Demokratie statt Fiskalpakt

Wissenschaftler rufen zu Protesten gegen europäische Kürzungspolitik auf
Ein von der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung initiierter Aufruf mobilisiert gegen das EU-Krisenprogramm.
Während in den letzten Tagen die Eurokrise in Deutschland nicht im Mittelpunkt des Medieninteresses stand, geht in Griechenland, Spanien und Portugal der Widerstand gehen die sozialen Folgen der EU-Krisenprogramme weiter. Aber auch in Deutschland wächst die Kritik Das zeigt sich an der großen Resonanz, den der von der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG) initiierte Aufruf „Demokratie statt Fiskalpakt“. Mit knapp 120 Erstunterzeichnern, die vor allem aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich kommen, ist der Aufruf vor einigen Tagen gestartet. Mittlerweile wurde von mehr als 1300 auf der Homepage http://www.demokratie-statt-fiskalpakt.org/ unterzeichnet Täglich kommen weitere Namen dazu. Das ist ganz im Sinne der Initiatoren.
Der AkG hat sich im Juni 2004 als Zusammenschluss von Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern im deutschsprachigen Raum gegründet. „Zielsetzung der gemeinsamen Arbeit ist die Diskussion gesellschaftskritischer Theorieansätze, deren Reproduktion und Weiterentwicklung in Zeiten ihrer zunehmenden Marginalisierung an den Hochschulen gesichert werden soll“, heißt es auf der Homepage der Initiative.
Mit dem aktuellen Aufruf hat das AkG dieses Selbstverständnis in die Praxis umgesetzt. Dabei richteten die Wissenschafter den Fokus ihrer Kritik auf den mit dem Krisenprogramm verbundenen Demokratieabbau.. Sie ziehen eine Linie von der blutigen Durchsetzung der neoliberalen Politik in Chile während der Militärdiktatur unter Pinochet nach dem Putsch gegen die demokratisch gewählte Allende-Regierung 1973, über die mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung verbundenen Transformationsprozesse in vielen osteuropäischen Länder nach 1989 bis zu den aktuellen Sparprogrammen für die europäische Peripherie.
In dem Aufruf wird auch vor dem Erstarken rechter Kräfte im Windschatten der Krisenpolitik gewarnt. Dabei wird auf die Erfolge rassistischer und nationalistischer Gruppierungen in Ungarn, Österreich und Finnland verwiesen. Allerdings wird der Fokus der Kritik auf die deutsche Regierung gerichtet. „Geschichtsvergessen macht die deutsche Regierung mit ihrer kompromisslosen Austeritätspolitik reaktionäre Krisenlösungen immer wahrscheinlicher“, warnen die Wissenschaftler. . „Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik“, so die Verfasser. .
Der Aufruf mobilisiert zu weiteren Protesten. So wird dort zur Beteiligung an der Anti-Krisendemonstration am 31. März in Frankfurt/Main, den Global Day of Action am 12. Mai und der internationalen Mobilisierung nach Frankfurt am Main vom 17. bis 19. Mai aufgerufen.. Die Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und dem linken Wissenschaftskreisen könnte auch Ausstrahlung auf andere Kreise haben. So verfassten auch Gewerkschaftler einen Aufruf gegen die Krisenpolitik, der bei einer Rundreise griechischer Gewerkschafter in Berlin einstimmig verabschiedet wurde.
www.demokratie-statt-fiskalpakt.de
https://www.neues-deutschland.de/artikel/221812.demokratie-statt-fiskalpakt.html
Peter Nowak

Hände weg vom Streikrecht !

Wirtschaft & Soziales Linke müssen die kämpferischen Teile des DGB und die Spartengewerkschaften unterstützen

Ende Februar 2012: Kaum war Joachim Gauck von einer ganz großen Koalition für das Bundespräsidentenamt vorgeschlagen worden, wurde in allen Medien über seinen Freiheitsbegriff debattiert. Kaum jemand wies jedoch darauf hin, dass just in diesen Tagen ein Frankfurter Gericht den Ausstand der Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) am Frankfurter Flughafen mit juristischen Mitteln unterdrückte. Erst wurde ein Solidaritätsstreik der Towerfluglotsen, zu dem die GdF aufgerufen hatte, verboten, dann der Streik der Fluglotsen selber.
Damit wurde wieder einmal deutlich, dass in Deutschland das Streikrecht Richterrecht ist. Weil im Grundgesetz lediglich die Koalitionsfreiheit, nicht aber ein Streikrecht erwähnt wird, kann jeder Richter ziemlich frei auslegen, wann ein Ausstand verhältnismäßig ist und wann nicht. Dies machen sich die Arbeitgeberverbände zunutze, indem sie bestrebt sind, über die Rechtmäßigkeit eines Streiks von jenen juristischen Kammern entscheiden zu lassen, die als besonders unternehmensfreundlich gelten.
Obwohl das Streikverbot am Frankfurter Flughafen deutlich machte, dass die gegenwärtige Rechtslage im Zweifel immer im Sinne der Unternehmerseite ausgelegt wird, wurde zeitgleich von Konzernverbänden, Medien und PolitikerInnen für eine Verschärfung des Streikrechts getrommelt. An dieser Kampagne beteiligten sich auch führende VertreterInnen der DGB-Gewerkschaften. Das erscheint auf den ersten Blick paradox, lässt sich aber einfach erklären: Die DGB-Gewerkschaften bekommen mit Branchen- und Spartengewerkschaften in vielen Bereichen eine ernsthafte Konkurrenz.
»Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den anderen 20.000 Beschäftigten nicht vertretbar ist«, erklärte der Fraport-Arbeitsdirektor und langjährige ÖTV-Gewerkschaftsfunktionär Herbert Mai. Fast wortgleich argumentierte ver.di-Sekretär Gerold Schaub. Er warf der GdF vor, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier machte sich im Gespräch mit der Financial Times Sorgen um das Unternehmen: »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind.«
Damit wird ein reales Problem angesprochen. Wenn sich die kampfstarken Teile der Belegschaft selbstständig machen und nur noch für ihre Interessen streiken, könnten die Teile der Belegschaft, die nicht die Möglichkeit haben, durch einen Ausstand die Produktion lahmzulegen, das Nachsehen haben. Es wird die Herausforderung einer linken Gewerkschaftspolitik sein, eine solche Verallgemeinerung von Kämpfen trotz der zunehmend unübersichtlichen Arbeitsverhältnisse und des restriktiven deutschen Streikrechts umzusetzen.
Der völlig falsche Weg ist es aber, wenn DGB-FunktionärInnen mit Verweis auf die Spartengewerkschaften einer Verschärfung des Streikrechts und der Ausgrenzung ungeliebter KollegInnen das Wort reden. Der Berliner Basisgewerkschaftler Willi Hajek, der im letzten Jahr das »Komitee für Gewerkschaftsfreiheit« mitgegründet hat und im Umfeld des 1. Mai 2011 von Repressionen bedrohte GewerkschafterInnen aus Italien, Frankreich, Polen und Spanien nach Berlin eingeladen hatte, sieht denn auch in der Haltung der DGB-FunktionärInnen den Versuch, das Monopol bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zu behalten. Da wird dann notfalls beim Gesetzgeber Unterstützung gesucht.
Dabei haben es sich die DGB-Gewerkschaften in der Regel selber zuzuschreiben, wenn sich in einer Branche Spartengewerkschaften bilden, erklärt Hajek mit Verweis auf die Situation am Frankfurter Flughafen. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Aus diesem Milieu entspringt sowohl ein Peter Hartz als auch ein Herbert Mal.
Aber es gibt natürlich auch in den DGB-Gewerkschaften, vor allem an der Basis und im Mittelbau, andere Kräfte. Eine linke Antwort auf die Versuche, das Streikrecht zu verschärfen, hieße daher, sowohl diese kämpferischen Teile der DGB-Gewerkschaften als auch die Sparten- und Branchengewerkschaften zu unterstützen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Deutlich müsste werden, dass nicht kampfbereite Belegschaften, sondern das repressive deutsche Streikrecht das Problem ist.
Ein positives Beispiel ist der Wiesbadener Appell, der von BasisgewerkschafterInnen aus dem hessischen ver.di-Bezirk initiiert worden ist. Die Initiative ist von der ver.di-Gewerkschaftsbürokratie gedeckelt worden. Jetzt haben die InitiatorInnen den Aufruf ins Netz gestellt. (1) Auch Teile der politischen Linken, die bisher mit gewerkschaftlichen Kämpfen wenig zu tun hatten, solidarisierten sich mit den Flughafen-Beschäftigten. Dazu gehört das Berliner Bündnis, das zum europäischen antikapitalistischen Aktionstag am 31. März nach Frankfurt/Main mobilisiert. In einer Erklärung wird darauf hingewiesen, dass in mehreren europäischen Ländern Basisgewerkschaften zu dem Aktionstag aufrufen.

Peter Nowak ist freier Journalist in Berlin mit
Schwerpunkt außerparlamentarische Bewegungen.

Anmerkung:
1) politischer-streik.de
http://www.akweb.de/
analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Nestlé und der Tod des Gewerkschafters

Juristen werfen Konzern Mitschuld an der Ermordung von Luciano Romero vor
In Kolumbien ist die Ermordung von Gewerkschaftern durch Paramilitärs traurige Realität. Erstmals soll jedoch die Mitverantwortung eines internationalen Großkonzerns juristisch aufgearbeitet werden.

Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er durch die zahlreichen Messerstiche starb. Sein Tod erfolgte wenige Tage bevor der langjährige Nestle-Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über den Nestle-Konzern aussagen sollte. Romero wäre einer von über dreitausend kolumbianischen Gewerkschaftern, die in den letzten Jahren von Paramilitärs getötet worden sind. Doch sein Fall hat heute schon Rechtsgeschichte geschrieben. Die Juristenvereinigung European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat kürzlich gemeinsam mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitglied Romero war, bei der Schweizer Justiz Anzeige gegen Verantwortliche des Nestle-Konzern gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod des Gewerkschafters „durch pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht zu haben. „Der Mord geschah im Kontext eines bewaffneten Konflikts, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung, vor allem durch Paramilitärs und staatliche Stellen ausgesetzt sind“, heißt es in der Begründung der Anzeige. So sei Romero vor seinem Tod von Nestle-Verantwortlichen fälschlich in die Nähe der kolumbianischen Guerilla gerückt worden. Ein solcher Verdacht sei unter den damaligen Verhältnissen in Kolumbien fast ein Todesurteil gewesen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte der Sinaltrainal-Anwalt Leonardo James, dass ein kolumbianische Richter in dem Prozess gegen zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes auf die Verantwortung von Nestle hingewiesen habe. Der Jurist sei danach ebenfalls von den Paramilitärs bedroht worden und musste das Land verlassen.
Der Sinaltrainal-Vertreter Carlos Olava zitierte bei den Pressegespräch den Ausspruch eines Paramilitärs, der bekräftigte, die Gewerkschafter seien systematisch getötet würden, weil sie der Wirtschaft gefährlich werden könnten. Tatsächlich habe die Ermordung von Romero und anderen Gewerkschaftern einen schweren Rückschlag bei den Organisierungsbemühungen zur Folge gehabt. Die Menschen hätten danach Angast gehabt, sich überhaupt noch zu organisieren.. Olava sieht auch keinen Widerspruch darin, den juristischen Weg zu gehen und trotzdem für eine kämpferische Interessenvertretung einzutreten.
Der Berliner Rechtsanwalt und ECCHR-Vertreter Wolfgang Kaleck betonte, dass mit der Anzeige juristisches Neuland betreten werde. Es gebe aber nicht um ein Medienspektakel. Neben der Aufklärung der Wahrheit über die Ermordung des Gewerkschafters soll auch die Verantwortung von Konzernen thematisiert werden. Hier könnte die Klage eine Türöffnerfunktion bekommen, hofft Kaleck, „Unternehmen wie Nestle wissen, in welchen Gefahren ihre Arbeiter schweben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren und ihre Rechte als Arbeiter verteidigen. Wenn sie solche Verbrechen hinnehmen, werden sie zu schweigenden Komplizen“, heißt es in einer in der Pressemappe dokumentierten Stellungnahme. Mittlerweile hat Nestel in einer Pressemitteilung erklärt, dass der Konzern immer gegen Gewalt eingetreten sei, lehnte aber jede Verantwortung für den Tod Romeos ab.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/220947.nestle-und-der-tod-des-gewerkschafters.html Peter Nowak

Neue Initiative für politisches Streikrecht


»Wiesbadener Appell« soll neue Debatte über die Rolle von Gewerkschaften anstoßen
Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern in einem »Wiesbadener Appell« eine Ausweitung des Streikrech
ts.

»Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht.« Mit dieser harschen Kritik beginnt der »Wiesbadener Appell«, mit dem sich Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler für eine Ausweitung des Streikrechts einsetzen. Ausdrücklich wird ein Recht auf einen politischen Streik gefordert, der in Europa außer in Deutschland nur noch in Großbritannien und Österreich verboten ist. Unterzeichnet wurde der Appell von Spitzenpolitikern der LINKEN, von SPD-Mitgliedern, Gewerkschaftern und linken Wissenschaftlern.
In den letzten Tagen waren in der Öffentlichkeit freilich ganz andere Töne zu hören. Als die Vorfeldmitarbeiter am Frankfurter Flughafen für einige Tage streikten, forderten Politiker von FDP und Union sowie Vertreter von Wirtschaftsverbänden eine Einschränkung des Streikrechts. Selbst einige prominente DGB-Gewerkschafter stimmten in die Klage über die »egoistischen Spartengewerkschaften« ein. Dass dann ein Gericht zunächst einen angekündigten Solidaritätsstreik und dann auch den Arbeitskampf selbst verboten hat, bestärkt die Initiatoren des »Wiesbadener Appells«. Im Grundgesetz ist lediglich ein Recht auf Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Absatz 3, aber kein konkreter Hinweis auf das Streikrecht zu finden ist. Daher bleibt es Auslegungssache der Gerichte, ob ein Ausstand rechtmäßig ist oder nicht.

Die Verfasser des »Wiesbadener Appells« erhoffen sich mit ihrer Initiative eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle von kampffähigen Gewerkschaften. Die Tarifpolitik allein könne eine verfehlte neoliberale Politik nicht ausgleichen. »Doch die Schärfung und die Ausweitung von umfassenden Arbeitskampfmitteln der organisierten Arbeitnehmer führt Stück für Stück zu größeren Erfolgen der Gewerkschaften vor allem auch im politischen Raum. Die Mitgliedergewinnung und die Haltearbeit der Gewerkschaften könnte nachhaltig verbessert werden«, heißt es im Aufruf.

Dort wird auch nicht mit Kritik an der Haltung der DGB-Gewerkschaften gespart. Diese hätten wenig zur Ausweitung des Streikrechts getan. Positiv wurde das Agieren von Basisaktivisten hervorgehoben. So sei es ehrenamtlichen Untergliederungen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt 2009 gegen den Willen des Gewerkschaftsvorstands gelungen, die Forderung nach dem Recht auf politischen Streik auf dem Gewerkschaftstag mehrheitsfähig zu machen.

Dass dieses Thema auch in anderen DGB-Gewerkschaften umstritten ist, zeigt die Vorgeschichte des »Wiesbadener Appells«. Ein Antrag von ver.di Mittelhessen bei der Konferenz des Fachbereichs 5 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) zur Zulassung des politischen Streiks wurde im Juni 2010 bei nur einer Gegenstimme angenommen und dem ver.di-Bundeskongress 2011 vorgelegt. Dort wurde er allerdings nicht einmal zur Abstimmung gestellt. Es habe sich kein Delegierter gefunden, der für das Anliegen sprechen wollte, hieß die Begründung.

Der »Wiesbadener Appell« findet sich im Internet unter:

politischer-streik.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/220363.
neue-initiative-fuer-politisches-streikrecht.html
Peter Nowak

Schlechtes Vorbild

Die deutschen Gewerkschaften bekommen Nachhilfe von ihren europäischen Kollegen

In Deutschland sind sich Regierung, Medien und die Mehrheit der Bevölkerung einig, daß die »Pleitegriechen« das größte Problem in der EU sind. Wenn sie schon nicht aus der Eurozone geworfen werden können, solle man ihnen zumindest einen Sparkommissar von Deutschlands Gnaden vor die Nase setzen. Zu einem ganz anderen Fazit kommt das »UBS Wealth Management Research«: Nicht Griechenland, sondern Deutschland müßte die Eurozone verlassen, wenn die wirtschaftliche Vernunft das Kriterium wäre, meint das Fachblatt aus der Finanzwelt. Es reiht sich damit in den wachsenden Chor der Kritiker ein, die im Niedriglohnland Deutschland den Hauptgrund für die Schwierigkeiten sehen, in denen die Wirtschaft der anderen Länder der Eurozone steckt.
Nicht nur in Portugal und Griechenland protestieren mittlerweile Gewerkschafter und soziale Bewegungen gegen das deutsche Spardiktat. Als sich die Regierungen der Eurostaaten am 30. Januar einmal mehr zur Eurorettung in Brüssel trafen, war Belgien durch einen von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik gegen das europäische Spardiktat made in Germany lahmgelegt. Weil die Staats- und Regierungschefs nicht wie geplant auf dem von Streikposten gesperrten internationalen Flughafen von Brüssel landen konnten, mußte ihr Treffen auf eine rund 40 Kilometer südöstlich der belgischen Hauptstadt gelegene Luftwaffenbasis verlegt werden. Schon im Sommer 2011 hatten Aktivisten der belgischen Christlichen Gewerkschaft CSC erklärt: »Minijobs, prekäre Arbeitsverhältnisse und Hartz IV sind nicht unsere Sicht für die Zukunft der belgischen Arbeitnehmer.« Während einer europaweiten Gewerkschaftsdemonstration Ende Juni letzten Jahres konnten die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB proletarische Solidarität erleben. CSC-Aktive hatten T-Shirts und Plakate mit schwarzrotgoldenen Farben bemalt und darauf geschrieben: »Das deutsche Jobwunder – Ich verdiene 4,81 Euro in der Stunde« und »Laßt Europa nicht dem deutschen Beispiel folgen«. Besonders düpiert fühlte sich so mancher von der deutschen Standortlogik angekränkelte Kollege durch den Slogan »Helft Heinrich«.
Die belgischen Gewerkschafter wollen die deutschen Niedriglöhner beim Kampf für mehr Lohn unterstützen und damit eine Ausbreitung der deutschen Niedriglohnpolitik auf andere europäische Staaten verhindern. Doch ob sich Heinrich und Mandy überhaupt helfen lassen wollen? Ob sie nicht lieber weiter auf die »Pleitegriechen« schimpfen?
Für den 31. März mobilisieren linke Gruppen und Basisgewerkschaften in mehreren europäischen Ländern zu einem antikapitalistischen Aktionstag, bei dem nicht Politikberatung à la Attac im Mittelpunkt stehen soll. In Deutschland wird die zentrale Protestaktion in Frankfurt/Main stattfinden.

http://www.konkret-verlage.de/kvv/in.php?text=&jahr=2012&mon=03
– Peter Nowak –
aus Konkret 3/2012

Streikrecht vor Gebrauch schützen

Die streikenden Lotsen am Frankfurter Flughafen werden nicht nur von Arbeitgebern scharf kritisiert, sondern auch von Vertretern der DGB-Gewerkschaften.

Kaum treten Beschäftigte für einige Tage ernsthaft in den Ausstand, fordern Wirtschaftsvertreter, Politiker und Medien eine Einschränkung des Streikrechts und werden dabei noch von DGB-Funktionären unterstützt. In einem Land, das im europäischen Maßstab die wenigsten Streiktage aufzuweisen hat, scheint dieses Recht ein Museumsstück zu sein, dass vor der Ausübung möglichst gut geschützt werden muss. Das war in der vorigen Woche wieder zu beobachten, als am Frankfurter Flughafen die Vorfeldlotsen in den Ausstand traten und einige Flieger auf dem Boden bleiben mussten. Die in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten Beschäftigten wurden schnell zum Ziel eines gewerkschaftsfeindlichen Furors, an dem sich auch ehemalige und noch aktive DGB-Gewerkschafter beteiligten.
Den Ton gab die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor. »Der vollkommen unverhältnismäßige Streik der Kleinstgewerkschaft GdF zeigt, dass wir dringend klare Spiel­regeln für das Nebeneinander mehrerer Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes brauchen. Zum Schutz vor den Auswüchsen zügelloser Splittergewerkschaften brauchen wir eine gesetzliche Regelung«, sagte VKA-Präsident Thomas Böhle, der damit versuchte, an eine im vergangenen Jahr am öffentlichen Druck gescheiterte Initiative von Arbeitgeberverbänden und DGB zur Einschränkung des Streikrechts anzuknüpfen. Es ging auch dabei um Repressalien gegen kampfstarke Kleingewerkschaften, die wirkungsvollen Druck ausüben können. Sie sind auch für viele ehemalige Mitglieder von DGB-Gewerk­schaften attraktiv, die von deren meist zahmen Arbeitskampfritualen enttäuscht sind.

Herbert Mai, der derzeitige Arbeitsdirektor der Betreibergesellschaft des Flughafens, Fraport, sieht daher auch kein Problem darin, dass er als langjähriger Funktionär der in Verdi aufgegangenen Gewerkschaft ÖTV den Streikbruch gegen die Vorfeldlotsen mitorganisiert. »Das passt deshalb zusammen, weil Verdi nie einen Arbeitskampf vom Zaune brechen würde, der nur eine Berufsgruppe betrifft und der im Vergleich zu anderen Berufsgruppen exorbitant unangemessen ist, so dass er das Tarifgefüge und die Solidarität der Kollegen untereinander aufbricht. Gewerkschaften fühlen sich generell dem Gedanken der Solidarität verpflichtet«, stellte Mai im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau klar. Allerdings meinte er damit nicht die Solidarität mit den streikenden Kollegen, er schien sich eher um das bestreikte Unternehmen zu sorgen. In einem Gespräch mit dem Focus betonte Mai den Unternehmerstandpunkt: »Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den andern 20 000 Beschäftigten nicht vertretbar ist.«

Fast wortgleich argumentiert Verdi-Sekretär Gerold Schaub, wenn er der GdF vorwirft, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier teilte im Gespräch mit der Financial Times Deutschland ihre Sorge um das Unternehmen mit. »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind«, sagte sie. Dass die GdF in den Ausstand getreten ist, nachdem die Fraport den Spruch eines von ihr akzeptierten Schlichters abgelehnt hatte, wird dabei gar nicht erwähnt. Der GdF-Tarifexperte Markus Siebers reagiert gelassen. »Leute, die so eng mit dem Unternehmen verwoben sind wie die derzeitige Betriebsratsführung und Verdi, kann ich nicht ernst nehmen. Sie sollten sich besser um eine gute Interessenvertretung für ihre Mitglieder kümmern«, sagt er.

Ebenso gelassen reagierte die GdF bereits auf eine Schadenersatzklage der Fluggesellschaften Ryanair, Lufthansa und Air Berlin. Insgesamt 3,2 Millionen Euro Schadenersatz fordern die Airlines in einer Zivilklage, weil die GdF während eines Tarifkonflikts im Spätsommer 2011 zu Streiks aufgerufen hatte, die dann nicht stattfanden, weil es nach der Drohung mit einem Ausstand in der Feriensaison zu neuen Verhandlungen kam. Der Kölner Arbeitsrechtler Dirk Vogelsang hält die Erfolgsaussichten der Klage für gering. Doch allein die Anrufung der Gerichte erhöhe den Druck. »Es ist für eine kleine Gewerkschaft immer latent existenzbedrohend, wenn sie mit einer Klage in dieser Höhe konfrontiert ist«, so Vogelsang. Zudem soll eine solche Maßnahme disziplinierend auf die Gewerkschaft wirken. Weil das bei der GdF anscheinend noch nicht funktioniert, wird nun wieder nach gesetzlichen Einschränkungen des Streikrechts gerufen.

Das würde im europäischen Trend liegen. Die Durchsetzung des deutschen Sparmodells mit »Schuldenbremsen« und massiven Verschlechterungen für die Lohnabhängigen ist an repres­sive Maßnahmen gekoppelt. So gehört zum Diktat der EU in Griechenland auch ein massiver Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Danach sollen Kollektivverträge für Lohnerhöhungen nicht mehr möglich sein. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds will die Löhne so lange einfrieren, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent zurückgegangen ist. Auch in Spanien plant die Regierung eine Aufhebung des Rechts auf Streik, wenn mit dessen Gebrauch »ein irreparabler Schaden für die Wirtschaft oder die Sicherheit« verbunden ist.

Der Berliner Gewerkschafter Willi Hajek ist Mitbegründer des im vergangenen Jahr entstandenen »Komitees für Gewerkschaftsfreiheit«. Es hatte zum 1. Mai 2011 von Repression bedrohte Gewerkschafter aus Spanien, Deutschland, Polen und Italien zu einer Konferenz nach Berlin ein­geladen. Zu dieser Zeit musste sich die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) Berlin gegen juristische Versuche wehren, ihr das Recht abzusprechen, als Gewerkschaft aufzutreten. Hajek sieht in der Beteiligung von DGB-Gewerkschaftern an der Kampagne gegen den GdF-Streik den Versuch, »die eigene Monopolstellung zu sichern und die Basisgewerkschaften und die Spartengewerkschaften niederzuhalten«. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Allerdings würden die kleinen Gewerkschaften dadurch eher bestärkt und auch für unzufriedene Mitglieder aus DGB-Gewerkschaften attraktiv.

»Am Frankfurter Flughafen entwickelt sich seit einiger Zeit eine gewerkschaftliche Kultur der Vielfalt«, sagt Hajek mit Verweis auf die gewerkschaftliche Organisierung beim Kabinenpersonal, bei den Piloten und nun den Vorfeldbeschäftigten. »Diese Entwicklung hat sehr viel mit den spezifischen Belastungen in den jeweiligen Berufen, aber auch den Erfahrungen der Beschäftigten zu tun, mit der Organisierung in diesen Gewerkschaften eine reale Kampfstärke zu erhalten, die von Verdi bisher nicht eingesetzt wurde.« Das bestätigt indirekt auch Jan Jurczyk, der Pressesprecher von Verdi. Er hat die Parole »Hände weg vom Streikrecht« mit einer ganz besonderen Begründung unterstützt: »Das Streikrecht wird von keiner Gewerkschaft so sehr beansprucht, dass man es gesetzlich regeln muss.«
http://jungle-world.com/artikel/2012/09/44976.html
Peter Nowak

Knast für Pflegeschelte

Weil sie auf unhaltbare Arbeitsbedingungen hinwies, soll Angelika Konietzko hinter Gitter

Die Absage kam in letzter Minute. Eigentlich hatte sich Angelika-Maria Konietzko auf einen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt vorbereitet. Doch jetzt wurde ihr kurzfristig mitgeteilt, dass der für heute
terminierte Haftantrittstermin vorerst ausgesetzt ist. „Für mich ist es eine Form der Zermürbungstaktik. Der Termin wurde schon einmal um 2 Wochen verschoben“, erklärte Konietzko am Montagvormittag auf einer Pressekonferenz in Berlin-Friedrichshain. Der zierlichen Frau mit den langen schwarzen Haaren merkt man auf den Blick keine Nervosität an. Sehr ruhig und bestimmt erklärt sie, dass sie weiterhin nicht bereit ist, den geforderten Offenbarungseid zu leisten und die Erzwingungshaft antreten will. .
„Ich will damit auf unhaltbare Arbeitsbedingungen im Pflegebereich sowie auf Prozessbetrug aufmerksam machen,“ betont sie. In einer nun mehr als fünfjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung seien ihre Klagen aus formalen Gründen zurückgewiesen worden. Die mittlerweile auf 957,15 Euro angewachsenen Gerichtskosten sind der Grund für die Aufforderung zum Offenbarungseid. Der Haftbefehl besteht auch nach der Verschiebung des Haftantritts weiter.
Der Konflikt entzündete sich an den Arbeitsbedingungen in einer Demenz-Wohngemeinschaft in Berlin-Mitte, in der Konietzko seit 2001 als Pflegehelferin angestellt war .“Obwohl der Pflegedienst in seiner eigenen Werbung angab, er leiste eine 24-stündige Betreuung der unter Demenz leidenden Senioren, stand in meinem Arbeitsvertrag, dass ich lediglich Bereitschaftsdienst zu verrichten habe, der wesentlich schlechter bezahlt wurde,“ beschreibt Konietzko den Hintergrund der Auseinandersetzung. Es sei ihr dabei um die bestmögliche Betreuung der demenzkranken Senioren gegangen und die waren unter den Arbeitsbedingungen nicht zu gewährleisten“, bekräftigt sie mehrmals.
Ihre Beschwerden und Briefe seien vom Arbeitgeber nicht beantwortet worden. Eine Einschaltung von Pflegeorganisationen sei vom Pflegedienst mit einer einstweiligen untersagt worden. Der Arbeitgeber äußerte sich zu den Vorwürfen nicht.
Die Sozialpädagogin Gabriele Tammen-Parr von der Organisation „Pflege in Not“ bestätigte auf der Pressekonferenz, dass eine 24-Stunden-Wache in einer Demenz-Wohngemeinschaft unbedingt erforderlich sei. Daher unterstützte die Organisation Angelika Konietzko in ihrer Auseinandersetzung mit dem Pflegedienst. Für den Gewerkschafter Jochen Gester, der zu dem Mitbegründern des Solidaritätskomitees Angelika Konietzko ist es ein Skandal, dass Konietzkos Klagen vor Gericht aus formalen Gründen ohne die Einleitung einer Beweisaufnahme abgelehnt worden sei. Jetzt müsse verhindert werden, dass eine Beschäftigte, die wegen ihres Engagement für bessere Arbeitsbedingungen und eine optimale Pflege gemobbt und abgestraft wurde, ins Gefängnis gehen muss. Nachdem der Solidaritätskreis den Fall öffentlich gemacht hat, sind Unterstützungserklärungen für Konietzko auch von Pflegekräften aus Polen und Frankreich eingetroffen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/219769.knast-fuer-pflegeschelte.html
Peter Nowak

Gerichtlich gegen Lotsen

Am Markt sind die Fluggesellschaften Ryanair, Lufthansa und Air-Berlin Konkurrenten. Doch in der Abwehr gegen Gewerkschaftsrechte kooperieren sie. Die drei Airlines haben die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) kürzlich auf die Zahlung von insgesamt 3,2 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Weil die Gewerkschaft während eines Tarifkonflikts im Spätsommer 2011 zu Streiks aufgerufen hat, sei den Fluggesellschaften erheblicher Schaden entstanden, lautet die Begründung für die Zivilklage, die kürzlich eingereicht wurde.

Damit versuchen die Airlines bereits die Streikdrohung sanktionieren zu lassen. Der 2011 angekündigte Ausstand hatte nicht stattgefunden, weil es in letzter Minute noch zu Verhandlungen gekommen ist. Zudem behaupten die Fluggesellschaften, die in dem Arbeitskampf erhobene GdF-Forderung, dass sicherheitsrelevante Arbeiten nur von dafür qualifiziertem Personal ausgeführt werden dürfen, sei rechtswidrig gewesen.

Der Kölner Arbeitsrechtler Dirk Vogelsang rechnet der Klage gegen die GdF geringe Erfolgschancen zu. Doch allein die Einreichung der Klage erhöhe den Druck. »Es ist für eine kleine Gewerkschaft immer latent existenzbedrohend, wenn sie mit einer Klage in dieser Höhe konfrontiert ist«, so Vogelsang. Zudem soll die Maßnahme disziplinierend auf die Gewerkschaft wirken. Es ist sicher kein Zufall, dass die Klage wegen der Streikdrohung vom Sommer 2011 gerade in einer Zeit eingereicht wurde, in der neue Arbeitskämpfe der GdF für Schlagzeilen sorgen. Neben den aus dem Unternehmerlager wieder lauter werdenden Forderungen, das Streikrecht vor allem kleiner Gewerkschaften einzuschränken, wird auch das Instrumentarium des Zivilrechts zur Anwendung gebracht.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/219392.gerichtlich-gegen-lotsen.html
Peter Nowak

Zeichen gegen Niedriglöhne

Linksradikale und antifaschistische Gruppen wollen Ende März an der EZB demonstrieren
Ein Bündnis linker Gruppen und Basisgewerkschafter mobilisiert in verschiedenen europäischen Ländern zu einem antikapitalistischen Aktionstag am 31. März.

Während Menschen in vielen europäischen Ländern mit Massenprotesten und Streiks Widerstand gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen leisten, wurde in Deutschland der Niedriglohnsektor ohne große Widerstände umgesetzt. Doch wird es so ruhig bleiben? Ein Bündnis von linksradikalen Gruppen und Basisgewerkschaften bereitet im Rahmen eines europäischen Aktionstages am 31. März eine bundesweite Demonstration in Frankfurt am Main vor. Ihr Ziel ist die Baustelle der neuen Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei geht es den Organisatoren nicht um die Anprangerung der »bösen Banken«, betont Marlies Sommer vom linken Ums-Ganze-Bündnis, das in Deutschland die Mobilisierung am 31.März wesentlich mit vorbereitet. »Die EZB ist eines der zentralen politischen Instrumente, mit denen die starken Länder der Eurozone, vor allem Deutschland und Frankreich, versuchen, die kapitalistische Krise auf dem Rücken der Lohnabhängigen hier und vor allem in Südeuropa zu lösen«, begründet Sommer das Demoziel.

Die heiße Phase der Mobilisierung hat begonnen. In verschiedenen Städten finden Infoveranstaltungen statt. Auch der Verkauf der Bustickets ist angelaufen. Das Interesse sei groß, erklärt Leo Schneider vom M31-Bündnis gegenüber »nd«. »Prima, dass auch in Deutschland endlich Krisenproteste vorbereitet werden« – Reaktionen wie diese habe man vor allem bei politisch aktiven Menschen in den letzten Wochen häufig gehört. Der 31. März soll den Auftakt für weitere Proteste im Laufe des Jahres bilden. »Damit wollen wir ein deutliches Zeichen des Widerstandes setzten«, betont Schneider.

Die Vorbereitungsgruppe hofft, dass sich Gewerkschafter und Erwerbslosenaktivisten an den Protesten beteiligen. Schließlich hat auch der ver.di-Wirtschaftsexperte Dierk Hirschel selbstkritisch eingeräumt, dass es den großen Gewerkschaften in Europa nicht gelinge, gemeinsam in der Krise zu mobilisieren. »Eine Koordination der Proteste findet nicht statt. Die Griechen streiken am Montag, die Spanier am Mittwoch, Rom protestiert am Samstag und Berlin verschickt Solidaritätsadressen. Aus dieser Vielfalt entsteht keine starke Allianz des Widerstands«, stellt Hirschel fest.

In der Vorbereitung für den Aktionstag haben sich vor allen kleinere Basisgewerkschaften aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengeschlossen. Aus Deutschland ist die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter Union (FAU) dabei. In Spanien und Griechenland sind kleine, aber mobilisierungsfähige Gewerkschaften wesentlich beteiligt.

Die Idee für den Tag kam aus dem griechischen Thessaloniki. Dort wehren sich Beschäftigte und Anwohner gegen die im Rahmen des von der EU diktierten Krisenprogramms auferlegte Privatisierung der Wasserversorgung. Der 31. März soll daher sowohl ein Zeichen gegen die Ausbreitung des Niedriglohnsektors als auch gegen die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen setzen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/219238.zeichen-gegen-niedrigloehne.html
Peter Nowak

Auf Wunsch der Zuschauer?

MEDIENwelt: Arbeitsbedingungen und Profit

Man hätte denken können, Bernhard Stampfer redet auf einer Werbeveranstaltung der Spieleindustrie. Doch der Finanzierungsexperte lobte auf einer Veranstaltung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Profitmöglichkeiten der Industrie in immer neuen Wortschöpfungen. Unter der Fragestellung »Die Medien von morgen – schöne neue Arbeitswelt?« hatte die Filmunion von ver.di vor Wochenfrist zur Debatte ins Filmhaus am Potsdamer Platz in Berlin eingeladen. Der Saal war voll, viele der Zuhörer kamen aus der Medienbranche. Beim Imbiss nach der Veranstaltung sprachen sie über den Zeitdruck ihrer Arbeit und den Zwang, immer flexibel zu sein.

Doch während der Diskussion kam gerade dieser Aspekt nur am Rande vor. Der Schwerpunkt der Debatte lag auf der von allen Referenten wiederholten Erkenntnis, dass sich die Mediengesellschaft noch immer im Umbruch befinde und die Zeiten der Öffentlich-Rechtlichen längst vorbei sei. Regisseur Peter Henning betonte, dass die Programmgestalter dafür auch Verantwortung tragen, wenn sie beispielsweise kaum noch Geld für Dokumentarfilme ausgeben. Damit würden Regisseure zu der Konkurrenz der Privaten getrieben. Auch der Filmproduzent Marc Lepetit monierte die Programmpolitik der TV-Verantwortlichen. So würden bei der Produktion von Serien, die gut liefen, mit der Begründung, sie würden sich jetzt selber tragen, die finanziellen Mittel gekürzt. Dabei käme es gerade darauf an, diese erfolgreichen Marken weiter auszubauen, so Lepetit. Fast alle Referenten beriefen sich immer wieder auf die Zuschauer, deren Wünsche bedient werden müssten.

Dabei wurde aber die Frage gar nicht gestellt, wie diese Bedürfnisse gesellschaftlich erzeugt werden. War nicht die Einführung des Privatfernsehens, gegen das die Vorgängergewerkschaft von ver.di erfolglos gekämpft hat, eine wichtige Weichenstellung bei dieser Entwicklung? Auch die gesellschaftlichen Folgen einer weiteren Individualisierung des Fernsehprogramms, das sich jeder persönlich auf sein Handy laden können soll, blieben ausgeblendet. Hatte der Austausch über die gemeinsam gesehenen Fernsehserien am Arbeitsplatz und in der Schule nicht eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt?

Die Editorin Christine Schnorr sprach, unterstützt von Wortmeldungen aus dem Publikum, dann noch die Frage an, was die hochgelobten Veränderungen für die Beschäftigten im Medienbereich bedeuten, die nicht so flexibel sein wollen und können und die unter Kreativität nicht verstehen, jederzeit und immer erreichbar zu sein. Die entsprechenden Flyer hat der einladende Bundesfilmverband bei ver.di schon gedruckt. »Horrorfilm?« heißt es dort in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der schönen neuen Medienwelt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/218824.auf-wunsch-der-zuschauer.html Nowak

Nur zaghaft Seit‘ an Seit‘

Linke Solidaritätsaktionen für Griechenland sind bisher keine Massenveranstaltungen – das soll sich ändern
Während in der Eurokrise der Ton zwischen den Politikern rauer wird, bereiten auch linke Initiativen Protestaktionen vor.

»Solidarität mit den Protesten in Griechenland – Gegen die Verarmungspolitik der EZB«, heißt das Motto einer Kundgebung, für die linke Gruppen für den kommenden Samstag in verschiedenen Städten in Deutschland mobilisieren. Proteste sind unter anderem in Frankfurt am Main und Berlin geplant. Dort hatten sich bereits am vergangenen Sonntag zu einer kurzfristig geplanten Kundgebung knapp 80 Menschen vor dem griechischen Konsulat getroffen. Die in Berlin lebende Kulturwissenschaftlerin Margarita Tsomou, die in der Initiative Real Democracy Now Berlin/GR aktiv ist, rechnet bei den Protesten am Wochenende mit einer höheren Beteiligung.

Natürlich gebe es das von den Boulevardmedien und vielen Politikern gepflegte Klischee von den Pleitegriechen noch immer. Doch in der letzten Zeit würden auch die Gegenstimmen lauter. »Das Klima hat sich verändert. Selbst aus Gewerkschaftskreisen seien Anfragen gekommen, wie die Proteste und Streiks in Griechenland unterstützt werden können«, erklärt Tsomou gegenüber »nd«. Mittlerweile werde von Gewerkschaftern ein Aufruf erarbeitet, der sich ausdrücklich mit den Protesten gegen das EU-Sparpaket solidarisiert.

Zu den Erstunterzeichnern gehört auch der ehemalige Berliner DGB-Vorsitzende Dieter Scholz und der Stuttgarter ver.di-Vorsitzende Bernd Riexinger. Der Aufruf soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Mitte März soll im Berliner IG-Metall-Haus eine von verschiedenen Gewerkschaftsinitiativen unterstützte Veranstaltung über die Kämpfe gegen das EU-Spardiktat informieren.

Eingeladen werden soll unter anderem eine Journalistin der linksliberalen griechischen Tageszeitung »Eleftherotypia«. Die Journalisten der Zeitung haben seit Monaten keine Löhne mehr bekommen und wollen ihr Blatt jetzt als Genossenschaft in Selbstverwaltung weiter produzieren. Auch ein Delegierter eines Stahlwerks bei Athen, dessen Belegschaft seit Monaten gegen die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse streikt, wird dort über den Kampf berichten.

Mit der Veranstaltung soll auch zu weiteren Krisenprotesten in Deutschland mobilisiert werden. Neben dem 31. März, zu dem zahlreiche Basisgewerkschaften und linke Gruppen in ganz Europa aufrufen, sind weitere europaweite Aktionen für den Mai geplant. Der genaue Termin solle auf einer bundesweiten Aktionskonferenz am übernächsten Wochenende in Frankfurt am Main festgelegt werden, erklärt Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis. »Bei der Aktionskonferenz in Frankfurt und den dort geplanten Krisenprotesten wird die Solidarität mit den griechischen Protesten eine große Rolle spielen«, sagt Süß gegenüber »nd«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/218759.nur-zaghaft-seit-an-seit.html
Peter Nowak

»Wir können es besser«


Beschäftigte wollen Schlecker künftig genossenschaftlich selbst verwalten

In Stuttgart diskutieren Gewerkschaftler und Mitarbeiterinnen über die Umwandlung von Schlecker in eine Genossenschaft. Für den ver.di-Bundesvorstand ist das kein Thema.

Die Zukunft der rund 35 000 Schlecker-Beschäftigten, überwiegend Frauen, ist weiterhin ungewiss. Die Gewerkschaft ver.di lädt zu Mitarbeitertreffen ein. Dort werden Broschüren verteilt, die die Beschäftigten über ihre Rechte in einem Insolvenzverfahren aufklären. Die sind sehr bescheiden, erklärt der Berliner Arbeitsrechtler Benedikt Hopmann. Er hat in den letzten Jahren häufiger Gewerkschaftler verteidigt, die im Schlecker-Imperium kleinste Rechte vor Gericht erkämpfen mussten.

»Das letzte Wort beim Insolvenzverfahren haben die Gläubiger. Die Verkäuferinnen kommen in dem Konzept nicht vor«. Die Logik des Insolvenzverfahrens zwinge die Verkäuferinnen, weiter zu arbeiten, damit die Möglichkeit offen gehalten wird, dass sich ein Unternehmer findet, an den wenigstens ein Teil des Filialnetzes verkauft werden kann.

Doch nicht alle Beschäftigen wollen stumm abwarten, was mit ihren Arbeitsplätzen geschieht und dabei weitere Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Vor allem in Baden-Württemberg diskutieren die Beschäftigten die Umwandlung von Schlecker in eine von den bisherigen Mitarbeitern verwaltete Genossenschaft. Schließlich kennen die Verkäuferinnen die Wünsche der Kunden gut und könnten daher für ein entsprechendes Sortiment sorgen. Damit könnten die Läden auch wieder rentabel gemacht werden. Der Stuttgarter ver.di-Vorsitzende Bernd Riexinger unterstützt solche Konzepte ausdrücklich. »Mit Edeka gibt es schließlich in der Branche ein erfolgreiches Genossenschaftsmodell, an dem wir uns orientieren können«, meinte er gegenüber »nd«. Die Stimmung der Verkäuferinnen sei zumindest im Stuttgarter Raum kämpferisch. Deshalb sei in absehbarer Zeit mit Protesten zu rechnen. »Wenn die Filialen erst geschlossen sind, ist es dafür eh zu spät«, resümiert Riexinger die Erfahrungen mit den Schließungen bei Karstadt vor zwei Jahren. Der Gewerkschafter, der auch Vorstandsmitglied der Linkspartei von Baden-Württemberg ist, findet auch in seiner Partei Unterstützer für die Genossenschaftspläne. Dazu gehört der Bundestagsabgeordnete und gewerkschaftliche Sprecher der Linkspartei, Michael Schlecht. Er betont, dass der Vorschlag von Verkäuferinnen kommt. Mittlerweile werde das Konzept auf allen Gewerkschaftsebenen diskutiert, so Schlecht.

Dem widerspricht Christiane Scheller von der Pressestelle von der ver.di-Hauptverwaltung. »Die Diskussion spielt weder bei den Beschäftigten noch in der Gewerkschaft zur Zeit eine Rolle«, erklärt sie gegenüber »nd«. Der Hauptgrund sei, dass bei einem Genossenschaftsmodell die Mitarbeiterinnen Privatvermögen einbringen müssen. Das aber könne nicht das Ziel gewerkschaftlicher Politik sein.

Auch für Anwalt Hopmann, der die Genossenschaftsidee für sinnvoll hält, ist es den Beschäftigten nicht zuzumuten, sich mit eigenen Geld an der Sanierung des maroden Unternehmens zu beteiligen. Er schlägt vor, den Beschäftigtenanteil mit einen Kredit zu finanzieren, für den der Staat bürgt. Eine Betriebsrätin hat schon einen aktuell-politischen Begriff für die Forderung gefunden: »Wenn wir dafür kämpfen, können wir einen Wulff-Kredit bekommen«.

Auch Riexinger will die Politik für die Rettung der Jobs in die Pflicht nehmen. »Wenn 35 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie betroffen wären, würden sich die Politiker die Klinke in die Hand geben. Aber hier gehe es ja nur um Frauenarbeitsplätze, die sind wohl weniger wichtig«, kritisiert er.

Entscheidend werde die Kampfbereitschaft der Belegschaft sein, meint Anton Kobel, der bei der Gewerkschaft, Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die in ver.di aufgegangen ist, die Schleckerkampagne betreute. Mitte der 1990er erkämpften sich Verkäuferinnen gemeinsam mit HBV und sozialen Initiativen gewerkschaftliche Rechte und wehrten sich gegen ständige Schikanen, die als Schlecker-System berüchtigt wurden. »Der Erfolg hat den Beschäftigten Mut und einen Begriff von menschlicher Würde zurück gegeben«, so Kobel gegenüber »nd«. Darin liegt auch ein Grund, warum manche sich zutrauen, Schlecker selbst zu verwalten
http://www.neues-deutschland.de/artikel/218258.wir-koennen-es-besser.html
Peter Nowak

Solidarität mit Griechenland?

Heute wird in Berlin gegen das EU-Spardiktat in Griechenland protestiert. Derweil existieren in der EU auch Aufrufe zur Solidarität mit den kampfschwachen Lohnabhängigen in Deutschland

Seit Tagen gibt es in Griechenland eine Serie von Streiks und Demonstrationen gegen die von der EU-Troika geforderten massiven Einschnitte bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen. Dabei werden häufig Aufrufe an die Menschen in anderen europäischen Ländern gerichtet, sich mit der griechischen Opposition zu solidarisieren.

In Berlin hat eine aus dem Occupy-Umfeld kommende Initiative Real Democracy Now Berlin/GR zu einer „Versammlung zur Solidarität mit den laufenden Kämpfen in Griechenland“. Mit der umständlichen Formulierung soll der konkrete Bezug auf eine bestimmte in Griechenland aktive Gruppierung oder Gewerkschaft vermieden werden. Schließlich sind die politischen Differenzen zwischen ihnen sehr groß.

Obwohl es in den letzten Monaten immer mal wieder kleinere Solidaritätsaktionen mit der griechischen Sozialbewegung gab, sind daraus keine kontinuierlichen Proteste entstanden. Dabei wird in großen Teilen der griechischen Öffentlichkeit über alle Parteigrenzen hinweg besonders die Politik der Bundesregierung heftig angegriffen. Nicht nur linke Parteien und Gewerkschaften, sondern auch die griechische Handelskammer warnten in der letzten Zeit vor der Übernahme des deutschen Sparmodells.

Während in weiten Teilen der griechischen Öffentlichkeit Forderungen aus der deutschen Politik nach einem von der EU ernannten Sparkommissar oder die Errichtung eines Sonderkontos auf Ablehnung und Empörung stoßen, gibt es in Deutschland für solche Maßnahmen durchaus auch in Teilen der Bevölkerung Zustimmung. Der von den Boulevardmedien im letzten Jahr popularisierte Begriff von den „Pleitegriechen“, die ihre Inseln verkaufen sollen, findet durchaus auch in Teilen der Bevölkerung auf offene Ohren.

Die Linkspartei solidarisiert sich mit den Protesten in Griechenland und sieht die auch im Interesse der Lohnabhängigen in Deutschland. Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung sprach sich für eine kritische Solidarität mit Griechenland aus. Hier werden die Sparmaßnahmen im Kern als notwendig bezeichnet. Da sich aber die griechische Politik verzweifelt bemühe, die Vorgaben umzusetzen, sei jede ressentimentgeladene Abwehr gegen Griechenland zu verurteilen. Erstaunlicherweise wird von der grünennahen Stiftung weder Kritik an dem massiven Druck geübt, mit dem mehrere EU-Staaten, an der Spitze Deutschland, eine Befragung der griechischen Bevölkerung über die EU-Forderungen verhindert haben. Auch das Agieren der von nicht gewählten EU-Troika wird kaum kritisch unter die Lupe genommen. Das sah in Griechenland in den letzten Tagen ganz anders aus. Dort forderten sogar Polizeigewerkschafter die gesetzliche Handhabe, um die Troikamitglieder wegen Erpressung zu verhaften.

Deutscher Niedriglohnsektor als Problem

Der Hauptgrund, warum es in Deutschland schwer ist, für Solidarität mit Griechenland zu mobilisieren, liegt in dem Lohnverzicht, den Beschäftigte hierzulande seit Jahren leisten. Nach der Logik, wenn wir schon Opfer bringen, dann Griechenland auch, wird hier die Position der deutschen Staatsraison eingenommen.

Diese Verzichtspolitik stößt in verschiedenen europäischen EU-Staaten mittlerweile auf heftige Kritik. Das deutsche Sparmodell würde jetzt in die ganze EU exportiert, kritisieren belgische Gewerkschafter. „Minijobs, prekäre Arbeitsverhältnisse und Hartz IV sind nicht unsere Sicht für die Zukunft der belgischen Arbeitnehmer“, meinten sie mit einem deutlichen Seitenhieb auf die Beschäftigten in Deutschland.

Mit der Kampagne „Helft Heinrich“ riefen sie sogar zur Unterstützung der kampfschwachen Lohnabhängigen in Deutschland auf, die zu längeren Lohnkämpfen nicht in der Lage seien. Diese Unterstützungsaktion wurde auch als Widerstand gegen die Etablierung eines europaweiten Niedriglohnsektors bezeichnet. In Deutschland wird diese Kampagne bisher bis auf wenige Ausnahmen totschwiegen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151413
Peter Nowak

Schlecker schluckt

Mit der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker geht nicht nur ein Familienunternehmen pleite. Auch eine der wenigen erfolgreichen Kampagnen der Gewerkschaften könnte in Vergessenheit geraten.

»Wir sind nicht Schlecker«, betont Mona Frias in diesen Tagen häufig. Dazu hat die Berliner Betriebsvorsitzende der insolventen Drogeriekette Schlecker allen Grund. Jahrelang musste Frias, wie andere aktive Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, ihre Rechte bei den Arbeitsgerichten einklagen. Wenn sie nun dafür kämpft, dass möglichst viele Schlecker-Filialen erhalten bleiben, dann treibt sie die Angst um die Arbeitsplätze an und nicht etwa die Identifikation mit dem Familienbetrieb. Es gibt aber noch einen Grund, warum auch viele andere Beschäftigte betonen, dass sie zwar bei Schlecker arbeiten, aber nicht Schlecker »sind«. Schließlich haben Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie soziale Initiativen dazu beigetragen, dass die Marke Schlecker mittlerweile so schlecht angesehen ist, dass viele Menschen die Meldungen über die Insolvenz mit Genugtuung aufgenommen haben.

Dieses schlechte Image kann als lange nachwirkender Erfolg der Schlecker-Kampagne gewertet werden. Damit einher ging eine politische Neuorientierung der DGB-Gewerkschaften, die sich nicht mehr auf Tarifrituale beschränkten, bei denen oft die Presseerklärungen die schärfsten Waffen waren. Zudem wurde der Beweis angetreten, dass auch in einem schwer organisierbaren Sektor eine erfolgreiche gewerkschaftliche Interessenvertretung möglich ist.

In der gewerkschaftsnahen Literatur gilt die Schlecker-Kampagne als Beispiel für eine »Gewerkschaft als soziale Bewegung«. So lautet der Titel eines Buches von Jens Huhn, das die Bezirksverwaltung Mannheim der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) 2001 herausgegeben hat. Die später in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgegangene HBV war einer der Initiatoren der Schlecker-Kampagne in den Jahren 1994 und 1995.

In Mannheim hatten sich im Sommer 1993 Beschäftigte von Schlecker an die Gewerkschaft gewandt, weil sie den Verdacht hatten, dass sie unter Tarif bezahlt würden. »Die Zahl der festgestellten Abweichungen vom Tarifvertrag hochgerechnet auf die Zahl der bei Schlecker Beschäftigten ließen den Umstand, warum der Billiganbieter Schlecker in der Lage war, so expansiv sein Filialsystem auszubauen, in völlig neuem Licht erscheinen«, schreibt Ulrich Wohland, Berater bei der Abteilung Organisation und Kampagne von Verdi, in seinem Aufsatz »Kampagnen gegen Sozialabbau, Erfahrungen, Konzepte, Beispiele«.

1993 unterhielt Schlecker 3 500 Filialen, zwei Jahre später waren es schon 5 000. 1994 machte die Drogeriekette einen Umsatz von 5,6 Milliarden Mark. Die überwiegende Mehrheit der damals 25 000 Beschäftigten waren Frauen. Trotzdem gab es zu dieser Zeit bei Schlecker nur einen Gesamtbetriebsrat. Weil laut gesetzlicher Regelung eine Filiale mit mindestens fünf Beschäftigten einen Betriebsrat wählen kann, waren die Schlecker-Filialen mit maximal vier Beschäftigeten besetzt.

Zu dem durch die Kampagne bald bundesweit berüchtigten »System Schlecker« gehörten auch ständige Kontrollen der Mitarbeiterinnen. Viele hatten sogar Angst, auf die Toilette zu gehen. Woh­land führt in seinem Bericht an, dass sogenannte Revisoren abgelaufene Ware in die Regale stellten und den Beschäftigten dann einige Prozente vom Lohn abzogen, weil sie die Regale schlecht sortiert hätten. Für dieses von der »Geschäftsleitung organisierte Mobbing« seien überwiegend Männer angestellt gewesen. Die Mobbingopfer waren Frauen, die gerade in ländlichen Gegenden kaum alternative Erwerbsmöglichkeiten hatten. Die Annahme der Geschäftsleitung, dass die Angestellten nicht zu organisiertem Widerstand fähig seien, wurde durch die Schlecker-Kampagne widerlegt. Die Gewerkschaft HBV hatte neben der Einhaltung der Tariflöhne die Sicherheit der Beschäftigten in den Mittelpunkt gestellt. Zu ihren Forderungen gehörte die Installation von Telefonen in den Filialen, nachdem eine Beschäftigte nach einem Überfall an ihrem Arbeitsplatz verblutet war, weil kein Telefon vorhanden war, mit dem der Rettungsdienst hätte benachrichtigt werden können.

Auch Betriebsratswahlen bei Schlecker wurden von der Gewerkschaft gefordert. Doch neu an der Kampagne war die Gründung eines sozialen Netzwerkes, das von der »Werkstatt für gewaltfreie Aktion«, über Frauen- und Friedensgruppen bis zu sozialen Initiativen reichte. Die Kampagne begann im Herbst 1994. Im März 1995 schloss die HBV mit der Geschäftsführung von Schlecker einen Tarifvertrag, in dem ein Großteil der Forderungen erfüllt wurde. »Der gewerkschaftlich organisierte Teil der Belegschaft wäre nie in der Lage gewesen, alleine diese öffentliche Resonanz für sein Anliegen aufzubauen. Erst in der Kombination von Belegschaftsaktivitäten, gewerkschaftlicher Kampagnenplanung und Aktionen des sozialen Netzwerkes wurde ein Erfolg denkbar«, resümiert Wohland.

Für ihn hatte die Schlecker-Kampagne auch mehr als ein Jahrzehnt später nichts von ihrer Bedeutung verloren. »Die Auseinandersetzung um die Drogeriekette Schlecker stellt einen seltenen Fall innerhalb linker Geschichte dar, der fast vollständig erfolgreich war.«

Doch bei der Geschäftsleitung scheint der Erfolg keine nachhaltige Wirkung hinterlassen zu haben. »Schlecker hat aus dem Erfolg der Kampagne nichts gelernt«, sagt Anton Kobel, der die Schlecker-Kampagne mit initiiert hatte und seit vielen Jahren Mitglied der HBV ist, der Jungle World.

Bis heute landeten Beschäftigte, die sich für ihre Rechte einsetzten, auf »schwarzen Listen«, meldete Spiegel Online noch im vergangenen Jahr. Betriebsrätinnen mussten sich immer wieder juristisch gegen Abmahnungen zur Wehr setzen. Allerdings musste die Geschäftsleitung immer wieder Niederlagen bei ihren Versuchen zur Etablierung eines Niedriglohnsystems einstecken. So scheiterte sie bei dem Versuch, unbezahlte Überstunden einzuführen, an den Arbeitsgerichten.

Beim Protest gegen die Etablierung von besonders niedrig bezahlten Jobs in den XL-Läden von Schlecker lebte 15 Jahre später sogar die Kooperation der historischen Schlecker-Kampagne wieder auf. So protestierten in Marburg, Bremen und anderen Standorten von Schlecker Gewerkschafter, solidarische Kunden und soziale Initiativen gegen das neue »System Schlecker«. Beschäftigten in kleinen Filialen war gekündigt worden, um sie danach mit neuen Verträgen unter schlechteren Bedingungen in den XL-Läden einzustellen. Da sie dort als Neueingestellte galten, konnte auch langjährigen Verkäuferinnen in der Probezeit gekündigt werden. Den Beschäftigten sollte die Zustimmung zu den schlechteren Verträgen mit der Erklärung schmackhaft gemacht werden, dass die alten Geschäfte ökonomisch keine Zukunft mehr hätten, schrieb die Frankfurter Rundschau im April 2010.

So kann das Insolvenzverfahren auch als Revanche des Schlecker-Imperiums für die erfolgreiche Kampagne seiner Beschäftigten gewertet werden. Soll der Name künftig, statt mit einem erfolgreichen Widerstand der Beschäftigten, mit den Sorgen und Nöten einer Unternehmerfamilie verbunden werden, die sogar mit ihrem Privatvermögen haftet? In den vergangenen Wochen stand in den meisten Medien zumindest mehr darüber, wie viele Millionen Euro die Familie Schlecker verlieren könnte, als über die Folgen der Insolvenz für die Beschäftigten.

Das letzte Wort haben also die Gläubiger. »Die 33 000 Verkäuferinnen kommen in diesem Konzept nicht vor«, sagt der Berliner Arbeitsjurist Benedikt Hopmann, der auch die Betriebsrätin Frias mehrmals in ihren Klagen gegen Schlecker vertreten hat, über die Auswirkungen der Insolvenz auf die Beschäftigten. »Die Logik eines solchen Verfahrens zwingt diese Verkäuferinnen, stumm zu bleiben und weiterzuarbeiten, damit die Möglichkeit offen gehalten wird, dass sich eventuell ein anderer Unternehmer findet, an den wenigstens ein Teil des Filialennetzes verkauft werden kann.«

Der Stuttgarter Vorsitzende von Verdi, Bernd Riexinger, kritisiert den Umgang mit der Insolvenz Schleckers in der Politik und den Medien: »Wenn 35 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie betroffen wären, dann würden sich die Politiker die Klinke in die Hand geben. Aber hier geht es ja nur um Frauenarbeitsplätze, die sind wohl weniger wichtig.« Er gehört zu den Gewerkschaftern, die die Umwandlung von Schlecker in eine von den Beschäftigten verwaltete Genossenschaft vorschlagen. »Die Voraussetzungen sind nicht so schlecht. Die Erfolge der Schlecker-Kampagne haben den Beschäftigten Mut und einen Begriff von menschlicher Würde zurückgegeben«, sagt das HBV-Mitglied Kobel der Jungle World. Viele Beschäftigte stimmen mit der Berliner Betriebsrätin Frias überein: Sie sind nicht Schlecker, sie arbeiten dort nur.

http://jungle-world.com/artikel/2012/06/44843.html
Peter Nowak

Deutsche Bank hat sich nicht vom Acker gemacht


Entgegen Versprechungen gegenüber foodwatch zieht sich die Deutsche Bank anscheinend nicht aus Geschäften mit der Spekulation von Nahrungsmitteln zurück

Die NGO foodwatch wirft der Deutschen Bank vor, weiterhin nicht aus dem Geschäft mit der Nahrungsmittelspekulation auszusteigen und eine Entscheidung darüber hinauszuzögern. Damit habe Josef Ackermann ein Versprechen gebrochen, so die enttäuschte foodwatch-Sprecherin Christiana Groß.

Die Organisation hatte Ende Oktober letzten Jahres einen Report unter dem Titel Die Hungermacher veröffentlicht, in dem die Folgen der Nahrungsmittelspekulation geschildert werden. An konkreten Beispielen wurde aufgezeigt, wie dadurch die Lebensmittelpreise steigen und für viele Menschen im globalen Süden unerschwinglich werden. Unter dem Motto „Hände weg vom Acker, Mann“ initiierte die Organisation eine Protestkampagne.

Die kritische Berichterstattung setzte die Deutsche Bank unter Druck und Ackermann kündigte eine Entscheidung bis Ende Januar an. In einem Brief an den Vorsitzenden von foodwatch, Thilo Boode, schrieb Ackermann:

„Ich teile Ihre Betrübnis darüber, dass viele Menschen auf dieser Welt immer noch in Armut leben und Hunger leiden müssen.“

Eigene Studie angekündigt

Doch jetzt will die Deutsche Bank erst einmal weiterprüfen. „Wir stehen erst am Anfang der von mir zugesagten Überprüfung unseres Geschäfts mit Agrar-Rohstoffen“, hieß es in einem Brief von Ackermann an foodwatch. Per E-Mail ergänzte die für Nachhaltigkeit zuständige Mitarbeiterin Ackermanns, die Deutsche Bank werde nun „in den kommenden Monaten eine umfassende Studie zum Thema“ erarbeiten. Einen konkreten Zeitpunkt für die Entscheidung nannte sie allerdings nicht. Das ist für foodwatch eine unverständliche Haltung, zumal es schon zahlreiche Studien über die Folgen der Nahrungsmittelspekulation gebe.

„Während die Deutsche Bank angeblich prüft und Studien erarbeitet, sterben Menschen in den ärmsten Ländern an Hunger – auch wegen der Spekulationsgeschäfte der Deutschen Bank“, moniert der foodwatch-Vorsitzende Thilo Bode. Er zweifelt mittlerweile an der Bereitschaft der Deutschen Bank, die Folgen der Nahrungsmittelspekulation ernsthaft überprüfen zu wollen. Schließlich habe bei einem Gespräch von foodwatch mit Deutsche-Bank-Vertretern in London Mitte Dezember 2011 ein leitender Rohstoff-Händler sogar klipp klar zugegeben, dass er den foodwatch-Report nicht einmal gelesen habe.

Das Thema Nahrungsmittelspekulation und die Deutsche Bank wurde im Dezember letzten Jahres öffentlich prominent durch einen vom Zentrum für politische Schönheit produzierten Film, in dem Manager der Deutschen Bank recht offenherzig über Nahrungsmittelspekulation und die afrikanischen Länder reden. Nachdem die Deutsche Bank mit der Begründung, die Interviews seien nicht autorisiert gewesen, juristisch gegen den Film vorgehen wollte, war das Thema erst richtig bekannt geworden (Die Bank, die Kunst und der Hunger).
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151343
Peter Nowak