»Zwischen Bittbrief und Barrikade«

Diskussionsveranstaltung und ein neues Buch zur Zukunft der Erwerbslosenbewegung

ErwerbslosenaktivistInnen diskutierten auf einem Seminar in Berlin über die Zukunft der Erwerbslosenbewegung. Parallel erschien ein neuer Band mit Diskussionsbeiträgen zum Thema

Vor knapp einen Jahr machten aktive Erwerbslose unter dem Motto »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« auf sich aufmerksam. Doch nach einer erfolgreichen Demonstration am 10. Oktober 2010 im niedersächsischen Oldenburg wurde es wieder still um die Initiative. Harald Rhein hat schon mehrere solcher Aufbrüche erlebt. Der seit mehr als 30 Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktive Frankfurter zog am vergangenen Wochenende auf einem Seminar in Berlin ein Resümee dieser Arbeit. Schon das Motto »Zwischen Bittbrief und Barrikade« sollte zur Kontroverse anregen Tatsächlich wurde die Debatte sehr rege und manchmal auch sehr emotional geführt. Denn schon in den vergangenen Monaten liefen im Internet heftige Diskussionen darüber, ob Erwerbslose weiterhin mit Bundestagsabgeordneten und Sozialexperten über die Höhe der Regelsätze streiten sollen. Ein Teil der auf dem Seminar Anwesenden bejahte diese Frage mit Verweis auf die vielen Menschen, die um jeden Euro im Jobcenter kämpfen müssen.

Andere Erwerbslose wiederum stimmten Rhein zu, der in der praktischen Arbeit die Erfahrung gesammelt hat, dass die Regelsatzdiskussion auch einen Großteil der Betroffenen nicht mehr interessiert. Dass dürfte allerdings nicht nur als Resignation interpretiert werden. Schließlich würden auch viele politisch aktive Erwerbslose für sie erträgliche Maßnahmen akzeptieren, um Zeit und Raum für ihre politische Arbeit zu haben. Die Zustimmung bei Teilen des Publikums signalisierte, dass Rhein damit nicht nur seine Erfahrungen artikulierte.

Auch die Kritik an Parteien und Großorganisationen stieß auf Zustimmung. Bündnispartner sollten angesichts der wachsenden Zahl von Niedriglöhnern, die auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, einkaufsschwache Personen mit und ohne Lohnarbeit sein, sagte ein Diskussionsteilnehmer. Rheins Vorschlag, statt über die Regelsätze über das gute Leben zu diskutieren, wurde sehr kontrovers debattiert. Ist dieser Begriff nicht viel zu vage und unbestimmt, fragten einige. Andere sahen gerade darin eine Chance, in eine grundsätzlichere Debatte zu kommen.

Ein zentraler Punkt für die Berliner Erwerbslosenaktivistin Petra Leischen ist die Forderung nach einem Existenzgeld, die sowohl in der LINKEN als auch in den sozialen Bewegungen umstritten ist. »Es wird nicht die Herrschaft aller Männer über die Frauen aufheben, allerdings die ökonomische Lage der Frauen entscheidend verbessern«, schreibt Leischen in einem Beitrag in dem kürzlich im Verlag AG Spak erschienenen Buch mit dem poetischen Titel »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen«. Es könnte als ein Wegweiser für eine Debatte um das gute Leben dienen, die Rhein in dem Buch genauer begründet. Nicht nur der Wiener Philosoph Karl Reitter versucht sich in dem Buch an einer marxistischen Fundierung der Existenzgeldforderung. Auch die Ökonomin Anne Allex beendet ihre Kritik an Grünen Bürgergeld-Konzepten mit der Erkenntnis von Karl Marx: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.« Ronald Blaschke, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (LINKE), zeichnet den Diskussionsverlauf um das Existenzgeld bei PDS und LINKE in den letzten Jahren nach. Dabei belegte er mit Zitaten, dass Oskar Lafontaine als SPD-Politiker dem Existenzgeldansatz näher stand als heute. Während Blaschke gegen die Gewerkschaftsfunktionäre polemisierte, die in der Linkspartei die Existenzgeldforderung ablehnen, stellte die Feministin Frigga Haug kritische Fragen an die Existenzgeldbefürworter. »Ich kann Gesellschaft nicht ohne Arbeit denken«, ist ihr zentraler Einwand gegen alle, die in der Arbeit nur Zwang sehen. »Aber die Arbeitspflicht existiert bei Pflege-, Reproduktions- oder Sorgearbeit ohnehin immer«, schreibt Haug: »Der Protest gegen die Zumutung, arbeiten zu wollen als Teilhabe an der Gesellschaft, steht quer zur notwendigen Arbeit im Reproduktionsbereich.« Mit ihrer auch in der Linkspartei diskutierten »Vier-in-einem-Perspektive« macht Haug Vorschläge für eine Neuaufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sowie gesellschaftliches Engagement. Nicht nur sie wirft in dem Buch Fragen auf, die in einer Debatte um das gute Leben diskutiert werden sollten.

Anne Allex, Harald Rhein (Hg.): »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen!« Beiträge zum Existenzgeld. AG Spak Bücher, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210141.zwischen-bittbrief-und-barrikade.html

Gute Laune bei der Streikwache

Die Beschäftigten der Pflegefirma Alpenland streiken seit über zwei Monaten für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen.
„Alpenland“, das klingt nach bayerischen Bergen. Doch eine Filiale der Pflegefirma gleichen Namens liegt im flachen Marzahn, und auch die Entlohnung der dort beschäftigten Mitarbeiter ist alles andere als hoch: Die rund 210 Pflegekräfte werden geringer entlohnt als ihre knapp 130 Kollegen im Westteil der Stadt. Der Unterschied beläuft sich monatlich auf bis zu 170 Euro, rechnet Meike Jäger von Ver.di vor. Sie hat mittlerweile Hausverbot in dem Marzahner Pflegeheim, denn dessen Belegschaft streikt bereits seit dem 18. August. Die zentralen Forderungen: Angleichung der Löhne und Verhinderung der Flexibilisierung der Arbeitszeit.

„Bisher können wir über unsere Arbeitseinsätze entscheiden. Das soll auch so bleiben“, sagt eine Beschäftigte, die in eine dicke Decke gehüllt gegenüber dem Eingang des Pflegeheims auf einer Bank sitzt. Sie gehört zum harten Kern von rund 40 Beschäftigten, die täglich mehrere Stunden die Streikwache stellen. Die Stimmung ist gelöst. Weniger gut zu sprechen sind die AktivistInnen auf die ca. 40 Beschäftigten, die individuelle Verträge mit dem Unternehmen abgeschlossen haben. Dabei sichert ihnen eine Klausel zu, dass auch sie davon profitieren, wenn sich die Streikenden durchsetzen. „Da wird die Solidarität

Deshalb freuen sich die Streikenden über jede Unterstützung von außerhalb. Vor einigen Tagen haben ihnen die Ver.di-Senioren einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Demnächst will sich die Streikwache mit einer Feuertonne gegen die herbstlichen Temperaturen schützen. Immerhin: Nach einem guten Monat Pause wird zwischen Ver.di und Alpenland wieder verhandelt. Am kommenden Samstag werden die Gespräche fortgesetzt.

In den vergangenen Wochen haben sich die Alpenland-Beschäftigten an gemeinsamen Aktionen mit den KollegInnen von der CFM, der Service-Tochter der Charité, beteiligt. Die rund 300 Beschäftigten der CFM befinden sich seit Mitte September im Ausstand, sie fordern einen Tarifvertrag und eine Lohnerhöhung von 168 Euro monatlich. Viele neu eingestellte KollegInnen seien bei Stundenlöhnen von weniger als sieben Euro zur Aufstockung ihres Gehalts durch Hartz IV gezwungen, schildert Ver.di-Verhandlungsleiterin Silvi Krisch die Arbeitsbedingungen.

Beschäftigte und UnterstützerInnen haben in den letzten Wochen mit Kundgebungen und Flashmobs vor dem Dussmann-Kulturkaufhaus den Druck erhöht. Dussmann ist Gesellschafter der CFM. Eine Sprecherin des Unternehmens fordert von Ver.di ein neues Gesprächsangebot, nachdem die Gewerkschaft im August die Verhandlungen abgebrochen hat. Gegenüber der taz betont Silvi Krisch, es gehe nicht darum, wer zu den Gesprächen einlade, sondern ob es ein verhandlungsfähiges Angebot gebe. Bisher war die CFM nur zu Verbesserungen bei vier von 18 Berufsgruppen bereit. Daher gehen die Beschäftigten am Donnerstag wieder auf die Straße. Um 11 Uhr startet eine Demonstration vom Charité-Bettenhochhaus zum Roten Rathaus. Die Streikenden von Alpenland wollen auch kommen.

http://www.taz.de/Langzeitstreik-bei-Pflegefirma/!80644/

Peter Nowak

Veränderung statt Caritas

Gründer möchte mit ethecon-Stiftung die Welt verändern

Wirtschaft und Gesellschaft werden zunehmend von den großen multinationalen Konzernen geprägt. Die Stiftung ethecon will deshalb Ethik und Ökonomie zusammen bringen. Dazu werden regelmäßig Tagungen und Preisverleihungen organisiert.

»Ich trete auf der ethecon Tagung auf, um Gesicht zu zeigen. Mir ist es wichtig, dass Menschen mir in die Augen sehen und ich ihr Feuer erkennen kann. Das stärkt meinen Willen und zeigt mir, dass ich nicht alleine bin.« So begründet der Rapper Kern seinen Auftritt bei der Verleihung der beiden internationalen ethecon-Preise am 19. November im Berliner Pfefferwerk. Es ist mittlerweile die sechste Preisverleihung.

Seit 2006 verleiht ethecon den Positivpreis Blue Planet Award und würdigt damit einen außerordentlichen Einsatz zum Erhalt und zur Rettung des Planeten. In diesem Jahr geht der Preis an die US-amerikanische Bürger- und Menschenrechtsaktivistin Angela Davis, die den Preis persönlich in Empfang nehmen wird. Damit steht sie in einer guten Tradition. Mit den Positivpreisen hat ethecon in den vergangenen Jahren Diane Wilson aus den Vereinigten Staaten, Vandana Shiva aus Indien, José Abreu und Hugo Chávez aus Venezuela, Uri Avnery aus Israel sowie Elias Bierdel aus Österreich ausgezeichnet.

Der Schmähpreis Black Planet Award, mit dem Verantwortliche für den Ruin und die Zerstörung der Erde markiert werden sollen, geht an Tsunehisa Katsumata und Masataka Shimizu, die als Großaktionäre und verantwortliche Manager des Tepco-Konzern in Japan für ihre Verantwortung für die Atomkatastrophe. In den vergangenen Jahren haben unter anderem Manager der Konzerne Monsanto, Blackwater und Nestlé diesen ungeliebten Preis bekommen. Es sind bewusst immer Menschen und nicht Institutionen, die mit den Preisen im Positiven wie im Negativen bedacht werden. »Es sind immer einzelne Menschen, die im Guten wie im Schlechten die Verantwortung tragen und die Entscheidungen fällen. Nur zu gerne wird dies vor allem bei ökologischen, sozialen, friedenspolitischen und anderen Verbrechen hinter den Fassaden von Institutionen und »Sachzwängen« verborgen«, ist Stiftungsgründer Schnura-Köhler überzeugt. Die ethecon-Preise sollen Ross und Reiter klar beim Namen nennen.

Kritiker könnten einwenden, dass durch die Konzentration auf Personen die Illusion erweckt werden könnte, man müsste nur die Menschen und nicht die Strukturen ändern, um Gerechtigkeit zu erreichen. Doch als Reformist würde sich der langjährige politische Aktivst Schnura-Köhler keineswegs verstehen. Der 1949 in Hof geborene Betriebswirt wird auf Wikipedia als »Konzernkritiker mit internationalem Wirkungsfeld« bezeichnet. Seit früher Jugend ist er in der DKP aktiv. Er gehörte dem deutschen Koordinierungskreis des Europäischen Sozialforums (ESF) an und war von 1999 bis 2003 jeweils verantwortlich für den Bereich »Multinationale Konzerne« beim ersten ESF 2002 in Florenz und beim zweiten ESF 2003 in Paris. Da blickte er schon auf eine jahrzehntelange politische Biographie zurück. 1978 war er an der Gründung der linken Tageszeitung taz ebenso beteiligt wie 1980 an der Entstehung der Ökobank-Genossenschaft, die inzwischen in der GLS-Bank aufgegangen ist. Auch bei der Gründung und dem Aufbau des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sowie des Pestizid-Aktionsnetzwerkes (PAN) hatte er wesentlichen Anteil. Beruflich arbeitete er in der Geschäftsleitung verschiedener Unternehmen, bevor er sich 1988 selbstständig machte. Bei ethecon kann er betriebswirtschaftlichen Kenntnisse mit politischem Engagement verbinden.

Gemeinsam mit Gudrun Rehmann gründete Köhler-Schnura die Stiftung 2004. Die Preisverleihung ist für sie eine eminent politische Demonstration. Einmal jährlich nehme die Stiftung politisch Stellung zu aktuellen politischen Problemen und Konflikten und verbreitet diese Erklärungen national und international. Jährlich einmal wird in einer großen öffentlichen Vortragsveranstaltung in Berlin ein aktuelles Thema der sozialen Bewegungen in den Mittelpunkt gestellt.

Vom Profit- zum Solidarprinzip

Für die Gründer ist der Name der Stiftung Programm. »Ziel der Stiftung ist es, die Beachtung ethischer, ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Prinzipien im Wirtschaftsprozess zu fördern und durchzusetzen sowie demokratische und selbstbestimmte Strukturen zu stärken.« Da Profit zunehmend zum einzigen Kriterium für das gesellschaftliche Leben und den Umgang mit der Umwelt geworden sei, trete ethecon für einen Wandel weg vom Profitprinzip und hin zu einem Solidarprinzip ein. Der Frage, ob solche Ziele nicht im Kapitalismus illusorisch sind, kann Köhler-Schnura durchaus verstehen. Er betont aber, dass ethecon eine Stiftung ist, die auf den Wandel statt auf karitative Hilfe setzt. »Karitative Fürsorge lindert vielleicht das eine oder andere ökologische, soziale Problem, löst dieses aber niemals endgültig, ist Köhler-Schnura überzeugt. Deshalb würden Spenden gegen den Hunger nie zum Ende der Unterernährung beitragen.

»Hunger kann nur durch eine Veränderung der politischökonomischen Verhältnisse beendet werden«, ist eines der Credos von ethecon. Mit dieser klaren Positionierung macht sich die Stiftung nicht überall Freude. »Je konsequenter auf eine grundlegende Änderung gesetzt wird, desto weniger wird dafür gespendet«, weiß der erfahrene Stiftungsgründer. Schließlich werden ca. 95 Prozent aller Spenden und Zustiftungen im karitativen Bereich geleistet. Mit leuchtenden Kinderaugen, die für »edle Spender« als großes Erfolgserlebnis betrachtet werden, kann ethecon nicht dienen. Wer auf gesellschaftlichen Wandel setzt, braucht eher einen langen Atem als ein gutes Gewissen. Hinzu kommt, dass eine Stiftung wie ethecon nicht die Mittel besitzt, um mit Fernsehspots und auf Großleinwänden auf die Tränendrüse zu drücken. Genau das ist aber auch gar nicht das Ziel einer Stiftung, die mehr auf den Verstand als auf das Gemüt setzt.

Doch für ein Lamento sieht Optimist Köhler-Schnura keinen Grund. »Gemessen an dem Stiftungsvermögen und den begrenzten Mitteln, die uns für Kampagnen und Aktionen zur Verfügung stehen und der Tatsache, dass uns nur eine hauptamtliche Kraft zur Verfügung steht, haben wir bereits viel erreicht.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/209442.veraenderung-statt-caritas.html

Peter Nowak

Gleiche Pflege, ungleicher Lohn

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West- dafür streiken die Beschäftigten der Alpenland Pflege GmbH seit Mitte August.

Alpenland – der Name erinnert an die Berge. Doch die Pflegefirma mit diesem Namen liegt am Fuße des Biesdorfer Schlosses in Berlin-Marzahn. Der Grund, warum die bayerische Firma dort ein Unternehmen aufgebaut hat, ist äußerst profan. Im Osten Berlins sind die Löhne immer noch niedriger als im Westteil der Stadt. Der Unterschied beläuft sich monatlich auf bis zu 170 Euro, rechnet Meike Jäger vor. Die ver.di-Sekretärin hat mittlerweile Hausverbot im Marzahner Pflegeheim. Denn dort ist die Belegschaft seit dem 18. August im Streik. Die Angleichung der Löhne auf das Westniveau gehört zu den zentralen Forderungen. Daneben wollen die Beschäftigten verhindern, dass ihre Arbeitszeit weiter flexibilisiert wird. »Bisher können wir über unsere Arbeitseinsätze entscheiden. Das soll auch so bleiben«, meint eine Beschäftigte, die in eine dicke Decke eingehüllt gegenüber dem Eingang des Pflegeheims in Biesdorf auf einer Holzbank sitzt. Sie gehört zum harten Kern von rund 40 Beschäftigten, die dort täglich die Streikwache stellen.

Die Stimmung ist gelöst. Doch, wenn sie auf den Grund ihres Ausstands zu sprechen kommen, ist ihnen nicht nach Scherzen zumute. »Wir sind seit 63 Tagen im Streik. Wo bleibt die Öffentlichkeit«, fragt eine Frau. Auch Jäger beklagt die Schwierigkeiten, die Forderungen der Beschäftigten bekannt zu machen. Schließlich handelt es scheinbar nur um einen Ausstand in einem Pflegeheim am Rande Berlins.

Doch tatsächlich hat der Ausstand eine viel grundsätzlichere Bedeutung, meint Norbert Paas. Der ver.di-Sekretär aus Frankfurt/Oder unterstützt die Streikenden in Marzahn. Das Grundproblem besteht für ihn darin, dass die Pflege mittlerweile immer stärker Profitinteressen unterworfen wird. Das bekommen die Beschäftigten ebenso zu spüren wie die Menschen, die in den Pflegeheimen leben. Auch in Frankfurt/Oder gibt es Probleme in Pflegeeinrichtungen der Arbeiterwohlfahrt AWO ebenso wie in städtischen Einrichtungen. Auch die von den Unternehmern gewollte Aufspaltung der Belegschaft sieht Paas kritisch »Wenn Neueingestellte 500 Euro mehr verdienen als Beschäftigte, die länger arbeiten, ist Solidarität schwer herzustellen.« Dabei betont Paas, dass er den Neueingestellten die bessere Bezahlung gönnt. Er fragt aber, warum nicht alle Beschäftigten davon profitieren.

Auch bei Alpenland ist die Solidarität unter den Beschäftigten immer ein Thema. Den 40 regelmäßigen Streikaktiven steht eine fast gleich große Zahl von Beschäftigten gegenüber, die individuelle Verträge mit den Unternehmen geschlossen haben und sich am Ausstand nicht beteiligen. Dabei haben sie sich aber zusichern lassen, dass sie davon partizipieren werden, wenn es den Streikenden gelingt, sich mit ihren Forderungen durchzusetzen. Daneben gibt es eine schweigende Mehrheit in der Belegschaft, die weder einen individuellen Vertrag unterschrieben hat, sich aber auch nicht am Streik beteiligt. »Da wird die Solidarität der aktiven Kollegen schon stark strapaziert«, betont Jäger.

Umso wichtiger sei da deiUnterstützung von außen. So war die Freude groß, als sich die ver.di-Senioren anmeldeten. Gerade jetzt, wo die Temperaturen fallen und bald eine Feuertonne für Wärme bei der Streikwache sorgen wird, fragen sich viele, wie lange sie noch durchhalten werden. Doch noch sagt die Mehrheit der Aktiven, wir lassen uns nicht unterkriegen, wenn der Unternehmer sich nicht bewegt. Nach mehr als einem Monat wurden gestern die Verhandlungen mit Alpenland fortgesetzt. Sie dauerten bei Redaktionsschluss dieser Seite an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209390.gleiche-pflege-ungleicher-lohn.html

Peter Nowak

Spät – aber nicht zu spät

Minijobber soll mehr als 60 Stunden in der Woche geschuftet haben

Unter dem Motto „Gegen Ausbeutung in Spätverkäufen“ organisiert ein Bündnis sozialer Gruppen am Dienstag um 18 Uhr eine Kundgebung an der Frankfurter Allee – Ecke Samariterstraße im Bezirk Friedrichshain.   Damit soll ein ehemaliger Mitarbeiter des Spätkaufs Mumbai-Corner in der Samariterstraße 3 unterstützt werden. Der Hartz IV-Empfänger war mit einem  Minijob-Vertrag in dem Laden angestellt. Nach seinen Angaben  habe er aber bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten müssen und hätte oft nicht einmal Mittagspause gehabt.
Der Ladenbesitzer bestreitet diese Angaben. Der Mitarbeiter habe nur 20 Stunden im Monat in dem Laden gearbeitet, wie im Minijobvertrag vorgesehen.
Jetzt muss sich das Arbeitsgericht mit der Angelegenheit befassen. Dort will der ehemalige Verkäufer die ihm  seiner  Meinung nach zu stehende Löhne einklagen. Nach Angaben seines Anwalts Klaus Stähle stehen die Chancen für seinen Mandanten nicht schlecht. Er konnte mehrere Kunden des Ladens ausfindig machen, die bezeugen, dass der Kläger  häufig hinter der Ladentheke gestanden habe. Arbeit habe ich dort immerhin gegeben. Denn in dem Laden werden nicht nur Zeitungen, Getränke und Zigaretten, sondern auch die Dienstleistungen des Hermes-Paketdienstes  angeboten. Zu de gehört ein Internettreffpunkt zu den Laden.

Am kommenden Donnerstag hat das Berliner Arbeitsgericht am Magdeburger Platz 1 einen Gütetermin angesetzt. Dort soll ausgelotet werden, ob es in der Angelegenheit eine Einigung gibt.  Das Interesse an der öffentlichen Veranstaltung im Raum 209 dürfte groß sein. Denn der Kläger ist einer der wenigen Spätkauf-Angestellten, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Nicht nur Stähle sagt, dass sei sein erster Mandant aus dieser Branche. Auch Erika Ritter,  die bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für die Einzelhandelsbranche zuständig ist, erklärt  im Gespräch mit Neues Deutschland, ihr sei Fall, wo ein Spätkauf-Beschäftigter  sich an ihre Gewerkschaft gewandt hat um seine Rechte durchzusetzen. Auch für die kleine Gewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), an die sich der Verkäufer aus Friedrichshain gewandt hatte, sieht in dem Fall Neuland.
Nicht selten wollen die Spätkauf-Besitzer  mit einem eigenen Laden aus der Arbeitslosigkeit fliehen wollen. “Eine  extrem hohe Wettbewerbsintensität wird durch schonungslose Selbstausbeutung oder die Verwendung billigster Arbeitskräfte kompensiert. Nicht wenige „Spätverkäufe  sind  von mithelfenden Familienangehörigen abhängig“, meint FAU-Pressesprecherin Julia Fehrle. Ihre Organisation bietet Beratung für Beschäftige dieser Branche an. Dafür soll auf der Kundgebung ebenso geworben, wie für Solidarität mit den Beschäftigten, der sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen wehrt. Mittlerweile haben sich auch Nachbarn des Spätkaufs mit den klagenden Beschäftigten solidarisch erklärt. Der Liedermacher Detlev K. hat unter dem Titel „Spätkauf aber nicht zu spät“, einen Solidaritätssong komponiert.

aus Neues Deutschland 18.10.2011
Peter Nowak

Solidarität mit Charité- und Pflege-Streik

Gewerkschaft will Arbeitskampf in die Gesellschaft tragen

„Wir  sind Mehrwert“, diese Parole prangte auf vielen T-Shirts der Gewerkschafter, die am Samstagsmittag  vom Alexanderplatz zu Brandenburger Tor gezogen. Mehrere hundert Menschen hatten sich daran beteiligt. Darunter waren die streikenden Beschäftigten der Charity und der Pflegedienste Alpenland. Zu ihrer Unterstützung war die Demonstration organisiert worden. „Diese Streiks helfen mit, die Spirale von Dumpinglöhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und tariffreien Zonen zu stoppen und sind deshalb im Interesse aller Arbeitnehmer“,    betonte ein Gewerkschafter.
Gleichzeitig brauchen die Kollegen mehr Solidarität, wie aus ihren Berichten deutlich wurde.
„Die Geschäftsführung der Charité Facility Management GmbH ist nicht im Ansatz bereit, einen für alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrag, geschweige denn wirkliche Entgelterhöhungen für alle Beschäftigten mit uns zu vereinbaren“, klagt eine Streikende. Mit Hausverboten gegen Gewerkschafter, Einschüchterungen und Drohungen sowie Auszahlung von Streikbrecherprämien solle der Arbeitskampf gebrochen werden. Ähnliches hatte Maike Jäger vom verdi-Fachbereich 3 von Alpenland zu berichten. Streikende würden eingeschüchtert, Streikbruch solle belohnt werden. Dadurch würde  aber die Entschlossenheit der Streikenden erhöht, berichtete sie und verweist auf Erfolge. „Vor einigen Wochen kannte kaum jemand den Namen Alpenland. Durch den Streik sei die Firma dadurch bekannt, dass die Beschäftigten im Osten wesentlich weniger als im Westen verdienen“.

Auf einer Zwischenkundgebung vor dem Buchkaufhaus Dussmann machten die Gewerkschafter ihren Unmut Luft. Das Unternehmen bildet gemeinsam mit der Charity, den Unternehmen Hellmann und  VAMED die  Charité Facility Management GmbH. „Wir kommen wieder“ beendete ein Redner seinen kurzen Redebeitrag, der von zahlreichen Passanten mit Zuspitzung aufgenommen wurde.
Tatsächlich soll es nicht die letzte Solidaritätsdemonstration bleiben. Ver.di will den Arbeitskampf aus den betroffenen Betrieben in die Gesellschaft tragen. Auf der Demonstration waren allerdings die aktiven Gewerkschafter eindeutig in der Mehrzahl. Soziale Initiativen, die  2008 beim Einzelhandelsstreik   zur Unterstützung der Kollegen waren auf der Demo kaum vertreten. Die beteiligten sich dagegen zahlreich  an einer Demonstration, die zwei Stunden später auf der gleichen im Rahmen der globalen Krisenproteste   auf der gleichen Route durch Berlins Mitte zog. Dort wurden die Arbeitskämpfe gar nicht erwähnt. Anders als in den USA, wo Gewerkschafter bei den Krisenprotesten beteiligt sind,  klappte in Berlin der Schulterschluss noch nicht. Vielleicht sollten die Sozialforen wieder aktiv werden, die vor einigen Jahren hier eine wichtige Koordinierungsfunktion hatten“, meine eine Aktivistin.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/209062.solidaritaet-mit-charite-und-pflege-streik.html

Peter Nowak

Demo für Streikende

CHARITÉ Der Streik dauert seit sechs Wochen an. Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht

Mehrere hundert Menschen haben mit einer Demonstration am Samstag zur Solidarität mit den streikenden MitarbeiterInnen der Charité und der Alpenland-Pflegedienste aufgerufen. Beteiligt waren unter anderen die Gewerkschaft Ver.di und ein Solidaritätskomitee, an dem neben Gewerkschaften auch soziale Initiativen beteiligt sind.

Seit dem 18. August sind MitarbeiterInnen der Alpenland Pflegedienste und der Charité im Ausstand. „Die Streiks sind ein Mittel, die sich ausbreitende Prekarisierung, und die Untergrabung von ArbeitnehmerInnenrechten zu bekämpfen“, begründet Sascha Stanicic vom Solidaritätskomitee, warum der Ausstand nicht allein Sache der Beschäftigten sein soll.

Die berichteten von Aufforderungen zum Streikbruch und Einschüchterungsversuche. „Das hat die KollegInnen nur noch entschlossener gemacht. Wir setzten den Streik fort, bis es gleiche Löhne in Ost- und Westberlin gibt“, sagt Maike Jäger vom Ver.di-Fachbereich 3. Einheitliche Löhne sind eine zentrale Forderung der Beschäftigten des Pflegeunternehmens. Kommenden Donnerstag soll dort weiterverhandelt werden. Zur Unterstützung ruft Jäger für diesen Tag zu Besuchen der Streikenden in der Weißendörfer Straße 64 in Biesdorf auf. Die Charité Facility Management GmbH ist bisher nicht zu Tarifverhandlungen bereit.

Die GewerkschafterInnen wollen in nächster Zeit in weiteren Aktionen ihre Solidarität mit den Streikenden zeigen. Schon im Einzelhandelsstreik 2008 beteiligten sich soziale Initiativen zur Unterstützung der KollegInnen. Die Demonstration am Samstag bestimmten allerdings die GewerkschafterInnen schon optisch. Die Aktivisten aus sozialen Initiativen beteiligten sich wiederum zwei Stunden später an der Demo zu globalen Krisenaktionstag.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F10%2F17%2Fa0114&cHash=fa438f86ba

Peter Nowak

Rund um die Uhr an der Kasse


PREKÄRE JOBS Ein Spätkauf-Mitarbeiter verliert erst den Job, dann will man ihm verbieten, über die schlechten Arbeitsbedingungen zu sprechen. Der Fall beschäftigt nun die Justiz

Rund um die Uhr einkaufen, sich frühmorgens Biernachschub holen oder im Internet surfen erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Zahl der Spätkaufläden in Berlin wächst – und damit auch die Zahl der prekären Arbeitsplätze.

Drei Jahre hat Daniel Reilig* in einem Spätkauf in Friedrichshain gearbeitet, offiziell war er Minijobber. Gearbeitet habe er 60 Stunden in der Woche, berichtet Reilig am Mittwochabend im Stadtteilladen Zielona Gora. Anfangs hätten ihn die Arbeitsbedingungen nicht gestört. „Ich hatte ein unbezahltes Praktikum in einem Discounter hinter mir. Da hat mir die familiäre Atmosphäre zunächst gefallen“, sagt er. Zumal ihm sein Chef bald die Verantwortung für einen Laden übertragen habe. Als Filialleiter auf Minijobbasis sei ihm der niedrige Lohn kaum aufgefallen. Erst als ein Kurzurlaub abgelehnt wurde, sei die Situation eskaliert. Reilig erhielt die Kündigung.

Sein früherer Chef, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, behauptet, Reilig sei auf eigenen Wunsch gekündigt worden. Auch die Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen weist er zurück. Der Angestellte habe nur zwanzig Stunden im Monat arbeiten müssen. Sollte er länger im Laden gewesen sein, sei es freiwillig geschehen.

Die Angelegenheit beschäftigt mittlerweile die Justiz. Der ehemalige Chef wollte Reilig mit einer Klage verbieten lassen, seine Darstellung der Arbeitsverhältnisse weiter zu verbreiten. Er verklagte auch ein Internetmagazin, das einen Bericht über den Konflikt veröffentlicht hatte. In einer eidesstattlichen Erklärung hat Reilig seine Version bekräftigt. Unterstützung bekommt er von KundInnen des Spätkaufs. Die wollen vor dem Arbeitsgericht bestätigen, dass er fast rund um die Uhr an der Kasse stand.

Reilig will den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwalts Klaus Stähle stehen die Chancen gut. „Wichtig ist dabei, dass sich durch ZeugInnenaussagen oder andere Belege die tatsächliche Arbeitszeit nachweisen lässt“, betont der Arbeitsrechtler gegenüber der taz.

Reilig ist der erste Spätkauf-Beschäftigte unter seinen Mandanten. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. Auch an die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat sich bislang kein Spätkauf-Beschäftigter zur Durchsetzung seiner Rechte gewandt, erklärt die zuständige Gewerkschaftssekretärin Erika Ritter gegenüber der taz.

Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel insgesamt immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Discounterketten sorge für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU, an die sich Reilig gewandt hat, ist optimistisch. „Unsere Erfahrungen, Löhne für Einzelne einzuklagen, sind sehr positiv. Der juristische Weg reicht dabei natürlich oft nicht aus“, sagt Julia Fehrte von der Berliner FAU zur taz. Am 26. Oktober soll um 18 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße eine Solidaritätskundgebung für Reilig auch die KundInnen dafür sensibilisieren, dass der Rund-um-die-Uhr-Service der Spätkaufe seinen Preis hat.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F10%2F07%2Fa0149&cHash=315583a9c3

Peter Nowak

Die besseren Manager

Um für Mitglieder attraktiver zu werden, wollen die Gewerkschaften ihre Arbeit modernisieren. Dabei setzen sie auf den »Standort« und betriebswirtschaftliche Professionalität.

Haben die DGB-Gewerkschaften noch eine Chance oder sind sie ein Auslaufmodell? Mit dieser Frage beschäftigen sich die zwei größten Einzelgewerkschaften im DGB. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi tagte in der vorigen Woche in Leipzig, die IG Metall lädt vom 9. bis zum 15. Oktober zum 22. Gewerkschaftstag nach Karlsruhe. Es solle über die Herausforderungen der kommenden Jahre diskutiert werden, schreibt der IG-Metallvorsitzende Berthold Huber auf der Homepage der Gewerkschaft und macht sich und den Mitgliedern Mut.

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Widerstand ist organisierbar

Konferenz in Berlin – mit wenig Interesse bei Gewerkschaften
Am Wochenende lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin zu einer Konferenz ein, an der vor allem sogenannte Stadtteilorganizer teilnahmen.

Soziale Proteste sind in Deutschland selten. Bundesweite Demonstrationen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise« bleiben ohne nachhaltige Wirkung. Dieser Zustand frustriert viele politisch Aktive und lässt sie nach politischen Alternativen Ausschau halten. Zwei Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind in den USA fündig geworden. Sie haben auf dem dortigen Sozialforum das Community-Organizing, die politische Organisierung in den Stadtteilen, in Theorie und Praxis kennen gelernt. Einige Stadtteilorganizer nahmen am Wochenende in Berlin an einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung teil, die sich mit Strategie und Taktik einer revolutionären Realpolitik befassten.
Stadteilorganisator Eric Mann aus Los Angeles erinnerte darin, dass die Kommunistische Partei der USA in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreiche Organizing-Projekte initiiert. Auch für die US-Bürgerrechtsbewegung war die Stadtteilorganisierung ein wichtiges politisches Aktionsfeld. Mann erinnerte daran, dass Martin Luther King mit der Organisierung streikender Müllmänner beschäftigt war, als er von einem Rassisten erschossen wurde. Daran knüpft seine Organisation an, als sie mit den Beschäftigten und Stadtteilbewohnern gegen die Schließung einer CM-Filiale erfolgreich kämpfte. Sendolo Diaminah von der Initiative People’s Durham outet sich auf der Konferenz als Kommunist, der nach der weltweiten Krise der Linken nach dem Ende des Nominalsozialismus nach neuen Wegen suchte. Er sieht im Organizingkonzept eine Möglichkeit, die Lücke zu füllen, die der Zerfall linker Organisationen hinterlassen hat.

Auch für Steve Williams von der Initiative Power aus Los Angeles ist das Organizingkonzept heute besonders aktuell. Das Schrumpfen der Kernarbeiterschaft führe zum Bedeutungsverlust von Gewerkschaften. Erfolgreiche Streiks seien daher auf Organisierung außerhalb der Betriebe angewiesen. Als Beispiel nannte er eine gelungene Organisierung von Schülern und Busfahrern, als der Schultransport privatisiert wurde, was mit Preissteigerungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden war.
Auch in Deutschland hat die Debatte um Organizingstrategien inner- und außerhalb der Gewerkschaften begonnen. Der Stuttgarter verdi-Bezirk gehört zu den Vorreitern. „Innerhalb der deutschen Gewerkschaftsbewegung steht die Debatte noch ganz am Anfang,“ betont die Stuttgarter Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt auf der Konferenz.

Florian und Max, zwei Aktivisten vom „Recht auf Stadt-Bündnisses“, berichten über Erfolge und Grenzen ihrer Organisationsansätze in den Hamburger Stadtteilen Altona und Wilhelmsburg. In letzterem wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen, bei denen die Organisierer auf offene Ohren stießen. Innerhalb kurzer Zeit wurde eine Protestaktion gegen Mieterhöhungen zum Wohnungsbauunternehmen Gagfah organisiert. Allerdings sind nicht alle politischen Initiativen erfolgreich gewesen. Der These, dass man mit den Bewohnern über den Protest gegen steigende Mieten nicht aber über Stadtpolitik reden kann, widersprach der Soziologe Alex Demirovic und verweist auf andere Erfahrungen in Frankfurt/Main. Auch die Grundsatzfrage, ob Organizingkonzepte linke Parteien ersetzen oder ergänzen kann, blieb auf der Konferenz offen. Dass sie an Bedeutung gewinnen werden, scheint aber klar. Daher war es unverständlich, dass bei der Konferenz im Berliner IG-Metallhaus kaum Gewerkschaftler und politische Aktivisten anwesend waren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/207596.widerstand-ist-organisierbar.html?sstr=Organizing

Peter Nowak

Bier und Päckchen, Kippen und Ausbeutung

Alles locker am Spätkauftresen? Oftmals nicht für die Beschäftigten
Zehn Stunden Arbeit am Tag statt Minijob, nur der Lohn ist der gleiche. Erstmals will sich ein Berliner Spätkaufbeschäftigter vor dem Arbeitsgericht gegen die fiesen Arbeitsbedingungen wehren.

Daniel Reilig* gehörte zum wachsenden Heer von Minijobbern. 20 Stunden im Monat wollte er in einem Spätkaufladen im Berliner Stadtteil Friedrichshain seine Hartz-IV-Bezüge durch eine Vergütung von 120 Euro aufbessern. So steht es in dem Vertrag, den Reilig mit dem Besitzer mehrerer Spätkaufläden abgeschlossen hat. Doch sein Arbeitsalltag sah ganz anders aus.
Campact – Waffen

»Ich arbeitete sechs Tage die Woche bis zu zehn Stunden täglich. Ich hatte in dieser Zeit auch keine Mittagspause«, erklärt Reilig gegenüber ND. Bei einem Imbiss in der Nachbarschaft habe er Menüs bestellt, die er an seinen Arbeitsplatz verzehren konnte, wenn er gerade keine Kunden zu bedienen hatte. Dass sei selten gewesen, denn im Spätkauf waren ein Internetcafé, ein Getränke- und Zeitschriftenvertrieb und ein Hermes-Versanddienst integriert.

Der Chef von Reilig behauptet, seine Brüder hatten in den Läden fast rund um die Uhr gearbeitet. Reilig hingegen sei nur 20 Stunden im Monat dort tätig gewesen. Wenn er sich dort länger aufgehalten hat, sei das freiwillig gewesen. Er droht Reilig mit einer Klage, wenn er seine Beschreibung der Arbeitsbedingungen weiterhin aufrecht erhält. Der hat in einer Eidesstattlichen Erklärung seine Version bekräftigt, die von einigen regelmäßigen Kunden des Spätkaufs bestätigt wird. Er habe sich immer wieder gefragt, ob Reilig keine Freizeit habe, weil er rund um die Uhr hinter der Kasse gesessen hat, erklärte ein Anwohner, der in dem Laden regelmäßig einkauft. Diese Angaben will er beim Prozess vor dem Arbeitsgericht wiederholen.

Dort will Reilig den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwaltes Klaus Stähle stehen die Chancen gut. Wichtig sei aber, dass er durch Zeugenaussagen oder andere Belege seine tatsächliche Arbeitszeit nachweisen kann. Bisher ist dem Arbeitsrechtler kein weiterer Fall bekannt, wo sich ein in einem Spätkauf Beschäftigter juristisch wehrt. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. So sei vielfach auch nicht bekannt, dass Menschen mit geringen Einkommen Prozesskostenbeihilfe beantragen können, um ihre Rechte einzuklagen.

Auch Erika Ritter, bei ver.di Berlin-Brandenburg für den Handel zuständig, kennt keinen Fall, wo sich ein Spätkauf-Beschäftigter an die Gewerkschaft gewandt hat, um seine Rechte durchzusetzen. Auch sie bewertet die Erfolgsaussichten als gut. Ließe sich nachweisen, dass der in Berlin geltende Tarifvertrag um mehr als 30 Prozent unterschritten wird, sind die Arbeitsbedingungen sittenwidrig. Das kann bei einem Stundenlohn von unter acht Euro der Fall sein.

Ein Grund für die geringe Organisierungsbereitschaft liegt für Ritter darin, dass es sich überwiegend um Familienbetriebe handelt, in denen die gesamte Verwandtschaft rund um die Uhr für wenig Geld schuftet. Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Supermärkte und Discounterketten sorgte für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU will mit einer Kampagne beginnen, um die Beschäftigen in dieser Branche verstärkt über ihre Rechte zu informieren. Eine erfolgreiche Klage von Reilig könnte dabei helfen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206864.bier-und-paeckchen-kippen-und-ausbeutung.html

Peter Nowak

Organisieren statt Lamentieren

Eigeninitiative und Solidarität: Über den Arbeitskampf an der Schwedischen Schule Berlin
Ein Lehrer organisiert die Belegschaft einer schwedischen Schule in Berlin, erreicht die Verbesserung von Arbeitsbedingungen – und ist überrascht über die Solidarität von Schülern und Eltern.

»Die Schwedische Schule in Berlin bietet ein geschütztes, sicheres schulisches Umfeld mit Zweisprachigkeit und Unterricht in kleinen Gruppen, angeleitet durch kompetente Pädagogen«, heißt es auf der Homepage der Lerneinrichtung in Berlin-Wilmersdorf. Sie wird von über 50 Schülern, vor allem Kinder von in Deutschland lebenden schwedischen Künstlern und Diplomaten, besucht.

An dieser Schule gelang es einem engagierten Gewerkschafter, die Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Im Sommer 2010 nahm Johnny Hellquist die Arbeit in Berlin auf und war über die dortigen Arbeitsbedingungen empört. »Es gab weder Arbeitsverträge, noch Lehrerzimmer oder Arbeitsräume. Eine Stunde pro Woche arbeiteten wir unentgeltlich in der Schule und mussten uns auch darauf einstellen, bei Klassenfahrten und an vereinzelten Wochenenden unsere Arbeitskraft unbezahlt zur Verfügung zu stellen«, berichtete er gegenüber ND. Bei seinen sechs Kollegen stieß er sofort auf offene Ohren, als er Treffen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen organisierte. Die Lehrer hatten mehrmals die schwedische Akademikergewerkschaft über die prekären Arbeitsbedingungen in Berlin informiert. Die hatte allerdings bedauernd mitgeteilt, in Deutschland nicht eingreifen zu können. Ein Kontakt zur hiesigen GEW wurde ihnen nicht vermittelt. In Schweden existieren drei gewerkschaftliche Dachverbände, die getrennt Arbeiter, Angestellte und Akademiker vertreten und sozialpartnerschaftlich orientiert sind. Lediglich der anarchosyndikalistische Gewerkschaftsverband SAC, in dem Hellquist organisiert war, setzt auf gemeinsame Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Akademikern. Die SAC spielt mit ihren über 6000 Mitgliedern als kämpferische Gewerkschaft eine wichtige Rolle auch in schwer organisierbaren Branchen. In Berlin war Hellquist erfolgreich. Als die Lehrer kollektiv die Teilnahme an einer weiteren Klassenfahrt ohne Bezahlung verweigerten, kam der Durchbruch. Ab Herbst 2011 erhalten alle Pädagogen erstmals schriftliche Arbeitsverträge. Alle Arbeitsstunden und Klassenfahrten werden künftig bezahlt. Zudem wurde ein Arbeits- und ein Lehrerzimmer in der Schule eingerichtet.

Für diesen Erfolg macht Hellquist neben der Organisierung der Kollegen auch die Unterstützung durch Eltern und Schüler verantwortlich. Die zeigte sich am 29. Mai, als dem engagierten Gewerkschafter von der Direktion mitgeteilt wurde, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Er wurde aufgefordert, die Schlüssel abzugeben und das Schulgelände sofort zu verlassen. Diese Disziplinierungsmaßnahme war für Hellquist ein Ansporn zum Widerstand: »Abends schrieb ich einen langen Brief an die Eltern, in dem ich sie über das ganze Drama aufklärte und ihnen vorschlug, an die Schuldirektorin und den Vorstand zu schreiben und ihre Meinung kundzutun«, erzählt er. Über die Reaktion war er selber erstaunt. Schüler richteten auf »Facebook« eine Seite mit dem Titel »Wir wollen Johnny zurück« ein, 20 Eltern drohten mit der Besetzung des Schulgebäudes, wenn die Entlassung von Hellquist nicht zurückgenommen wird. Am nächsten Tag kam die Schulleitung der Forderung nach. »Weniger Lamentieren – mehr Organisieren«, dieses Fazit zieht Hellquist aus seinen Erfahrungen, die er auf viele Arbeitsbereiche für übertragbar hält.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206337.organisieren-statt-lamentieren.html

Peter Nowak

Angemessener Lohn statt zusätzliche Jobs

Psychiatrie-Beschäftigte protestieren in Berlin
Am heutigen Mittwoch wollen Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) in Berlin erneut mit einem Aktionstag auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam mach
en.

Mit einem Demonstrationszug von der Berliner Charité zum Bundesgesundheitsministerium wollen sie ihre Forderungen nach angemessener Vergütung und einer Reform der Ausbildung auf die Straße tragen.

„Die Route wurde bewusst gewählt, betont Sarah Eckardt vom Vorbereitungskreis des Aktionstages. „Unsere Forderungen richten sich sowohl an die Berliner Kliniken als auch an die Politik“, betont sie gegenüber ND. Es sei die Verantwortung der Kliniken, die Mitarbeiter angemessen zu entlohnen und gesunde Arbeitsbedingungen bereitzustellen. Von der Politik wird eine Änderung des Psychotherapeutengesetzes gefordert. Dort seien die Pflichten der PiA geregelt, über deren Rechte aber findet sich nichts, moniert Eckardt..
„Einige Kliniken berufen sich auf dieses Gesetz und argumentieren, da die Entlohnung der PiA nicht gesetzlich geregelt ist, brauchen sie nicht bezahlt zu werden“, schildert sie die Arbeitsbedingungen ihrer Kollegen. Deshalb sind viele PiA gezwungen, einer weiteren Tätigkeit nachzugehen, um zu überleben. Die 3-5jährige Ausbildung zum Psychotherapeuten setzt ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Psychologie oder der Sozialpädagogik voraus und ist notwendig zur Erlangung de Approbation. Sie ist in den ersten anderthalb Jahren mit einer praktischen Tätigkeit in psychiatrischen Kliniken von durchschnittlich 30 Stunden pro Woche verbunden. Obwohl dort die angehenden Psychotherapeuten meist die gleiche Arbeit wie die approbierten verrichten, werden sie meist gering oder gar nicht bezahlt


Vereinbarung mit leeren Klauseln.

Der Dienstleistungsgewerkschaft sind diese Zustände schon lange bekannt. „Viele angehenden Psychotherapeuten und deren Familien leben unter dem Existenzminimum und behandeln ihre Patienten auf hohem Niveau für unter 1 Euro pro Stunde,“ heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft. Bei ver.di wurde eine Arbeitsgruppe für die besondere Problematik der PiA eingerichtet. Dort wurde ein Mustervertrag ausgearbeitet, der nach den Vorstellungen der Kollegen künftig gelten soll. „Statt der bisher üblichen Praktikumvereinbarungen voller leerer Klauseln fordern wir schriftliche Verträge der Klinken für unsere praktische Tätigkeit“, betont Eckardt. Sie sieht mit dem Anliegen des Aktionstages auch die Interessen der Patienten vertreten. Schließlich leide die Qualität der psychotherapeutischen Arbeit unter mangelnder Entlohnung „ Wir wollen die bestmögliche Versorgung der Patienten und sehen diese immer wieder durch Einsparungen und Kürzungen an den Kliniken gefährdet“, berichtet Eckardt aus dem Berufsalltag ihrer Kollegen. Ähnliche Berichte sind mittlerweile auch aus vielen Bereichen des Gesundheits- Pflegebereichs zu hören. Allerdings ist eine Koordinierung der sehr fragmentierten Beschäftigtenstruktur im Gesundheits- Pflegebereich nicht einfach. „Wir würden uns gerne weiter vernetzen“, betont Eckardt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/206131.angemessener-lohn-sta

tt-zusaetzliche-jobs.html?sstr=Peter|Nowak

Peter Nowak

TÜV-Nord sorgt nicht für Sicherheit

Hälfte der Mitarbeiter von Bildungszentren soll ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Bund kürzt Bildungsmaßnahmen und trifft damit auch die Beschäftigten in Bildungszentren.
»Wir machen die Welt sicherer«, lautet das Motto des Dienstleistungsunternehmens TÜV-Nord, das bei der Zertifizierung von technischen Geräten, Fahrstühlen oder Fabriken weltweit tätig ist. Doch viele Mitarbeiter der TÜV-Nord-Bildung können den Slogan nur als Hohn entfinden. Sei sollen Lohnkürzungen von bis zu 20 % hinnehmen. Die Hälfte der Beschäftigten sollen den Arbeitsplatz verlieren, weil 17 von 40 Bildungszentren schließen müssen.
Betroffen davon sind Standorte in der ganzen Republik davon einige in Mecklenburg-Vorpommern. Die Lausitzer Rundschau hatte Ende August aus einem Schreiben der TÜV-Geschäftsführung zitiert, in dem es hieß: „Mittelfristig werden wir auch die Bildungszentren in Cottbus, Erkelenz, Geilenkirchen, Hagen, Hückelhoven und Waren schließen müssen“. Ein Konzernsprecher erklärte allerdings, dass für den Standort Cottbus noch eine Lösung gesucht werde, weil die Auftragslage gut sei. Mehrere Mitarbeiter klagen über die widersprüchlichen, nervenzerrenden Angaben zur Zukunft des Cottbuser Standortes. Zudem haben sie mit Lohnkürzungen zu rechnen. Über die Tarife wird zur Zeit neu verhandelt. Der zuständige Bezirksleiter der IG-Bergbau, Chemie, Energie Ralf Hermwapelhorst nannte die Kürzungspläne Geschäftsführung so nicht hinnehmbar. Der Gewerkschaftler verwies darauf, dass schon bisher ihre Löhne unter denen in der Industrie lagen. Gesttern wurden die Tarifverhandlungen abgebrochen .

Geschlossen werden soll das erst im letzten Jahr eröffnete TÜV-Nord-Bildungszentrum in Waren-West in Mecklenburg-Vorpommern, wie der TÜV-Nord-Pressesprecher Sven Ulbrich bestätigte. Dort absolvieren 18 Jugendliche zurzeit ihre Ausbildung in Berufen des Bausektors. Die können sie nach Angaben von Ulbrich beenden, weil die Finanzierung bis 2013 gesichert ist.

Massive Kürzungen bei Bildungsmaßnahmen

Erst vor einem Jahr war die Gesellschaft von der TÜV-Nord von der RAG-Bildung gekauft worden. Damals hofften die Mitarbeiter, dass damit ihre Arbeitsplätze gesichert sind. Schließlich wurde beim Verkauf der Gesellschaft ein Beschäftigungsrahmenvertrag vereinbart, in dem Kündigungen in den nächsten drei Jahren ausgeschlossen werden. Die Klausel galt allerdings nicht für Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen. Daher war die Überraschung groß, als die Belegschaft im Mai 2011 in einem Schreiben der TÜV Nord AG vom Mai 2011 darüber informiert wurden, dass Verluste in den vergangenen neun Monate“ zum vollständigen Eigenkapitalverzehr” geführt hätte und massive Einsparungen notwendig seien. Der Grund für die finanzielle Misere liegt in den massiven Kürzungen von Bildungsmaßnahmen durch das Bundesministerium für Bildung, die zu einem Rückgang im Bereich staatlich geförderter Bildungsmaßnahmen geführt hat. Neben den Erwerblosen sind die Mitarbeiter der Bildungseinrichtungen die Hauptbetroffenen dieser Einschnitte. Doch zu gemeinsamen Protesten kam es nicht. Während die Gewerkschaften von Anfang an auf konstruktive Verhandlungen und die Erstellung eines Sozialplans setzten, gab es in der Belegschaft von TÜV-Nord auch andere Stimmen. So äußerte der Tüv-Nord-Mitarbeiter des Standorts Hückelhoven Thomas Wasilewski gegenüber ND massive Kritik an Geschäftsleitung und Betriebsrat. „Wer sich so gut am Arbeitsmarkt auskennt wie die TÜV Nord Bildung, hätte auch einmal über Arbeitszeitmodelle oder Kurzarbeit nachdenken sollen“, meinte er. Schließlich wirft das Unternehmen mit dem Slogan “Wir entwickeln Kompetenzen“. Dem Betriebsrats wirft Wasilewski vor, nicht auf eine Gesamtbetriebsversammlung aller TÜV-Nord-Standorte gedrängt zu haben, wie sie vor allem von Beschäftigten in Ostdeutschland gefordert wurden, die als erste entlassen werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205888.tuev-nord-sorgt-nicht-fuer-

sicherheit.html?sstr=TÜV|Nord

Peter Nowak

Neue Hartz IV-Regelung verfassungswidrig?

Weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket halten nach Gutachten die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein

  Ab Januar 2012 soll der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher um 10 Euro auf 374 Euro steigen. Entsprechende Medienberichte hat eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums bestätigt.

Heftige Kritik an der Maßnahme, die noch in diesem Monat vom Bundeskabinett beschlossen werden soll, kommt von Gewerkschaften und Sozialverbänden. So erklärte Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband: „Auch die angekündigte 10-Euro-Erhöhung macht die Hartz-IV-Regelsätze nicht verfassungsfester. Dass für die älteren Kinder gar keine Anpassung erfolgt, ist ignorant und geht an der Alltagsrealität von Familien vollkommen vorbei.“

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand forderte eine grundsätzliche Reform der Hartz IV-Gesetze. Buntenbach kann sich mit ihrer Kritik auf zwei Studien der DGB-nahen Hans Böckler Stiftung stützen, die am 5. September in Berlin vorgestellt wurden. Danach entsprechen weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wegen methodischer Fehler bei der Bemessung sei der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher kleingerechnet worden. Das ist das Fazit zweier von dem Juristen Johannes Münder auf Basis von Daten der Verteilungsforscherin Doktor Irene Becker erstellten Studie.

An 10 Punkten werden Widersprüche zum Hartz IV-Urteil festgestellt

Ein zentraler Kritikpunkt lautete, bei der Festsetzung des Regelbedarfs seien Menschen mit geringen Einkommen als Referenzgruppe aufgenommen worden, obwohl die Richter in Karlsruhe betonten, dass das Existenzminimum nicht über das Konsumverhalten von Menschen ermittelt werden darf, die von Sozialhilfe oder Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Mit der Ungleichbehandlung von Single-Haushalten und Familien bei der Festsetzung des Regelsatzes werde gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verstoßen.

Als Hauptmangel beim Bildungspaket wurde die Benachteiligung von Kindern aus strukturschwachen Gebieten angeführt. Denn dort, wo keine Bildungsförderungsmaßnahmen angeboten werden, besteht nach der Logik der Gesetzgeber auch kein Anspruch auf Leistungen.

Eine unabhängige Kommission wird gefordert

Buntenbach forderte als Konsequenz aus den Studien die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die die Regelsätze nach dem tatsächlichen Bedarf und nicht nach Kassenlage bemisst. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn erst erneut das Bundesverfassungsgericht eingreifen müsste“, so die Gewerkschafterin. Tatsächlich haben mittlerweile mehrere Betroffene Klagen gegen die neuen Regelsätze eingereicht, darunter auch Gewerkschaftsmitglieder, die vom DGB unterstützt werden.

Allerdings warnen Erwerbslosenaktivisten vor zu großen Hoffnungen, dass es Karlsruhe schon im Sinne der Erwerbslosen richten werde. Schon im letzten Jahr wurden von manchen Sozialverbänden Illusionen verbreitet. Doch in dem Urteil haben die Richter bewusst keine konkreten Zahlen für Hartz IV-Sätze vorgegeben. „Das Positivste, was aus der Diskussion um die Klage entstanden ist, war das Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“, das im letzten Herbst für eine Erhöhung des Regelsatzes eintrat und sich dabei nicht in juristischen Details verfing, sondern die konkrete Situation der Betroffenen thematisierte“, meinte ein Erwerbslosenaktivist. Das Bündnis, um das es nach dem Urteil ruhig geworden ist, könnte bei erneuten Klagen wieder aufleben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150416

Peter Nowak