»Es gibt keine Patentlösungen für Opel«


Gewerkschaftsaktivist fordert neue Auseinandersetzung mit dem Kapital statt abstrakter Rettungspläne
GM will das Bochumer Opel-Werk 2016 schließen. Der richtig große Aufschrei bleibt aber bisher aus, kritisiert der ehemalige Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, der in der gewerkschaftlichen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) mitarbeitet.

nd: Die Zukunft des Opel-Werks in Bochum scheint besiegelt. Vor acht Jahren gab es nach Schließungsdrohungen noch spontane Streiks und Demonstrationen. Wie ist die Situation heute?
Alle wissen, dass der Altersdurchschnitt der Beschäftigten bei Opel-Bochum bei über 47 Jahren liegt. Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen. Außerdem hat man nicht mehr die Macht wie 2004, durch Streiks ganz Opel Europa kurzfristig lahmzulegen.

Am Freitag legten 300 Opelaner die Arbeit mehrfach kurzzeitig nieder und es gab Kundgebungen. Was sind die Forderungen?
Die Betriebsratsmehrheit sieht es schon als Erfolg, dass die Gespräche weitergeführt werden. Auch über die Auszahlung der 4,3-Prozent-Tariflohnerhöhung, die Opel wegen »Verhandlungen gestundet worden sind«, soll am 8. Januar weiterverhandelt und das Ergebnis dann der Belegschaft zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem erklärten die Betriebsräte, die Aufsichtsratsversammlung am vergangenen Donnerstag sei ein Erfolg gewesen, weil kein Schließungsplan vorgelegt wurde. Auch das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt.

● Aber alle Redner betonten doch, dass Widerstand gegen die Schließungspläne nötig sei?
Da muss man schon genauer hinhören. Wenn gesagt wird, wir haben jetzt noch vier Jahre Zeit, um Widerstand gegen die Schließung zu leisten, müssen wir fragen, wer dann noch bei Opel ist. Wir waren bei Opel in den letzten Jahrzehnten mit einer Verzichtserklärung nach der anderen konfrontiert. Die Zahl der Arbeitsplätze ist immer mehr geschrumpft, von 19 200 noch im Jahr 1992 auf 3200 jetzt.

● Gab es auch widerständigere Stimmen?
Ja, ein Betriebsrat, der nicht zur Mehrheitsfraktion gehört, hat an die Ford-Kollegen vom belgischen Genk erinnert, die im Oktober wegen des dortigen Schließungsbeschlusses vor dem Kölner Ford-Werk protestiert haben. Er erinnerte daran, dass die Aktion in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt wurde, es sich aber um eine Protestaktion handelte. Der Kollege schloss seine Rede mit dem Satz. »Wer uns wehtut, dem tun wir auch weh« und bekam dafür viel Applaus.

Wie beurteilen Sie die Forderungen der IG Metall?
Der Gewerkschaft wird von der Mehrheit der Belegschaft nicht zugetraut, dass sie bereit ist, den Widerstand über das Opel-Werk hinauszutragen. Dass bestätigt sich, wenn man auf der Homepage der IG Metall die Klage liest, dass das Management die Marke Opel beschädigt hat und ein profitables Opel-Werk gefordert wird. Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten programmiert.

Was fordern linke Gewerkschaftsgruppen wie »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG), die im Werk Einfluss haben?
Es gibt keine Patentlösungen. Forderungen nach Streiks bis zur Rücknahme des Schließungsbeschlusses, die Einführung der 30-Stunden-Woche oder eine andere Produktpalette, wie sie jetzt von linken Gruppen wieder vertreten werden, sind abstrakt richtig, gehen aber an der Realität im Opelwerk vorbei. Denn solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus.

Die GoG diskutiert daher die Forderung: »Die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen.« Schließlich haben die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole »Wir zahlen nicht für Eure Krise« an. Allerdings ist für diese Einstellung das Bewusstsein nicht weit verbreitet

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807574.es-gibt-keine-patentloesungen-fuer-opel.html
Interview: Peter Nowak

Arbeitskampf am Wochenmarkt


FAU protestiert gegen »madige Rübchen« beim Teltower Obst- und Gemüsehof

»Madige Rübchen kommen uns nicht in die Tüte«, stand auf dem Transparent, das am Samstag auf dem Wochenmarkt am Schöneberger Winterfeldtplatz bei den zahlreichen Kunden für Aufmerksamkeit sorgte. Das war auch das Ziel der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), die mit ihrer Kundgebung auf ihrer Meinung nach schlechte Arbeitsbedingungen beim Obst- und Gemüsehof »Teltower Rübchen«, ebenfalls auf dem Markt vertreten, aufmerksam machen wollte.

Eine Gartenbauauszubildende hatte sich an die Basisgewerkschaft gewandt und unpünktliche Zahlung der Ausbildungsvergütung, die zudem weit unter Tarif läge, sowie schlechte Arbeitsbedingungen beklagt. »Mit monatlich 202 Euro liegt die Ausbildungsvergütung weit unter dem für diese Branche gültigen Tarifvertrag der IG Bau«, erklärt der Berliner FAU-Sekretär Andreas Förster. Zudem seien die Toiletten für die Beschäftigten in schlechtem Zustand und neue wetterfeste Arbeitskleidung sei erst nach Beginn der Proteste angeschafft worden.
»Wir bemühen uns seit Oktober um einen Verhandlungstermin beim Eigentümer des Hofes Axel Szilleweit«, meint Förster. Einen Gesprächstermin hätte er verstreichen lassen, ein neuer war nicht zu Stande gekommen. Erst danach habe man mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen, so Förster.

Neben den Kundgebungen auf Wochenmärkten hat die FAU auch Landwirtschaftsverbände, den Ausbildungsträger Demeter sowie Parteien in Teltow angeschrieben. Denn Axel Szilleweit ist auch kommunalpolitisch aktiv. Das Mitglied der Grünen gehört seit zwei Jahren der Fraktion »DIE LINKE/Bündnisgrüne« in der Teltower Stadtverordnetenversammlung an.

In einem Brief an seine Fraktionskollegen begründete Szilleweit die fehlenden sanitären Anlagen mit einem Umzug, der allerdings bereits vor zwei Jahren sthttfand. Die niedrige Ausbildungsvergütung leitete er aus einem Tarifvertrag aus dem Jahr 2009 ab, der nach Meinung der FAU veraltet ist. Für Nachfragen war Szilleweit nicht zu erreichen. Die FAU will auch am kommenden Samstag auf dem Wochenmarkt protestieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807542.arbeitskampf-am-wochenmarkt.html
Peter Nowak

Es gibt ein Video zu dem Arbeitskampf
Kann Bio fair sein?

http://de.labournet.tv/video/6532/kann-bio-fair-sein

Fieses Früchtchen auf dem Winterfeldtplatz

ARBEIT Gewerkschaft prangert Arbeitsbedingungen bei Obststand auf Schöneberger Wochenmarkt an

„Madige Rübchen kommen uns nicht in die Tüte“, steht auf dem Transparent, mit dem am Samstag Mitglieder der Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) auf dem Wochenmarkt am Schöneberger Winterfeldtplatz ihrer Meinung nach schlechte Arbeitsbedingungen beim dort mit einem Stand vertretenen Obst- und Gemüsehof „Teltower Rübchen“ anprangern. Eine Gartenbauauszubildende hatte sich an die Gewerkschaft gewandt und über schlechte Löhne und fehlende sanitäre Anlagen geklagt. „Mit monatlich 202 Euro liegt die Ausbildungsvergütung weit unter dem für diese Branche gültigen Tarifvertrag der IG Bau“, sagt der Berliner FAU-Sekretär Andreas Förster der taz.

Der Verdacht, dass Auszubildende als billige Arbeitskräfte benutzt werden, habe nicht ausgeräumt werden können. Förster moniert, dass der Eigentümer des Hofes, Axel Szilleweit, trotz mehrerer Angebote nicht zu Verhandlungen mit der FAU bereit gewesen sei. Daher habe man eine Öffentlichkeitskampagne begonnen, in die auch die im Teltower Stadtparlament vertretenen Parteien einbezogen wurden. Grünen-Mitglied Szilleweit gehört seit zwei Jahren der Fraktion Die Linke/Bündnisgrüne in der Teltower Stadtverordnetenversammlung an.

In einem Brief an seine Fraktionskollegen begründete Szilleweit die fehlenden sanitären Anlagen mit einem Umzug, der allerdings bereits vor zwei Jahren stattfand. Die niedrige Ausbildungsvergütung leitete er aus einem Tarifvertrag aus dem Jahr 2009 ab, der nach Meinung der FAU veraltet ist. Gegenüber der taz äußerte sich Szilleweit nicht zu den Vorwürfen. Die FAU hat für kommenden Samstag erneut Proteste auf dem Wochenmarkt angekündigt. Die Proteste stoßen auf reges Interesse. „Gesunde Nahrung und faire Arbeitsbedingungen gehören zusammen“, meinte eine Kundin am Winterfeldplatz.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F12%2F17%2Fa0137&cHash=fabc731c68303a6efc57a0656dd8cc1a
Peter Nowak

Es gibt ein Video zu dem Arbeitskampf
Kann Bio fair sein?

http://de.labournet.tv/video/6532/kann-bio-fair-sein

„Leiharbeit ist nie gerecht“

»Leiharbeit ist nie gerecht«

Kann man Leiharbeit überhaupt »fair gestalten«? Die IG Metall scheint dieser Auffassung zu sein und fordert mit der Kampagne »Gleiche Arbeit – Gleiches Geld« eine Reform des Arbeitnehmerunterlassungsgesetzes. Karl-Heinz Fortenbacher war vor seiner Pensionierung als Facharbeiter bei Siemens im Großrechnerwerk in Augsburg beschäftigt und dort Betriebsrat der IG Metall. Bis Ende vergangenen Jahres hat er den Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« ehrenamtlich geleitet.

Sie waren in Augsburg an der Gründung eines Stammtisches für Leiharbeiter beteiligt. Worin unterscheidet sich diese Initiative von den Arbeitskreisen der IG Metall?

Einen Leiharbeiterstammtisch gibt es nur in Augsburg. Die Initiative zu der Gründung ging von den Leiharbeitern bei Premium Aerotec (ehemals EADS) aus, die im Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« mitwirkten. Ihnen waren die monatlichen Zusammenkünfte der IG-Metall-Arbeitskreise zu wenig, um im Einsatzbetrieb effektiv zu sein. Ein zweiter ist bei Eurocopter Donauwörth, ein weiterer beim PC-Werk von Fujitsu entstanden. Dort treffen sich alle zwei Wochen vier Leiharbeiter aus der gleichen Schicht. Der Stammtisch ist auch räumlich näher an der Basis als die Arbeitskreise, die sich in den Gewerkschaftsräumen außerhalb der Betriebe treffen, was vielen Kolleginnen und Kollegen die Teilnahme erschwert.

Beteiligen sich auch Betriebsräte an den Arbeitskreisen und dem Stammtisch?

Bei den Stammtischen brauchen die Betriebsräte nicht zu erscheinen, weil dort die Leiharbeiter sich selbst organisieren. Aber ich hätte schon erwartet, dass häufiger Betriebsräte bei den monatlichen Arbeitskreisen auftauchen, um sich über die Probleme zu informieren, mit denen Leiharbeiter konfrontiert sind. Als die Arbeitskreise gegründet wurden, waren noch häufiger Betriebsräte anwesend. Mittlerweile kommen sie nur noch ganz selten.

Es gibt Berichte, wonach Betriebsräte Leiharbeiter abweisen, die bei ihnen Unterstützung suchen. Ein Betriebsrat aus Niedersachsen wird mit dem Satz zitiert, er sei »nur für die Kernarbeiter zuständig«. Kennen Sie aus Ihrem Bereich auch solche Reaktionen?

In einer solch extremen Weise habe ich die Ablehnung von Betriebsräten, sich um die Belange der Leiharbeiter zu kümmern, nicht erlebt. Es ist allerdings bekannt, dass die Betriebsräte eher Kompromisse mit dem Unternehmen suchen. Die Leiharbeiter werden dann oft als Schutz für die Stammbelegschaft gesehen, weil sie angesichts der Krise die ersten sind, die entlassen werden. Allerdings hat sich die Situation gebessert, seit die IG Metall mit der Kampagne zur Leiharbeit begonnen hat. Seitdem sind Betriebsräte in Unternehmen, die Leiharbeiter beschäftigten, aufgefordert, sich auch um deren Belange zu kümmern.

Trotzdem beklagen Leiharbeiter weiterhin, dass die Betriebsräte ihre Interessen ignorieren.

Dass kommt zweifellos immer wieder vor und ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Ein Grund liegt darin, dass eine Interessenvertretung der Leiharbeiter wegen der komplizierten Verträge zeitaufwendig ist. Man muss jeden Vertrag genau lesen, um zu entscheiden, ob die Kollegin oder der Kollege eine Chance hat, die eigenen Interessen durchzusetzen. Manche Betriebsräte haben oder nehmen sich diese Zeit nicht.

Gibt es schon erfolgreiche Kämpfe von Leiharbeitern?

Der Begriff des Erfolgs ist ja immer sehr relativ. Organisierte Kämpfe, etwa Streiks, sind mir bei den Leiharbeitern nicht bekannt. Das ist auch viel zu gefährlich für sie, denn sie können schnell entlassen werden. Aber es gibt Beispiele von individuellen Erfolgen. Ein Leiharbeiter hat zum Beispiel bei Eurocopter mehrere schriftliche Anfragen an seine Leihfirma wegen einer ihm zustehenden Lohnangleichung im Rahmen des Branchentarifs gestellt. Nachdem ein Gesprächstermin so kurzfristig anberaumt worden war, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte, fragte er erneut an. Anschließend wurde er abgemahnt und dann gekündigt. Da er schon vorher bei der IG Metall organisiert war, bekam er Rechtsschutz und klagte auf Wiedereinstellung. Bevor es zum Gütetermin kam, nahm das Unternehmen die Klage zurück. Die finanziellen Forderungen des Kollegen hat es allerdings noch immer nicht anerkannt. Wäre er nicht Gewerkschaftsmitglied gewesen, hätte er wohl weniger Aussicht auf Weiterbeschäftigung beim Entleiher gehabt.

Gibt es auch einen überregionalen Austausch der Leiharbeiter?

Es gab ab 2006 jährlich einen Workshop in Berlin von den Mitarbeitern des Internetprojekts Zoom (http://www.igmetall-zoom.de), an dem zahlreiche Leiharbeiter teilnahmen. Aus Kostengründen hat der Workshop allerdings in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr stattgefunden. Die IG Metall wollte nach meiner Kenntnis dafür 6 000 Euro beisteuern, was eindeutig zu wenig ist. Zudem gab es in ganz Bayern in diesem Jahr zum ersten Mal zwei Treffen bei der IG-Metall-Bezirksleitung, an dem rund 20 Personen teilnahmen. Allerdings waren von den bayerischen IG-Metall-Verwaltungsstellen nur ein Drittel haupt- und ehrenamtliche Vertreter dabei.

Hat der von der IG Metall abgeschlossene Tarifvertrag für Leiharbeiter Fortschritte gebracht?

Der positive Effekt ist, dass es mehr Geld für die Leiharbeiter gibt. Aber wenn es um die konkrete Umsetzung geht, zeigt sich, dass ein Großteil der Betroffenen nichts davon hat. Das liegt an den vereinbarten Fristen. Nach der sechsten vollendeten Woche bekommen die Leiharbeiter 15 Prozent, nach dem dritten vollendeten Monat 20 Prozent, nach dem fünften vollendeten Monat 30 Prozent und so weiter, bis sie nach dem neunten vollendeten Monat 50 Prozent des Lohns der Kernbelegschaft erhalten. Wir haben gefordert, dass Leiharbeiter vom ersten Tag an den Branchenzuschlag bekommen müssen. Denn nach sechs Wochen ist die Kollegin oder der Kollege oft längst wieder aus dem Betrieb und hat damit keinen Anspruch auf den Branchenzuschlag. Nur ein Beispiel aus Augsburg: Dort hat der Weltbild-Verlag für das Weihnachtsgeschäft zahlreiche Leiharbeiter für maximal drei Monate eingestellt. Würde man sich auch auf eine Regelung erst ab der siebten Woche einlassen, kämen diese Kollegen niemals in den Genuss eines Branchenzuschlags.

Sogar die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Vereinbarung kritisiert.

Die Kritik von Verdi ist völlig berechtigt. Sie hat darauf hingewiesen, dass durch den Abschluss der Druck auf die Politik zurückgenommen worden ist. Wir argumentieren immer, dass Leiharbeiter aufgrund der aus dem häufigen Jobwechsel resultierenden Belastungen besser bezahlt werden müssen. Durch diese Stufenregelung wird genau das Gegenteil festgeschrieben. Wer häufig wechselt und mehr belastet wird, geht leer aus. Ohne den Tarifvertrag für Branchenzuschläge wäre der Druck auf die Politik für eine gesetzliche Regelung von equal pay und equal treatment« aufrechterhalten worden. Da wäre vielleicht mehr erreicht worden als durch den IG-Metall-Abschluss.

Die IG Metall wirbt mit der Parole »Leiharbeit gerecht gestalten«. Was ist denn gerecht an der Leiharbeit?

Diese Parole kritisiere ich schon lange. Die IG Metall sollte ihre Forderungen damit begründen, dass die Kollegen mehr Lohn zum Leben brauchen, weil es zwingend notwendig ist. Aber mit Gerechtigkeit haben die Einkünfte in der Leiharbeit nichts zu tun. Davon kann keine Kollegin und kein Kollege auf Dauer leben und bei den geringen Rentenzahlungen ist die Altersarmut vorprogrammiert. Mit dem Argument der Gerechtigkeit bestätigt man nur die zweifellos vorhan­denen Illusionen der Leiharbeiter über das »Normalarbeitsverhältnis«.

Wäre dann nicht »Leiharbeit abschaffen« die richtige Forderung?

Dafür wäre aber nicht die IG Metall, sondern der Gesetzgeber der richtige Adressat, der die Leiharbeit eingeführt hat. Ich finde allerdings die Forderung nach einer Abschaffung der Leiharbeit zu kurz gegriffen. Denn dann sollte das gesamte Lohnsystem in Frage gestellt werden. Solche Überlegungen finden aber weder in den Arbeitskreisen noch bei den Stammtischen besonderen Anklang.
http://jungle-world.com/artikel/2012/50/46770.htm
Interview: Peter Nowak

Kleingärtner und Diskos wollen GEMA stoppen


Über 300.000 Unterzeichner: eine Petition an das Bundesjustizministerium soll die Tarifreform verhindern

Gestern übergaben Kulturinitiativen die nach ihren Angaben bundesweit größte Petition an das Bundesjustizministerium. Dafür haben die Kritiker der GEMA seit Monaten eifrig die Werbetrommel gerührt. 305.122 Unterschriften sind schließlich zustande gekommen. Die Ministerin hat sich ca. 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit den Initiatoren der Proteste genommen.

Stein des Anstoßes ist die für kommendes Jahr geplante neue GEMA-Tarifstruktur. Nicht nur die Clubszene befürchtet dadurch massive Preissteigerungen. Auch sächsische Kleingärtner haben sich gegen die GEMA-Pläne positioniert. Schließlich fallen auch ihre Vereinsfeste unter die GEMA-Tarife. So heißt es in einer Pressemeldung der sächsischen Linkspartei:

„Land auf, Land ab beklagten sich Initiatoren von Musikveranstaltungen, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Diskotheken- und Clubbetreiber, Veranstalter von Straßen-, Volks- und Vereinsfesten, insbesondere auch der Landesverband der Sächsischen Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, dass diese durch die vorgesehenen Gebührensteigerungen von teils mehreren hundert Prozent vor existenzielle wirtschaftliche Probleme gestellt werden.“

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die gemakritische Petition große Resonanz gefunden hat. Die Übergabe der Unterschriften haben mehrere der in den Protest gegen die GEMA involvierten Bündnisse wie Fairplay und die Kulturretter noch einmal zur Darstellung ihrer Argumente genutzt.

Standortargumente wurde strapaziert

„Die über 300.000 Unterstützer dieser Petition haben ein klares Signal an die GEMA gesandt, das bis dato komplett ignoriert wurde: So sollte die sogenannte Tarifreform endgültig zu den Akten gelegt werden, um endlich eine Tarifstruktur zu schaffen, welche Kultur fördert und nicht vernichtet. Die GEMA hat damit Ihren Offenbarungseid bereits geleistet und ist offensichtlich nicht reformfähig“, meint der Kulturarbeiter und Anmelder der Berliner Protest-Kundgebungen Lothar Küpper.

Der Eventmanager und Fairplay-Aktivist Alexander Beck erklärt: „Mein privates und berufliches Umfeld setzt sich vorwiegend aus im Event-Bereich Tätigen zusammen, welche – wie ich – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, sollte die Tariferhöhung so umgesetzt werden. Durch diese werden Clubs, Veranstaltungshallen und allerlei verwandte Gewerke schlichtweg pleite gehen. Gerade in Berlin mit seinen vielen Events sind tausende Arbeitsplätze gefährdet.“

Standortargumente spielten bei den GEMA-Kritikern eine zentrale Rolle. Angeblich 150.000 Jobs sollen durch die Tarifstruktur der GEMA gefährdet sein und auch die wichtige Rolle, die die Kulturszene für den Berlintourismus hat, wird bei ihnen immer wieder betont. Dass es neben solchen Lobbyinteressen gute Argumente gegen die GEMA-Pläne gibt, machen die Stellungnahmen des Berliner Konzertveranstalters Berthold Seeliger deutlich, der den Argumenten der Verwertungsindustrie, sie kämpfe für die Interessen der Künstler widerspricht.

Nach der Petitionsübergabe ist der Termin des Schiedsgerichts am 19.12. ein weiterer wichtiger Termin für die GEMA-Kritiker. Noch hoffen sie, die schon um mehrere Monate verschobene GEMA-Tarifreform ganz zu verhindern.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153369
Peter Nowak

Neue Lunge nur mit Deutschkenntnissen

Verweigerte Transplantation weckt Protest bei Migrantenorganisation
Einer türkischstämmigen Patientin wurde in Hannover eine Lungentransplantation verweigert. War der Grund Rassismus in der Klinik, wie eine Migrantenorganisation vermutet?

Die 49-jährige Selvi B. leidet seit Jahren unter einer schweren Lungenerkrankung und ist deshalb in medizinischer Behandlung. Auch mehrere Klinikaufenthalte hat sie schon hinter sich. Im Oktober 2011 wurde sie auf die Warteliste für eine Lungentransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) aufgenommen. Doch die Ärzte haben der in der Türkei geborenen und seit 1980 in Deutschland lebenden Frau zunächst die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse empfohlen, bevor eine Transplantation in Betracht kommt. Baki Selcuk von der Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland (Agif) reagiete empört und warnt vor Rassismus in den Kliniken. „Spricht nicht ausreichend deutsch, muss sterben“, ist die Agif-Pressemitteilung zu dem Fall überschrieben.

Berufung auf Vorgaben des Gesetzes

Professor Tobias Welte vom Institut für Pneumologie an der MHH weist gegenüber nd die den Vorwurf des Rassismus entschieden zurück „In unserer Klinik sind in den vergangenen Jahren auch Patienten mit Migrationshintergrund erfolgreich Organe transplantiert worden“, betont er. Ausreichende Deutschkenntnisse seien aber eine Voraussetzung dafür, betont der Mediziner.
Die gehören zu den Vorgaben des Transplantationsgesetzes, an die sich die Klinik halten müsse Es schreibt für die kostenaufwendige Organtransplantation strenge Voraussetzungen vor. Da die Nachfrage nach Spenderorganen wesentlich größer ist als die zur verfügend stehenden Organe, werden lange Wartelisten geführt. Die Patienten werden genau untersucht, bevor sie in dort geführt werden. Dabei darf nicht nach finanziellen und sozialen Kriterien sondern allein nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Operation entschieden werden. Dazu gehört auch eine aktive Mitwirkungspflicht der Patienten für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, betont Welte. „Einem Raucher wird zur Auflage gemacht, seinen Zigarettenkonsum einzustellen. Ist er dazu nicht bereit wird eine Lungentransplantation abgelehnt“, nennt Welte das Beispiel. Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenkonsum und der Entwicklung einer transplantierten Lunge ist auch dem medizinischen Laien einsichtig. Warum aber auch ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu den Voraussetzungen einer Lungentransplantation gehören sollen, erschließt sich nicht ohne Weiteres.

Eine schier ausweglose Situation

Der Mediziner führt mögliche gesundheitliche Komplikationen an, die nach der Transplantation entstehen können. Häufig würden dann die exakten Anweisungen für die Medikamenteneinnahme telefonisch erfolgen. Da Patienten nach einer Transplantation bis zu dreißig unterschiedliche Medikamente einnehmen müssten und eine fehlerhafte Dosierung erhebliche gesundheitliche Auswirkungen haben kann, müsse vor der Transplantation gewährleistet sein, dass die Patienten diese Anweisungen auch sprachlich verstehen.
Noch hat Frau B. die Möglichkeit, auf die Warteliste für die Lungentransplantation zu kommen, betont Welte. Die Anwärter werden in regelmäßigen Abständen untersucht. Dann wird auch getestet, ob sich die Voraussetzungen gebessert haben. Für Frau B. stünden dann auch ihre deutschen Sprachkenntnisse erneut auf dem Prüfstand. Für die Patientin eine schier ausweglose Situation. In ihrer Lage Deutsch zu lernen, würde eine aussergewöhnliche Willensleistung voraussetzen.
Eine Bewerbung bei einer anderen Klinik hingegen dürfte für die Patientin keine Lösung sein. Sie sind an ebenso an die Vorgaben des Transplantationsgesetzes gebunden. Die Hinzuziehung von Dolmetschern für Patienten mit schlechten Deutschkenntnissen ist hierin nicht vorgesehen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/806734.neue-lunge-nur-mit-deutschkenntnissen.html
Peter Nowak

Können fehlende Deutschkenntnisse über Leben und Tod entscheiden?

Zu den Voraussetzungen für eine Lungentransplantation gehören auch ausreichende Deutschkenntnisse

Die 49-jährige Selvi B. leidet seit Jahren unter einer schweren Lungenerkrankung und ist deshalb auch schon lange in medizinischer Behandlung. Auch mehrere Klinikaufenthalte hat sie schon hinter sich. Im Oktober 2011 wurde sie auf die Warteliste für eine Lungentransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover aufgenommen. Doch die Ärzte haben der in der Türkei geborenen und seit 1980 in Deutschland lebenden Frau zunächst die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse empfohlen, bevor eine Transplantation in Betracht kommt.

Baki Selcuk von der Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland reagierte empört und vermutete „Rassismus in den Kliniken“. „Spricht nicht ausreichend deutsch, muss sterben“, ist die Agif-Pressemitteilung zu dem Fall überschrieben.

Professor Tobias Welte vom Institut für Pneumologie an der MHH weist gegenüber Telepolis den Vorwurf des Rassismus entschieden zurück „In unserer Klinik sind in den vergangenen Jahren auch Patienten mit Migrationshintergrund erfolgreich Organe transplantiert worden“, betont er. Ausreichende Deutschkenntnisse seien aber eine Voraussetzung dafür, erklärt der Mediziner.

„Ausreichende Deutschkenntnisse sind für die Mitwirkungspflicht des Patienten nötig“

Er verweist auf die Vorgaben des Transplantationsgesetzes, an die sich die Klinik halten müsse. Es schreibt für die kostenaufwendige Organtransplantation strenge Kriterien vor. Da die Nachfrage nach Spenderorganen wesentlich größer als das Angebot ist, werden lange Wartelisten geführt. Die Patienten werden genau untersucht, bevor sie dort geführt werden. Dabei darf nicht nach finanziellen und sozialen Kriterien, sondern allein nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Operation entschieden werden.

Dazu gehört auch eine aktive Mitwirkungspflicht der Patienten für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, betont Welte. In diesen Kontext können auch Auflagen gehören, die die Patienten erfüllen müssen, bis sie in die engere Wahl eines Spenderorgans gezogen werden. „Einem Raucher wird zur Auflage gemacht, seinen Zigarettenkonsum einzustellen. Ist er dazu nicht bereit, wird eine Lungentransplantation abgelehnt“, nennt Welte ein Beispiel. Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenkonsum und einer transplantierten Lunge ist dem medizinischen Laien allerdings einsichtiger als ausreichende deutsche Sprachkenntnisse.

Doch Welte begründete diesen Punkt damit, dass gewährleistet sein muss, dass die Patienten mit möglichen gesundheitlichen Komplikationen, die nach der Transplantation entstehen können, richtig umgehen können. So würden häufig die exakten Anweisungen für die Medikamenteneinnahme telefonisch erfolgen. Da Patienten nach einer Transplantation eine Menge unterschiedlicher Medikamente einnehmen müssten und eine fehlerhafte Dosierung erhebliche gesundheitliche Konsequenzen haben kann, müsse vor der Transplantation gewährleistet sein, dass die Patienten diese Anweisungen auch sprachlich verstehen.

Ermessungsspielraum der Ärzte besteht

Auch der im Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte engagierte Mediziner Wulf Dietrich betont im Gespräch mit Telepolis, dass das Bestehen auf deutsche Sprachkenntnisse als Voraussetzung für eine Transplantation nicht von vornherein unter Rassismusverdacht gestellt werden sollte. Dazu müsste man sich die Vorgeschichte des Falles genauer ansehen.

Allerdings sieht er im Transplantationsgesetz gewisse Ermessungsspielräume für die Ärzte. Es müsste geprüft werden, ob die Mitwirkungspflicht der Patienten auch bei schlechten Sprachkenntnissen erfüllt werden könnten, beispielsweise durch die Hinzuziehung von Übersetzern. Er selber habe schon an einem aus Afghanistan stammenden Mann eine Herztransplantation durchgeführt, obwohl er keine Deutschkenntnisse hatte.

Der Fall von Selvi B. mag noch ein Sonderfall sein, der auch bei Flüchtlingsräten noch völlig unbekannt ist. Aber solche Fälle könnten künftig zunehmen. Schließlich sind viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland älter geworden, sie leiden an schweren Krankheiten und sind auf ambulante und stationäre Pflege angewiesen. Der Fall Selvi B. zeigt aber einmal mehr, dass auch das Gesundheitssystem in Deutschland darauf nicht vorbereitet ist und daraus zumindest eine strukturelle Benachteiligung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder auch allgemein mit einem reduzierten Sprachschatz entstehen kann.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153327
Peter Nowak

Von Goldbarren und Geldsäcken

Eher Schützenhilfe beim Wahlkampfauftakt als Sozialprotest in Krisenzeiten: der Aktionstag „Umfairteilen“

Am Aktionstag „Umfairteilen“ haben sich am 29. September in über 40 Städten in Deutschland nach Veranstalterangaben ca. 40.000 Menschen beteiligt. Die Forderungen beschränkten sich im Wesentlichen darauf, Vermögende in Deutschland etwas stärker am Steueraufkommen zu beteiligen. Konkret geht es um eine einmalige Vermögensabgabe und um die Einführung einer Reichensteuer. Im Vorfeld hatten Aktive ihre Vorstellung eines fairen Kapitalismus mit dem symbolischen Umschichten von Goldbarren, Münzen und Geldsäcken zugunsten gesellschaftlicher Bereiche wie Bildung, Pflege und Energiewende deutlich gemacht.

Die Veranstalter sehen den Aktionstag erwartungsgemäß als vollen Erfolg, so in einer Pressemitteilung von Attac. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband spricht von einem Durchbruch in der Gerechtigkeitsdebatte. Doch jenseits solcher Erklärungen waren auch aus Teilen des Aufruferkreises deutlich kritischere Stellungnahmen zu hören. So warnte Pedram Shahyar auf dem Attac-Blog im Vorfeld des Aktionstages vor einer Unterordnung der Proteststrategie unter rot-grüne Wahlkampfszenarien: „Attac darf nicht Teil einer Re-Legitimierung von SPD und Grünen werden und ihnen helfen, ihre Oberfläche sozial zu polieren. Deshalb ist es nötig, die Vereinnahmungsversuche von SPD und Grünen zu widerstehen und in der Öffentlichkeit, die wir mit unserer Kampagne gewinnen, noch sehr viel deutlicher auf die Rolle der rot-grünen Regierung als neoliberaler Rammbock der letzten 20 Jahre hinzuweisen. Ansonsten bekommen wir die Rechnung in einer neuen ‚Agenda 2020’“. Tatsächlich aber wurde im Aufruf zum Aktionstag Umfairverteilen die Schuldenbremse ebenso wenig erwähnt wie die Agenda 2010.

Kritik von innen, kaum von außen
Zum Aktionstag hatten auch die Vorstände verschiedener Einzelgewerkschaften aufgerufen. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach auf der Abschlusskundgebung von Umfairteilen in Bochum. Doch lediglich von der GEW und von Verdi hatte man im Vorfeld eine eigenständige Mobilisierung wahrgenommen. Auch die DGB-Gewerkschaftsbasis sparte nicht mit Kritik an den eigenen Vorständen: „Zumindest in Hamburg haben sozialdemokratische ver.di-Funktionäre keinerlei Probleme damit, einerseits wortgewaltig eine Vermögenssteuer zu fordern und gleichzeitig als SPD-Bürgerschaftsabgeordnete still und leise die Schuldenbremse zu beschließen oder mal eben den massiven Kürzungen z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe zuzustimmen“, brachte Heiko Laning die Realität nicht nur in der Hansestadt auf den Punkt. Er bezeichnet den Umfairteilen-Aktionstag als von Bewegungsfunktionären aufgesetzte Kampagne, die den aktiven Basisinitiativen kaum nutzt.

Die meisten Einzelgewerkschaften beschränkten ihre Unterstützung für Umfairteilen auf eine Unterschrift und eine Presseerklärung. „Teile des gewerkschaftlichen Funktionärskörpers (und hier vor allem die Führungen) sind inzwischen nicht mehr bereit, eine starke Mobilisierung und erfolgversprechende Kampfmaßnahmen bis zur vollständigen Durchsetzung von politischen Forderungen auch nur in Betracht zu ziehen. Unter diesen Voraussetzungen ist zu befürchten, dass die gewerkschaftlichen Herbstaktionen wieder einmal nur zum ‚Dampf ablassen’ genutzt werden sollen“, schrieb Christiaan Boissevain von der Münchner Gewerkschaftslinken. Die Hamburger Gewerkschaftslinke stellte die richtigen Fragen: „Fairer Lohn, gerechter Lohn, geht alles nicht, es gibt nur erkämpften Lohn. Und faire Leiharbeit wie sie die IGM fordert – was soll das eigentlich sein?“

Bei so viel Kritik auch der DGB-Basis an der Kampagne und an den eigenen Vorständen müssten eigentlich die Stimmen linker Basisinitiativen auf offene Ohren stoßen. Doch sie waren auf dem Aktionstag nur schwach zu vernehmen. In Berlin beteiligten sich, neben einem kleinen antikapitalistischen Block, auch Aktivisten der Interventionistischen Linken mit der Aktion „Kapitalismus Fairsenken“. Gar nichts zu hören war hingegen vom M31-Bündnis, das mit der Mobilisierung zum antikapitalistischen europaweiten Aktionstag am 31. März eigentlich die Grundlage für eine längerfristige antikapitalistische Organisierung legen wollte.

http://www.direkteaktion.org/214/von-goldbarren-und-geldsaecken
Direkte Aktion 214 – Nov/Dez 2012

Peter Nowak

„Der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“

Die Herabstufung des EMS ist der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Politik der französischen Regierung
„Frankreich sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmärkte nervös werden und Reformen von der Regierung von Präsident François Hollande erwarten“, sagt Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Moderator hatte den Ton vorgegeben und über unser Nachbarland so geredet, wie ein Großteil der Politik und der Medien seit Monaten über Griechenland spricht:

Jeder vierte Franzose verdient sein Geld im öffentlichen Dienst oder in der Staatswirtschaft. Nicht wenige dort genießen Sonderrechte, etwa einen Urlaubsanspruch von vier Monaten im Jahr. Im Kabinett in Paris streiten sage und schreibe 39 Minister um Zuständigkeiten, Personal und Einfluss. Frankreichs Ämter sind übergewichtig, ineffizient und teuer. Schon länger sorgen sich Beobachter um den gravierenden Reformstau in unserem Nachbarland.

Auf diese Weise wurden die Hörer schon mal eingestimmt und Dieter brauchte dann nur zu bestätigen, „dass die französische Gesellschaft Schwierigkeiten hat, mit internationalem Wettbewerb, mit den Schwierigkeiten, die die Globalisierung mit sich bringt, umzugehen.“

Was Dieter damit meint, ist klar. Wer vom Pfad des deutschen Sparmodells auch nur um einige Millimeter abweicht, bekommt es mit den Märkten zu tun und hat die Zwänge einer globalisierten Welt noch nicht verstanden. Dabei wird das deutsche Modell als alternativlos hingestellt. Dass es gegen dieses Modell seit Monaten in vielen europäischen Ländern Proteste von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, aber auch von Politikern bis weit ins bürgerliche Spektrum gibt, wird ignoriert. Die Wahl von Hollande war von einem Teil der Kritiker des deutschen Modells als Hoffnungsschimmer gesehen worden, manche erwarteten gar eine politische Zäsur, Schließlich war mit Sarkozy in Frankreich der Politiker abgewählt worden, der mit Merkel ein Tandem bei der Durchsetzung des europäischen Sparmodells bildete.

Tatsächlich begannen sich nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch die konservative und wirtschaftsliberalen Regierung in Italien und Frankreich, um Beinfreiheit vom Berliner Spardiktat zu kämpfen. Nach seinem Regierungsantritt ist Hollande allerdings jeder Konfrontation mit der deutschen Politik aus dem Weg gegangen. So sorgte er für eine Zustimmung zum ESM, den er im Wahlkampf eigentlich neu verhandeln wollte.

„Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben“
Doch die konziliante Haltung des Sozialdemokraten wurde von Deutschlands Liberalen und Konservativen, die nicht verwunden haben, dass ihr Wunschkandidat Sarkozy die Wahlen verloren hat, nie gewürdigt. Immer wieder wurde mit offenen oder unterschwelligen Bemerkungen von Politikern der Regierungsparteien gegen die französische Wirtschafts- und Sozialpolitik geschossen. Bereits am 13.11. 2012 gab der CSU-Haushaltspolitiker und Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung seiner Partei, Hans Michelbach, ebenfalls im Deutschlandfunk seine Meinung über Frankreich, dem nach Griechenland zweiten „kranken Mann Europas“, unmissverständlich zum Ausdruck:

Also wenn die sozialistische Regierung Hollande so weitermacht, dann ist Frankreich im freien Fall. Das muss man ganz klar sehen. Ich bin nicht der, der die Spekulanten antreiben möchte, aber man muss der Realität ins Auge schauen. Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben.

Michelbach bedauerte auch, dass die Regierungsdelegationen nicht so deutlich Klartext reden können. Da kommt die Herabstufung durch die der Ratingagentur gerade recht, um den vermeintlichen Abweichlern vom marktwirtschaftlichen Kurs die Leviten zu lesen. Wenn Heribert Dieter erklärt, „der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“, kann man darin nicht nur das Lamento eines Wirtschaftsliberalen lesen, sondern auch die Haltung eines Interessenvertreters des deutschen Standortes, der einen potentiellen Konkurrenten in der EU die Grenzen aufzeigen will.

Was kommt nach dem Warnschuss?
Wenn der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach die Entscheidung der Ratingagentur als „Warnschuss an Frankreich“ interpretiert, muss man sich die Frage stellen, welche Instrumente herrausgeholt werden, wenn die französische Regierung nicht bereit ist, sämtliche Wahlversprechen zu vergessen oder die französische Bevölkerung die versprochene Sozial- und Wirtschaftspolitik einfordert? Von den Linkskeynisanern, die große Hoffnungen in die Regierung Hollande setzten, ist wenig zu hören. Einer ihrer Exponenten, Dierk Hierschel aus dem verdi-Bundesvorstand, kann nur resignativ vermelden „Merkel grillt Frankreich“:

Das französische Drama dokumentiert die Ohnmacht nationaler Politik. Auf entfesselten Finanzmärkten und in einem Europa des Marktes gibt es kaum Spielräume für eine fortschrittliche nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wer beim grenzüberschreitenden Unterbietungswettbewerb um Steuern, Sozialausgaben und Löhnen nicht mitspielt, dem drohen die Unternehmen mit Abwanderung und die Kapitalmärkte mit Strafzinsen. Wobei Deutschland durch Billiglöhne und Steuersenkungen seinen linksrheinischen Nachbar ständig unter Druck setzte.

Wenn Hierschel dann nicht mehr als die Hoffnung auf einen Regierungswechsel im nächsten Jahr in Berlin einfällt, muss man sich doch fragen, ob der Mann vergessen hat, wer mit der Niedriglohnpolitik in Deutschland begonnen hat. Wenn Steinbrück der schärfste Pfeil im Köcher der Keynisaner ist, haben sie sich mit ihrer eigenen Niederlage schon abgefunden. Die Kampagne gegen Frankreich ist auch ein Warnschuss an alle europäischen Länder, die womöglich einen Ausweg jenseits der Schröder-Merkel-Doktrin aus der Krise suchen. Gerade weil Hollande von einigen zur Alternativen zur deutschen Politik aufgebaut wurde, die er wahrscheinlich nie sein wollte, wird seine Regierung jetzt ins Visier genommen.

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38116/1.html
Peter Nowak

Leitbild Dienstgemeinschaft

Das Bundesarbeitsgericht hat über das Streikverbot bei kirchlichen Arbeitgebern entschieden.

In der vorigen Woche befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt mit der Frage, ob eine der boomenden Branchen mit mittlerweile über 1,3 Millionen Beschäftigten weiterhin eine streikfreie Zone bleiben darf. Es handelt sich um die Diakonie und die Caritas, die sich im Zuge des Ausbaus der sogenannten Care-Industrie zu pro­fitorientierten Privatkonzernen entwickelt haben. Aus Sicht der Kapitaleigner haben diese Konzerne einen wichtigen Vorteil. Die Beschäftigten, in Reproduktions- und Pflegeberufen sind es überwiegend Frauen, dürfen nicht streiken. Denn die Unternehmen befinden sich in kirchlicher Trägerschaft. Im Rahmen des noch aus der Weimarer Republik stammenden »Selbstordnungsrechts« der Kirchen hatten die kirchlichen Unternehmer bisher die Möglichkeit, weltliche Arbeitsrechte zu ignorieren und einen sogenannten dritten Weg zu gehen. Doch hinter diesem schillernden Begriff verbirgt sich nichts anderes als eine ständestaatliche Vorstellung von Konfliktregelung, die am »Leitbild der Dienstgemeinschaft« ausgerichtet ist.

Arbeitsbedingungen ebenso wie Löhne sollen einvernehmlich kirchenintern ausgehandelt werden. Jede Arbeitskampfmaßnahme wird als Verstoß gegen diese betriebsinterne Regelung angesehen und hat zu unterbleiben. Eine solche arbeitsrechtliche Situation dürfte auch den Wunschvorstellungen vieler Unternehmerverbände entsprechen. Aber nur die kirchlichen Träger können sie bis heute mit Verweis auf die über 80 Jahre alte Regelung legitimieren. Man könnte vermuten, dass in einer säkularen Gesellschaft solche Entrechtungen von Beschäftigten mit dem Verweis auf Kirchenrechte endgültig der Vergangenheit angehören müssten. Darauf stützte sich auch die Hoffnung von Kritikern dieser Regelung, wie sie vor allem bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu finden sind.

Nach der gerichtlichen Entscheidung des BAG, die am Dienstag voriger Woche verkündet wurde, kann jedoch keinesfalls von einem Sieg für die säkulare Gesellschaft und die Gewerkschaftsrechte gesprochen werden. Auch die Erfolgsmeldungen, die Verdi nach der Entscheidung verbreitete, können an diesem Befund nichts ändern. Die Gewerkschaft stützt ihre Erklärungen auf den Passus der Entscheidung, der das strikte Verbot von Arbeitsniederlegungen bei kirchlichen Trägern zumindest aufweicht. Doch vor allem in der Urteilsbegründung hat die Präsidentin des BAG, Ingrid Schmidt, die Position der kirchlichen Unternehmer bestätigt. Dass sie damit eine ständestaatliche Ideologie aufwertet, wird schon im Wortlaut deutlich.

Die Religionsgemeinschaften sollen auch weiterhin »ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsverfahren« praktizieren dürfen. Es müsse nur garantiert sein, dass die Gewerkschaften dabei organisatorisch eingebunden würden und die Ergebnisse dann für die gesamte Branche verbindlich seien. Werden diese Kriterien erfüllt, kann den Beschäftigten religiöser Träger auch weiterhin das Streikrecht verweigert werden. Man muss den Vertretern von Verdi zustimmen, wenn sie davon sprechen, Verhandlungen ohne Streikrecht seien nicht mehr als ein kollektives Betteln. Allerdings sollte man daran erinnern, dass sich die DGB-Gewerkschaften auch außerhalb der kirchlichen Trägerschaft gerne für die Standortinteressen von Unternehmen instrumentalisieren lassen.

Wenn die Deutsche Bischofskonferenz nach der Entscheidung des BAG schlussfolgert, »das System der partnerschaftlichen Tariffindung in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen« sei »im Grundsatz bestätigt« worden, ist das eine Einschätzung, die der Realität entspricht. Hingegen ist weniger verständlich, dass auch Verdi einen Erfolg reklamiert. Gerade im Hinblick darauf, dass ständestaatliche Elemente weiterhin im Arbeitsrecht dafür sorgen können, das Streikrecht der Beschäftigten einzuschränken, sollte man nicht nur auf die nächste juristische Instanz verweisen, wie es Verdi getan hat. Ein Bündnis von betroffenen Arbeitnehmern und gesellschaftlichen Institutionen gegen ständestaatliche Sonderrechte wäre sinnvoll. Aber vielleicht stünde Verdi dann eine andere Bündniskonstellation im Weg? Gemeinsam mit den großen Kirchen hat sich die Gewerkschaft bisher erfolglos gegen längere Ladenöffnungszeiten und die Ausdehnung der Wochenendarbeit gewehrt.

Immerhin vertrauen nicht alle Betroffenen dem Gerichtsweg. Unter dem Motto »Kein Abbau der Arbeitnehmerrechte in der Diakonie! Für Tarifvertrag!« riefen Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen (AGMAV) des Diakonischen Werks in Hessen-Nassau (DWHN) gemeinsam mit Verdi in den vergangenen Tagen zum Protest auf.
http://jungle-world.com/artikel/2012/48/46687.html
Peter Nowak

von Peter Nowak

»Briefkopf mit Rechtsabteilung? «

Peter Nowak über Frank Deppe: »Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute«
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Haben die Gewerkschaften als gesellschaftspolitischer Faktor in Zeiten des Postfordismus ausgedient oder könnten sie in Zeiten der Krise wieder an Bedeutung gewinnen? Dieser Frage widmet sich der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe in einem Buch „Gewerkschaften in der großen Transformation“, das kürzlich im Papyrossa-Verlag erschienen ist. Gleich auf den ersten Seiten beschreibt fasst er seine Gewerkschaftsdefinition so zusammen: „Gewerkschaften haben zusammen mit anderen Teilen der Arbeiterbewegung dazu beigetragen, dass Arbeitskraft dekommodifiziert wird, d.h. dass sie eben nicht wie eine einfache Ware behandelt wird, sondern besonderen Schutz erhält. Dieser Schutz wurde und wird – und das macht die Gewerkschaften aus – in solidarischen Formen erkämpft. Das ist die Kernkompetenz der Gewerkschaften und nichts anderes“ (S. 10f.). Können die DGB-Gewerkschaften diese Kernkompetenz im postindustriellen Zeitalter noch einsetzen oder haben sie sich zu einem „Briefkopf-DGB mit angeschlossener Rechtsabteilung“ (S. 54) entwickelt? Diese Frage stellt Frank Deppe zur Diskussion, ohne eine klare Antwort zu geben. Er zeigt, dass der Machtverlust Entwicklung der Gewerkschaften keine ökonomischen Faktoren geschuldete Zwangsläufigkeit, sondern eine Folge politischer Entscheidungen ist, die er in dem Kapitel „Der Umbau der Deutschland-AG“ (S.31 ff) beschreibt. Dabei unterscheidet Deppe durchaus die verschiedenen Epochen, wie den Fordismus und den Rheinischen Kapitalismus, betont aber immer auch die politische Agenda, die dominierend war. So beschreibt er den „Abbruch und Umbau der Deutschland-AG“ (S.37) als politisch vorangetriebene „Radikalkur für den Standort Deutschland“ mit den Elementen „Begrenzung der Masseneinkommen, Einschränkung sozialstaatlicher Leistungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Vorrang betrieblicher Regelungen vor Flächentarifverträgen und die Senkung der Staatsquote“ (ebenda). Diese Transformation ist verbunden mit einer für den „Fordismus charakteristischen Struktur der Arbeiterklasse“ (S. 52) und führt zu Fragmentierung der Lohnabhängigen, was die solidarische Formulierung gemeinsamer Interessen erschwert. Dabei kritisiert er deutlich, dass die Gewerkschaften „eine subalterne Rolle für die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmerauf dem Weltmarkt“ (S. 66) akzeptierten. Dabei geht er hart mit jenen Modernisierern ins Gericht, die schon Anfang der 80er-Jahre für eine Entideologisierung der Gewerkschaftsarbeit eingetreten seien (S.86). Zu ihren Hauptkontrahenten hatte diese Strömung die marxistisch geprägte Marburger Schule erklärt, die sich auf Wolfgang Abendroth bezog und sich für einen verstärkten Klassenkampfbezug in der Gewerkschaftsarbeit einsetzte. Auch Frank Deppe gehörte zu dieser Strömung. Daher kann er wichtige Informationen über die gewerkschaftsinternen Debatten der 70er- und 80er-Jahre liefern. Allerdings war damals die Einordnung der gewerkschaftlichen Erneuerer durchaus komplexer. Schließlich fanden sich dort viele undogmatische Linke, die sich gegen eine linkstraditionalistische Gewerkschaftspolitik wandten, stärker auf die Einbeziehung der Basis eintraten und auch feministische und ökologische Themen ansprachen. Ende der 80er-Jahre wurden manche Protagonisten dieser gewerkschaftlichen Erneuererströmung zu Wortführern des pragmatischen Gewerkschaftsflügels.
Allerdings kritisiert Deppe nicht nur die „Erneuerer sondern auch deren gewerkschaftlichen Kontrahenten“. „Die führenden Köpfe dieser Politik der Konzentration auf das ‚Kerngeschäft‘ (und der Bereitschaft zum ‚Wettbewerbskorporatismus‘) waren in den 70er-Jahren mit kommunistischen Organisationen verbunden oder sie gehörten zum linken Flügel der SPD und kooperierten in den Gewerkschaften mit Kommunisten“ (S. 75), schreibt Deppe über eine Reihe von nach dem Ende des Nominalsozialismus 1989 zu Pragmatikern gewandelten ehemals linken Gewerkschaftern. Interessant etwa zu erfahren, dass auch ein Walter Riester noch Mitte der 80er-Jahre mit DKP-nahen Autoren Bücher über den Kampf um die 35 Stunden-Woche und eine linke Gewerkschaftspolitik herausgegeben hat (S.146f.).

Basisinitiativen vernachlässigt
Während Frank Deppe hier viele Fakten zur jüngeren Gewerkschaftsgeschichte zusammenträgt, wirkt das letzte, mit „Gewerkschaften in Europa“ überschriebene Kapitel eher enttäuschend. Gerade in dem Kapitel, in dem es auch um die Zukunft der Gewerkschaftspolitik geht, bleibt es leider bei – politisch nicht falschen – Allgemeinplätzen. So wirbt er für einen „Pfadwechsel“ (S. 138) hin zu einem sozialen Europa und sieht die Wahl in Frankreich als Wendepunkt. Dabei schreibt Deppe selbst, dass Appelle für ein sozialeres Europa nicht ausreichen und gewerkschaftliche Kämpfe nötig seien (S. 143). Hier wäre ein Hinweis auf kämpferische Basisgewerkschaften in vielen europäischen Ländern am Platz gewesen, die in ihren Streiks und Aktionen explizit das deutsche Sparmodell kritisieren und wie die belgische Gewerkschaft (CSC) mit der Kampagne „Helft Heinrich“ eine Solidaritätskampagne mit den Lohnabhängigen in Deutschland initiierten, die den in Deutschland wachsenden Niedriglohnsektor nicht verhindern konnten. Die Kampagne war auch eine Kritik an den von den DGB-Gewerkschaften mitgetragenen Politik des Lohnverzichts. Mittlerweile wächst die gewerkschaftliche Kritik auch in vielen anderen Ländern wie der erste europäische Generlstreik am 14.November zeigte. Deppe geht auch nicht auf die verschiedenen Sparten- und Basisgewerkschaften ein, die sich mittlerweile außerhalb des DGB organisieren. Trotz dieser kritischen Einwände liefert Deppe eine Einführung in die jüngere Geschichte der deutschen Gewerkschaften.

Frank Deppe: „Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute – Eine Einführung“, Papyrossa-Verlag, Neue Kleine Bibliothek 184, 148 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3-89438-497-5

aus: „express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ 11-12/2012
http://www.labournet.de/express/index.html
Peter Nowak

Armutslöhne als politscher Erfolg?

Die Kritik am veränderten Armutsbericht der Bundesregierung war vorhersehbar, ist aber heuchlerisch

Als parteipolitisch motivierte Manipulation kritisiert das Bündnis Umfairteilen – Reichtum besteuern! die massiven Streichungen im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. „Der zum Teil schonungslosen Analyse im ersten Entwurf der Bundesarbeitsministerin wurden offensichtlich in zentralen Passagen sämtliche Zähne gezogen“, kritisiert Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Auch der DGB und sämtliche Oppositionsparteien monieren, dass die aktuelle Fassung des Armuts- und Reichtumsbericht (Der Staat wird ärmer) in wesentlichen Teilen von der Fassung abweicht, der Ende September vom Bundesarbeitsministerium vorgelegt und sogleich von dem FDP-Vorsitzenden und Teilen der Union heftig kritisiert wurde (Rösler und der Romneyeffekt).

Es bestehe die Gefahr, dass aus einigen Formulierungen in dem Bericht Argumente für eine stärkere Vermögensbesteuerung gezogen werden könnten, lautet ein Argument der Kritiker. Dabei stieß sich Rösler vor allem an dem Passus in dem Bericht, in dem von einem Prüfauftrag die Rede ist, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“.

In den nun mit allen Ministerien abgestimmten Bericht sind solche inkriminierten Passagen nicht mehr enthalten. Wo in der ersten Fassung noch von einer zunehmenden Armutsspreizung und einer wachsenden Kluft zwischen arm und reich die Rede war, wird jetzt in Loblied auf den Niedriglohnsektor angestimmt, der Deutschland eine stabile Wirtschaft beschere und die Arbeitslosigkeit sinken lasse.


Klingt wie Gerhard Schröder

Doch ist die Aufregung wirklich berechtigt? Bei vielen der Betroffenenverbände ist der Ärger über die Umformulierungen verständlich. Sie hatten seit Jahren dafür gekämpft, dass gesellschaftlich anerkannt wird, dass eine Politik, wie sie in der Agenda 2010 deutlich wird, zu wachsender Armut in der Bevölkerung führt. Wenn diese Version zumindest in Ansätzen im Armutsbericht festgehalten worden wäre, hätte man zweifellos von einem Erfolg für diese Initiativen sprechen können. Doch SPD und Grünen darf man ihre Empörung nicht abnehmen. Das ist eben Wahlkampf. Denn sie haben nicht nur die Agenda 2010 auf den Weg gebracht, sondern genau die gleichen Argumente dafür verwendet, wie sie jetzt in dem Armutsbericht kritisieren.

Daran mögen führende Politiker dieser Parteien im anstehenden Wahlkampf nicht so gerne erinnert werden. Aber gerade ein Kandidat wie Steinbrück kann sich gar nicht so sehr verbiegen, dass er nicht immer als Agenda2010-Politiker identifiziert wird. Und er will es auch gar nicht. Wenn nun die Sozialdemokratie wie am Wochenende auf dem Parteitag kosmetische Veränderungen fordert, dann meldet sich prompt Alt-Kanzler Schröder zu Wort und verteidigt die Agenda-Politik vehement. Schon zum 10. Jubiläum bezeichnete er die maßgeblich zu den sozialen Verwerfungen führende Reform, die in der ersten Fassung des Armutsbericht noch zaghaft benannt wurden, als Gewinn für die Gesellschaft. Dass ein großer Teil der SPD dazu keinen Widerspruch hat, zeigt sich schon daran, dass sie Schröders Wunschkandidaten zum Kanzleraspiranten ernannten. Wenn SPD-Generalsekretärin Nahles nun der Regierung vorwirft, mit der neuen Version des Armutsberichts Realitätsverweigerung zu betreiben, so müsste sie die Kritik auch an große Teile der eigenen Partei zu richten.

Daher kann die Bundesregierung mit dieser Kritik gut leben. Interessanter ist für sie die Frage, wie lange relevante Teile der Bevölkerung einen wachsenden Niedriglohnsektor bei gleichzeitigem Ansteigen von gesellschaftlichem Reichtum akzeptieren. Diese Frage wurde in der ersten Version des Berichts noch gestellt. Die bisher geringe Beteiligung der Bevölkerung in Deutschland an den europäischen Protesttagen gegen die Folgen der Wirtschaftskrise zeigt, dass das Bekenntnis zum Standort Deutschland in großen Teilen der Bevölkerung noch intakt ist

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38093/1.html

Peter Nowak

Pflegehelferin scheitert mit Klage wegen Mobbing

PROZESS Klägerin will vor europäisches Gericht ziehen. Sie hatte Arbeitsbedingungen kritisiert

Eine Pflegehelferin ist mit ihrer Klage gegen den Pflegedienst Mitte wegen Mobbing gescheitert. Angelika-Maria Konietzko hatte in einer Demenz-Wohngemeinschaft des Pflegedienstes gearbeitet, bis es zum Zerwürfnis kam. Über die Gründe gab es vor dem Landesarbeitsgericht unterschiedliche Auffassungen. Der Anwalt des Pflegedienstes, Georg Hartmann, sagte, sie habe den Betriebsablauf gestört. „Ich machte auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die unzumutbaren Bedingungen für die Pflegebedürftigen aufmerksam, wurde gemobbt und bin dadurch krank geworden“, sagte dagegen Konietzko vor Gericht.

Der Anwalt habe sie zudem abends an ihrer Arbeitsstelle aufgesucht und zur Kündigung gedrängt, was sie abgelehnt hatte. Hartmann betonte, das Vorgehen sei mit seinen Mandanten abgestimmt gewesen, Druck habe er nicht ausgeübt. Konietzkos Verteidiger Reinhold Niemerg hingegen übt Kollegenschelte: Ein solches Vorgehen gehöre nicht zum Aufgabenbereich eines Anwalts und sei ihm völlig unverständlich: „Hier geht es um betriebliche Belange und die Rechte von Beschäftigten im Pflegebereich.“

Das Arbeitsgericht wies Konietzkos Klage am Dienstag zurück, sie muss nun die Kosten tragen. Schon jetzt droht der 46-Jährigen Erzwingungshaft – aufgrund der Weigerung, bisher entstandene Verfahrenskosten in Höhe von 1.000 Euro zu begleichen. Angelika-Maria Konietzko will nun weiterklagen und hofft auf die europäischen Gerichte. Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch hatte 2005 Missstände bei Vivantes aufgedeckt. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritt sie im vergangenen Jahr einen Sieg – in Deutschland hatte sie zuvor in allen Instanzen verloren.

Homepage der Solidaritätsgruppe Angelika-Maria Konietzko:
http://konietzko.blogsport.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F11%2F28%2Fa0152&cHash=661006f4e2feab11a38711d30aa70faa

Peter Nowak

Kampf gegen die Wildwestmethoden

Maredo-Beschäftigte wollen sich nicht mit Enschüchterung und schlechter Bezahlung abfinden
Am Samstag protestierten in mehreren Städten Maredo-Beschäftigte gegen die unsoziale Politik der Restaurantkette

„Gegen Niedriglohn und Bespitzelung bei MAREDO!“ lautete die Parole auf dem Transparent, das am Samstagnachmittag in der Berliner Tourismusmeile „Unter den Linken“ bei den Passanten für Aufmerksamkeit sorgte. Auch in anderen Städten gab es am Samstag ähnliche Aktionen vor Maredofilialen. Denn am 26. November jährt sich eine Kündigung, die von Gewerkschaftlern als massiver Angriff auf Rechte von Lohnabhängigen bewertet wird. In den Medien war von „Wildwestmethoden bei Maredo“ die Rede. Betroffen waren die Beschäftigten der Restaurantfiliale in der Freßgass in Frankfurt/Main.
Sie berichteten, am 26. November letzten Jahres hätten Manager der Düsseldorfer Maredo- Firmenzentrale die Beschäftigten durch Einschüchterung gezwungen, ihre Kündigungen zu unterschreiben. Die Abgesandten aus der Zentrale hätten den betroffenen Mitarbeitern in Aussicht gestellt, sonst Strafanzeigen wegen Eigentumsdelikten gegen sie zu erstatten. Über eine Stunde hätten die Beschäftigten das Steakhaus nicht verlassen dürfen. Die Eingänge seien durch Sicherheitskräfte gesichert. Die Benutzung von Mobiltelefonen sei strikt untersagt worden.14 Betroffene haben bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft Strafantrag wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen die Verantwortlichen von Maredo gestellt. Die Ermittlungen laufen noch. Im Juli 2012 hatte die Polizei die Frankfurter Filiale durchsucht und dabei Videoaufnahmen gefunden, die Maredo von seinen Beschäftigten ohne deren Zustimmung gemacht hat. Trotzdem erreichte das Maredo-Management mit diesen Aufnahmen, dass das Arbeitsgericht in der ersten Instanz den Kündigungen stattgab. Die Richter sahen einen Entlassungsgrund gegeben, wenn Mitarbeiter am Arbeitsplatz ausgemusterte Brote gegessen und Wasser getrunken haben. „Maredo besiegt Betriebsräte“, titelte die Frankfurter Rundschau nach dem Urteil.

Die Betroffen wollen mit Unterstützung der Gewerkschaft Nahrung Genussmittel, Gaststätten (NGG) in die nächste Runde gehen. Doch sie verlassen sich nicht nur auf dem Rechtsweg.
Schon kurz nach den spektakulären Entlassungen gründete sich ein Solidaritätskomitee, das sich noch immer wöchentlich trifft und die Betroffenen unterstützt. Wöchentlich werden auch vor der Frankfurter Filiale Flugblätter verteilt, die über den aktuellen Stand des Verfahrens informieren. Bei mehreren Aktionstagen wurden die Aktionen auf die ganze Republik ausgedehnt. Es sei wichtig, dass Angelegenheit nicht einfach aus Öffentlichkeit verschwindet, betonen die Betroffenen. Namentlich zitiert werden, will niemand. In der Vergangenheit seien mit aus dem Zusammenhang gerissenen Interviewzitaten neue Kündigungen begründet worden, betonte ein Betroffener. Ihr Vorbild ist die Berliner Kaiser’s-Kassieren Emmely, die mit der Begründung gekündigt worden war, sie habe einen Flaschenbond im Wert von 1,30 Euro unterschlagen. Einem Solidaritätskomitee gelang eine bundesweite Debatte über den Fall und Emmely wurde nach mehreren Niederlagen in den unteren Instanzen am Ende doch wieder eingestellt werden.
„Gegen Niedriglohn und Bespitzelung bei MAREDO!“ lautete die Parole auf dem Transparent, das am Samstagnachmittag in der Berliner Tourismusmeile „Unter den Linken“ bei den Passanten für Aufmerksamkeit sorgte. Auch in anderen Städten gab es am Samstag ähnliche Aktionen vor Maredofilialen. Denn am 26. November jährt sich eine Kündigung, die von Gewerkschaftlern als massiver Angriff auf Rechte von Lohnabhängigen bewertet wird. In den Medien war von „Wildwestmethoden bei Maredo“ die Rede. Betroffen waren die Beschäftigten der Restaurantfiliale in der Freßgass in Frankfurt/Main.
Sie berichteten, am 26. November letzten Jahres hätten Manager der Düsseldorfer Maredo- Firmenzentrale die Beschäftigten durch Einschüchterung gezwungen, ihre Kündigungen zu unterschreiben. Die Abgesandten aus der Zentrale hätten den betroffenen Mitarbeitern in Aussicht gestellt, sonst Strafanzeigen wegen Eigentumsdelikten gegen sie zu erstatten. Über eine Stunde hätten die Beschäftigten das Steakhaus nicht verlassen dürfen. Die Eingänge seien durch Sicherheitskräfte gesichert. Die Benutzung von Mobiltelefonen sei strikt untersagt worden.14 Betroffene haben bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft Strafantrag wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen die Verantwortlichen von Maredo gestellt. Die Ermittlungen laufen noch. Im Juli 2012 fand in der Maredo-Filiale, eine Hausdurchsuchung statt, bei der Videoaufnahmen gesucht wurden, die von den Beschäftigten ohne deren Zustimmung heimlich gefilmt wurden. Trotzdem erreichte das Maredo-Management mit diesen Aufnahmen, dass das Arbeitsgericht in der ersten Instanz den Kündigungen stattgab. Die Richter sahen einen Entlassungsgrund gegeben, wenn Mitarbeiter am Arbeitsplatz ausgemusterte Brote gegessen und Wasser getrunken haben. „Maredo besiegt Betriebsräte“, titelte die Frankfurter Rundschau nach dem Urteil.

Die Betroffen wollen mit Unterstützung der Gewerkschaft Nahrung Genussmittel, Gaststätten (NGG) in die nächste Runde gehen. Doch sie verlassen sich nicht nur auf dem Rechtsweg.
Schon kurz nach den spektakulären Entlassungen gründete sich ein Solidaritätskomitee, das sich noch immer wöchentlich trifft und die Betroffenen unterstützt. Wöchentlich werden auch vor der Frankfurter Filiale Flugblätter verteilt, die über den aktuellen Stand des Verfahrens informieren. Bei mehreren Aktionstagen wurden die Aktionen auf die ganze Republik ausgedehnt. Es sei wichtig, dass Angelegenheit nicht einfach aus Öffentlichkeit verschwindet, betonen die Betroffenen. Namentlich zitiert werden, will niemand. In der Vergangenheit seien mit aus dem Zusammenhang gerissenen Interviewzitaten neue Kündigungen begründet worden, betonte ein Betroffener. Ihr Vorbild ist die Berliner Kaiser’s-Kassieren Emmely, die mit der Begründung gekündigt worden war, sie habe einen Flaschenbond im Wert von 1,30 Euro unterschlagen. Einem Solidaritätskomitee gelang eine bundesweite Debatte über den Fall und Emmely wurde nach mehreren Niederlagen in den unteren Instanzen am Ende doch wieder eingestellt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/805466.kampf-gegen-die-wildwestmethoden.html

Peter Nowak

Man streikt hier nicht

Während in vielen europäischen Ländern am 14. November gegen die Krisenpolitik gestreikt wurde, gab es in Deutschland nur Kundgebungen mit einer überschaubaren Anzahl von Teilnehmern.

Der 14. November war eine Premiere in der Geschichte des gewerkschaftlichen Protests. An diesem Tag organisierten Gewerkschaften in Spanien und Portugal, aber auch in Italien, Zypern, auf Malta und in Belgien flächendeckende Arbeitsniederlegungen gegen die Folgen der Krisenpolitik. Von einer gesamteuropäischen Koordination konnte aber selbst in den südeuropäischen Ländern keine Rede sein. So hatten die Gewerkschaften in Griechenland nur zu einem einstündigen Protest während der Mittagspause aufgerufen. Die baskischen Gewerkschaften wiederum boykottierten den Ausstand weitgehend, weil sie sich von den spanischen Gewerkschaften nicht die Termine vorgeben lassen wollen.

In Deutschland gab es erwartungsgemäß keine Arbeitsniederlegungen. »Europa streikt und Deutschland schaut zu«, titelte die Taz. Diese Kritik wird selbst in den Vorstandsetagen des Euro­päischen Gewerkschaftsbundes geteilt. Dort wird immer häufiger moniert, dass die DGB-Gewerkschaften, die ebenfalls Mitglied sind, für die Proteste ihrer Kollegen in anderen europäischen Ländern nur schöne Grußworte übrig hätten. Und manchmal nicht einmal das. Vor dem Europäischen Streiktag äußerte sich das Spitzenpersonal der IG-Metall wenig wohlwollend zu den Streikvorhaben an der europäischen Peripherie. So klang der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber bei seinem Auftritt in der Gesprächssendung »Forum Manager« des Fernsehsenders Phoenix am 14. Oktober, als hätte er versehentlich ein Skript des Sprechers der Unternehmerverbände verlesen. Huber erklärte, die spanischen Gewerkschaften verspielten durch zu hohe Lohnabschlüsse ihre wirtschaftlichen Vorteile. Dass es sich dabei nicht etwa um einen Blackout handelte, machte Huber knapp zwei Wochen später in einem Gespräch mit dem Schwäbischen Tagblatt deutlich. Dort bezeichnete er die Streiks in Südeuropa als voluntaristischen Unfug. Diese Auslassungen blieben auch in den eigenen Reihen nicht unwidersprochen. »Der Vorsitzende der IG Metall sorgt sich um die Finanzausstattung der Unternehmen, nicht um die Nöte der Krisenopfer in Spanien, Griechenland oder in Deutschland«, monierte Stephan Krull, langjähriges Betriebsratsmitglied bei VW in Wolfsburg, auf der Internetplattform Labournet. »Wir halten dein Verhalten nicht nur für unsolidarisch, sondern auch für ein Hindernis für die Entwicklung von Gegenwehr in Deutschland angesichts der deutlich nahenden Krise«, heißt es in einem offenen Brief, den zahlreiche Gewerkschafter an Huber adressierten.

In einem Aufruf mit dem Titel »Für ein krisenfestes Deutschland und ein soziales Europa« macht die IG Metall deutlich, wie sie sich die Standortpflege vorstellt. »Die Lokomotive Deutschland stößt ordentlich Rauch aus und ist auf Touren«, heißt es dort. Die IG Metall fordert die Politik dazu auf, mit keynesianischen Maßnahmen, wie der Erhöhung der Vermögenssteuer, für den Wirtschaftsstandort Deutschland Sorge zu tragen. Es greift allerdings zu kurz, diese von der IG Metall hinlänglich bekannte Standortpflege als Klassenverrat der Gewerkschaftsspitze zu deuten, wie es manche linken Kritiker tun, die sich im Wesentlichen nur einen Austausch der Führung wünschen. Denn Teile der Facharbeiterschaft in der metallverarbeitenden Industrie sehen durch den Korporatismus der IG Metall durchaus ihre Interessen vertreten. Sie sorgen auch für die verbandsinternen Mehrheiten der Vertreter dieser Position.

Mit ihrer Standortpolitik gerät die IG Metall immer mehr in die Kritik von Gewerkschaftern aus der EU, die das deutsche Wirtschaftsmodell häufig als »Dampfwalze« wahrnehmen und für den Abbau von sozialen Standards und Gewerkschaftsrechten verantwortlich machen. Obwohl bei dieser Kritik die Verantwortung der eigenen Politiker für die Krisenpolitik manchmal zu kurz kommt, wird doch die Dominanz Deutschlands im europäischen Machtgefüge richtig erkannt. Noch nie standen bei Protesten gegen die Krisenpolitik Vertreter der deutschen Politik derart im Zentrum der Aufmerksamkeit, wie es am 14. November der Fall war. In Thessaloniki wurde der deutsche Generalkonsul mit Eiern beworfen, in Portugal hatten vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 12. November Tausende in einem offenen Brief erklärt: »Wir haben Sie nicht gewählt, erkennen keine Kanzler/in Europas an«. Ausdrücklich solidarisierten sich die Unterzeichner mit den Menschen, die überall in Europa gegen die Sparpolitik auf die Straße gehen.

Dass eine solche Stimmung nicht nur in der europäischen Peripherie zunimmt, zeigte sich auch am 7. November. An diesem Tag protestierten etwa 150 Beschäftigte des von Schließung bedrohten Ford-Werkes im belgischen Genk vor der Werkszentrale in Köln (siehe auch Seite 16). Anders als die meisten deutschen IG-Metaller warteten sie nicht auf eine Einladung des Managements, um das Verwaltungsgebäude zu betreten. Ein Polizeiansatz mit zahlreichen Personalienfeststellungen sowie eine Besetzung der Ford-Zentrale waren die Folge. Ein Sprecher der belgischen Gewerkschafter bezeichnete sie als »Weckruf an die Kollegen in Deutschland«. Die belgischen Ford-Arbeiter wollten deutlich machen, dass nur ein koordinierter, länderübergreifender Widerstand die geplante Schließung abwenden könne. Die Verunsicherung durch die drohende Schließung des Ford-Werks hat dazu beigetragen, dass sich auch in Belgien zahlreiche Beschäftigte der Automobilindustrie, aber auch der Eisenbahn am 14. November am Streik beteiligten. Die Kritik an der Passivität der deutschen Gewerkschaften wurde von belgischen Kollegen bereits vor zwei Jahren sehr originell ausgedrückt. Mit dem Slogan »Helft Heinrich« warben Mitglieder der belgischen Gewerkschaft CSC auf einer Großdemonstration für eine stärkere Unterstützung der deutschen Kollegen, die sich gegen das Kürzungsprogramm entweder nicht wehren wollten oder nicht dazu in der Lage seien.

Dabei sei Deutschland ein Vorreiter auf dem Niedriglohnsektor, der mittlerweile zum europäischen Exportschlager geworden sei, monierten die belgischen Gewerkschafter sehr zum Missfallen vieler deutscher Gewerkschaftsfunktionäre, die dieses Unterstützungsangebot eher als Provokation ansahen.

Dass es unter den DGB-Gewerkschaften auch Vertreter gibt, die sich von der Standortlogik der IG Metall abheben, zeigten die vielen Aufrufe und Erklärungen unmittelbar vor dem 14. November. Allerdings war die geringe Beteiligung an den Kundgebungen ein Beleg dafür, dass nur wenige Gewerkschaftsmitglieder bereit sind, ihre Solidarität mit den europäischen Streiks auch praktisch auszudrücken. Knapp 1 000 Menschen beteiligten sich in Berlin an den Protesten. Dazu hatte schließlich auch der DGB Berlin-Brandenburg in letzter Minute aufgerufen. Initiiert aber hatte sie vor allem ein politisches Bündnis, das sich »Neue antikapitalistische Organisation« (NAO) nennt und den Anspruch erhebt, Gruppen und Einzelpersonen mit trotzkistischem, autonomem und feministischem Hintergrund zusammenzubringen. Unabhängig von dem Bündnis hatte nach monatelangem Schweigen auch das Berliner »M31«-Bündnis mit dem Slogan »Unsere Solidarität gilt nicht dem Standort« zur Solidaritätsaktion aufgerufen. Es hatte den europaweiten, antikapitalistischen Aktionstag am 31. März mit vorbereitet und auchfür die »Blockupy«-Aktionstage im Mai in Frankfurt geworben. Danach war allerdings von »M31« wenig zu hören. Dabei könnte ein solches Bündnis in einer Zeit an Bedeutung gewinnen, in der die europäischen Gewerkschaften »vaterländisch gespalten« sind, wie es der Politologe Arno Klönne im Online-Magazin Telepolis auf den Punkt brachte, und zugleich im EU-Raum nicht nur die Kritik an der Politik der deutschen Regierung, sondern auch an den DGB-Gewerkschaften zunimmt. Im Zuge des Aktionstags hatten sich auch zahlreiche Basisgewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit eigenen Aufrufen zu Wort gemeldet.

http://jungle-world.com/artikel/2012/47/46635.html
Peter Nowak