„Nur Befehle geben“

Die Initiative Multitude e. V. hat fast ein Jahr lang Deutschkurse für die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft im Berliner Stadtteil Grünau angeboten. Die Firma PeWoBe, die das Heim betreibt, hat dem Verein jedoch mittlerweile untersagt, die Kurse weiterzuführen. Ein Heimbewohner, der anonym bleiben will, hat mit der Jungle World gesprochen.

Small Talk von Peter Nowak

Sie haben den von Multitude angebotene Deutschkurs besucht. Was bedeutete er für Sie?

Ich konnte mich mit niemandem unterhalten und habe deshalb mein Zimmer nie verlassen, um mir beispielsweise die Stadt anzuschauen. Daher bin ich mir wie im Gefängnis vorgekommen. Als Multitude den Deutschkurs angeboten hat, war das für mich ein großes Geschenk. Als die Initiative den Kurs nicht mehr anbieten konnte, hatte ich ein sehr schlechtes Gefühl.

Wurden die Gründe für die Einstellung des Kurses mitgeteilt?

Ich habe später erfahren, dass Multitude den Kurs nicht mehr anbieten durfte, weil sich die Initiative für die Belange der Bewohner eingesetzt und Kritik an manchen Zuständen im Heim geübt hat. Von der Heimleitung hat mich niemand darüber informiert. Das war auch nicht zu erwarten. Die ist sehr autoritär.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ich habe mich mit einigen Mitarbeitern des Wachdienstes unterhalten und sie trotz der Sprachprobleme auch verstanden. Als die Heimleitung davon über die angebrachten Kameras erfahren hat, wurde es verboten. Der Wachdienst soll sich nicht mit den Bewohnern freundschaftlich unterhalten, sondern nur Befehle geben.

Sie beklagen auch eine mangelnde Privatsphäre in dem Heim.

Die Heimleitung hat einen Schlüssel zu allen Türen und kann die Zimmer jederzeit betreten, egal ob die Bewohner anwesend sind oder nicht. Oft werden sie aufgefordert, ihr Zimmer aufzuräumen. Bei mir öffnete ein Mitarbeiter der Heimleitung den Kühlschrank und forderte mich auf, ihn zu putzen.

Können Sie das Internet im Heim nutzen?

Nein, dabei gab es eine Initiative, W-Lan im Heim einzurichten. Doch die Heimleitung hat erklärt, das sei aus technischen Gründen nicht möglich. Dabei wäre eine Internetnutzung für uns eine große Erleichterung.

Gibt es Proteste unter den Bewohnern?

Die Sprachprobleme und der ständige Wechsel der Bewohner erschweren das. Viele meiner Mitbewohner, mit denen ich mich gut verstanden habe, wurden mittlerweile abgeschoben oder in ein anderes Heim verlegt.

http://jungle-world.com/artikel/2013/47/48863.html

Interview: Peter Nowak

Im Kampf gegen die Global City

„Die Gezipark-Proteste haben ein Bewusstsein für die Probleme der Stadterneuerung geschaffen“, sagt der türkische Regisseur Imre Azem Balanli. Im Film „Ekümenopolis“ befasste er sich mit dem Recht auf Stadt-Bewegung In der Türkei. Im Interview berichtet er über die Stadtentwicklungspolitik der AKP und wie sich die jüngsten Proteste dazu verhalten.

vorwärts: In Istanbul ist die Umstrukturierung in vollem Gange und wird mit der AKP-Regierung verbunden. Welches ökonomische Modell steht dahinter?

Imre Azem Balanli: Die türkische Regierung will Istanbul zur Global City und zum führenden Finanzzentrum des Nahen Ostens machen. Der Staat schafft dafür die Gesetze und beseitigt die Hindernisse. Allerdings begann diese Entwicklung nicht erst mit der AKP-Regierung, sondern schon mit dem Militärputsch 1980. Das war der Beginn des Neoliberalismus in der Türkei.


vorwärts: Welche Auswirkungen hatte dieser Einschnitt auf die Wohnungspolitik?

Imre Azem Balanli: In den 70er Jahren war eine Wohnung in der Türkei noch eine private Investition in die Zukunft. Das hat sich in den 80er Jahren verändert. Von da an wurden Wohnungen zu Spekulationsobjekten, mit denen Profit gemacht werden konnte. Wie in vielen anderen Ländern wurde der Wohnungs- und Immobilienmarkt auch in der Türkei zum Zugpferd einer kapitalistischen Ökonomie, die komplett nach dem Import ausgerichtet ist. Während der AKP-Regierung stiegen die Auslandsschulden der Türkei enorm an. Durch die Verkäufe im Wohnungssektor soll hier ein Ausgleich geschaffen werden.

vorwärts: Welche Anreize schafft die Regierung, um die oft mit Verlust gebauten Wohnungen zu verkaufen?

Imre Azem Balanli: Wohnungen werden zunehmend an Leute im Ausland verkauft. Vor zwei Jahren wurde die Limitierung für Immobilienverkäufe ins Ausland aufgehoben. Schon ein Jahr später wurden Immobilien in Milliardenhöhe in die Golfstaaten verkauft. Zudem wird innerhalb der Türkei die Herausbildung einer kaufkräftigen Schicht gefördert, die sich einen Kauf dieser Wohnungen leisten kann. Diese Entwicklung wird vom Staat gezielt vorangetrieben und geht mit der Vertreibung der bisherigen BewohnerInnen einher, die sich die neuen, teureren Wohnungen nicht leisten können. In diesem Zusammenhang steht der Kampf gegen die Arbeitersiedlungen, die sogenannten Gecekondular.


vorwärts: Warum sind diese Siedlungen zum Hindernis für eine Globalcity geworden?

Imre Azem Balanli: Die Gecekondular wurden in den 50er und 60er Jahren von Fabrikarbeitern gebaut, weil der türkische Staat nicht über genügend Kapital verfügte. Er gab den ArbeiterInnen sogar staatliches Land, damit sie dort ein Haus bauen konnten. Dies war eine Subvention durch den Staat, mit der sie an ihn gebunden werden sollten. Allerdings wurden diese Stadtviertel oft zu Hochburgen linker Gruppen, in denen eine für den Staat unerwünschte Gegenmacht entstand, die dann mit repressiven Massnahmen bekämpft wurde. Seit der Transformation zur Dienstleistungsgesellschaft sind die ArbeiterInnen in der Stadt unerwünscht, weil sie nicht genügend Geld für den Konsum haben. Sie sollen aus der Innenstadt verschwinden. Die Politik der Stadterneuerung hat das erklärte Ziel, sie an den Stadtrand zu verdrängen.

vorwärts: Welche Schritte hat die AKP-Regierung unternommen?

Imre Azem Balanli: Die Regierung hat ein Gesetz erlassen, dass die Errichtung weiterer Gecekondular verhindert. Die staatliche Wohnungsbaubehörde wurde in ein privates Bauunternehmen umgewandelt. Obwohl Gesetze zum Denkmalschutz erlassen wurden, konnten alte Stadtviertel abgerissen werden. 2012 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, das die Wohnungen vordergründig vor Naturkatastrophen sichern soll. Es ist heute das zentrale Instrument der Umstrukturierung.

vorwärts: Ist ein solches Gesetz angesichts der vielen Erdbeben in der Türkei nicht sinnvoll?

Imre Azem Balanli: Die AKP sorgt für die autoritäre Durchsetzung der Gesetze, die von der Hauptstadt Ankara aus zentral eingeführt werden. Dafür ist das Ministerium für Umweltschutz und Stadtplanung verantwortlich. Es hat die Möglichkeit, ohne jegliche wissenschaftliche Untersuchung ganze Stadtteile für gefährdet zu erklären und abreissen zu lassen.

vorwärts: Wie reagieren die Bewohner darauf?

Imre Azem Balanli: Sie haben keine Möglichkeit, gegen diese Entscheidungen Widerspruch einzulegen. Mittlerweile wurde ein Gesetz erlassen, das Mietern mit Bestrafung und Verhaftung droht, wenn sie eine Räumung verhindern wollen.

vorwärts: Gibt es Beweise, dass der Schutz vor Erdbeben und andere Naturkatastrophen dabei keine Rolle spielen?

Imre Azem Balanli: Ich kann ein Beispiel nennen: Für ein Geceokondu in Istanbul wurde der Abriss beschlossen. Rundherum stehen jedoch zahlreiche Hochhäuser, die nicht abgerissen wurden, obwohl sie bei einem Erdbeben noch stärker gefährdet wären – wenn die Untersuchung für die Geceokondu zutrifft. Daraus kann man schliessen, dass es nur darum geht, die niedrigen Arbeiterhäuser zum Verschwinden zu bringen.


vorwärts: Was passiert mit den Bewohnern, nachdem ihre Häuser abgerissen wurden?

Imre Azem Balanli: Wenn sie sich widersetzen, droht ihnen eine Strafe und ihr Grundstück wird enteignet. Stimmen sie einem Umzug zu, müssen sie in teurere Wohnungen am Stadtrand ziehen und verschulden sich dafür bei einer privaten Bank. Wenn sie mit zwei Monatsraten in Verzug sind, verlieren sie ihre Wohnung. Neben den hohen Mietpreisen müssen die Kosten für die Betreuung der Grünflächen, die Gebühren für den Hausmeister und Verwaltung noch extra bezahlt werden. Viele Menschen versuchen, mit zusätzlichen Jobs über die Runden zu kommen und ihre Schulden zu zahlen. Aber sie müssen erkennen, dass sie trotz aller Anstrengungen ihre Verpflichtungen nicht tragen können und ihre Wohnungen verlieren. Wir haben in unserem Film „Ekümenopolis“ gezeigt, welche Folgen dies für die Betroffenen hat. Im Film verliert eine sechsköpfige Familie ihre Wohnung. Der älteste Sohn muss mit 14 Jahren die Schule verlassen und für einen Hungerlohn in einer Textilfabrik arbeiten. Er hat keine Chance mehr auf Bildung.


vorwärts: Gibt es Widerstand von den Betroffenen?

Imre Azem Balanli: Ja, es gibt im ganzen Land immer wieder Proteste, die aber lange Zeit kaum über einen regionalen Kontext hinaus wahrgenommen wurden. Beispielsweise haben Erdbebenopfer in Van mit einem Hungerstreik dagegen protestiert, dass sie nun seit fast 15 Jahren in Barracken leben müssen. Bei einem schweren Erdbeben im Jahr 1999 wurden ihre Häuser zerstört und seither nicht wieder aufgebaut. Die Regierung reagierte auf die Proteste mit Repression.


vorwärts: Welche Rolle spielten die vom Gezipark ausgehenden Proteste in diesem Kontext?

Imre Azem Balanli: Die Proteste waren ein kollektiver Protest dagegen, dass aus Profitgründen in den öffentlichen Raum eingegriffen wird. Jahrelang waren sie isoliert und fanden keine landesweite Beachtung. Der Geziprotest hat ein Bewusstsein für die Probleme der Stadterneuerung geschaffen und die Bedeutung der öffentlichen Grünflächen deutlich gemacht. Vier Jahre nach dem großen Erdbeben von 1999 hatte die Regierung einen Bericht in Auftrag gegeben, in dem Massnahmen aufgelistet sind, die die Folgen eines erneuten Erdbebens für die Bewohner verringern sollen. Unbebaute städtische Flächen wie Stadien und Parks sollten als Treff- und Sammelpunkte der BewohnerInnen nach einem Erdbeben fungieren. Im Bericht waren mehr als 400 solcher Flächen in Istanbul vorgesehen. Im Jahr 2012 wurde die Hälfte dieser Plätze bebaut. Weitere sollen folgen. Der Gezipark ist einer dieser städtischen Plätze, die laut dem Bericht nicht bebaut werden sollten. Er wurde weltweit zu einem Symbol des Widerstands.


vorwärts: Was ist von den Protesten geblieben?

Imre Azem Balanli: Im ganzen Land haben sich neue Initiativen gebildet. Allein in Istanbul gibt es mehr als 60 Stadtteilforen. Ihre Hauptforderung ist die Rücknahme des Gesetzes zum Abriss von Stadtvierteln wegen dem Schutz vor Naturkatastrophen.


vorwärts: Ist die Dynamik der Anfangstage nicht zum Erliegen gekommen?

Imre Azem Balanli: Es wurden auch die Grenzen und Probleme dieses Widerstands deutlich. Dazu gehörte die Konfrontation zwischen Wohnungseigentümern und Mietern. In Stadtteilen, in denen der Alltagswiderstand schwach entwickelt ist, gibt es auch kaum Möglichkeiten sich gegen die Vertreibung aus den Wohnungen zu organisieren.

vorwärts: Wie ist das Verhältnis der neuen Bewegung zur radikalen Linken in der Türkei, die schon vor den Gezi-Protesten gegen Umstrukturierung aktiv war?

Imre Azem Balanli: Die linken Gruppen haben den Widerstand in den Stadtteilen mit aufgebaut, in denen sie aktiv sind. In der Bewegung des Geziparks und des Taksimplatzes arbeiten die unterschiedlichsten Gruppen solidarisch zusammen. Als in der letzten Woche der junge Kommunist Hasan Ferit Gedik in einem Istanbuler Gecekondu von der Polizei erschossen wurde, protestieren sämtliche Teile der Bewegung.

vorwärts: Sie haben in Berlin einen Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ gehalten. Welche Bedeutung hat die Vernetzung des Mieterwiderstands?

Imre Azem Balanli: Die Politik der Verdrängung einkommensschwacher Menschen ist ein weltweites Problem. Schon daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass sich die Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern austauschen und voneinander lernen. Ich sehe das als einen doppelseitigen Prozess.
Interview: Peter Nowak

Quelle:
vorwärts – die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 – 69. Jahrgang – 8. November 2013, S. 6

»Die Politik will die Arbeiter an den Stadtrand verdrängen«

Der Regisseur Imre Azem Balanli über die Politik der Stadterneuerung in der Türkei und die Rolle der Proteste im Gezipark

Imre Azem Balanli ist Regisseur des Dokumentarfilms über Istanbul »Ekümenopolis«.

In der letzten Woche hielt er im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wohnen in der Krise einen Vortrag http://www.bmgev.de/politik/veranstaltungsreihe-13.html.

Über die Verdrängung von Arbeitern aus der Innenstadt der türkischen Metropole und die Aktualität der Proteste im Gezipark vom Mai sprach mit ihm Peter Nowak.

nd: Die AKP-Regierung ist dabei, Istanbul komplett zu erneuern. Welches ökonomische Modell steht dahinter?

Balanli: Die türkische Regierung will Istanbul zur Globalcity und zum führenden Finanzzentrumdes Nahen Osten zu machen. Der Staat schafft dafür die Gesetze und beseitigt die Hindernisse. Dazu gehören die Arbeitersiedlungen, die sogenannten Gecekondular.

nd: Warum sind sie ein Hindernis für eine Globalcity ?
I.B. : Die Gecekondular  wurden in den 50er und 60er Jahren von Fabrikarbeitern gebaut, weil der türkische Staat nicht genügend Kapital hatte. Er gab den Arbeitern sogar staatliches Land, damit sie dort bauen konnten. Seit  dem Aufkommen der Dienstleistungsgesellschaft sind die Arbeiter in der Stadt unerwünscht, weil sie nicht genügend Geld zum Konsumieren haben. Sie sollen aus der Innenstadt verschwinden. Die Politik der Stadterneuerung hat das erklärte Ziel, sie an den Stadtrand zu verdrängen.

nd : Welche Schritte hat die AKP-Regierung unternommen ?
I.B.:  Sie hat ein Gesetz  erlassen, dass die Errichtung  weiterer  Gecekondular verhindert.    Die staatliche Wohnungsbaubehörde wurde in ein privates Bauunternehmen umgewandelt.  Obwohl Gesetze zum Denkmalschutz erlassen wurden,  konnten alte Stadtviertel abgerissen werden. 2012 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, dass die Wohnungen vor Naturkatastrophen sichern soll. Es ist heute das zentrale Instrument der Umstrukturierung.
nd : Ist ein solches Gesetz angesichts der vielen Erdbeben in der Türkei nicht sinnvoll?
I.B. :  Die AKP sorgt für die autoritäre Durchführung der Gesetze, die von der Hauptstadt Ankara zentral durchgeführt werden. Dafür ist das Ministerium für Umweltschutz und Stadtplanung verantwortlich. Es hat die Möglichkeit,  ohne jegliche wissenschaftliche Untersuchung ganze Stadtteile als gefährdet zu erklären und abreißen zu lassen.
nd : Wie können sich die Bewohner dagegen wehren?
I.B. : Sie haben keine Möglichkeit, gegen diese Entscheidungen Widerspruch einzulegen. Mittlerweile wurde ein Gesetz erlassen, dass Mietern mit Bestrafung und Verhaftung droht, wenn sie die Räumung zu verhindern wollen.

nd : Gibt es Beweise, dass  dabei der Schutz vor Erdbeben und andere Naturkatastrophen dabei keine Rolle spielen?
I.B. : Ich kann ihnen ein Beispiel nennen. Ein Geceokondu in Istanbul war von zahlreichen Hochhäusern umgeben. Doch die wurden nicht abgerissen, obwohl sie bei einen Erdbeben wesentlich gefährdeter werden. Nur die niedrigen Arbeiterhäuser sollen verschwinden.
nd : Was passiert mit den Bewohnern?
I.B. : Wenn sie sich widersetzen, droht ihnen Bestrafung und ihr Grundstück wird enteignet. Wenn sie einen Umzug zustimmen, müssen sie in teuere Wohnungen am Stadtrand ziehen und verschulden sich bei einer privaten Bank. Wenn sie mit zwei Monatsraten in Verzug sind, verlieren sie ihre Wohnung.

nd :  Stehen die vom Gezipark ausgehenden Proteste in diesem Kontext?
I.B. : Ja, es war ein kollektiver Protest dagegen, dass  aus Profitgründen in den öffentlichen Raum eingegriffen wird. Der Geziprotest hat  ein Bewusstsein  für die Probleme der Stadterneuerung geschaffen.
nd : Was ist heute von den Protesten geblieben ?
I.B. :  Im ganzen Land haben sich Initiativen gebildet.  Allein in Istanbul gibt es mehr als 60 Stadtteilforen. Ihre  Hauptforderung ist die Rücknahme des Gesetzes zum Abriss von Stadtviertel wegen dem Schutz vor Naturkatastrophen.
nd : Wie ist das Verhältnis der neuen Bewegung zur radikalen Linken in der Türkei, die schon vor den Gezi-Protesten gegen Umstrukturierung  aktiv waren?
I.B. : Die linken Gruppen haben den Widerstand in den Stadtteilen mitaufgebaut, in denen sie aktiv sind. In der  Bewegung des Geziparks und des Taksimplatzes arbeiten die unterschiedlichen Gruppen solidarisch zusammen.        Als  in der letzten Woche der junge Kommunist  Hasan Ferit Gedik in einen Istanbuler  Gecekondu von der Polizei erschossen wurde, protestieren sämtliche Teile der Bewegung.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/836159.die-politik-will-die-arbeiter-an-den-stadtrand-verdraengen.html
Interview : Peter Nowak

»Die Realität der Knastarbeit«

Der wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe inhaftierte Oliver R. soll trotz eines Fernstudiums weiterhin 40 Stunden wöchentlich arbeiten. Emma Michel gehört zum Solidaritätskomitee für R., der sich auch bei den Industrial Workers of the World (Wobblies) engagiert.

Was kritisiert Ihr Solidaritätskomitee am Umgang mit studierenden Gefangenen in der JVA Tegel?

Wir kritisieren generell den Umgang der JVA Tegel mit Gefangenen. Oliver musste schon mehrfach erleben, wie Entscheidungen hinausgezögert und schriftliche Bescheide erst nach mehrmaliger Nach­frage angefertigt wurden. So haben Gefangene nicht einmal die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

Den Angaben der JVA Tegel zufolge werden Gefangene von der Arbeit freigestellt, wenn ihr Studium »abschlussorientiert« ist.

Tatsächlich versucht die Anstaltsleitung aber immer wieder, das zu verzögern. Oliver ist – obwohl seit dem 1. Oktober Vollzeitstudent – noch immer nicht von der Arbeit freigestellt. Zudem wäre die Einschränkung »abschlussorientiert« zu hinterfragen. Am Ende eines Studiums steht im Normalfall die Prüfung, zumal wenn man wie Olli erst durch die Haft im geschlossenen Vollzug Gefahr läuft, seinen Arbeitsplatz draußen zu verlieren, und sich mit Blick auf die Zeit danach um Zusatzqualifikationen bemüht.

Wie ist die Lohnsituation in der JVA Tegel?

Es gibt sechs Vergütungsstufen für Gefangene. Olli ist in der Stufe 2: ein Tagessatz von 10,25 Euro für eine Acht-Stunden-Schicht mit 36 Minuten Pause. Gefangene, die schon länger arbeiten, verdienen bis zu 14,55 Euro am Tag. Es gibt keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, keine Renten- und Sozialversicherung. Die JVA Tegel positioniert sich seit 2002 offensiv als Dienstleister auf dem sogenannten freien Markt. Die Gefangenen sind in der Regel auf das Einkommen an­gewiesen, um sich im externen Einkauf mit Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen.

Oliver R. ist Gewerkschafter. Müsste er dann nicht auch ein Streikrecht für Gefangene fordern?

Grundsätzlich ja. Tatsächlich aber ist es schwierig, ernsthaft etwas zu fordern, wenn es keine Struktur gibt, die solche Forderungen trägt. Außerdem ist Oliver erst seit Ende Mai im geschlossenen Vollzug. Einblick in die Realität der Knastarbeit zu bekommen, war für ihn als Wobbly wichtig. Das braucht Zeit. Man kann ja nicht wie ein Ufo in der Anstalt landen und mit der Gewerkschaftsarbeit loslegen. Ein von Oliver formuliertes Ziel ist es, dass Gefangene sich erstmal eigenständig organisieren, um Forderungen zu erarbeiten.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48647.html

Interview: Peter Nowak

Ein Aufstand der Jugend Sudans

KP-Funktionär Elshafie Saeid erwartet weitere Zuspitzung des innenpolitischen Konfliktes

Elshafie Saeid ist Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei in Sudan und Sekretär für die politischen Beziehungen. Mit ihm sprach für »nd« Peter Nowak.

nd: Ende September gab es schwere Unruhen in Suden. Was waren die Ursachen?

Saeid: Die Unruhen, die sich auf das gesamte Land erstreckten, hatten zwei Gründe. Erstens die sich verschlechternde ökonomische Situation und die sich daraus ergebenden sozialen Engpässe, zweitens  die  fehlenden politischen Freiheiten und die  verstärkte Repression des islamistischen Regimes unter Omar –al Bashir. Die  plötzliche Verteuerung der lebensnotwendigen Grundnahrungsmittel auf hohem Niveau war der Funke, der die Unruhen im ganzen Land auslöste. Die meisten, die auf die Straße gegangen sind waren Jugendliche.

nd:  Wie reagierte das Regime?
Saeid.: Sie begegnete den friedlichen Protest mit harten Maßnahmen, bewaffnete die islamistischen  Milizen, die  das Feuer auf die Menge eröffneten. Dabei  kamen im ganzen Land über 200 Menschen ums Leben. Über 3000 Personen wurden verhaftet. Darunter sind auch viele Mitglieder und Anhänger  der Kommunistischen Parte. Darunter sind  Mitgliedieer  des Zentralkomitees. Das  Regime hat besonders gegen  de Kommunisten  eine Hetzkampagne initiiert.  Sie werden beschuldigt, die Unruhen gegen die Preiserhöhungen  initiiert zu haben.
nd: Ist das nur Propaganda des Regimes oder spielte die KP eine wichtige Rolle bei den Protesten?
Saeid: Die Proteste wurden hauptsächlich von der Jugendbewegung getragen. Auch viele Parteien haben die Proteste unterstützt, darunter auch die Kommunisten. Sie haben sich in einer Allianz gegen die Regierung zusammengeschlossen.
nd: Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in der sudanesischen Protestbewegung?
Saeid: Bis 1989 spielten sie eine sehr wichtige Rolle  bei den Massenprotesten. Danach wurde sie unter Aufsicht der Regierung gestellt. Darauf gründeten oppositionelle Gewerkschaftskomitees, die von staatlichem Einfluss unabhängig sind. Die beteiligten sich auch den jüngsten Protesten.
nd:  Rechnen Sie damit, dass das Regime in absehbarer Zeit stürzt?
Saeid:  Es ist sicher, dass die Gründe für den Aufstand weiter bestehen. Die innenpolitische Situation wird sich daher zuspitzen und könnte für das Regime gefährlich werden. Schließlich hat die sudanesische Bevölkerung in der jüngeren Geschichte bereits zweimal ein autortäres Reimge   Allerdings erschwert die ethnische Spaltung  eine gesamtsudanesische Opposition und gibt dem  Regime  die Möglichkeit, Spaltungstendenzen zu fördern. Dafur ist ein weltbekanntes Beispiel für eine solche ethnische Spaltung. Dort wurden islamistische Milizen bewaffnet und gegen die afrikanischen Ethnien eingesetzt.
nd: Halten  Sie Abtrennung des Südsudan die Opposition?
Saeid: Wir waren immer Befürworter eines einheitlichen Sudans. 1995 haben wir mit anderen Oppositionsparteien und der NPLA ein Programm ausgearbeitet, dass die Einheit des Landes sichergestellt hätte. Doch das Regime hat diese Pläne ignoriert und mit massiver Repression reagiert. So hatte der Süden keine andere Wahl als sich abzukoppeln.

nd:  Haben die als arabischer Frühling bezeichneten Aufstände in vielen arabischen Staaten Einfluss auf die Ereignisse im Sudan?
Saeid.: Natürlich gibt es die Gemeinsamkeit, dass es auch im Sudan um den Kampf für ein Leben in Würde geht. Doch die innenpolitischen Faktoren sind entscheidend.

nd:  Der sudanesische Präsident Omar –al Bashir soll sich wegen der Verbrechen in Dafur vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten. Befürworten Sie das?
Saeid: Wir haben lange Zeit Vorschläge zur Überwindung der Krise  im  Sudan gemacht,  ohne den Internationalen Gerichtshof einzuschalten.  Doch die wurden vom Regime ignoriert. Nach dem brutalen Vorgehen gegen die Proteste sagen wir, dass es   Omar-als Bashier recht geschieht, wenn er sich  vor Gericht  verantworten müsste.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/835517.ein-aufstand-der-jugend-sudans.html
Interview: Peter Nowak

„Mit Warnhinweis“

Aus Anlass der Bundestagswahl hat der Bundesverband Psychiatrieerfahrener (BPE) 1126 Kandidaten sowie sechs Parteien nach ihren Ansichten zur Psychiatriepolitik befragt. 233 Kandidaten sowie drei Parteien haben geantwortet. Der BPE hat nun Wahlempfehlungen ausgesprochen. René Talbot engagiert sich in dem Verband.

Der BPE ruft zur Wahl der Linkspartei auf. Warum?

Nur die Linkspartei setzt sich für eine bedingungslos gewalt- und folterfreie Psychiatrie ein und fordert als logische Konsequenz daraus die Abschaffung aller psychiatrischen Sondergesetze. Damit ist sie auch für den Bereich der Psychiatrie menschenrechtskonform und sollte dafür auch gewählt werden.

Dennoch hat Ihr Verband einen Warnhinweis unter die Empfehlung gesetzt. Weshalb?

Noch ist ungeklärt, ob die Linkspartei nicht womöglich ein taktisches Verhältnis zu den Menschenrechten hat. Im Land Brandenburg stellt sie die Minister für das Justiz- und Gesundheitsressort, die für das Psychisch-Kranken-Gesetz zuständig sind. Ein Oberlandesgerichtsbeschluss hat bestätigt, dass es in Brandenburg keine gesetzliche Grundlage für psychiatrische Zwangsbehandlungen gibt. Sie sind daher illegal. Durch Verweigerung der Zustimmung zu dem Vorhaben, ein neues Gesetz zur Zwangsbehandlung zu schaffen, muss die Linke ihr Wahlversprechen halten, damit die Zwangsbehandlung weiter illegal bleibt. Aber die Gesundheitsministerin Anita Tack hat dem Brandenburger Landtag in einer Drucksache im Mai schon offenbart, dass sie sehr wohl ein Foltergesetz auf den Weg bringen will. Wenn das geschähe, hätte die Linkspartei menschenrechtlich total versagt und grundlegende Menschenrechte wie das Folterverbot zugunsten eines Machtkalküls geopfert.

Warum hat Ihr Verband auch eine besondere Wahlempfehlung für den CDU-Direktkandidaten Hubert Hüppe ausgesprochen?

Weil Herr Hüppe – immerhin der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung – inzwischen verstanden hat, dass mit der Gesetz gewordenen Behindertenrechtskonvention alle psychiatrischen Sondergesetze ohne Wenn und Aber abgeschafft werden müssen. Er hat dies auch auf unsere Fragen, die sogenannten Wahlprüfsteine, geantwortet.

Welche Empfehlung gab Ihre Organisation bei vorherigen Wahlen?

Es ist das erste Mal, dass wir bei einer Bundestagswahl die Kandidaten und Parteien befragt und eine Empfehlung abgegeben haben – allerdings mit Warnhinweis.

Interview: Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2013/38/48484.html

Ausflugsziel mit Übernachtungsverbot

Enrico Knorr vom »Wanderverein Bakunin« über ein unbequemes Denkmal in Thüringen

Am Sonntag wird der »Tag des offenen Denkmals«, der in diesem Jahr unter dem Motto »Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?« steht, auch in der Bakuninhütte bei Meiningen begangen. Über die Geschichte der Hütte sprach mit Enrico Knorr für »nd« Peter Nowak

nd: Wie kommt eine Schutzhütte zum Namen eines russischen Anarchisten?
Knorr: Die Hütte entstand in den 1920er Jahren auf einer Selbstversorgungsfläche hungernder Arbeiterfamilien in der Region. Sie waren überwiegend in der syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter Union Deutschland (F.A.U.D.) organisiert. Im Laufe der Jahre entstand eine einfache Schutzhütte und später ein Steinhaus. Sie war Ausflugsziel für Menschen aus der Region und Urlaubsstätte für Arbeiter aus dem damaligen Reichsgebiet. Dort fanden überregionale Treffen der syndikalistisch-anarchistischen Jugend statt. Auch Persönlichkeiten wie Augustin Souchy und Erich Mühsam machten dort Station.

Was passierte nach 1933 mit der Hütte?
Mit der Enteignung durch die Nazis folgte eine jahrzehntelange Odyssee von Nutzungen: Bis 1945 diente die Hütte der SS, der Nazi-Jugend und Privatpersonen. Nach einer erneuten Enteignung wurde sie der SED übertragen und als Jugendferienlager der FDJ, betriebliche Ferienstätte, Stützpunkt für Naturforscher und als Übungsgelände der Bereitschaftspolizei genutzt. Nach der Wende scheiterten Bemühungen um Rückübertragungen. Erst 2005 gelang es unserem Verein, diesen geschichtsträchtigen Ort zu erwerben und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Was ist mit dem Begriff »Unbequemes Denkmal« gemeint?
Ich will es an unserem Beispiel erklären: Die Hütte ist weder ein Kunstwerk, noch besonders alt. Sie erzählt nicht die Geschichte der Herrschenden und auch keine andere stringente Siegergeschichte. Nicht nur die Nazis, sondern auch die SED tat sich schwer mit diesem Zeugnis der antiautoritären Arbeiterbewegung. Sie nannten sie lieber »Touristenstation August Bebel« und würdigten sie nicht als Denkmal.

Die Vorstellung von Intaktem, Ungebrochenen, Ursprünglichen und Reinen als Gegenbild zum Gestörten, Gealterten, Überlagerten und Unklaren erweist sich nämlich nicht nur auf dem Feld der Baukultur als Fiktion. Anstatt alles Unpassende, Anders- und Fremdartige zu beseitigen, wäre es wichtig, sich darum zu bemühen, es zu entziffern und zu verstehen. Das im Lauf der Geschichte Veränderte ist die Regel und nicht die Ausnahme. Gerade die Geschichten der Bakuninhütte halten ständige Brüche und damit fundamental »Unbequemes« bereit.

Warum ist es für Euch wichtig, dass die Hütte als Denkmal anerkannt wird?
Es muss hier Geschichte und Ort zusammen gedacht werden. Eine Unterschutzstellung als Denkmal würdigt das Gebäude über den schon vorhandenen Wert hinaus. Der Zeitzeugniswert der Hütte taugt dazu allemal.

Gab es nicht auch Stimmen, die meinten, Bakunin solle nicht in einem bürgerlichen Staat auf ein Denkmal gestellt werden?
Genau jene Stimmen aus den Ämtern haben bis zum heutigen Tag ein Übernachtungsverbot in der Hütte bewirkt, denn sie fürchten »einen Wallfahrtsort für Bakuninanhänger«. Doch Heroismus liegt dem Verein fern, es geht lediglich um historische Authentizität.

Was passiert in der Hütte, wenn kein Gedenktag ist?
Auch wenn wir bereits viel geschafft haben, nehmen die Instandsetzungsarbeiten dennoch den Löwenanteil unseres Engagements ein. Noch Einiges gibt es zu tun, damit die Hütte keine Baustellen mehr hat. Doch parallel dazu arbeiten wir an unserem Ziel, die Hütte zu einem Freiraum werden zu lassen, sowohl fürs Genießen der Natur, fürs Wandern, aber eben auch für Geselligkeit und Kultur verschiedenster Ausprägung. Auf den Grünflächen rings um die Hütte hingegen herrscht schon jetzt, besonders an warmen Wochenenden, ein reges Treiben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/832478.ausflugsziel-mit-uebernachtungsverbot.html

Interview: Peter Nowak

Bis zur völligen Erschöpfung

Gemütlich durch die Stadt fahren, nette Gespräche mit den Fahrgästen führen und dabei auch noch ausreichend Geld verdienen – so verhält es sich längst nicht mehr im Taxigeschäft. Die Taxi-AG in der Dienstleistungsge­werkschaft Verdi will die Arbeitsbedingungen verbessern. In dieser Woche hat sie in Berlin eine Kundgebung gegen Hungerlöhne im Taxigewerbe abgehalten. Andreas Komrowski ist Mitglied der AG.

Früher war Taxifahren ein beliebter Job für Studierende, die Arbeit war nicht zu hart, die Bezahlung gut. Ist das immer noch so?

Ein Studium durch Taxifahren zu finanzieren, lohnt sich nicht mehr, da sich viel weniger Leute eine Taxifahrt leisten können als vor 15 Jahren. Im Gegensatz zu früher muss heutzutage für Studierende die Sozialversicherung bezahlt werden, wenn es mehr als ein Minijob ist. Zudem hat der Taxischein 1994 noch 300 Mark gekostet, mittlerweile verlangen die Taxischulen eine vierstellige Summe.

Können Sie Beispiele für die von Verdi beklagten Hungerlöhne nennen?

Die AG Taxi bei Verdi hat 2012 eine Umfrage bei angestellten Taxifahrern in Berlin gemacht. Dabei kam heraus, dass viele für Löhne von 4,50 bis 6,50 Euro die Stunde hinter dem Lenkrad sitzen. Verglichen mit Fahrern im Transportgewerbe und dem privaten Omnibusgewerbe sind das sittenwidrige Löhne.

Wie ist das Verhältnis von Selbständigen und Lohnabhängigen im Taxigewerbe?

Der Taxialltag ist durch die Konkurrenz um die weniger werdenden Fahrgäste geprägt. Da die Löhne Anteile des eigenen Umsatzes sind, ist die Denkweise auch bei Angestellten oft unternehmerisch geprägt. Während auf der Straße egal ist, wer seine eigene Taxe fährt und wer nicht, geben bei Diskussionen im Gewerbe meist die Unternehmer den Ton an.

Wie stark ist die gewerkschaftliche Organisation der Taxifahrer?

Die AG ist weitgehend selbstorganisiert, die für uns zuständige hauptamtliche Gewerkschaftssekretärin greift selten ein. Wir fordern einen Mindestlohn für das Taxigewerbe nicht unter 8,50 Euro und überlegen, wie das möglich wäre. So sollen zusätzliche Taxikonzessionen nicht mehr freigiebig verteilt werden. Die Arbeitsvermittlung durch Maßnahmen und Gutscheine in ein Gewerbe, in dem die Beschäftigten von ihrer Arbeit nicht leben können, mit Hartz IV aufstocken oder bis zur völligen Erschöpfung malochen müssen, soll unterbleiben.

http://jungle-world.com/artikel/2013/35/48367.html

Interview: Peter Nowak

Nach 21 Jahren anerkannt?

Marc Schulte ist SPD-Bezirksbaustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf

nd: Warum haben Sie in Berlin einen Spielplatz in Charlottenburg nach Günter Schwannecke benannt?

Schulte: An diesem Ort wurde Herr Schwannecke am 29. August 1992 von zwei rechten Skinheads so schwer verletzt wurde, dass er wenige Tage später im Krankenhaus starb. Wir haben ihm an seinem 21. Todestag in einer sehr würdevollen Weise gedacht. Ein guter Bekannter von ihm hat eine alte Zeichnung von  Schwannecke mitgebracht, die an dem Gedenkstein angebracht wurde. Sehr wichtig finde ich auch, dass sämtliche im Bezirksparlament vertretenen Parteien von der CDU bis zur Linken an dem Gedenken teilgenommen haben.

nd:  Wie hat sich das Verbrechen zugetragen?
Schulte:   Günter Schwannecke saß mit seinem Freund Hagen Knuth auf dem Spielplatz auf einer Bank, als die beiden Neonazis Migranten anpöbelten und vertreiben wollte.  Sie griffen ein und verteidigten die Migranten, die darauf hin fliehen konnten. Danach schlugen einer der Rechten mit einem Baseballschläger auf die beiden ein. Hagen Knuth überlebte, doch Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen von Schädelbruch und Hirnblutungen. Er musste sterben, weil er Zivilcourage gezeigt hatte.
nd:  Warum dauerte es 21 Jahre, bis die Ehrung erfolgte?
Schulte:  Herr Schwannecke  wurde nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt, weil bei der Tat keine rechten Parolen gerufen und kein Hitlergruß gezeigt wurde. Der Täter wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Dabei wurde während des Prozesses das neonazistische Umfeld des Täters bekannt.  Nur fünf Tage vor dem Angriff auf Schwannecke fanden in Rostock-Lichtenhagen die mehrtägigen Angriffe auf Flüchtlingsheime statt.
nd:  Warum  wurde über  den Tod von Schwannecke kaum bekannt, während  Dominik Brunner, der bei wegen seines Einschreitens gegen gewalttätige Jugendliche ohne politischem Hintergrund in München ums Leben kam,    bundesweit geehrt wurde?
Schulte: Das lag sicher daran, dass Schwannecke keine bürgerliche Mainstream-Biographie hatte. Er war zeitweise ein bekannter Künstler. In den letzten Jahren seines Lebens aber war er obdachlos.
nd:  Wer hat sich für das Gedenken eingesetzt?
Schulte: Es hat sich die Günther Schwannecke-Initiative gegründet, in der antifaschistische Initiativen, Jugendgruppen, die SPD, die Piraten und die Linke mitarbeiten. Die Initiative hat unter unter schwannecke.blogsport.eu einen Internetauftritt gestaltet, auf  dem  über das Leben von Schwannecke informiert wird. Er soll nicht nur als Naziopfer sondern auch seine Biographie gewürdigt werden.    Dabei sollen auch die Brüche in seinem Lebenslauf deutlich werden.
nd:  Sind nach der Gedenkveranstaltung weitere Aktionen geplant?
Schulte.: Mit der Namensgebung und dem Aufstellen des Gedenksteines ist ein wichtiger Schritt gemacht.  Aber es wird auch in Zukunft weitere Aktionen geben, um an Schwannecke zu erinnern.   So gibt es in der Gedenkinitiative  die Überlegung, im nächsten Jahr einen Apfelbaum auf dem Spielplatz anzupflanzen. Damit soll der Gedenkort würdiger gestaltet werden.
nd: Hat für Sie die Ehrung auch eine aktuelle politische  Bedeutung?
Schulte:  Natürlich. Wenn ich sehe, wie in den letzten Wochen wieder rechte Sprüche  gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften geschwungen werden, finde ich sehr wichtig, hier einen Mann zu gedenken, der Zivilcourage gegen rechts gezeigt hat.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/831882.nach-21-jahren-anerkannt.html
Interview: Peter Nowak

„Das KZ war als Folterhölle bekannt“

ist Mitbegründer des Arbeitskreises zur Geschichte des KZs und des Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten.

Der Publizist Kamil Majchrzak kämpft für das Gedenken an das NS-Konzentrationslager Sonnenburg. Dort waren überwiegend Berliner Kommunisten inhaftiert.

taz: Herr Majchrzak, welche Bedeutung hatte das Konzentrationslager Sonnenburg im heutigen Polen?

Kamil Majchrzak: Das ehemalige Zuchthaus, das wegen katastrophaler sanitärer Verhältnisse geschlossen worden war, diente vom 3. April 1933 bis 23. April 1934 als KZ. Zu den über 1.000 Häftlingen gehörten überwiegend Kommunisten aus Berlin, aber auch der Nobelpreisträger Carl von Ossietzky und der Schriftsteller Erich Mühsam. Wegen der außergewöhnlichen Brutalität wurde das KZ bald als „Folterhölle“ bekannt. Nach 1934 diente es wieder als Zuchthaus. Seit 1942 waren dort „Nacht- und Nebelhäftlinge“ aus fast allen okkupierten Ländern inhaftiert. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 wurden über 800 Häftlinge wenige Stunden vor der Befreiung durch die Rote Armee von einem SS-Kommando erschossen. Es ist ein europäischer Gedenkort.

Warum ist das KZ bisher kaum bekannt?

In der BRD wollte man die in Sonnenburg begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertuschen, die die enge Verstrickung von Justiz und Gestapo offenbarten. So wurde etwa der bereits zu lebenslanger Haft verurteilte Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Herbert Klemm, wieder freigelassen. Viele Nazi-Richter und Beamte waren in der BRD in Amt und Würden. Zahlreiche Folterer aus Sonnenburg wie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek konnten in der BRD bis zur Rente weiterarbeiten. An einer juristischen Aufarbeitung war die bundesdeutsche Justiz nicht interessiert. Das belegt der Freispruch der für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Angehörigen Heinz Richter und Wilhelm Nickel im Kieler Prozess 1970.

Wie ging die DDR damit um?

In der DDR stand das frühere KZ Sonnenburg auch im Schatten des Widerstands in Buchenwald. So entstand eine Lücke, die wir jetzt füllen wollen, und wir hoffen, dass auch der Senat diesen Gedenkort wiederentdeckt, der ja faktisch ein Teil Berliner Geschichte ist.

Wie geht Polen mit dem ehemaligen Lager um?

1974 wurde ein Museum errichtet. Das jährliche Gedenken an das Massaker wird von der Zivilgesellschaft der Gemeinde Słońsk getragen. Dort nehmen seit einigen Jahren Berliner Vertreter der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ teil. So ist die Idee zu einer gemeinsamen Tagung in Słońsk am 13. September entstanden. Angehörige von früheren Häftlingen werden das Wort ergreifen, und wir wollen über das Erinnern und Gedenken nach 1945 in Słońsk sprechen.

Und Ihre weiteren Planungen?

Wir hoffen, dass HistorikerInnen in Polen und Deutschland das Thema entdecken und wir vor allem mit Jugendlichen und SchülerInnen beider Länder Projekte entwickeln können. Auch internationale Geschichtswerkstätten wären denkbar.
http://www.taz.de/Gedenken-an-NS-Geschichte/!122265/

Interview: Peter Nowak

»Heino hat leider abgesagt«

Für den 17. Juni ist neben dem »Deutschlandfest« der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) in Berlin auch eine sogenannte Jubel­demonstration zum 150jährigen Bestehen der Partei geplant. Die Jungle World fragte Dominik Schneider, Mitglied des »150 Jahre SPD Jubel-­Komitees«, das die Demonstration organisiert, wie und was da gefeiert werden soll.

Warum planen Sie am 17. Juni eine Jubeldemonstration zum »Deutschlandfest« der SPD?

Wir wollten halt schon immer einmal ein Event mit den Prinzen, Nena und Sammy Deluxe unter dem Motto »Deutschlandfest« veranstalten. Heino hat leider abgesagt. Ein Fest reicht uns nicht, ­darum veranstalten wir eine Jubeldemonstration, um Hartz IV, Friedenseinsätze, engere Gürtel, 20 Jahre Asylrechtsänderung und ­andere unserer Errungenschaften zu feiern.

Können Sie etwas zum Ablauf sagen?

Wir werden um 14 Uhr vom Mauerpark zur Kastanienallee 85 ziehen, mit dem Ziel, die Bruchbude zu räumen. Auf unsere Anfrage bei der Gewerkschaft der Polizei, ob sie dies übernehmen könnten und ob sie einen Block auf der Demonstration machen, gab es bisher keine Antwort. Von dort aus geht’s weiter durch Mitte, vorbei an der FDP-Zentrale und dann direkt zum Fest.

Was sagt Ihr Komitee zur Kritik, dass dessen Ritt durch 150 Jahre SPD-Geschichte etwas holzschnittartig geraten ist und beispielsweise die Verfolgung der SPD während des Nationalsozialismus ausblendet?

Im NS wurden viele politische Strömungen verfolgt, so auch die SPD. Das ist auch auf der offiziellen 150-Jahre-SPD-Seite nachzulesen. Man muss aber kritisch anmerken, dass der offizielle Rückblick auf die Parteihistorie etwas lückenhaft ausfällt. Darum haben wir uns für eine Ergänzung unserer Parteihistorie entschieden.

Unabhängig von Ihrer Aktion gibt es von den Berliner Jusos Kritik am Begriff »Deutschlandfest«. Sehen Sie Kooperationsmöglichkeiten?

Die Berliner Jusos, ganz ehrlich, die gehen mir tierisch auf den Sack. Das ständige Rumgehänge bei Tennis Borussia im Mommsenstadion, Kontakt zur Antifa – die sind für uns komplett unbrauchbar. Das ist nicht das, was ich mir unter einer Parteijugend vorstelle. Die sollen unsere Transparente malen, Kaffee holen und uns endlich mit ihrem Gelaber von 20 Jahre Asylkompromiss in Ruhe lassen. So lange die Jusos die Füße unter unseren Tisch stecken, verändert sich hier in den kommenden 150 Jahren gar nichts.

http://jungle-world.com/artikel/2013/33/48274.html

Interview: Peter Nowak

Häuserkampf in Holland?

nd: Auch in den Niederlanden nehmen Wohnungsnot und Räumungen zu. Gibt es Widerstand?
Verweij: Das Problem wird eher als individuelles gesehen. Eine Bewegung dagegen gibt es bisher nicht. Aber es existieren mehrere Mieterorganisationen, von denen die meisten jedoch auf Seiten der Wohnungsbaugesellschaften stehen. Dazu trägt auch die niederländische Tradition der Konsensgesellschaft bei. Soziale Konflikte werden in der Regel nicht konfrontativ ausgetragen. Wenn es Konflikte gibt, werden sie meist auf institutioneller Ebene gelöst.

Sie haben kürzlich bei einer Veranstaltung mit dem Titel »Sozialer Wohnungsbau ade« in Berlin über die Lage in den Niederlanden informiert. Wann ging es in Ihrem Land mit bezahlbarem Wohnraum zu Ende?
In den Niederlanden waren 2,3 Millionen der insgesamt drei Millionen Mietwohnungen Eigentum von Wohnungsbaugesellschaften. Sie machten keinen Gewinn und wurden vom Staat reguliert. Das änderte sich 1995, als sie privatisiert wurden und der Profit in den Fokus geraten ist. Die Regierung will die Wohnungsbaugesellschaften völlig dem freien Markt ausliefern. Damit ist das seit 1900 bestehende System des sozialen Wohnungsbaus beendet.

Die Niederlande sind als Ursprungsland der Kraakerbewegung bekannt. Sie hatte eine große Bedeutung für Hausbesetzungen in vielen Ländern. Welchen Einfluss hat sie heute auf die Mieterbewegung?
Das sind verschiedene Welten und Kulturen. In Gegenden, in denen Nachbarschaftsinitiativen gegen Gentrifizierung bestehen – wie in Amsterdam – gibt es aber Kontakte zur Kraakerbewegung.

In welchem Bereich engagieren sich solche Initiativen?
Ein gutes Beispiel ist Nieuw Crooswijk in Rotterdam-Ost, wo die Stadt 1800 von 2100 Sozialwohnungen abreißen wollte, um Eigentumswohnungen für Bewohner mit höheren Einkommen zu errichten. Es ist das erste Public-Private-Partnership-Projekt des Landes und zum Vorbild für andere Städte geworden. Aber dagegen gibt es mehrere Initiativen.

Zuletzt haben die Niederlande mit Antikraak-Projekten von sich reden gemacht. Was ist das?
Leerstehende Wohnungen sollen kurzfristig gegen eine Nutzungsgebühr an einkommensschwache Mieter vergeben werden, die sofort ausziehen müssen, wenn der Eigentümer es wünscht. Damit sollen Besetzungen verhindert werden. Die Nutzer verzichten dabei auf sämtliche Rechte.

Warum lassen sich Mieter darauf ein?
Das ist eine Folge der Wohnungsnot gerade bei Menschen mit geringem Einkommen. Zudem werden die Antikraak-Projekte in der Öffentlichkeit als modernes und flexibles Wohnen hochgelobt. Gegen diese Projekte gab es aber bereits im Parlament eine Gesetzesinitiative, um die Zahl der Antikraak-Firmen zu begrenzen. Für Druck sorgte auch ein Film. Zunächst schien es eine Mehrheit für die Regulierung zu geben. Doch die neoliberalen Parteien verwässerten das Gesetz. Jetzt sollen sich die Antikraak-Firmen ein freiwilliges soziales Siegel geben.

War die Debatte damit beendet?
Im Parlament schon. Aber die sozialen Bewegungen haben das Thema weiter im Blick.

Interview: Peter Nowak
http://www.neues-deutschland.de/artikel/828462.haeuserkampf-in-holland.html


„Wir verlangen, dass die Taliban die Verfassung nicht in Frage stellen“

Daud Rawosh (Volkspartei): Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen ethnische Zersplitterung sind zentrale Ziele **

Es gibt Streit zwischen den USA und der afghanischen Regierung wegen der Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach dem Abzug der NATO-Truppen einen Machtzuwachs der Taliban?

Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere Partei vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft bis 2001 illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regime zu leben oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir nicht die Intervention ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die NATO-Truppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den Warlords ein Problem.

Wir teilen diese Einschätzung völlig. Der Einfluss islamistischer Herrscher ist ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen?

Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Präsident Hamid Karsai?

Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das in Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beitragen.

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Sie ging voriges Jahr aus »Bewegungen für Demokratie« hervor, die in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war. Dennoch sind wir eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Viele Aktivisten der DVPA sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist sie in 24 der 34 Provinzen vertreten. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerksverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Welche zentralen Ziele verfolgt Ihre Partei?

Wir kämpfen um soziale Gerechtigkeit und lehnen die ethnische Spaltung ab. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Juni 2013
https://www.neues-deutschland.de/artikel/825090.wir-verlangen-dass-die-taliban-die-verfassung-nicht-in-frage-stellen.html

Interview: Peter Nowak

Radeln gegen AKW?

Ingo Falk ist Mitglied der Anti-Atom-Gruppe Freiburg

nd: Jährlich protestieren Atomkraftgegner in der Region um das an der Grenze zu Deutschland gelegene, französische AKW Fessenheim. Am Wochenende führt die Fahrraddemonstration »Tour de Fessenheim 2013« von Mulhouse nach Colmar. Was ist geplant?
falk: Bereits im vergangenen Jahr haben wir auf etliche Projekte der erneuerbaren Energien in der Region aufmerksam gemacht. Diesmal steht die Besichtigung der neuen Photovoltaikanlage in Staffelfelden auf 5,5 Hektar Fläche mit einer installierten Leistung von 5,3 Megawatt auf unserem Programm. Im Département Aude in der Gegend um Narbonne und Carcasonne wird schon heute mit Wind- und Solarenergie mehr als 50 Prozent des Stroms erzeugt. Nur in den Mainstreammedien in Deutschland ist immer noch die Rede von der »Atomstromnation Frank-reich«.

Lässt das Interesse am Protest nicht nach, da viele im Elsass meinen, das AKW Fessenheim werde in wenigen Jahren stillgelegt?
Zum einen wollen wir dieser trügerischen Hoffnung etwas entgegensetzen, zum anderen zeigen uns die Anmeldungen, dass gerade die Zahl der französischen Teilnehmer in diesem Jahr höher liegen wird als bei der »Tour de Fessenheim 2012«.

Welche Risiken sehen Sie durch den Betrieb dieses AKWs?
Das Rheintal ist eine geologische Bruchzone und daher Erdbebengebiet. Im Jahr 1356 wurde die rund 35 Kilometer von Fessenheim entfernte Schweizer Stadt Basel durch ein Erdbeben zerstört. Es handelte sich um das stärkste überlieferte Erdbeben in Mitteleuropa. Im Juni 2011 bestätigte ein Gutachten, dass das am Rheinseitenkanal gelegene Atomkraftwerk nicht ausreichend gegen die Folgen eines Dammbruchs gesichert ist. Laut einer TV-Dokumentation auf »France 2« hielt der Betreiberkonzern einen internen Bericht zurück, in dem katastrophale Untersuchungsergebnisse über den Zustand des Rheinseitenkanals zu lesen sind. Ein solcher Dammbruch kann durch ein Erdbeben ausgelöst werden.

Wenn es so gefährlich ist, wie Sie darstellen, warum bleibt das AKW am Netz?

Pro Jahr wirft ein Reaktorblock durchschnittlich 300 Millionen Euro an Profit ab. Bei den zwei Reaktorblöcken des AKW Fessenheim sind dies also rund 600 Millionen. Solange teure Nachrüstungen oder pannenbedingte Stillstandszeiten diesen Profit nicht minimieren, bleibt ein enormes ökonomisches Interesse am Weiterbetrieb. Bekanntlich unterstützt auch die kommunistische Gewerkschaft CGT den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Frankreich. Es ist bekannt, dass sich diese Gewerkschaft maßgeblich über Zuwendungen von Konzernen und insbesondere des französischen Stromkonzerns EdF finanziert.

Frankreich bleibt Atommacht?
Wir müssen sehen, dass die politische Kaste in Frankreich unbeirrt an der atomaren Bewaffnung, der »force de frappe«, festhält. Atomkraftwerk und Atombombe sind siamesische Zwillinge. Ohne eine Abkehr von der Atombombe ist daher das Versprechen von Präsident François Hollande, einen Atomausstieg in Frankreich einzuleiten, wenig glaubwürdig. Zumal wenn in Mali ein Krieg geführt wird, der der Sicherung von Uranminen im benachbarten Niger dient, und wenn weiterhin Milliarden Euro staatlicher Gelder in die Förderung der Atomenergie fließen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/825974.radeln-gegen-akw.html
Interview: Peter Nowak

„Ein Unfall im AKW Fessenheim könnte gravierendere Auswirkungen haben als das Desaster in Japan“


„Tour de Fessenheim“: Atomkraft-Gegner protestieren gegen das an der deutsch-französischen Grenze gelegene AKW

Am kommenden Wochenende findet die Tour de Fessenheim 2013 statt – in diesem Jahr auf der Strecke von Mulhouse nach Colmar. Nach wie vor gilt die Fahrrad-Demonstration dem Protest gegen das an der deutsch-französischen Grenze gelegene AKW Fessenheim. Frankreichs neuer Präsident François Hollande hat zwar versprochen, das mit rund 36 Jahren älteste französische Atomkraftwerk gegen Ende seiner vierjährigen Amtszeit stillzulegen, doch die Atomkraft-Gegner dies- und jenseits des Rheins haben da ihre Zweifel und drängen auf eine sofortige Stilllegung. Außerdem stehen bei der diesjährigen Tour de Fessenheim die erneuerbaren Energien im Zentrum.

Die Tour de Fessenheim stellt gleich in dreierlei Hinsicht zu schnelle Urteile über die Anti-AKW-Bewegung infrage. Da gibt es die in den Medien immer wieder verwendete Behauptung, dass mit dem langsamen Ausstiegsbeschluss aus der Atomkraft auch die Anti-AKW-Bewegung ihre Funktion verloren habe, und es jetzt nur noch darum gehe, einen Platz für den atomaren Müll zu finden. Eine zweite Behauptung in vielen deutschen Medien besagt, dass die Bevölkerung in Frankreich mehrheitlich gegenüber AKW-kritischen Bestrebungen resistent sei.

Schließlich wird immer wieder behauptet, dass ein Desaster wie in Fukoshima in Europa nicht möglich wäre. Die Proteste gegen das AKW Fessenheim haben in den letzten zwei Jahren nach den Gau in Japan neuen Zulauf bekommen, die Kooperation mit französischen Mitstreitern wurde ausgebaut. Ein Unfall in Fessenheim könnte gravierendere Auswirkungen haben, als das Desaster in Japan, meint Ingo Falk vom Organisationsteam der Tour de Fessenheim im Gespräch mit Telepolis.

„Ein AKW in einem mitteleuropäischen Erdbebengebiet ist unverantwortlich“

Lässt das Interesse am Protest nicht nach, wenn nun viele im Elsass meinen, das AKW Fessenheim werde in wenigen Jahren stillgelegt?

Ingo Falk: Zum einen wollen wir dieser trügerischen Hoffnung etwas entgegensetzen, zum anderen zeigt uns die Zahl der Anmeldungen, dass gerade die Zahl der französischen Teilnehmer in diesem Jahr sicher höher liegen wird als im vergangenen Jahr.

Welche Risiken sehen Sie für das AKW-Fessenheim?

Ingo Falk: Das Rheintal ist eine geologische Bruchzone und daher Erdbebengebiet. Im Jahr 1356 wurde die von Fessenheim rund 35 Kilometer entfernte Schweizer Stadt Basel durch ein Erdbeben zerstört. Es handelte sich um das stärkste überlieferte Erdbeben in Mitteleuropa. Im Juni 2011 wurde durch ein Gutachten bestätigt, dass das am Rheinseitenkanal gelegene Atomkraftwerk nicht ausreichend gegen die Folgen eines Dammbruchs gesichert ist.

Laut einer TV-Dokumentation auf France 2 hielt der Betreiber-Konzern einen internen Bericht zurück, in dem katastrophale Untersuchungsergebnisse über den Zustand des Rheinseitenkanals zu lesen sind. Und auch ein solcher Dammbruch kann durch ein Erdbeben ausgelöst werden.

Wären die Folgen eines Super-GAU im AKW Fessenheim mit jenen in Japan vergleichbar?

Ingo Falk: Sie könnten weitaus verheerender ausfallen. In der Region um Fukushima hatten die Menschen noch Glück im Unglück, denn es wehte meist ein Wind in Richtung Meer, der dafür sorgte, dass die Todeszone auf einen Radius von 30 bis 40 Kilometer beschränkt blieb. Bei einem Super-GAU im AKW Fessenheim würde bei den vorherrschenden Windverhältnissen nicht nur die Region um das nur 24 Kilometer entfernte Freiburg unbewohnbar, sondern selbst Stuttgart, Schwäbisch Hall und Nürnberg könnten für Jahrzehnte unbewohnbar werden.

Das AKW Fessenheim enthält ein radioaktives Inventar, das 1.760 Hiroshima-Bomben entspricht. Im Februar erklärte Jean-Louis Basdevant, hochrangiger französischer Kernphysiker und Professor an der polytechnischen Hochschule, dass ein schwerer Unfall im AKW Fessenheim eine dramatische Katastrophe für ganz Europa wäre, die – so wörtlich – das Leben der zentraleuropäischen Region bis nach Rotterdam für mehr als 300 Jahre vernichten würde. Er erinnerte daran, dass sich das AKW an der Basis des Rheintals zwischen Basel und Rotterdam befindet, dem am dichtesten besiedelten Gebiet Europas mit einer hohen Konzentration von Industrieanlagen – und dass Fessenheim an der Basis des Oberrhein-Aquifers, einem der größten Trinkwasservorkommen Europas liegt.

Wenn es so gefährlich ist, wie Sie darstellen, warum bleibt das AKW dennoch am Netz?

Ingo Falk: In einem Jahr wirft ein Reaktorblock durchschnittlich 300 Millionen Euro an Profit ab. Bei den zwei Reaktorblöcken des AKW Fessenheim sind dies also insgesamt rund 600 Millionen Euro im Jahr. Solange teure Nachrüstungen oder pannenbedingte Stillstandszeiten diesen Profit nicht minimieren, bleibt ein enormes ökonomisches Interesse am Weiterbetrieb.

Bekanntlich unterstützt auch die französische kommunistische Gewerkschaft CGT den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Es ist bekannt, dass sich diese Gewerkschaft maßgeblich über Zuwendungen von Konzernen und insbesondere des französischen Strom-Konzerns EDF finanziert. Zudem müssen wir sehen, dass die politische Kaste in Frankreich unbeirrt an der atomaren Bewaffnung, der „force de frappe“, festhält.

Atomkraftwerk und Atombombe sind siamesische Zwillinge. Ohne eine Abkehr von der Atombombe ist daher das Versprechen Hollandes, einen Atomausstieg in Frankreich einzuleiten, wenig glaubwürdig – zumal wenn ein Krieg geführt wird wie in Mali, der der Sicherung von Uranminen im benachbarten Niger dient, und wenn weiterhin Milliarden Euro staatlicher Gelder in die Förderung der Atomenergie fließen.
http://www.heise.de/tp/blogs/2/154529
Peter Nowak