eine Shampooflasche. Daneben befindet sich ein Scanner, wie er an Warenhauskassen benutzt wird. Wenn man damit das Etikett von Handy und Shampooflasche scannt, informiert ein Text auf einem Bildschirm über die Ausbeutungsverhältnisse, die mit der Herstellung dieser Produkte verbunden ist. Es ist eine von über zwanzig Installationen im kürzlich eröffneten „Museum des Kapitalismus“ (MdK) in der Böhmischen Straße 11 in Neukölln.

Galerien und Museen, in denen durchaus auch kritisch über den Kapitalismus informiert werden, gibt es schon länger. Doch das Museum des Kapitalismus auf 200 Quadratmetern Fläche in einem ehemaligen Trödelladen geht einen anderen Weg. „Es hat nicht den Charakter einer trockenen Vorlesung in Wirtschaftswissenschaften – sondern die BesucherInnen können die Sachen selbst ausprobieren und so erfahren, wie die Wirtschaft funktioniert“, erklärt Malte Buchholz. Er gehört zu der zehnköpfigen Gruppe, die das MdK seit Monaten vorbereitet hat. Die meisten von ihnen arbeiten in sozialen und politischen Initiativen und hätten dort häufig die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen von den Mechanismen des Kapitalismus wenig wüssten.

Im MdK sind die Exponate in zwei Themengebiete eingeteilt, die viele Menschen besonders betreffen: die kapitalistische Wirtschaft und Stadt im Kapitalismus. Auf einigen Tafeln wird Letztere anschaulich erklärt. Aktuelle Zitate bringen Sachverhalte der kapitalistischen Wirtschaft auf den Punkt: „Die Reichen wohnen, wo sie wollen. Die Armen wohnen, wo sie müssen“, lautet ein Zitat des Stadtforschers Hartmut Häußermann, das auf einer Tafel zu finden ist. Ein kurzes Video mit dem im letzten Jahr zwangsgeräumten Ali Gülbol untermauert Häußermanns Aussage.

BesucherInnen können außerdem eine Pumpe bedienen, die den Wirtschaftskreislauf symbolisiert, oder ausrechnen lassen, was asiatische ProduzentInnen von Sportschuhen und T-Shirts verdienen. Und sie können ein kleines Video drehen, in dem sie ihre ganz persönliche Meinung zum Kapitalismus loswerden können.

Das MdK ist vorerst bis 17. Juli geöffnet. Doch das Team hat Pläne: „Diese Ausstellung ist nur ein erster Schritt. Danach werden wir mit der Raumsuche für ein dauerhaftes ,Museum des Kapitalismus‘ beginnen“, kündigt Museologin Frederike Schirmacher an.


http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F07%2F09%2Fa0134&cHash=f6049fe45b3a057ebcf8ff26ba7e25fc

Peter Nowak

MdK, Böhmische Straße 11, bis 17. 7., Mo., Di. und Fr. 15 bis 20 Uhr, Sa. und So. 10 bis 20 Uhr

Wir wollen zurück in unseren Kiez«

Tausende demonstrierten für ein Bleiberecht / Senat und Bezirk uneins über die weitere Versorgung der Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag für ein Bleiberecht für Flüchtlinge. Bezirk und Senat streiten derweil über die finanzielle Versorgung der verbliebenen Bewohner der Schule.

»Europas Grenzen fallen an die Anemonen und Korallen«, lautete eine der kreativen Parolen, die am Samstagnachmittag in Berlin-Kreuzberg zu lesen waren. Über 5000 Menschen hatten sich an einer Demonstration von Neukölln nach Kreuzberg unter dem Motto »Bleiberecht für Alle« beteiligt.

Das Bündnis hatte sich erst in der letzten Woche gegründet, nachdem die Belagerung der Flüchtlinge der Gerhart-Hauptmann-Schule für Empörung in der Stadt gesorgt hatte. Unter diesen Umständen kann ein ungewöhnlich großes Bündnis zusammen. Es reichte von der linken Gruppe Theorie und Praxis (TOP), der Interventionistischen Linken bis zum Berliner Flüchtlingsrat und der ver.di-Jugend. Auch Mitglieder der Linkspartei beteiligten sich mit Fahnen an der Demonstration. Viele Demonstranten trugen Schilder mit der Zahl 23. Damit wiesen sie auf den Paragraphen hin, der es dem Berliner Senat ermöglichen würde, den Flüchtlingen ein Bleiberecht zuzuerkennen. Dass vor allem der Berliner Innensenator diese Forderung ablehnt, sorgte unter den Demonstranten für Empörung. Aber auch die Politik der Grünen wurde von vielen Rednern heftig kritisiert.

»Von anwaltlicher Seite mussten wir zusehen, wie der Bezirk und der Senat alle Zusagen und Versprechungen gegenüber den Geflüchteten vom Oranienplatz gebrochen haben. Wir befürchten, dass den Betroffenen von der Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule das gleiche Schicksal bevorsteht«, monierte die Rechtsanwältin Berenice Böhlo auf der Auftaktkundgebung. Auch Maria, eine Flüchtlingsfrau, die die Gerhart-Hauptmann-Schule in der letzten Woche freiwillig verlassen hatte, übte heftige Kritik an der Politik: »Nach der Räumung transportierte die Polizei uns in ein abgelegenes Lager am äußersten Rand von Berlin. Dabei war uns versprochen worden, dass wir in Kreuzberg bleiben können.« Die Frau beklagte, dass sie jetzt jeden Tag morgens um 5 Uhr aufbrechen muss, um ihre Kinder nach Kreuzberg in die Schule zu bringen. »Unsere ganzen Freunde wohnen in Kreuzberg, wir wollen zurück in unseren Kiez«, rief Maria unter großen Beifall der Demonstranten. Mehrere Wohngemeinschaften in dem Stadtteil haben ihr Unterstützung angeboten. Bruno Watara vom Vorbereitungsbündnis war ebenfalls zufrieden mit dem Verlauf der Demonstration: »Die große Teilnehmerzahl hat deutlich gemacht, dass der Kampf für die Rechte der Flüchtlinge auch nach dem Ende der Belagerung der Gerhart-Hauptmann-Schule weitergeht«, sagte er dem »nd«. Felix Fiedler von der Gruppe TOP Berlin stimmte ihm zu, fügte aber hinzu, dass die Beteiligung der Berliner Zivilgesellschaft größer sein könnte. Demnächst könnte in Kreuzberg die nächste Räumung anstehen. Das Camp auf der Cuvrybrache am Kreuzberger Spreeufer, in dem viele Obdachlose, darunter auch Menschen ohne deutschen Pass, leben, soll verschwinden. Gegen die drohende Räumung mobilisieren in den nächsten Tagen Initiativen und Flüchtlingsgruppen.

An anderer Stelle wurde am Wochenende darüber diskutiert, wer die (finanzielle) Verantwortung für die in der Schule verbleibenden Flüchtlinge übernehmen soll. Nach Ansicht der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales haben die rund 40 verbliebenen Flüchtlinge keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe über das Asylbewerberleistungsgesetz. Grund dafür sei, dass die Besetzer die Schule nicht wie vereinbart verlassen hätten, sagte die Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), Constance Frey, der dpa. Auch weitere Bestandteile der Vereinbarung vom Mittwochabend wie Deutsch- und Ausbildungskurse oder die Beratung durch Caritas oder Diakonie während der Bearbeitung der Anträge der Flüchtlinge stünden den Bewohnern der früheren Schule nicht zu. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dagegen sieht den Senat in der Pflicht. Die Flüchtlinge müssten Unterstützung bekommen, egal ob sie in Charlottenburg, Spandau oder in Kreuzberg lebten, sagte der Sprecher von Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), Sascha Langenbach am Samstag.

Dass diese nun weiter in der Schule bleiben dürfe, sei »die verlängerte Duldung einer Besetzung«, so die Senatssprecherin. Bislang hätten die Flüchtlinge in der Schule kein Geld vom Senat erhalten, erklärte eine Sprecherin der Senatsverwaltung. Sie lebten vor allem von Spenden.

Auch die Übernahme der Kosten des Polizeieinsatzes ist ungeklärt. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), hat Forderungen, dass der Bezirk für den rund fünf Millionen Euro teuren Polizeieinsatz rund um die Schule aufkommen solle, zurückgewiesen. »Es erscheint wenig logisch, wenn eine staatliche Stelle plötzlich die andere bezahlen sollte«, sagte sie der »B.Z.«.

Peter Nowak

www.neues-deutschland.de/artikel/938323.wir-wollen-zurueck-in-unseren-kiez.html

Grüne waren nicht willkommen

DEMO Tausende Menschen fordern in Kreuzberg einen Wandel in der Flüchtlingspolitik

Auch zwei Tage nach der Einigung zwischen den Flüchtlingen in der früheren Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg und dem Bezirk geht die politische Auseinandersetzung um die Perspektive der MigrantInnen weiter. Am Samstagnachmittag beteiligten sich nach Angaben der Anmelder über 5.000 Menschen an einer Demonstration für einen Wandel in der Flüchtlingspolitik. Sie startete am Hermannplatz und endete nach einer Zwischenkundgebung am Oranienplatz vor dem Schulgebäude in der Ohlauer Straße mit einem HipHop-Konzert. Viele DemonstrantInnen trugen Schilder mit der Aufschrift „§ 23“. Nach § 23 Aufenthaltsgesetz könnte der Senat für die Flüchtlinge ein Bleiberecht aussprechen.

Der Kreis der UnterstützerInnen reichte von Gruppen der radikalen Linken über den Republikanischen Anwaltsverein (RAV) und die Ver.di-Jugend bis zum Berliner Flüchtlingsrat und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie. Auch Mitglieder der Linkspartei waren an der Demonstration beteiligt. Grüne waren offensichtlich nicht willkommen, viele RednerInnen kritisierten die Rolle der Partei heftig.

Aufgerufen hatte ein Bündnis „Bleiberecht für Alle“, das sich vor ca. einer Woche gegründet hat. Die Initiative ging von den beiden linken Gruppen Theorie und Praxis (TOP) und Interventionistische Linke (IL) aus. „Zwei Tage nach der Belagerung haben wir diese Demonstration beschlossen“, erklärte Felix Fiedler von TOP gegenüber der taz. Die Mobilisierung hat noch während der Belagerung der Schule begonnen. Auch nach der Einigung zwischen Flüchtlingen und Bezirk hat die Demonstration für Fiedler nichts von ihrer Bedeutung einbüßt. „Nichts ist gut in Kreuzberg“, betonte er. Die Räumung habe mehr als hundert Menschen obdachlos gemacht. Die Belagerung sei ein Spiel mit dem Leben der Geflüchteten. Das Lager- und Abschieberegime laufe munter weiter, so der Aktivist.

„Alle Zusagen gebrochen“

Heftige Kritik an der Politik übte auch Anwältin Berenice Böhlo auf der Auftaktkundgebung: „Wir mussten zusehen, wie der Bezirk und der Senat alle Zusagen und Versprechungen gegenüber den Geflüchteten vom Oranienplatz gebrochen haben. Wir befürchten, dass den Betroffenen von der Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule das gleiche Schicksal bevorsteht.“

Maria, eine ehemalige Bewohnerin, die die Schule freiwillig verlassen hatte, klagte über ihre aktuelle Lebenssituation: „Nach der Räumung transportierte die Polizei uns in ein abgelegenes Lager am äußersten Rand von Berlin, obwohl uns versprochen wurde, dass wir in Kreuzberg bleiben können. Jetzt müssen wir jeden Morgen um 5 Uhr aufbrechen, um unsere Kinder nach Kreuzberg in die Schule zu bringen. Unsere Freunde wohnen hier, wir wollen zurück in unseren Kiez.“

Bruno Watara von dem Demobündnis zeigte sich zufrieden über die große TeilnehmerInnenzahl. Es sei deutlich geworden, dass es nach dem Ende der Belagerung keine Ruhe in der Flüchtlingsfrage geben werde. Felix Fiedler stimmt dieser optimistischen Einschätzung mit einer Einschränkung zu. „Vor allem die Beteiligung der Zivilgesellschaft könnte noch wesentlich größer sein.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F07%2F07%2Fa0128&cHash=64c6a9957e2fa19b7f7dd4aff3cb6971

Peter Nowak

Vereinbarungen mit Flüchtlingen in Kreuzberg – aber keine Lösung

Viel wird davon abhängen, ob der außerparlamentarische Druck der letzten Tage für die Rechte der Geflüchteten anhält

Im Mittwochabend kam es in letzter Minute zu einer Vereinbarung im Konflikt um dievon Geflüchteten besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule [1]in Berlin-Kreuzberg: Die Flüchtlingsaktivisten können in der Schule bleiben, der Bezirk nahm das Räumungsbegehren zurück und die Polizei hebt nach über einer Woche die Sperrzone auf.
Ein Sicherheitsdienst soll nun in der Schule den Zuzug neuer Flüchtlinge verhindern. Eine Flüchtlingsunterstützerin sieht hier neue Konflikte vorprogrammiert: „Die Bewohner der Schule sind keine Gefangenen und werden sich nicht vorschreiben lassen, wer sie besuchen darf.“

Die Kreuzberger Grünen geben sich in einer Presseerklärung erleichtert und betonen, dass sie sich immer für eine einvernehmliche Lösung eingesetzt haben. Sie beschweren sich noch einmal darüber, dass in den letzten Tagen Spitzenpolitiker der Grünen in Kreuzberg bedroht worden seien. Tatsächlich dürften der als links geltenden Kreuzberger Parteiorganisation Schlagzeilen wie „Grüne wollen besetzte Schule räumen lassen“ [2] sauer aufgestoßen sein. Selbst ihnen nahestehende Medien wie die Taz haben die Grünen kritisiert. Nun können sie stolz auf eine andere Berichterstattung verweisen.

Jetzt solle man gefälligst die Kritik an den Senat richten, an dem die Grünen nicht beteiligt sind, kommentiert [3] die Taz heute. In die gleiche Kerbe schlägt der Berliner Co-Vorsitzende der Grünen, Daniel Wesener. Nachdem er auf die positiven Folgen der Einigung für den Stadtteil Kreuzberg hingewiesen hat, schreibt [4] Wesener:

Gleichwohl ist der Kompromiss keine Lösung für die dahinter stehenden Probleme. Wenn die Ereignisse rund um die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule eines gezeigt haben, dann doch wohl: Wir brauchen eine neue Asylpolitik und einen anderen Umgang mit Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Beides kann es nur geben, wenn sich alle politischen Ebenen, kommunale, Landes- und Bundesebene, unterhaken. Viel zu lange wurde von den verschiedenen Seiten nur die Verantwortung bei den anderen gesucht oder sich weggeduckt, anstatt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Neue Demonstrationen angekündigt

Wesentlich gedämpfter ist die Stimmung unter den Flüchtlingen [5]. „Dass wir nicht geräumt werden, ist ein Erfolg. Aber das geforderte Bleiberecht haben wir nicht erreicht“, erklärt ein Aktivist. Daher haben auch nicht alle Dachbesetzer die Vereinbarung unterschrieben.

Eine Ruhepause gönnen sich die engagierten Flüchtlinge auch nach dem Stress der letzten Tage nicht. Bereits am Donnerstagnachmittag mobilisieren sie zu einer Demonstration gegen die Verschärfung der Asylgesetzgebung (im Bundestag wurde die dritte Lesung zum Gesetzesvorhaben „Asylrechts-Verschärfung und den Doppelpass für Migrantenkinder [6]„, die ursprünglich nach der Sommerpause geplant war, vorverlegt).

Wie Geflüchteten Proteste erschwert werden, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. Ein Busunternehmen, das die Teilnehmer einer antirassistischen Demonstration [7] von Brüssel nach Berlin zurückbringen sollte und schon im Voraus bezahlt worden war, stornierte [8] kurzfristig den Vertrag und die Demoteilnehmer saßen damit in Brüssel fest. Die Aktivisten werfen der Polizei vor, auf den Busunternehmer Druck ausgeübt zu haben, den Vertrag zu kündigen, damit sich die Flüchtlinge nicht an den Protesten gegen die damals noch angedrohte Räumung der besetzten Schule beteiligen können.

Tatsächlich wird jetzt viel davon abhängen, ob die außerparlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich in den letzten Tagen für die Rechte der Geflüchteten eingesetzt haben, weiter engagieren und kritisch bleiben gegen die Parteien im Berliner Senat und Rathaus Kreuzberg. Ohne sie wäre die Schule schon längt geräumt und viele der Geflüchteten abgeschoben worden.

http://www.heise.de/tp/news/Vereinbarungen-mit-Fluechtlingen-in-Kreuzberg-aber-keine-Loesung-2249193.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.heise.de/tp/news/Sperrzone-mitten-in-Berlin-2248231.html

[2]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article129678886/Gruene-wollen-besetzte-Schule-raeumen-lassen.html

[3]

http://www.taz.de/Kommentar-besetzte-Schule-Kreuzberg/!141658/

[4]

http://gruene-berlin.de/pressemitteilung/gerhart-hauptmann-schule-ein-guter-kompromiss-aber-keine-echte-l%C3%B6sung

[5]

http://ohlauerinfopoint.wordpress.com

[6]

http://www.migazin.de/2014/07/03/asyl-gesetz-doppelpass-sommerpause-bundestag/

[7]

http://freedomnotfrontex.noblogs.org/

[8]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F07%2F02%2Fa0135&cHash=cc89db6ae113375484f5e63deda266c6

Erst fang’n se ganz langsam an

Ohlauer Trotz der Einigung über die von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin: Die Probleme der Asylpolitik sind noch nicht gelöst


Seit dem 24. Juni herrscht Belagerungszustand. Ein massives Polizeiaufgebot hat zahlreiche Straßen rund um die Gerhart-Hauptmann-Schule im Berliner Ortsteil Kreuzberg abgesperrt. Das seit Jahren leerstehende Gebäude war im Winter 2012 von Flüchtlingen besetzt worden. Nun sollte die Schule geräumt werden. Doch nur ein Teil der Menschen, die derzeit dort leben, akzeptierte die angebotenen Ausweichquartiere. Mehr als 50 Bewohner weigerten sich, das Haus zu verlassen, und besetzten das Dach.

Trotz der Polizeiblockade finden die Flüchtlinge Wege, mit ihren Unterstützern zu kommunizieren. Über die Sperrgitter hinweg werden gemeinsam Parolen skandiert: „No lager, no nation!“ Oder: „Stop Deportation!“ Die Polizisten, die dazwischenstehen, werden immer wieder von Passanten gefragt, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, Flüchtlinge an ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern. Doch die meisten Polizisten schweigen.

Die weiträumige Blockade sollte die Flüchtlinge offenbar zermürben und zum Aufgeben zwingen. Allerdings scheint die Polizei trotz Verstärkung aus dem gesamten Bundesgebiet nach fast einer Woche Belagerung am Ende ihrer Kräfte. Die sogenannten Besetzer wollten Pressekonferenzen abhalten, aber Journalisten verschiedener Medien wurde der Zutritt zur Schule verweigert. Das war für die Polizei ein Schuss ins eigene Knie. Es brachte ihr unter anderem den Vorwurf ein, nicht einmal ein Grundrecht wie die Pressefreiheit durchsetzen zu können.

Hier spricht Mimi

Presse und Dachbesetzer finden trotzdem Wege, miteinander zu sprechen: Die Verbindung wird etwa in einem Café in der Nachbarschaft via Webcam hergestellt. „Wir haben die Angst vor der Polizei verloren“, war am vergangenen heißen Wochenende, als es bei einer weiteren Protestveranstaltung beinahe zum Showdown kam, der erste Satz einer Migrantin, die sich als Mimi vorstellte. Sie betonte, dass die Gruppe in der Schule für eine grundlegende Veränderung der Flüchtlingspolitik kämpfe, nicht nur für persönliche Vorteile.

Mimi gehört zu den bekannteren Gesichtern des Widerstands. Sie sprach und spricht mit Journalisten, diskutierte auch schon mit Politikern und motiviert ihre Mitstreiter, wenn die aufgeben wollen. Die Enddreißigerin mit den Rastazöpfen ist als politisch Verfolgte aus einem afrikanischen Land nach Deutschland gekommen. Mehr will sie zu ihrer Biografie nicht sagen. Es gehe nicht um sie, sondern um den Kampf aller Flüchtlinge, betont sie immer wieder.

Unterdessen ist die Unterstützung in der Bevölkerung sichtbar gewachsen. Von Tag zu Tag steigt die Zahl der Menschen, die an der Dauermahnwache vor den Polizeiabsperrungen teilnehmen. An der jüngsten Demonstration gegen die Räumung der Schule beteiligten sich mehr als 6.000 Menschen. Mittlerweile hatte Christian Ströbele, Kreuzberger Bundestagsabgeordneter der Grünen, einen Kompromissvorschlag präsentiert. Danach soll auf die Räumung verzichtet werden. Stattdessen sollten die Flüchtlinge in einem Pavillon untergebracht werden, bis das Gebäude renoviert sei. Die Besetzer sahen in dem Angebot einen Fortschritt, bemängelten aber, dass das auch keine dauerhafte Lösung bringe, sondern den Konflikt nur vertage.

„Wir lassen uns nicht ein zweites Mal über den Tisch ziehen wie auf dem Oranienplatz“, erklären die Besetzer. Schließlich haben sie auf sehr konkrete Weise erfahren können, wie hart die angeblich moderate Kreuzberger Linie sein kann: Vor einigen Wochen wurde ein Flüchtlingscamp am Kreuzberger Oranienplatz geräumt. Ruhe ist dort bis heute nicht eingekehrt. Kürzlich setzten Unbekannte das Informationszelt in Brand, das die Flüchtlinge dort durchgesetzt hatten. Auch am Oranienplatz wurde mittlerweile eine Dauermahnwache für Flüchtlingsrechte eingerichtet. Und auch dort ist Polizei fast immer vor Ort und achtet darauf, dass kein neues Camp entsteht.

Dort moderiert Monika

Die aufgeheizte Lage wift ein grelles Licht auf den CDU-geführten Berliner Innensenat und die grüne Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann. Herrmann drückte ihre Solidarität mit den Protesten im Allgemeinen aus – machte aber deutlich, dass das Camp nicht mehr toleriert werde. Diese doppelbödige Moderatorinnenrolle konnte sie nur spielen, weil der Innensenat eine schnelle Räumung ohne weitere Verhandlungen forderte. Mit jener Strategie gelang es, die Bewohner des Camps auf dem Oranienplatz zu spalten. Die Bilder von auszugswilligen Flüchtlingen, die die Zelte und Hütten derjenigen niederrissen, die bleiben wollten, gingen durch die Presse. Und es stellte sich heraus, dass mehrere der Migranten, entgegen anderen Zusagen, doch abgeschoben werden sollen, ohne weitere Prüfung ihres Aufenthaltsstatus.

Nach gut einer Woche der Absperrung wächst bei den Anrainern der Kreuzberger Schule die Wut. Sie kommen nur mit Personalkontrollen zu ihren Wohnungen, Ladenbesitzer beklagen Umsatzeinbußen. „Ich habe eine Petition ans Abgeordnetenhaus geschrieben, ich frage mich, was die überzogenen Maßnahmen sollen“, sagt Manfred Schuffenhauer, der im Sperrgebiet eine Filmkunstbar betreibt.

Lange Zeit wurde der Kampf für eine humane Flüchtlingspolitik als Marginalie wahrgenommen. Doch jetzt ist der Widerstand nicht mehr zu ignorieren. An erster Stelle sollte dabei ein gesicherter Status für die Beteiligten stehen. Mit Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes, der den Behörden großen politischen Spielraum einräumt, gibt es dafür längst eine gesetzliche Grundlage.

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Update vom 3.7.2014

Am Mittwochabend kam es zu einer Einigung im Konflikt. Der Bezirk zog das Räumungsbegehren zurück, die Polizei hat bereits die die Sperrzone aufgelöst und die Flüchtlingsaktivisten sollen in der Schule bleiben können. Ein Sicherheitsdienst soll nun in der Schule den Zuzug neuer Flüchtlinge verhindern. Eine Flüchtlingsunterstützerin sieht hier neue Konflikte vorprogrammiert. „Die Bewohner der Schule sind keine Gefangenen und werden sich nicht vorschreiben lassen, wer sie besuchen darf.“

Die Kreuzberger Grünen geben sich in einer Presseerklärung erleichtert und betonen, dass sie sich für eine einvernehmliche Lösung eingesetzt haben.

Wesentlich gedämpfter ist die Stimmung unter den Flüchtlingen. „Dass wir  nicht geräumt werden, ist ein Erfolg. Aber das geforderte Bleiberecht haben wir nicht erreicht“, erklärt ein Aktivist. Daher haben auch nicht alle Dachbesetzer die Vereinbarung unterschrieben. Eine Ruhepause gönnen sich die engagierten Flüchtlinge auch nach den Stress der letzten Tage nicht. Bereits am Donnerstagnachmittag mobilisieren sie zu einer Demonstration gegen die Verschärfung der Asylgesetzgebung. Die dritte Lesung, die ursprünglich noch der Sommerpause geplant war, ist vorverlegt werden.

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https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/erst-fang2019n-se-ganz-langsam-an

Peter Nowak

Sperrzone mitten in Berlin

Noch immer droht die Räumung einer von Geflüchteten besetzten Schule

Seit dem 24. Juni herrscht in einem Teil des Berliner Stadtteils Kreuzbergs Belagerungszustand. Ein großes Polizeiaufgebot hat zahlreiche Straßen rund um die Gerhart-Hauptmann-Schule [1] weiträumig abgesperrt. Das seit Jahren leerstehende Gebäude war im Winter 2013 von Geflüchteten besetzt worden. Nun sollte die Schule geräumt werden. Doch nur ein Teil der Personen, die in den letzten Monaten in dem Gebäude gelebt haben, akzeptierte die angebotenen Ausweichquartiere. Mehr als 50 Bewohner weigerten sich, das Gebäude zu verlassen und besetzten das Dach [2].

Die Absperrungen sollten sie zermürben und zum Aufgeben bewegen. Nach der mehr als einwöchigen Belagerung zeigen sie sich aber weiterhin entschlossen, ihren Kampf für ein Bleiberecht und „gegen die deutsche Flüchtlingspolitik“ fortzusetzen. Manche drohen damit, vom Dach zu springen, wenn die Polizei das Gelände betreten sollte. Unterstützer, die zu den Geflüchteten regelmäßig Kontakte haben, betonen, dass es den Personen mit ihren Warnungen bitterernst ist.

Ultimatum des Polizeipräsidenten an die Politik

Dagegen wird in Medien immer wieder behauptet, dass die Polizei trotz Verstärkung aus dem gesamten Bundesgebiet am Ende ihrer Kräfte sei. Damit soll auch Druck für eine schnelle Räumung gemacht werden.

So gibt es ein von der Gewerkschaft der Polizei unterstütztes Ultimatum [3] des Berliner Polizeipräsidenten an die Berliner Politik. Entweder es wird jetzt schnell geräumt oder die Polizei soll abgezogen werden, heißt es dort. Nun legt die GdP noch nach und fordert [4], dass die Kosten für den langen Polizeieinsatz nicht aus dem Haushalt der Polizei, sondern der Politik beglichen werden soll.

Spiel mit verteilten Rollen

Dass es in dem Konflikt um ein Spiel mit verteilten Rollen zwischen den von den Grünen regierten Bezirk Kreuzberg und dem von der CDU geleiteten Berliner Innensenat geht, ist richtig. Diese Arbeitsteilung war bei der Räumung des Flüchtlingscamps am Oranienplatz [5] vor einigen Wochen deutlich geworden.

Während die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Die Grünen) ihre Solidarität mit den Flüchtlingsproteste im Allgemeinen ausdrückte, machte sie sehr deutlich, dass das Camp in ihrem Stadtteil nicht mehr toleriert wird. Ihre Rolle als Moderatorin konnte sie in dem Konflikt nur spielen, weil der Innensenat und die CDU eine noch schnellere Räumung ohne weitere Verhandlungen forderten.

Damit wuchs der Druck auf die Flüchtlinge, entweder die Räumung des Platzes zu den Bedingungen des Bezirks zu akzeptieren oder „Henkel [6] übernimmt das Kommando“. Mit dieser Strategie gelang es, die Bewohner des Camps auf dem Oranienplatz erfolgreich zu spalten. Die Bilder von auszugswilligen Flüchtlingen, die die Zelte und Hütten der Mitstreiter niederrissen, die den Platz nicht verlassen wollten, gingen durch die Presse.

Bald stellte sich heraus, dass die Zusagen für das Verlassen des Platzes, von den Behörden ignoriert wurden. So sollen mehrere der Flüchtlinge abgeschoben werden, obwohl eigentlich ihre Aufenthaltsstatus noch einmal überprüft werden sollte [7].

„Wir lassen uns nicht ein zweites Mal über den Tisch ziehen lassen, wie auf dem Oranienplatz“, erklärten die Besetzer der Schule immer wieder. Schließlich haben sie am eigenen Leib erfahren, wie repressiv auch die angeblich moderate „Kreuzberger Linie“ sein kann. Seit Monaten forderten die Bewohner der Schule den Einbau von Duschen. Doch der Bezirk stellte sich taub.

Schließlich hoffte man, die Bewohner eher zum Verlassen des Gebäudes zu bewegen, wenn die Lebensbedingungen dort so unerträglich wie möglich sind. Vor einigen Wochen endete ein Streit um die Benutzung der einzigen Dusche in der besetzten Schule für einen der Bewohner tödlich.

Wo bleibt die Zivilgesellschaft?

Die Auseinandersetzung um die Schule wird von vielen Medien häufig so dargestellt, als ginge es um einen Show-down zwischen den Geflüchteten und der Politik. Dann gibt es in dieser Lesart noch einige antirassistische Unterstützer, die die Geflüchteten angeblich radikalisieren. Diese Darstellung war in den letzten beiden Jahren über den neuen Flüchtlingswiderstand immer wieder verbreitet worden, entspricht aber nicht den Tatsachen.

Der politische Kampf der Geflüchteten, der im Sommer 2012 mit einem Marsch für Menschenrechte durch die gesamte Republik begonnen hat und zum Camp am Berliner Oranienplatz und später zur Besetzung der Schule führte, wurde von den Betroffenen selbstbestimmt geführt. Dieser Grundsatz ist ihnen wichtig. Wenn in Medien trotzdem immer wieder die Steuerung der Aktivisten durch Antirassisten aus Deutschland behauptet wird, so machen sie nur deutlich, dass die das politische Anliegen der Geflüchteten und ihre Erklärungen ignorieren.

Mittlerweile hat sich die Zivilgesellschaft in Berlin zu Wort gemeldet und die sofortige Aufhebung der Blockade gefordert. Am vergangenen Samstag beteiligten sich mehr als 5.000 Menschen an einer Demonstration gegen die Absperrungen. Unterstützt werden sie dabei von Anwohnern in Kreuzberg. Am 1. Juli beteiligten sich mehrere hundert Schüler und Studierende an einem Schulstreik [8] und solidarisierten sich mit den Geflüchteten.

Die Forderung nach einem Bleiberecht für die Geflüchteten wird auch in liberalen Medien Berlins jetzt erhoben. So begründet [9] die Berliner Zeitung diese Forderung so:

Berlin hat diesen Flüchtlingen in den vergangenen zwei Jahren die größtmöglichen Schwierigkeiten gemacht. Nach diesem kollektiven Politikversagen müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.

Diese Forderung wird auch in einem Öffentlichen Appell [10] an die Politik unterstützt. Mittlerweile gibt es unabhängig davon auch einen bundesweiten Aufruf [11], der für die Rechte der Geflüchteten eintritt. „Wir fordern die Gewährung eines dauerhaften Bleiberechts nach § 23, Abs. 1 Aufenthaltsgesetz für die Refugees“, heißt es dort.

Mit § 23 des Aufenthaltsgesetzes [12], der den Behörden einen großen politischen Beurteilungsspielraum einräumt, gäbe es dafür eine gesetzliche Grundlage, um die Forderungen der Geflüchteten umzusetzen und die Polizei sofort zurückzuziehen.

Räumungsdrohung nicht vom Tisch

Obwohl es in den letzten Tagen Signale gab, die auf eine Entspannung der Situation hindeuteten, hat sich in den letzten Stunden die Situation wieder zugespitzt. Von einem Abzug der Polizei ist nicht die Rede, dafür werden immer wieder Unterstützer, die Blockaden vor dem Sperrbezirk versuchen, von der Polizei angegriffen. Auch die Erklärungen des Berliner Innensenators Frank Henkel tragen wenig zur Entspannung bei. In einem Radiointerview [13]antwortete der CDU-Politiker auf die Frage des Moderators:

Zu einem Zeitpunkt kann und werde ich jetzt nichts sagen, ich empfinde es allerdings als einen Fortschritt, dass wenigstens Herr Panhoff, also aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, sich seit mehreren Monaten, dessen was sich da abgespielt hat, entgegenstellt und jetzt ein entsprechendes Räumungsersuchen gestellt hat.

Panhoff ist Mitglied der Grünen. Sofort machte die konservative „Welt“ mit der Schlagzeile [14] auf: „Grüne wollen die besetzte Schule räumen lassen.“ Die CDU und Henkel können sich also beruhigt zurück lehnen. Dass der Innensenator wegen seiner Biographie etwa Sympathien mit den Geflüchteten hat, ist nicht anzunehmen. Wie die Taz berichtete [15], kam er 1981 als Kind einer Flüchtlingsfamilie nach Deutschland. Doch, weil er mit seinen Eltern aus der DDR floh, wurde er mit offenen Armen empfangen.

http://www.heise.de/tp/news/Sperrzone-mitten-in-Berlin-2248231.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://ohlauerinfopoint.wordpress.com/

[2]

https://www.youtube.com/watch?v=x1g3UxoLkLA

[3]

http://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/DE_Ultimatum-von-Kandt

[4]

http://(http://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/DE_Einsatzkosten-nicht-zulasten-Polizeihaushalt

[5]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com/

[6]

http://www.cdu-fraktion.berlin.de/index.php%3Fka%3D1&ska%3Dprofil&pid%3D25

[7]

http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/der-senat-muss-seine-zusagen-gegenueber-den-fluechtlingen-einhalten-362

[8]

http://refugeeschulstreik.wordpress.com/

[9]

http://(http://www.berliner-zeitung.de/meinung/leitartikel-zur-ohlauer-strasse-die-fluechtlinge-muessen-ein-bleiberecht-bekommen,10808020,27674618,item,0.html

[10]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/07/ohlauerappell.pdf

[11]

http://worthalten.wordpress.com/

[12]

http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__23.html

[13]

http://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/_/muss-die-gerhart-hauptmann-schule-geraeumt-werden-.html

[14]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article129678886/Gruene-wollen-besetzte-Schule-raeumen-lassen.html

[15] http://www.taz.de/Ein-Fluechtling-in-Berlin/!141457

Rechtsdrehend grün

Die »AG für klares Deutsch« der Grünen dürfte kaum bekannt sein, ihr Leiter Rolf Stolz dafür umso mehr. Nicht nur die deutsche Sprache, auch die deutsche Nation haben es dem 65-Jährigen angetan. »Die Mullahs am Rhein. Der Vormarsch des Islams in Europa« und »Der Deutsche Komplex. Alternativen zur Selbstverleugnung« und »Deutschland Deine Zuwanderer« sind nur drei von vielen Büchern, in denen der bündnisgrüne Publizist für Nationalstolz eintritt.

Für die rechtskonservative Wochenzeitung »Junge Freiheit« publizierte Stolz ebenso wie er für verschiedene Rechtsaußenorganisationen als Referent tätig ist. In diesen Kreisen fällt er vor allem wegen seiner Parteimitgliedschaft auf. Denn Stolz ist seit 34 Jahren Mitglied der Grünen. »Ich bleibe bei den Grünen, um das politische Erbe von Petra Kelly und all denen, die wie ich seit 1980 für eine ökologische, pazifistische, soziale Antiparteien-Partei gekämpft haben, zu verteidigen«, sagte er gegenüber »neues deutschland«.

Die Kölner Kreisvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, strebt nun ein Ausschlussverfahren gegen Stolz an. Der aktuelle Anlass ist eine Rede bei der rechtslastigen Burschenschaft Danubia, wo er vor einer Überfremdung Deutschlands und der Antifa warnte. Es ist nicht das erste Mal, dass die Grünen Stolz loswerden wollen.

Er ist der bekannteste Vertreter des deutschnationalen Flügels bei den Grünen, der in der Frühphase viel von sich reden machte, heute aber kaum noch bekannt ist. Schon in den 80er Jahren wollte Stolz Rechte mit Linken ins Gespräch bringen. Davon will er sich auch durch Austrittsdrohungen nicht abhalten lassen. Vor allem nicht, wenn sie von denen kommen, die »aus der freiheitlichen Friedenspartei der 80er Jahre eine olivgrün militarisierte Block-FDP 2.0 gemacht haben«, so Stolz. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wollte Scholz ausschließen, ist damit aber gescheitert.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/937667.rechtsdrehend-gruen.html

Peter Nowak

Syrer nach Polen abgeschoben

Antirassistische Initiative verlangt, dass ein traumatisierter syrischer Flüchtling aus Warschau zurück nach Deutschland geholt wird.

Die Flüchtlingsorganisation Refugees Emancipation hatte zu einem Aktionstag vor dem Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt eingeladen. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni sollte über die Situation der Asylsuchenden in dieser Einrichtung informiert werden. An diesem Tag war ein syrischer Student, der sich seit 35 Tagen in Eisenhüttenstadt in Abschiebehaft befand, bereits nach Polen abgeschoben worden.

Diese Information kam vom »Netzwerk gegen Lager und Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt«, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, die Flüchtlinge beraten. »Auch der syrische Student, dessen Namen wir auf Wunsch des Betroffenen nicht bekannt geben, gehörte zu den Personen, die regelmäßig von uns besucht worden waren«, erklärt Torben Schneider von der antirassistischen Initiative.

Der Student habe mehr als einen Monat in einem syrischen Gefängnis gesessen, wo er Schlägen und einer Woche Isolationshaft in völliger Dunkelheit ausgesetzt gewesen sei, berichtet Schneider. »Nach diesen traumatisierenden Ereignissen versuchte er, sich nach seiner Entlassung das Leben zu nehmen, floh später über Jordanien und Polen nach Frankfurt am Main und wollte zu seinem Bruder, der in Köln lebt.« Nach einer Kontrolle durch die Bundespolizei wurde er in Eisenhüttenstadt inhaftiert. Rechtsgrundlage ist das Dublin-System, nach dem Asylsuche in dem EU-Land bleiben müssen, dass sie bei ihrer Flucht zuerst betreten, Die gesundheitliche Situation spielt dabei oft keine Rolle. Dabei sah die Ausländerbehörde eine besondere Schutzbedürftigkeit des Syrers wegen Traumatisierung, was ihn aber weder vor der Haft noch vor der Abschiebung bewahrte.

Den Besuchern von der antirassistischen Initiative fiel der besorgniserregende Zustand des jungen Mannes sofort auf. In der Abschiebehaft sei er zuletzt total abgemagert gewesen, heißt es. Er habe jeden Appetit verloren und panische Angst vor dem Einschlafen gehabt. »Er litt unter den immer wiederkehrenden Bildern von der Folter in Syrien und hatte Suizidideen«, erzählt Schneider.

Man kontaktierte den Verein »KommMit für Migranten und Flüchtlinge«. Die dort tätige Psychologin Hanna Grewe untersuchte den Syrer. »Er war dringend behandlungsbedürftig, hätte niemals als ein Opfer von Folter und Menschenrechtsverletzungen in Abschiebehaft genommen werden dürfen, da dies zu einer Retraumatisierung führt«, schrieb sie in einer Stellungnahme.

Doch mit dieser Stellungsname konnte sich das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) nicht mehr befassen, weil der Flüchtling einige Tage früher als angekündigt abgeschoben wurde, wie Ivana Domazet vom Flüchtlingsrat Brandenburg kritisierte. Torben Schneider fordert nun, dass die Wiedereinreise des Syrers sofort veranlasst wird. Zurzeit lebt der Mann in Warschau.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/937235.syrer-nach-polen-abgeschoben.html

Peter Nowak

Ist Psychiatrie heute noch Folter?

Eine Einladung nach Berlin macht deutlich, wie unterschiedlich die Ansichten über die Psychiatrie heute noch sind

„Menschenrechte und Psychiatrie“ [1] lautete der Titel einer Expertentagung mit hochkarätiger Besetzung, die am Donnerstag in Berlin stattgefunden hat. Auf Einladung der Deutschen Gesellschaft fürPsychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde [2] sprach dort auch der UN-Beauftragte zu Fragen des Genozids und Folter, [3]Juan E. Méndez [4].

Er wurde bereits am Eingang Transparenten empfangen. „Willkommen in Berlin, Herr Méndez“ [5] lautete das Motto eines Bündnisses von Kritikern der aktuellen Psychiatrie in Deutschland. Sie machten auch deutlich [6], dass der Willkommensgruß nur dem UN-Beauftragten, nicht aber dessen Gastgeber galten.“Juan E. Méndez hatte eine ungewöhnliche Einladung erhalten: eine Organisation der Täter, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde, hatte ihn zum Vortrag über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen in der Psychiatrie am 19.6.2014 nach Berlin eingeladen“, heißt es auf der Homepage der Psychiatriekritiker.

Folter in der Psychiatrie endlich abschaffen

Doch es sind nicht nur die Psychiatrieerfahrene und –betroffene, die auch die moderne Psychiatrie mit Folter in Verbindung bringen. So haben 9 Professoren, 4 Rechtsanwälte sowie ein ehemaliger BGH-Richter ein Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie [7] gegründet, in dem sich inzwischen 20 Organisationen von Menschenrechtsaktivisten und Betroffene zusammengeschlossen haben.

Dieses Bündnis beruft sich nun ausdrücklich auf Juan E. Méndez. Er hat als Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in der 22. Sitzung des „Human Rights Council“ am 1. Februar 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter bzw. grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erklärt [8]. Zudem forderte Méndez dort von allen Staaten, dass sie „ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen“ verhängen sollen. Darunter fällt für ihn ausdrücklich die Anwendung „nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung“.

Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist „sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen“, mahnte Méndez. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit öfter geurteilt [9].

Umdenken bei der Psychiatrie?

Die Aktivisten, die den UN-Beauftragten aber nicht dessen Gastgeber in Berlin begrüßten, fordern vom Gesetzgeber, dass endlich die Postulate von Méndez auch in Deutschland umgesetzt werden. „Gewaltfreie Psychiatrie jetzt“ lautete das Motto. Könnte nicht die Einladung des erklärten Folter-Gegners durch die führende Organisation der Deutschen Psychiatrie ein hoffnungsvolles Zeichen für ein Umdenken bei den Organisatoren sein?

Rene Talbot, der bei den Berliner Psychiatrie-Erfahrenen aktiv ist, ist davon nicht überzeugt. Er bezeichnet es als zynisch, dass die Tagung mit dem Titel „Menschenrechte und Psychiatrie“ auf der Méndez eingeladen war und auf der eine „ethische Positionierung der DGPPN“ vorbereitet werden soll, ausgerechnet von einem Präsidenten der DGPPN, Prof. Wolfgang Maier, eröffnet wird, der ein deutscher Erbhygieniker sei. „Die Erbhygiene umetikettiert als ‚psychiatrische Genetik‘, die Prof. Wolfgang Maier als Vorsitzender der Sektion „Genetics of Psychiatry“ bei der World Psychiatric Association vertrat, war die ideologische Grundlage, mit der Ärzte versuchten, ihr systematisches Gaskammer-Massenmorden ab 1939 in Deutschland zu rechtfertigen – das Mordsystem, das anschließend zum Massenmord an Juden, Roma, Sinti und Homosexuellen ins besetzte Polen exportiert wurde“, so Talbot.

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Psychiatrie-heute-noch-Folter-2236185.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.zwangspsychiatrie.de/cms-67UN/wp-content/uploads/2014/06/Mendez-DGPPN.pdf

[2]

http://www.dgppn.de/

[3]

http://www.ohchr.org/en/issues/torture/srtorture/pages/srtortureindex.aspx

[4]

http://www.un.org/en/preventgenocide/adviser/juanmendes.shtml

[5]

http://www.zwangspsychiatrie.de/2014/06/willkommen-in-berlin-herr-mendez/

[6]

http://www.zwangspsychiatrie.de/cms-67UN/wp-content/uploads/2014/06/Mendez-DGPPN.pdf

[7]

http://www.folter-abschaffen.de/

[8]

http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session22/A.HRC.22.53_English.pdf

[9]

http://www.zwangspsychiatrie.de/2013/01/nun-offensichtlich-psychiatrie-ist-nackte-gewalt/

Verfassungsschutzbericht: Anstieg der fremdenfeindlichen Gewalt

Salafisten stellen „die größte Bedrohung für die innere Sicherheit im terroristischen Phänomenbereich“ dar

Die Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes ist ein jährliches Ritual in der deutschen Innenpolitik. Gestern wurde vom Bundesinnenminister der VS-Bericht 2013[1] präsentiert. Wie üblich wurde auf das politische Spektrum links und rechts der ominösen politischen Mitte geblickt und vor den dortigen Entwicklungen gewarnt[2].

Das Potential der sogenannten Linksextremisten sei 2013 gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen, linke Gewalttaten aber hätten zugenommen, so Innenminister Thomas de Maizière. Er und VS-Präsident Maaßen konstatierten eine neue Ruppigkeit im Umgang mit der Polizei, aber auch mit Mitarbeitern in Jobcentern und der Ausländerämtern.

Beide Beamten zogen als Beleg für gestiegene Gewaltbereitschaft im linken Spektrum die militanten Auseinandersetzungen bei und nach einer Demonstration zum Erhalt des Kulturzentrums Rote Flora in Hamburg im Dezember letzten Jahres heran (Gummigeschosse und Führerscheinentzug statt Lösung sozialer Probleme[3]). Dabei sind der genaue Ablauf der Ereignisse und der angebliche Überfall auf eine Polizeiwache umstritten (Hamburg: Die einen sagen so, die anderen so[4]). Politische Beobachter monierten schon länger, dass sich in den gestiegenen Zahlen über angeblich gestiegene linke Gewaltbereitschaft auch die Strafanzeigen wegen Beteiligung an Sitzblockaden einfließen.

Dagegen hat die Zahl der explizit militanten linken Demonstrationen eher abgenommen, was auch die Entwicklung rund um die Revolutionäre 1.Mai-Demonstration in Berlin-Kreuzberg[5] zeigt.

Gewalt gegen Migranten

Auch im rechten Milieu hat sich nach dem VS-Bericht die Zahl des harten Kerns reduziert, doch die Gewaltbereitschaft sei gegenüber dem Vorjahr 2013 signifikant angestiegen und habe den höchsten Stand seit 2006 erreicht. So sei allein im vergangenen Jahr die Zahl der Angriffe mit fremdenfeindlichen Motiven noch einmal um 20 Prozent auf 473 Übergriffe gestiegen. Das waren 80 mehr als 2012.

De Maizière sprach bei Vorstellung des Verfassungsschutzberichts von „unablässigen“ Versuchen der rechten Szene, „die Stimmung gegenüber Fremden zu vergiften“. Auch hier verweisen Kritiker auf die Verantwortung der Politik durch die Unterbringung der Menschen in Heimen in Gegenden, die sie sich nicht ausgesucht haben. Die Auflösung der Heime und die Unterbringung der Flüchtlinge in Privatwohnungen ihrer Wahl würden rechte Kampagnen zumindest erschweren, allerdings den Rassismus nicht beseitigen, der sich nicht auf die offene Rechte beschränkt.

Salafistische Gefahr?

Einen großen Stellenwert bei der Vorstellung des VS-Berichts nahm auch die zunehmende Gefahr vor gewaltbereiten Islamisten ein. Vor allem Salafisten, die im syrischen Bürgerkrieg gekämpft haben und jetzt zurückkehren, sind damit gemeint. Mehr als 270 deutsche Islamisten seien zum Dschihad nach Syrien gegangen: „ein Trend, dessen Ende nicht abzusehen ist“.

Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist von 42.550 (2012) auf 43.190 gestiegen. Der Anstieg beruht insbesondere auf dem stetigen Zuwachs bei den Anhängern salafistischer Bestrebungen in Deutschland.

Verfassungsschutzbericht 2014

„Mit Blick auf den islamistischen Terrorismus kann ich feststellen, dass der derzeit für uns die größte Bedrohung für die innere Sicherheit darstellt, jedenfalls im terroristischen Phänomenbereich“, formulierte Hans Georg Maaßen diese Sorge im Bürokratendeutsch seiner Behörde.

Mit der salafistischen Gefahr wird denn auch die in Kritik stehende enge Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten, also etwa den amerikanischen, legitimiert: „Der Anschlag von Brüssel hat uns vor Augen geführt, dass aus der Möglichkeit eines Anschlags durch solche Syrien-Rückkehrer eine tödliche Realität geworden ist. Eine enge Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden untereinander und mit internationalen Partnern ist zur Eindämmung dieser Gefahr unerlässlich“, erklärte de Maizière.

Natürlich wird der VS-Bericht seit jeher als Steinbruch betrachtet, aus dem sich die jeweiligen politischen Akteure, die Teile herausbrechen, die für ihre Argumentation taugen. So hat der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei[6] Oliver Machow in einem Interview[7] sofort den sogenannten Linksextremismus als besonders besorgniserregend bezeichnet. Die GdP hat sich auch in der Vergangenheit immer darum bemüht, die radikale Linke als besonders gefährlich darzustellen.

Ob das auch daran liegt, dass diese Kreise besonders polizeikritisch sind und mit Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Vergangenheit bereits öfter Menschenrechtsverletzungen bei der Polizei aufgedeckt haben. Auch das Versagen von Polizei und Ermittlungsbehörden gegenüber rassistischer Gewalt wurde immer wieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Einzelpersonen thematisiert[8]. Erst kürzlich hat die Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg gemeinsam mit der sächsischen Heinrich Böll Stiftung eine Studie[9] herausgegeben, die dieses Versagen bei einem rechten Überfall auf eine Gruppe von Indern im sächsischen Mügeln nachweist.

Gesetzesverschärfungen angedacht?

Auch die Angst vor salafistischen Anschlägen in Deutschland, die so neu nicht ist, hat einen anderen Polizeigewerkschafter schon einmal dazu animiert, Lösungsvorschläge in Umlauf zu bringen, die mit dem Grundgesetz kaum vereinbar sein dürften. So regte GDP-Funktionär Rainer Wendt an, salifistische Syrien-Rückkehrer die Wiedereinreise nach Deutschland zu verweigern[10].

Davon abgesehen, dass die Islamisten auch außerhalb der deutschen Grenzen eine Gefahr darstellen, wenn sie Anschläge planen, sind viele der Betroffenen deutsche Staatsbürger, die gar nicht ausgebürgert werden können. Es steht daher zu befürchten, dass die Angst vor dem Salafismus dazu dient, über Verschärfungen bei den Ausländergesetzen nachzudenken. Der sozialdemokratische Innenminister von Baden Württemberg Reinhard Gall hat denn auch schon wieder die Vorratsdatenspeicherung als Mittel gegen den Salafismus[11] in Gespräch gebracht. Auch die Formulierungen im Bericht machen deutlich, dass weiterhin Druck von den Sicherheitsbehörden auf eine noch größere Kontrolle und Überwachung ausgeübt wird:

Mit den neuen technischen Mitteln verändern sich auch Agitations- und Radikalisierungsvarianten: Das Internet wird zum Katalysator neuer Strukturen im Extremismus, zur Keimzelle neuer Aktionsformen in der Realwelt. Das Medium Internet wird bei der Verbreitung extremistischer Propaganda, als Kommunikationsplattform und nicht zuletzt bei der Koordination von Aktivitäten weiter an Bedeutung gewinnen: eine Entwicklung, der sich die Sicherheitsbehörden mit geeigneten Mitteln entgegenstellen müssen.

Verfassungschutzbericht 2014

Mehrere Zeitungen haben sich bei der Vorstellung des diesjährigen VS-Berichtes daran erinnert, dass der Dienst durch ihr Versagen im Kampf gegen NSU massiv an Glaubwürdigkeit verloren hat. Wenn es nun zu diesem Komplex im aktuellen VS-Bericht heißt: „Aus den Reaktionen des rechtsextremistischen Spektrums zum NSU-Komplex können jedoch keine unmittelbaren Anhaltspunkte für ein mögliches rechtsterroristisches Handeln abgeleitet werden“, könnte man sagen, die Dienste kehren wieder zu ihrer alten Praxis zurück. Auch vor der Selbstenttarnung der NSU mochten sie keine rechtsterroristischen Gefahren in Deutschland erkennen.

In Berlin sorgte vor einigen Wochen ein öffentliches Wandbild[12], auf dem eine Kooperation zwischen Staat und NSU behauptet wird, für einen Polizeieinsatz. Ein antirassistisches Bündnis[13] spricht von Zensur. Für die Kritiker des VS ist hingegen die NSU-Affäre nicht vergessen. Sie verweisen darauf, dass sämtliche im VS-Bericht aufgeführten Informationen und Zahlen genau so gut von zivilgesellschaftlichen Gruppen geliefert werden könnten.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42043/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/06/vsb2013.html

[2]

http://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2013-kurzzusammenfassung

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40647/

[4]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40732/

[5]

http://www.rbb-online.de/politik/thema/erster-mai-2014/beitraege/walpurgisnacht-1-mai-berlin-2014.html

[6]

http://www.gdp.de

[7]

http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_Malchow-Linksextremismus-ebenso-entschlossen-bekaempfen-wie-Extremismus-von-rechts

[8]

https://www.kop-berlin.de/

[9]

http://www.boell.de/sites/default/files/muegeln_download.pdf

[10]

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/polizeigewerkschaft-ausweisung-von-syrien-rueckkehrern-gefordert/10067338.html

[11]

http://www.deutschlandfunk.de/terrorgefahr-in-deutschland-ernsthafte-bedrohung-durch.694.de.html?dram:article_id=289512

[12]

http://www.dropbox.com/sh/0d3n3vfgbhergmk/AAAVxa_5rzZInZYtB0wRYku9a

[13]

http://buendnisgegenrassismus.org/)

Neue Friedensbewegung oder Querfront?

Papierlos, rechtlos

Bürokratie: Menschen ohne Arbeitserlaubnis können bei Verdi nicht mehr Mitglied werden. eine Justizposse

Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen. So präsentieren sich  die deutschen Gewerkschaften gerne nach außen. Doch wenn es um Flüchtlinge geht, hört die Solidarität schnell auf – zumindest beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Die Vorstandsetage ist nämlich der Auffassung, dass Ausländer ohne Arbeitserlaubnis nicht Verdi-Mitglied werden dürfen.Begonnen hat es im vergangenen Sommer, als rund 300 Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in die Gewerkschaft aufgenommen wurden – vom Hamburger Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Die Asylbewerber schrieben .

„In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden,  die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt“. Seitdem sah  man  auf Flüchtlingsdemonstrationen häufig  Ver.di-Fahnen. Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme hat vom ver.di-Bundesvorstand eine Abmahnung bekommen. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die -Satzung verstoßen. Begründet wurde das mit einer Stellungnahme der Verdi-Verwaltung, die formaljuristisch in Ordnung sein mag, mit der Wirklichkeit und den Herausforderungen einer Gewerkschaft aber herzlich wenig zu tun hat. Zum einen wird bemängelt, dass eine Lampedusa-Flüchtlinge als Bauarbeiter oder Automechaniker arbeiteten, also bei der Dienstleistungsgewerkschaft falsch seinen. Dies verkennt jedoch die Lebensrealität der meisten Migranten, die sich mit kurzfristigen Arbeitsverhältnissen herumschlagen müssen. Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln? Zum anderen argumentieren die Bürokraten von Verdi, dass diejenigen Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, weder lohnabhängig noch erwerbslos seine. Dabei gelingt der Gewerkschaftsführung ein Kunstgriff, in dem sie sich „weniger auf den Zustand der Erwerbslosigkeit als auf arbeitsmarktpolitische bzw. sozialrechtliche Zuordnung“ beruft. Das heißt: da die Flüchtlinge vom Staat nicht als erwerbslos gemeldet werden, dürfen sie sich nicht in Verdi organisieren.Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Verdi gegenüber den Arbeitgebern geschwächt? Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren. Die Erwerbslosen können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht sich auch der Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso. Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Verdi-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt. Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Verdi-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist inzwischen zwar nicht von seiner Position abgerückt, aber es gibt einige Hoffnungsschimmer. Die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen trotz des Gutachtens Verdi-Mitglieder bleiben. Zudem existieren seit einigen Jahren in mehreren Städten  Ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Papierlos aber nicht rechtlos, lautet ihr Motto. Es sollte für alle Flüchtlinge gelten. Vor allem in den Gewerkschaften.

Peter Nowak

aus Wochenzeitung Freitag 24/2014 vom 6.4. 2014

https://www.freitag.de/inhaltsverzeichnis

Der Pranger kommt im Internetzeitalter wieder

Eine Ausstellung in Berlin wirft die Frage auf, ob ein juristisches Verbot von Hygienelisten im Internet nicht auch ein Beitrag zum Kampf gegen eine überwachte Gesellschaft ist

„Außer Kontrolle – Leben in einer überwachten Welt“[1] lautet der Titel einer Ausstellung, die im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen ist. Der Besuch lohnt sich, gerade weil sie sich nicht auf die Themen NSA und Snowden fixiert, die beim Titel der Ausstellung zu erwarten gewesen wären. Die Ausstellung richtet vielmehr den Fokus auf die Aspekte einer überwachten Gesellschaft, die in der aufgeregten Diskussion der letzten Monate oft zu kurz kamen.

Die Ausstellung beginnt mit kleinen Tafeln, auf denen in Bild und Text gezeigt wurde, wie im Mittelalter tatsächliche oder vermeintliche Straftäter, aber auch viele Menschen, die einfach in ihrer Zeit ein unangepasstes Leben führten, angeprangert worden sind. Sie trugen Schilder um den Hals, auf denen ihrer „Verbrechen“ aufgeführt waren, bevor oft auf grausame Weise hingerichtet wurden. Sie wurden gerädert, geköpft oder viergeteilt, oft weil sie beschuldigt wurden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.

Man sieht auf den Bildern unangepasste Frauen, die als Hexen angeprangert worden sind. Wenn man denkt, das sei nur ein kurzer Blick in ein fernes finsteres Zeitalter, wird man schnell eines Schlechteren belehrt. Es werden Fotos von Juden gezeigt, die nach 1933 auf der Straße an den Pranger gestellt, von SA-Männern gewacht und vom deutschen Mob begeifert worden sind. Wenige Jahre später wurden Frauen mit geschorenen Haaren auf den Pranger gestellt, weil sie Beziehungen mit nichtdeutschen Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern eingegangen haben sollen. Und auch die Ausrede, auch diese finstere Zeit sei ja nun endgültig vorbei, wird der Ausstellungsbesucher nicht geltend machen können.

Eine Festnahme reicht für den Internetpranger

Auf einen kleinen Bildschirm blicken einem etwa die Gesichter von Menschen aller Altersstufen entgegen, die in ganz moderner Form angeprangert wurden. In einigen US-Staaten stellt die Polizei sämtliche Fotos von Menschen ins Netz, die sie festgenommen hat. In Kurzform werden Angaben zur Person und zum Grund der Festnahme genannt. Eine Frau wird beschuldigt, eine minderjährige Person in ihrer Wohnung beherbergt zu haben, ein junger Mann ist mit einer kleinen Menge Marihuana erwischt worden und ein anderer soll die öffentliche Ordnung gestört haben.

Es gab keinen Gerichtstermin und keine Verurteilung. Allein die Tatsache, dass sie von der Polizei dieser Delikte beschuldigt, reicht nach den Gesetzen dieser US-Bundesstaaten aus, um diese Menschen an den virtuellen Pranger zu stellen.

Auf einer anderen Webseite sind die Daten von Menschen aufgelistet, die das Gefängnis verlassen haben. Ihr aktueller Wohnort ist dort ebenso aufgeführt wie die die Delikte, wegen derer sie inhaftiert waren. Gerade für Menschen, die in kleineren Orten wohnen, kann ein solcher Internetpranger gravierende Folgen haben. Obwohl sie ihre Strafe abgesessen haben, werden sie so vor der Bevölkerung weiterhin als Feindbild präsentiert.

Fokus auch auf die Bevölkerung als Mob und Voyeur

Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass sie ihren Fokus nicht nur auf die Überwachung durch die Staatsapparate richtet, die schon vor Jahrhunderten begonnen hat, sondern auch thematisiert, wie große Teile der Bevölkerung daran beteiligt waren und sind.

Ohne einen Mob, der sich das Spektakel ansah, hätte schon im Mittelalter der Pranger nicht seine Wirkung entfalten können. Auch später waren die öffentlichen Hinrichtungen eine große Volksbelustigung, worauf Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ ausführlich hingewiesen hat.

Dass sich auch im Internetzeitalter das voyeuristische Interesse großer Teile der Bevölkerung gut aufrufen lässt, wird nicht nur am Beispiel der USA deutlich gemacht. Da werden Ausschnitte von Fernsehsendungen von Bärbel Schäfer[2] gezeigt, in denen das Darstellungsbedürfnis mancher Menschen auf den Voyeurismus der Zuschauer trifft, die jeden Fehltritt für ihren Hohn und Spott der schnell in Verachtung übergehen kann, ausnutzen.

In der Ausstellung wird aber auch gezeigt, wie scheinbar alte regionale Bräuche zur Diskriminierung und Abwertung von Menschen herhalten müssen, die nicht nach der gesellschaftlichen Norm leben. So reicht es in Norddeutschland, wenn eine Frau mit 25 Jahren noch unverheiratet ist, um sie in ihrem Wohnumfeld „alte Schachtel“ zu markieren. In einer anderen norddeutschen Stadt muss ein Junggeselle eine Rathaustreppe säubern, die von einer johlenden Menge immer wieder mit Bechern und andern Müll beworfen wird. Hier zeigt sich, wie sich unter dem Deckmantel alter Bräuche Ressentiments Bahn brechen, die sich gegen Menschen richten,

Anprangern zum guten Zweck?

Kurz wird in der Ausstellung auch auf die verschiedenen Hygienelisten eingegangen, mit denen sich in Berlin und anderen Städten Verbraucher über die hygienischen Verhältnisse in Restaurants und Lebensmittelläden informieren sollen

Da es dafür die gesetzliche Grundlage nicht gibt, wurden sie gerichtlich verboten[3]. Die Entscheidung hat bei großen Teilen der Öffentlichkeit für Unverständnis gesorgt. Der den Grünen angehörende Politiker, der besonders vehement für die Hygieneliste gekämpft hat, wird von der Berliner Boulevardpresse mit dem lobend gemeinten Titel Sheriff[4] adressiert.

Doch die Ausstellung legt die Frage nahe, ob die Entscheidung zum Verbot solcher Listen nicht durchaus mit dazu beiträgt, die überwachte Gesellschaft und deren weitere Sheriffizierzung zurückzudrängen. Schließlich sind auch die Sheriffs in den USA überzeugt, dass sie nur zum Wohle der Gesellschaft handeln.

Die Ausstellung „Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt“ ist im Museum für Kommunikation Berlin[5] bis zum 24. August 2014 zu sehen.

Anhang

Links

[1]

[2]

[3]

[4]

[5]

„Vögeln ist schön“