„Wir werden nicht vergessen und vergeben“

Die Rede des palästinensischen Präsidenten vor der UN zeigt die Hoffnungslosigkeit für einen Friedensprozess

Reden von palästinensischen Führungspersonen vor der UN-Vollversammlung sorgen seit langem für weltweite Aufmerksamkeit. So inszenierte sich Jassir Arafat 1974 [1]vor der UN als Freiheitskämpfer und brachte sogar eine Waffe mit in den Plenarsaal. Für einen großen Teil der antiimperialistischen Gruppierungen jener Zeit waren Arafat und die PLO nach dieser Rede zu Sympathieträgern geworden. Für Israel und seine Unterstützer war sie ein weiterer Beleg, dass mit diesen Gruppen und ihrem Personal kein Frieden möglich ist.

40 Jahre später sorgt wieder die Rede einer palästinensischen Führungsperson vor der UN-Vollversammlung für Aufregung. Mahmud Abbas, dessen Amtszeit als palästinensischer Präsident eigentlich schon längst abgelaufen ist und der intern durch den Konflikt mit der Hamas geschwächt ist, ging explizit auf Arafats UN-Auftritt ein und richtete scharfe Vorwürfe gegen Israel.

Die israelische Armee habe im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen begangen, erklärte Abbas.“Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht vergeben“, rief Abbas. Er kündigte an, die Verantwortlichen wegen Kriegsverbrechen verfolgen zu lassen. Propagandistisch war seine Erklärung, dass die Stunde der Unabhängigkeit für Palästina begonnen habe. Allerdings blieb es bei diesen Bekenntnissen. Konkrete Schritte oder Termine unterblieben – und das hatte seinen Grund. Abbas hat gar keine Möglichkeiten, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Weltpolitische Ereignisse isolierten Palästina

Im Unterschied zu 1974, als Arafat von einen großen Teil der UN-Vertreter hofiert wurde, hat die Veränderung der weltpolitischen Lage die Unterstützung für die palästinensische Sache schrumpfen lassen. Schon mit dem Ende des nominalsozialistischen Lagers brachen viele Unterstützer weg. Dann sorgte der zweite Golfkrieg dafür, dass auch im arabischen Lager die Gegner der PLO stärker wurden, weil Arafat damals auf Saddam Hussein setzte. Mit den Umbrüchen in den arabischen Ländern, die als Arabischer Frühling bekannt wurden, verstärkten sich die innerarabischen Differenzen.

So führte der Aufstand in Syrien, der sich in zu einem Bürgerkriegentwickelte, in dem die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien um die Hegemonie kämpften, dazu, dass ehemalige Unterstützer bestimmter palästinensischen Fraktionen zu Gegnern wurden.Besonders die Hamas bekam das zu spüren, weil sie sich den islamistischen Gegnern gegen das Baath-Regime annäherte. Der Aufstieg des IS überlagert nun zeitweise den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, aber er ist nur zeitweise stillgelegt. Die palästinensische Sache gerät damit nur noch mehr in den Hintergrund.

Wenig Kooperationspartner in Israel

Auch die innenpolitische Entwicklung in Israel wirkt sich zuungunsten Palästinas aus. Während noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auch linkszionistische Kreise auf einen Frieden mit Palästina hinarbeiteten, eine Zwei-Staaten-Lösung anvisierten und dafür Gesprächspartner im
palästinensischen Lager suchten, sind solche Positionen in der israelischen Gesellschaft weitgehend marginalisiert. Dazu trugen demografische Veränderungen bei, die noch dem Arbeiterzionismus nahestehende Einwanderer aus Europa gegenüber Zuwanderern aus Osteuropa, besonders aus Russland, in die Minderheit geraten ließen. Diese sehen die Priorität in einer Politik der Stärke und einen möglichen Friedensvertrag mit den Palästinensern nicht als vordringlich an.

Der gegenwärtige israelische Außenminister Avidgor Liebermann ist ein Protagonist dieser Strömungen, die damit argumentieren, dass es auf palästinensischer Seite keine Partner für ein Friedensabkommen gäbe. Sie sehen sich durch die Rede von Abbas vor der UN-Versammlung bestätigt. Liebermann warf Abbas vor, „falsche Anschuldigungen“ in seiner Rede vorgebracht zu haben und sprach sogar von „diplomatischen Terrorismus“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu klassifizierte die Abbas-Rede ähnlich.

Auch US-Politiker schlossen sich dem Urteil an. Die Sprecherin des US-Außenministeriums monierte, die Rede von Abbas habe „provozierende Äußerungen“ enthalten, sei kontraproduktiv und untergrabe die „Anstrengungen zur Schaffung einer positiven Atmosphäre“. Doch diese
Klassifizierungen sind ebenso propagandistisch und berechnend wie auf anderer Ebene die Abbas-Rede. Mit der Kritik an der Abbas-Rede versucht die Obama-Administration, die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihr und der israelischen Regierung in den letzten Monaten aufgetan hat. Lange waren die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht so schlecht wie aktuell. Mit der gemeinsamen Kritik an der Abbas-Rede werden die Gegensätze nur scheinbar überbrückt.

Tatsächlich richtete sich die Abbas-Rede an die palästinensische Bevölkerung, was schon der Bezug auf den Arafat-Auftritt 1974 zeigt, der in palästinensischen Kreisen mystifiziert wird. Abbas will sich gegenüber der islamistischen Hamas und anderen Gruppierungen als starker Vertreter der palästinensischen Sache profilieren. Wenn er schon keine ökonomische und politische Macht hat, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen, muss die Beschwörung einer gemeinsamen nationalen Zukunft diese Leerstelle füllen. So funktionieren alle Projektionen auf Nationen und insofern ist Abbas da nicht besonders originell.

Vertrauen zwischen Israel konnte er mit seiner Rede schon deshalb nicht zerstören, weil es das seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses nicht mehr gibt. Wer dafür dieVerantwortung trägt, ist seitdem ein großer Streitpunkt, nicht nur zwischen Israel und Palästina, sondern auch zwischen israelsolidarischen und propalästinensischen Gruppierungen in aller Welt, besonders auch in Deutschland.

Symptom der Sprachlosigkeit

Die Marginalisierung des israelischen Friedenslagers hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass zwischen Israel und Palästina völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Ergebnisse des Osloer Prozesses bestanden. Auch viele israelische Friedensaktivisten wussten keine Antwort mehr auf die Frage, wie es noch zu einem Übereinkommen kommen könne. Als dann der islamistische Terror immer massiver wurde, mit dem die israelische Zivilgesellschaft bereits in den 90er Jahren konfrontiert war, wurde das Friedenslager noch weiter dezimiert.

Die Abbas-Rede und die Reaktionen aus Israel sind denn auch eher die Beschreibung eines Zustands der Sprachlosigkeit zwischen beiden Lagern. Viele Israelis sehen das Projekt eines Friedensvertrags zumindest für die nächste Generation als nicht auf der Tagesordnung stehend. Das sehen auch viele Palästinenser ähnlich, was den Zulauf zu den verschiedenen islamistischen Gruppierungen erklärt, die die Zukunft in einen imaginären Jenseits versprechen. Insofern markieren die Rede von Abbas und die Reaktionen aus den Israel den Status Quo.

Wie es zu einem Friedensprozess kommen könnte, der vielleicht nicht zu zwei Staaten führt, aber zu einem Gemeinwesen, in dem alle Menschen mit gleichen Rechten leben können, ist eine Frage an die Zukunft.Sicher aber ist wohl, dass die Protagonisten nicht die Politiker beider Lager sein werden, sondern die Initiativen und Gruppierungen, die bereitsheute über die nationalen und ethischen Grenzen hinweg eine Kooperation leben und praktizieren.

http://www.heise.de/tp/news/Wir-werden-nicht-vergessen-und-vergeben-2404836.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.wrmea.org/1994-november-december/plo-chairman-yasser-arafat-s-first-appearance-at-the-united-nations.html

Geschmäht und geehrt

Stiftung gibt Preisträger für Planet Awards bekannt

Ethecon verleiht den Schmähpreis Black Planet Award in diesem Jahr an den US-Chemieriesen Dow Chemical; der Blue Planet Award geht an den slowenischen Autor und Friedensaktivisten Tomo Kriznar.

Seit 2006 vergibt die Stiftung Ethik & Ökonomie (ethecon) jedes Jahr zwei Preise, die bei den Geehrten allerdings nicht gleichermaßen für Freude sorgen dürften. Der sogenannte Blue Planet Award geht dabei an Personen, die sich besonders dem Kampf für eine solidarische Gesellschaft widmen. Mit dem Schmähpreis Black Planet Award hingegen werden Institutionen und Konzerne »für zahllose von ihnen zu verantwortende Missstände und Verbrechen im Namen der Profite« angeprangert, wie die Ethecon-Pressesprecherin Linda Spieckermann erklärte.

Der diesjährige Schmähpreisträger ist nach dieser Definition ein besonders geeigneter Kandidat: Der US-Chemieriese Dow Chemical ist für einen der größten Chemieunfälle weltweit verantwortlich. In einem Werk des Konzerns im indischen Bhopal traten am 3. Dezember 1984 mehrere Tonnen hochgiftiger Chemikalien aus. Luft, Boden und Flüsse in der Umgebung wurden verseucht. Auch nach 30 Jahren ist die Zahl der Opfer nicht exakt ermittelt, nach Schätzungen starben bis zu 300 000 Menschen an den Folgen des ausströmenden Gases. Über 800 000 Menschen überlebten nach Angaben der indischen Regierung mit schweren Gesundheitsschäden.

Dow Chemical weigert sich bis heute, die Giftbestände auf dem Areal auf eigene Kosten zu beseitigen. Das Werk war gerade wegen der niedrigen Umweltstandards nach Indien verlegt worden. Auch viele der Opfer und ihre Angehörigen wurden bis heute nicht entschädigt. Ethecon verleiht deshalb den Black Planet Award an den Dow-Chemical-Vorstandsvorsitzenden Andrew Liveris, Vorstandsmitglied James Ringler sowie mehrere Großaktionäre.

Weniger bekannt dürfte dagegen der Anwärter für die Ethecon-Ehrung sein: Sie geht in diesem Jahr an den slowenischen Friedensaktivisten und Schriftsteller Tomo Kriznar. Er ist 1956 in Jesenice geboren, reiste bereits in den 1980er Jahren in den Sudan, hielt sich länger in den Nuba-Bergen auf und besuchte die dort lebenden ethnischen Gruppen. Nach seiner zweiten Reise veröffentlichte er Bücher und Filme, in denen er auch die Menschenrechtsverletzungen an der Nuba-Bevölkerung anprangerte.

Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde Kriznar, als er 2006 als Sondergesandter des slowenischen Präsidenten in die sudanesische Darfur-Region reiste und dort verhaftet wurde. Nach einer internationalen Solidaritätskampagne kam Kriznar nach wenigen Wochen frei, musste aber sein Film- und Fotomaterial, auf dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen der sudanesischen Regierung dokumentiert waren, zurücklassen. »Wir wollen mit der Ehrung dem in Deutschland noch weitgehend unbekannten Menschenrechtler ein Forum geben«, begründet Spieckermann die Preisentscheidung. Tatsächlich sind seine Filme bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Das kann sich bis zur Preisverleihung noch ändern. Sie wird ausnahmsweise erst im Frühjahr des kommenden Jahres in Berlin stattfinden. Dann will Kriznar den Preis persönlich in Empfang nehmen. In den vergangenen Jahren wurden die Ethecon-Preise, die es seit 2006 gibt, jährlich Mitte November verliehen. Weil Kriznar zu dieser Zeit noch an einem anderen Projekt arbeitet, wurde die Verleihung verschoben.

Peter Nowak

Gehören Kriege zur Natur der Menschen?

Deutsche Tabubrüche am 1. September

Der Antikriegstag im Zeichen der Militarisierung: deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet und Gaucks Kampfansage an die Putin-Regierung

Wenn es in größeren Teilen der Gesellschaft noch historisches Bewusstsein gäbe, hätte es eine große Debatte darüber geben müssen, dass ausgerechnet am 1. September im Bundestag über deutsche Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt geredet wurde. Schließlich ist der Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen, also der Beginn des 2. Weltkriegs, in gewerkschaftlichen Kreisen als Antikriegstag bekannt.

Doch nur Teile der Linkspartei monierten gestern, dass an einem solchen historischen Datum wieder einmal über einen Tabubruch in der Militärpolitik beratschlagt wurde. Denn bisher waren deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete offiziell tabu, was nicht heißt, dass in der Praxis nicht längst Waffen in Krisengebiete geschickt wurden. Nur sollte jetzt der Aufstieg der islamistischen IS dafür genutzt werden, um nun auch ganz offiziell deutsche Waffenlieferungen auch in Krisengebieten erleichtern und erstmals auch nichtstaatliche Akteure einzubeziehen.

Selbst innerhalb der Regierungskoalition ist dieses Vorgehen umstritten. So hat der SPD-Vize Ralf Stegner Zweifel angemeldet, ob Frieden schaffen mit immer mehr Waffen die richtige Parole sein kann.

Noch einmal: Ich weiß um die deutsche Freiheit als Produkt des militärischen Sieges der Alliierten gegen das völkermordende Nazi-Deutschland und ich bin kein Radikalpazifist sondern dafür, dass die Völkergemeinschaft im Notfall eingreift und die „Freedom tot Protest“ realisiert. Aber nein, dieses um sich greifende leichtfertige Enttabuisieren der militärischen Logik, dieser Neointerventionismus, dieses deutsche „Think big“ (von der Leyen), diese Häme und der angeblich so realpolitische Zynismus gegenüber Beiträgen von Kaßmann und Augstein (Egon Bahr und Helmut Schmidt sind übrigens auch keine Radikalpazifisten- nur mal so bemerkt).

Zu entscheiden gab es für das Parlament nichts

Stegner ist allerdings kein Bundestagsabgeordneter und konnte deshalb am 1. September auch nicht über die Waffenlieferungen im Bundestag debattieren. Am Ende gab es denn auf Druck der SPD sogar eine Abstimmung, bei der eine große Mehrheit aus SPD und CDU/CSU die Regierungspolitik unterstützten. Die Bundesregierung hatte schon am Vortag entschieden, dass die kurdische Armee im Nordirak unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition für ihren Kampf gegen die IS bekommen.

Das Parlament hatte gar nicht mitzubestimmen, was die CDU/CSU von Anfang klarmachte. Es ist schon seltsam, dass einerseits so viel von einer parlamentarischen Demokratie geredet wird und dann eine gewiss nicht unwichtige Frage, wie die Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt derart abgehandelt wird.

In den USA und anderen Ländern haben Parlamentarier unabhängig von der politischen Couleur für das Recht gekämpft, über solche Fragen zu entscheiden. In Deutschland hört man davon wenig. Dort sind die Fronten ganz klar. Die Mehrheit der Abgeordneten von SPD und Union sehen sich als Verteidiger der Regierungspolitik und nicht für die Stärkung des Parlaments.

Auch die Debatte selbst bot keine großen Überraschungen. Die Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU verteidigten auch hier die Regierungspolitik und die Opposition betätigte sich als Kritiker. Dabei waren im Vorfeld der Debatte die Fronten längst nicht so klar. Bei den Grünen gab es in der Frage für oder gegen Waffenlieferungen sogar an der Spitze unterschiedliche Äußerungen. Selbst bei der Linkspartei war Gregor Gysi mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden aufgetreten [1], war dafür innerparteilich stark kritisiert wurden und hat die Forderung dann wieder zurückgezogen.

Kampf gegen Putin gefordert

Doch nicht nur im Bundestag gab es am 1.September 2014 Tabubrüche. Auch Bundespräsident Gauck meldete sich in Polen mit einer Rede [2] zum Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs zu Wort, die als Kampfansage an die Putin-Regierung verstanden wird.

„Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“, hieß es da. Noch betonen in Deutschland alle relevanten Gruppen, dass es im Ukrainekonflikt gegenüber Russland keine militärischen Optionen gibt. Aber wer in den späten 1990er Jahren beim Jugoslawienkonflikt die Kurzlebigkeit solcher Aussagen erleben konnte, weiß, dass es auch hier noch zu Tabubrüchen kommen kann.

http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Tabubrueche-am-1-September-2307047.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taz.de/!143996/

[2]http://www.bundespraesi

Waffen für die Kurden

Nationale Userfront

Es deutschtümelt sehr in der NSA-Debatte. Von Peter Nowak

Nachdem sich die letzten NSDAP-Mitglieder in Deutschland aus Altersgründen aus der aktiven Politik zurückgezogen hatten, schwadronierten ihre politischen Erben am rechten Rand von der Besetzungsmacht USA. In den Bundestagsparteien vermied man zumindest öffentlich solche Töne. Doch längst zerbröselt der zivilisatorische Tarnanstrich, und auch Politiker der Regierungsparteien schwätzen nun angesichts der NSA-Affäre wieder so, wie es in der »Nationalzeitung« und ähnlichen Blättern schon immer gedruckt war.

»Die Amerikaner halten sich ganz offenkundig nicht daran, daß man Verbündete nicht ausspäht. Sie führen sich in Deutschland auf wie eine digitale Besatzungsmacht«, lamentierte etwa der langjährige CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl und wurde dafür als Tabubrecher gefeiert. Schließlich hat er bewiesen, daß man nun auch wieder den USA und nicht nur den Russen deutlich machen kann, daß man ihnen den Sieg im Zweiten Weltkrieg mißgönnt. Widerspruch war in

Deutschland nicht zu hören. Woher auch? Man kennt eben in der NSA-Debatte hierzulande keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, die über fehlende Souveränität sowie Duckmäusertum und Hasenfüßigkeit klagen. Das war denn auch der Stoff mehrerer Parlamentsreden von Gregor Gysi und seinen Parteifreunden. »Wir haben heute nicht mehr 1945, sondern 2014«, rief er in den Parlamentssaal, was durchaus wie eine Drohung klang. Als konkrete Maßnahme schlug er vor, Mitarbeiter der Botschaften der USA und Großbritanniens zu unerwünschten Personen zu erklären. Erst wenige Wochen später ließ die Bundesregierung einen US-Geheimdienstmitarbeiter ausweisen. Doch damit sind führende Politiker der Linken noch nicht zufrieden; sie verlangen mehr Engagement im deutschen Souveränitätskampf.

Dazu werden häufig jene Kapitel aus dem von Josef Forschepoth herausgegebenen Buch Überwachtes Deutschland herangezogen, in denen es um die Rechte alliierter Geheimdienste geht. Die Kapitel, in denen der Historiker beschreibt, wie BRD-Dienste jahrelang Zigtausende Postsendungen aus der DDR öffneten, überwachten und teilweise sogar vernichteten, bleiben unbeachtet. Damit läßt sich schließlich keine Stimmung gegen die USA machen.

In der kurzen Zeit der Münchner Räterepublik veröffentlichte ihr Ministerpräsident Kurt Eisner 1919 Geheimdokumente der gestürzten bayerischen Monarchie. Einige Monate zuvor hatten schon die Bolschewiki viele Geheimabkommen des Zarismus bekanntgemacht und damit auch deren Verbündete kompromittiert. Es gab also schon mal Linke, denen die Geheimnisse der herrschenden Klassen, ihrer Dienste und Kabinette herzlich egal waren. Da es die einstweilen in Deutschland nicht gibt, muß man der NSA fast dankbar sein, daß sie die hiesige Politik so kritisch beäugt.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-92014/articles/nationale-userfront.html

– Peter Nowak –

»Waffen sind nicht zurückholbar«

Paul Russmann über die Gefahren von Lieferungen

Sehen Sie die aktuelle Diskussion um Waffenlieferungen nach Irak als Niederlage Ihrer jahrelangen Arbeit gegen die Verbreitung von Waffen?

Es geht hier nicht um Sieg oder Niederlage. Ich sehe hier vor allem die Verantwortungslosigkeit einer Bundesregierung, die seit Jahren Waffen in Krisen- und Spannungsgebiete sowie in Staaten liefert, die Menschenrechte verletzen. Auch an Länder, die den IS unterstützen, werden Waffen aus Deutschland geliefert. Damit verstößt sie gegen ihre eigenen 2000 formulierten politischen Grundsätze zum Waffenexport.

Die Bundesregierung setzt nur ihre alte Politik fort?

Eine neue Qualität besteht darin, dass nun erstmals Waffen nicht an Staaten, sondern mit den kurdischen Peschmerga an nichtstaatliche Akteure geliefert werden sollen. Damit ist die Bundesrepublik Kriegspartei in diesem Konflikt.

Nun argumentieren viele, die Lieferungen seien nötig, um das Leben von Tausenden zu retten. Müssen da nicht Bedenken zurückstehen?

Diese Argumentation ist ja nicht neu. Schon während des Jugoslawienkonflikts wurde der Einsatz der Bundeswehr mit der Rettung von mit Vertreibung bedrohten Volksgruppen begründet. Mit der gleichen »Berechtigung« könnte die Lieferung von Waffen nach Sudan oder Syrien oder in andere Konfliktgebiete gefordert werden, in denen Menschen bedroht sind.

Welche Gefahren sehen Sie durch Waffenlieferungen?

Es zeigt sich, dass Waffen, die einmal geliefert wurden, nicht mehr zurückholbar sind. Die Perschmerga kämpfen für einen eigenen Staat, was zu Konflikten mit der irakischen Zentralregierung oder Nachbarländern wie die Türkei führt, dann auch mit Waffen aus Deutschland.

Welche Schritte schlagen Sie vor?

Die Kampagne »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« hat eine Pressemitteilung verfasst, in der sie neben Kritikpunkten auch elf Sofortmaßnahmen für die notleidenden Menschen auflistet. Dabei geht es um unmittelbare humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen durch den Abwurf von Medikamenten, Decken und Nahrungsmitteln. Auch sollen die Betroffenen, die das wünschen, in Länder ihrer Wahl ausgeflogen werden. Zudem soll der Druck auf Länder wie Saudi-Arabien und Katar verstärkt werden, die Unterstützung für den IS aufzugeben.

www.ohne-ruestung-leben.de

https://www.neues-deutschland.de/artikel/943418.waffen-sind-nicht-zurueckholbar.html

Interview: Peter Nowak

Entzivilisierung in Zeiten von Ebola

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Tour de France mit Renault

Das Renault-Werk in Boulogne-Billancourt war einst die Hochburg der Arbeiterbewegung in Frankreich. Heute erinnert man sich dort wehmütig der alten Zeiten.

»Hier war schon morgens vor Schichtbeginn die Hölle los«, sagt Emmanuelle Dupuy. Sie steht auf dem Vorplatz der Fabrik in Boulogne-Billancourt in unmittelbarer Nähe von Paris. Heutzutage kann man aufgrund der dichten Verkehrsverbindungen zur französischen Hauptstadt so dicht, dass man gar nicht mehr erkennen, dass es sich um einen eigenen Ort handelt. Auf den ersten Blick wirkt der Ort mit seinen umweltgerecht gebauten Bungalows, für die viel Glas und Holz verwendet wurde, wie einer jener Orte der Medien- und Kommunikationsindustrie, die in den vergangenen Jahrzehnten am Rande vieler Großstädte der Welt aus dem Boden geschossen sind.

Doch Billancourt war einst das Herz des fordistischen Frankreich. Hier hatte das Renault-Stammwerk seinen Sitz. Vor Schichtbeginn versammelten sich hier jeden Morgen Tausende Beschäftige auf dem Platz. Dupuy war eine von ihnen: »Hier waren überall kleine Cafés, wo wir uns morgens um sechs Uhr erst einmal einen café calva, einen Kaffee mit viel Rum, genehmigten, bevor wir durch das Tor schritten, hinter dem das Fabriksystem mit Fließband und Stechuhr regierte«, erinnert sie sich. »Das war eher Rum mit Kaffee«, berichtigt Robert Kosmann seine frühere Kollegin lachend. Die beiden ehemaligen Renault-Beschäftigten sind längst pensioniert. Heute sind sie nach Billancourt gekommen, weil sie einer Gruppe von Basisgewerkschaftern aus Deutschland etwas von der Zeit vermitteln wollen, als hier noch der Renault vom Band lief.

»Tour de France« nennt sich diese alljährliche einwöchige Erkundungsfahrt ins Paris der sozialen Revolten und Arbeitskämpfe. »Unsere Besuche begannen in den neunziger Jahren«, sagt der Basisgewerkschafter Willi Hajek, der die sozialen Bewegungen Frankreichs gut kennt. 1995 begeisterte der große Streik der Eisenbahner in Frankreich auch in Deutschland viele Gewerkschafter. Schließlich warteten die französischen Kollegen nicht, bis ihnen ein Gewerkschaftsvorstand das Signal zum Kampf gab. Sie gründeten Streikkomitees und entschieden dort gemeinsam über den Ablauf und die Dauer ihres Arbeitskampfes. Damals fragten sich auch manche Gewerkschafter hierzulande, wann sie auch in Deutschland endlich französisch reden lernen, erst einmal mit den eigenen Gewerkschaftsvorständen, die selbstorganisierte Kämpfe behindern, und dann mit den Bossen, wenn es um den Kampf um höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzung geht. »Kämpfen wie in Frankreich«, lautete damals eine häufige Parole.

Ohne Zeitzeugen wie Emmanuelle Dupuy und Robert Kosmann wäre von der langen Geschichte von Renault nur das legendäre Tor zu sehen, durch das alle Arbeiter schreiten mussten. Neben einer Werbetafel, auf der die modernsten Lofts und Workspaces für die Arbeit im Internetzeitalter beworben werden, wirkt es wie ein Museumsstück aus einer längst vergangenen Epoche. Und doch bestimmte es jahrzehntelang für Dupuy, Kosmann und viele Tausende Menschen den Alltag. Hinter dem Tor begann für sie nicht nur die Welt der Fließbänder und Stechuhren, die den Takt der Arbeit bestimmten. Für sie war die Fabrik auch verbunden mit aktiven Betriebszellen der Gewerkschaft, die mit roten Fahnen durch das Tor marschierten, wenn sie wieder einmal einen Arbeitskampf beschlossen hatten. Das kam bei Renault sehr häufig vor. Schließlich trug das Werk lange Zeit den Beinamen »rote Festung«. Für die einen war es ein Kompliment, für die anderen eine Drohung.

Auf vielen Fotos sieht man die Arbeiterkollektive, die sich auf dem Vorplatz versammelt hatten. Oft begann der Ausstand mit einer lauten Demonstration über das Fabrikgelände. Kampfparolen wurden gerufen und die noch unentschlossenen Kollegen aufgefordert, sich dem Streik anzuschließen. Am Ende einer solchen Demonstration gab es nur wenige, die sich dem Arbeitskampf verweigerten. Schließlich spielten in der Fabrik nicht nur zu Streikzeiten politische und gewerkschaftliche Themen eine wichtige Rolle.

Lange Zeit war das Renault-Werk eine Hochburg der CGT, der der Kommunistischen Partei Frankreichs nahestehenden Gewerkschaft. Zahlreiche Arbeiter engagierten sich in den Betriebszellen von CGT und FCP. Das war die Welt der kommunistischen Gewerkschafter, deren Tod der Filmemacher Chris Marker in seinem berühmten Film »Rot liegt in der Luft« eine Sequenz gewidmet hat. Für diese Generation aktiver Arbeiter war das Engagement in der Gewerkschaft und in Parteibetriebszellen ein wichtiger Teil ihres Lebens. Die Fabrik wurde als Gesellschaft im Miniaturformat verstanden.

In den siebziger Jahren, als der Film von Chris Marker die linke Öffentlichkeit beschäftigte, war dieser Arbeitertypus auch bei Renault bereits in die Minderheit geraten. Die durch den gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 sozialisierte Arbeitergeneration war nicht mehr davon überzeugt, dass sich im Betrieb die Gesellschaft im Kleinen abbildet, und sie stellte sich auch die Frage, ob sie in einer Gesellschaft leben will, die wie eine Fabrik organisiert ist. Sie hinterfragte das linke Arbeitsethos und die Hierarchien in den Gewerkschaften. Für diese Menschen war der Feminismus kein Nebenwiderspruch mehr und Ökologie kein Mittelstandsproblem. Sie organisierten sich in linken Gruppen wie der Gauche Prolétarienne, der proletarischen Linken, die nach dem Mai 1968 auch bei Renault Anhänger fand. Schnell geriet diese junge Betriebslinke mit der CGT in Konflikt, die ihre Hegemonie im Werk von links bedroht sah.

Im Film »Reprise« von Hervé Le Roux steht eine junge Arbeiterin im Mittelpunkt, die sich am Ende eines Streiks weigert, die Arbeit wiederaufzunehmen und sich wieder dem Takt der Stechuhr zu unterwerfen. Auf der einen Seite stehen Mitglieder der CGT, die sie zum Betreten der Fabrik bewegen wollen, auf der anderen Seite bestärken Mitglieder verschiedener linker Oppositionsgruppen die Frau in ihren Entschluss, nicht zur Arbeit zurückzukehren. Diese Auseinandersetzung spielte sich vor den Toren der Fabrik Wonder in Saint-Ouen ab. Aber sie steht für ein Muster, das sich in den siebziger Jahren vor vielen Fabrikstandorten wiederholte, auch vor dem Eingang von Renault.

Die beiden Kollegen können sich an viele solcher Situationen erinnern. »Hier standen die CGT-Redner, die die Arbeiter aufforderten, sich nicht von ultralinken Provokateuren beeinflussen zu lassen«, erinnert sich Dupuy an Auseinandersetzung über das Ende eines Arbeitskampfes bei Renault und zeigt auf den großen Platz. »Auf der anderen Seite standen die Redner von verschiedenen linken Gruppen, die an die Kollegen appellierten, sich nicht von den Reformisten der CGT in die Irre führen zu lassen und den Kampf mit einem eigenen Komitee fortzusetzen.« Die Auseinandersetzung wurde per Megaphon und mit großer Lautstärke ausgetragen. Einige Übereifrige auf beiden Seiten sparten dabei auch nicht mit Schimpfwörtern und Verbalinjurien in die Richtung der jeweils anderen Seite.

Gelegentlich blieb es nicht dabei. Der Ordnerdienst der CGT war dafür bekannt, dass er Kritiker der Vorstandslinie auch mit Gewalt von Aktionen abhielt. Aber auch die linken Konkurrenten, oft maoistischer Provenienz, gingen körperlichen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg, wenn es gegen die verhassten »Sozialimperialisten« ging. Ein Großteil der Arbeiter stand zwischen den verfeindeten Fronten und sah sich das Schauspiel kommentarlos an, erinnern sich die beiden Gewerkschafter. Solche Episoden scheinen heute ebenso aus einer anderen Epoche zu stammen wie das Renault-Tor. Dupuy und Kosmann müssen darüber lachen, wenn sie verwundert feststellen, wie überzeugt doch alle Beteiligten waren, die Gesellschaft auf ihrer Seite zu haben.

Heute ist die rote Arbeiterfestung Renault geschleift. Die Betriebsgebäude sind längst abgerissen. Neben dem Tor sind als steinerne Zeugnisse noch einige Verwaltungsgebäude sowie Büsten der Firmengründer in Billancourt zu finden. Das Renault-Museum, das Zeugnisse der Firma von der Gründung 1898 bis zur Gegenwart dokumentiert, hat sein Domizil in einem modernen gläsernen Gebäude, das perfekt zum neuen Billancourt als Standort der Medien- und Kommunikationsbranche passt. Die Tafeln geben einen ausführlichen Einblick in die technische, aber auch die soziale und gesellschaftliche Entwicklung dieses Automobilkonzerns. Natürlich wird die Firmengeschichte zur Eloge auf den Firmengründer und seiner Familie.

Der Weihnachtsabend 1898 war für Louis Renault ein unerwarteter Erfolg. Gleich zwölf seiner »Autochen« sollte er den betuchten Kunden liefern. »Natürlich fängt Louis umgehend mit der Produktion an, und selbstverständlich steht es außer Frage, dass die Brüder nun ein eigenes Unternehmen gründen werden«, heißt es da. Hatte er nicht mindestens einen Monteur dabei?, möchte man da im Sinne von Bertolt Brechts »lesendem Arbeiter« fragen.

Dass schließlich auch die gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe in der Ausstellung ihren Platz finden, kann sich die Geschichtskommission der ehemaligen Renault-Beschäftigten zugute halten. Dupuy und Kosmann sind dort seit Jahren tätig. Erst dort haben sie sich kennengelernt. Sie arbeiteten nicht nur in verschiedenen Abteilungen, sie waren auch in unterschiedlichen Gruppen der radikalen Linken organisiert, Dupuy in einer trotzkistischen Gruppe und Kosmann in der Gauche Proletarienne. Doch diese Unterschiede spielen heute für die beiden keine Rolle mehr. In der Geschichtskommission arbeiten auch Kolleginnen und Kollegen mit, die der CGT und anderen Gewerkschaften angehörten. Sie wollen verhindern, dass die Geschichte von Renault in dem Museum als eine Erzählung wagemutiger Unternehmerpersönlichkeiten und bahnbrechender technischer Erfindungen präsentiert wird. Ein Gang durch die umfangreiche Ausstellung zeigt, dass ihnen das an vielen Stellen gelungen ist. Auf mehreren Tafeln wird ausführlich die große Streikbewegung von 1936 gezeigt, als die Arbeiter während der Volksfrontregierung durch spontane Massenstreiks große soziale Errungenschaften wie bezahlten Urlaub erkämpften. Auch die Auseinandersetzung bei Renault nach dem Aufbruch von 1968 wird in Bild und Text ausführlich dokumentiert.

Doch für Dupuy und Kosmann ist klar, damit die Kämpfe bei Renault und in anderen Fabriken nicht nur im Geschichtsmuseum landen, braucht es Organisationen und politische Zusammenschlüsse, die sich auch mit der Frage befassen, was davon heute noch aktuell ist. Daher war Kosmann viele Jahre Koordinator der Solidaires Industrie. Noch heute ist er oft in dem kleinen Gewerkschaftsbüro. In den Räumen sitzen Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, die die heutigen Klassenkämpfe in Frankreich koordinieren. Pakete mit Plakaten und Flugblättern sind in dem engen Gang gestapelt. Auch in den Büros liegt Propagandamaterial in großen Mengen. Gerade holt ein junger Mann einen Stapel Plakate ab, auf denen für eine Demonstration gegen die Privatisierung der französischen Bahn mobilisiert wird. Sie beginnt mit großem Lärm an der Bastille, dem traditionellen Versammlungsort von Linken und Gewerkschaftern. Man staunt über die vielen Böller, die dort von Gewerkschaftern gezündet werden. Die Basisgewerkschaft Sud Rail ist mit einem großen Transparent vertreten, auf dem zum unbefristeten Generalstreik aufgerufen wird. Der Slogan »grève reconductible« wird auf dem Weg durch die Pariser Innenstadt ständig skandiert. Manche Passanten stimmen mit ein und heben die Faust zum Gruß. Aber es gibt auch viele, die kaum einen Blick auf die Arbeiterdemonstranten werfen und schnell in den Einkaufszentren verschwinden. Übersehen und überhört werden kann die Demonstration nicht. Immer wieder werden Böller geworfen und die Leuchtfackeln vieler Demonstrationsteilnehmer erzeugen viel roten Nebel.

Neben den sozialen Protesten gehört für viele Gewerkschafter antifaschistische Arbeit nicht erst seit dem Erfolg des Front National bei der Europawahl auf die politische Tagesordnung. Sebastian von Sud Rail breitet ein aktuelles Flugblatt aus, das er mit seinen Kollegen an den Arbeitsplätzen, aber auch in den Briefkästen der Stadtteile verteilt, in denen viele Arbeiter und Menschen mit geringem Einkommen wohnen. Gerade in diesen Bezirken haben die Rechtspopulisten bei den Wahlen viele Stimmen gewonnen. Im Flugblatt wird unter den Stichworten Ungleichheit, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, hysterischer Sicherheitsdiskurs, Nationalismus und Rassismus die Gefahr der Rechten aufgezeigt und für einen offensiven gewerkschaftlichen Antifaschismus geworben. Der Aufstieg der Ultrarechten, ebenso wie die staatlichen Angriffe auf erkämpfte Errungenschaften, etwa die 35-Stunden-Woche, machen aber auch deutlich, dass die Zeiten für eine offensive Gewerkschaftspolitik auch in Frankreich schwieriger geworden sind. Die Parole »Sprechen wir mit den Bossen Französisch« wird heute auch kämpferischen Gewerkschaftern in Deutschland nicht mehr so leicht über die Lippen gehen wie vor 20 Jahren. Aber die Tour de France machte auch deutlich, dass die Tradition des kämpferischen, aufständischen Frankreichs heute nicht nur im Renault-Museum ausgestellt ist.

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50398.html

Peter Nowak

Die Toten beim Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa

Zurück Hilfskonvoi als versteckte Intervention?

Die aktuelle Diskussion über den russischen Konvoi in die Ostukraine zeigt, dass man an Russland kritisiert, was in Deutschland, USA und Frankreich kaum beachtet wird

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/russland-schickt-hilfskonvoi-mit-280-lastwagen-in-ost.353.de.html?drn%3Anews_id=389629

[2]

http://www.icrc.org/eng/resources/documents/news-release/2014/08-08-ukraine-humanitarian-situation-deteriorates-east.htm

[3]

http://www.caritas-international.de/wasunsbewegt/stellungnahmen/waskannhumanitaerehilfeleisten

[4]

http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/sicherheitspolitik-beeinflusst-zunehmend-humanitaere-hilfe-und-entwicklungszusammenarbeit/3033/

[5]

http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/sicherheitspolitik-beeinflusst-zunehmend-humanitaere-hilfe-und-entwicklungszusammenarbeit/3033/

[6]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F08%2F04%2Fa0091&cHash=76ec30284b8a93d48a8789b298194272

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42485/1.html

[8]

https://www.uni-leipzig.de/~gwzo/index.php?Itemid=383

[9]

http://www.nzz.ch/meinung/debatte/wie-man-moskaus-einfluss-eindaemmen-koennte-1.18354038

[10]

http://www.werner-schulz-europa.eu/presseartikel/1914-interview-taz-bosporus-dicht-machen.html

[11]

http://transform-network.net/de/blog/blog-2014/news/detail/Blog/eastern-ukraine.html

Kill Billy in Italy

Aktionstage gegen IKEA – Arbeitskampf internationalisieren
Ein Abfall-Eimer für 14,99 findet sich auf der Homepage von IKEA-Piacenza. Doch der Begleittext zeigt, dass es sich nicht um     die reguläre IKEA-Homepage handelt. „Gewerkschaftliche Rechte haben bei uns ein neues Zuhause gefunden“, heißt es dort. Auf einer Facebook-Seite ist die Botschaft schon auf dem ersten Blick vernehmbar. Badikea wird das Firmenlogo umdefiniert. Es handelt sich dabei um zwei von vielen   Internetauftritten, die eine neue  internationale IKEA-Kampagne in Solidarität mit einem bisher hierzulande weitgehend unbekannten Arbeitskampf von italienischen LogisitkarbeiterInnen initiierte.
Seit 2011 kämpfen in Italien die meist migrantischen ArbeiterInnen in der Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In vielen großen Unternehmen ist es ihnen gelungen, durch entschlossenes, militantes Vorgehen die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen die VorarbeiterInnen, die Leiharbeitsfirmen, die Polizei und die großen Gewerkschaften und die Medien durchzusetzen.   Sie sind auch deshalb erfolgreich, weil große Teile der radikalen Linken, sowie eine kleine Basisgewerkschaft sich mit ihnen solidarisieren und ihre Aktionen unterstützen.  Der Arbeitskampf hat die bisher rechtlosen ArbeiterInnen mobilisiert.
„Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder.  Heute sind es dreitausend“, erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I.  Cobas. Der   rasante Mitgliederzuwachs  der Basisgewerkschaft ist auch eine Folge der Selbstorganisation der Beschäftigten. „Wir haben  keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros sondern auf der Straße und vor der Fabrik“, betonte  Facchino. Er war im Mai 2014 Teilnehmer einer Delegation italienischer GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen  aus der außerparlamentarischen italienischen  Linken, die hierzulande erstmals über den erbittert geführten Arbeitskampf informierte, der  fast 4  Jahre  andauerte.
Repression von IKEA und Polizei
Träger der Auseinandersetzung waren schlecht bezahlte Lagerarbeiter großer Warenhäuser, die oft aus vielen europäischen, arabischen und nordafrikanischen Staaten angeworben worden waren. Sie sind oft  nicht direkt bei den Warenhäusern sondern bei Subunternehmen angestellt.   „Die Bosse haben gedacht, wir können uns nicht wehren, doch da haben sie sich getäuscht“, so Facchino, der in  Marokko geboren wurde. Die Beschäftigten fordern die Verkürzung der Arbeitszeiten und höhere Löhne. Ein zentrales Mittel im Arbeitskampf waren Blockaden, wenn Waren angeliefert worden sind. Die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die Beschäftigten vor. Die Bilder von  ArbeiterInnen,  die von de Polizei blutig geschlagen wurden, sorgten in ganz Italien für Empörung. Dadurch wurde die Unterstützung für die Forderungen der Beschäftigten größer.
Doch vor allem IKEA schient entschlossen, den Streik der Beschäftigten mit Repression zu beantworten. Im   Juni 2014 wurden 26  Beschäftigte  des IKEA Lagers  in Piacenza entlassen, alle sind Mitglied  der  S.I. Cobas.   Die Entlassungen wurden von verstärkter Polizeirepression ergänzt. So wurde mehreren an den Blockaden  beteiligten  ArbeiterInnen verboten, die Stadt zu betreten, in der sich das   Unternehmen befindet. Damit soll den Beschäftigten verunmöglicht werde, ihren Kampf weiterzuführen. In einigen Fällen bedeutet dieses Stadtverbot auch, dass die Beschäftigten nicht mehr legal ihre Wohnungen betreten können. Diese Repressionsstrategie von Unternehmen und Polizei wollen die Beschäftigten mit einer Ausweitung der Solidarität begegnen. Im Mittelpunkt steht dabei der IKEA-Konzern.  Bereits  am  26. Juni gab es den ersten IKEA-Aktionstag  mit kleinen Aktionen vor Filialen in Hamburg und Berlin.   Der zweite IKEA-Aktionstag am 26.Juli wird bereits von weiteren Städten unterstützt. Die Aktion ist ausbaufähig. Schließlich  ist IKEA als international  agierender Konzern durchaus  ökonomisch getroffen werden, wenn den KundInnen die Arbeitsbedingungen  in den italienischen Logistikzentren nicht mehr gleichgültig sind.

aus Express:

Ausgabe: Heft 07-08/2014

http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak

Kein Gott, kein Staat, kein Chef

Ménilmontant war der Ort der Handwerker, Arbeiter und politischen Rebellen, nun wird der Pariser Stadtteil von Besserverdienenden erobert

Politaktivisten schauen bei einem Besuch in Paris gern beim Alt-Anarchisten Lucio Urtubia vorbei. In dieser Ecke ist die revolutionäre Geschichte der Stadt noch gegenwärtig. Doch wie lange noch?

Rund um die Mauer ist schon lange kein Platz mehr und auch auf den Wiesen haben sich viele Menschen zum Picknick niedergelassen. Bei schönem Wetter entwickelt sich der Park von Belleville zum größten Naherholungsgebiet von Paris. Schließlich hat man von dem über 100 Meter hohen Hügel aus einen hervorragenden Blick auf die Stadt. Doch auch die nähere Umgebung der Anlage lockt Menschen aus aller Welt an. Schließlich gilt der Ménilmontant, wie der 20. Bezirk von Paris heißt, als einer der letzten Orte jenes vielbesungenen rebellischen Paris der letzten Jahrhunderte.

An allen Aufständen seit der Revolution 1789 waren die Arbeiter und Handwerker des Quartiers an vorderster Front beteiligt. Auch die Pariser Kommune hatte hier viele Anhänger. Die alten Gewalten nahmen nach ihrem Sieg auch unter den Bewohnern des Stadtviertels grausame Rache. Die meisten Gefangenen wurden sofort erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles deportiert. Die ermordeten Kommunarden wurden am nahen Friedhof Père Lachaise in Massengräbern verscharrt.

Lucio Urtubia sieht mit seiner Baskenmütze nicht nur so aus, als wolle er diese rebellische Tradition fortsetzen. Als Dokumenten- und Banknotenfälscher im Dienste verschiedenster revolutionärer Bewegungen wurde der Anarchist einst zum Schrecken von Bankiers und Grenzbeamten. Unter den Rebellen aller Länder genießt Lucio, wie man ihn nennt, hingegen große Anerkennung. Schließlich hat er sich bei den Fälschungen nie selber bereichert oder andere persönliche Vorteile verschafft. Für ihn waren diese Aktivitäten politische Solidarität. In einer steilen Gasse des Ménilmontant hat er mit dem »Espace Louise Michel« einen Ort geschaffen, in dem für Widerständige aus aller Welt die Türen immer offen stehen. Seit seine Lebensgeschichte in Buchform und als Film in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde, bekommt er ständig Besuch. Gewerkschafter, Bauernaktivisten, Angehörige politischer Gefangener schauten schon bei ihm vorbei. Auch für die Teilnehmer der alternativen »Tour de Frances« ist eine Visite im »Espace Louise Michel« ein fester Termin. Aus Deutschland machen sich jedes Jahr Mitte Mai Basisgewerkschafter und soziale Aktivisten zu einer einwöchigen Reise in die französische Hauptstadt auf. Sie bewegen sich auf den Spuren des widerständigen Paris.

Inzwischen ist Lucio Urtubia über 80 Jahre alt und begrüßt jeden Teilnehmer freundlich. Immer wieder bleiben Touristen vor der Tür stehen und fotografieren das Haus mit der schwarzroten Fahne. Sie sind nicht zufällig hier. An den Aufdrucken auf ihren T-Shirts und Taschen erkennt man schnell, dass sie mit den politischen Vorstellungen des modernen Robin Hood sympathisieren, die sich mit der Parole »Kein Gott, kein Staat, kein Chef« zusammenfassen lassen.

Doch nicht nur Menschen auf der Suche nach der Revolte kommen nach Ménilmontant. Zunehmend wird der Stadtteil im Osten von Paris für die »Bobos« interessant. Das ist die Abkürzung für die »Bourgeois Bohèmes«, wie in Frankreich der besserverdienende Mittelstand mit seiner Vorliebe für Altbauwohnungen in historisch gewachsenen Stadtteilen und multikultureller Umgebung leicht spöttisch bezeichnet wird. Viele Stadtteilbewohner sehen den Zuzug der Bobos mit wachsendem Argwohn.

Elsa ist in Ménilmontant aufgewachsen und schwärmt von dem Leben im Quartier: »Das ist fast wie in einem Dorf. Nach einer gewissen Zeit kennen dich die Leute und man redet miteinander.« Doch sie befürchtet, dass es mit dem idyllischen Leben mitten in Paris bald vorbei ist. »Auch in Ménilmontant entwickelt sich der private Immobilienmarkt rasant. Die vergleichsweise niedrigen Preise und nicht zuletzt dieser dörfliche Charakter ziehen eine neue Bevölkerung an«, erklärt die Frau. In die Stuben der Handwerker und Arbeiter, die für den Stadtteil so typisch waren, ziehen jetzt Künstler, Designer und Architekten ein. Zuvor wurden die Häuser luxusmodernisiert. »Die Immobilienbüros sind in den letzten Jahren wie Champignons aus dem Boden geschossen«, erklärt Luis, der seit 15 Jahren in Ménilmontant wohnt. Allein zwischen 1991 und 2007 seien de Wohnungspreise um 120 Prozent gestiegen.

Viele glauben, dass einkommensschwache Bewohner auch hier bald nicht mehr wohnen können, wie es im Rest der innenstadtnahen Teile von Paris bereits seit Langem der Fall ist. Von den zehn Millionen Einwohnern der französischen Metropole leben acht Millionen in den Außenbezirken.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/941428.kein-gott-kein-staat-kein-chef.html

Peter Nowak

Nato-Bündnisfall an der russischen Grenze?

Cobas ante portas

Italienische Logistikbeschäftigte kämpfen gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Einige Unternehmen machen Zugeständnisse, doch Ikea entlässt 24 Angestellte.

»Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es 3 000«, sagt Karim Facchino. Der Lagerarbeiter ist Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas sieht den rasanten Mitgliederzuwachs als Folge eines Arbeitskampfs, der auf die Selbstorgani­sation der Beschäftigten vertraut: »Wir haben keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros, sondern auf der Straße und vor der Fabrik.«

In den vergangenen Monaten war er dort häufig zu finden. Denn seit 2011 kämpfen die Logistikbeschäftigten in Italien gegen ihre besonders schlechten Arbeitsbedingungen. »Regelmäßig wurde ihnen durch falsche Lohnabrechnungen ein Teil ihres Lohnes gestohlen. Sie waren nicht gegen Unfälle geschützt, bekamen kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und hatten keine garantierten Arbeitszeiten«, sagt Johanna Schellhagen von Labournet.tv im Gespräch der Jungle World.

Besonders schlecht waren die Arbeitsbedingungen der Lagerarbeiter großer Warenhäuser, die oft aus europäischen, arabischen und nordafrikanischen Staaten angeworben wurden. Sie waren meist nicht direkt bei den Warenhäusern, sondern bei Subunternehmen angestellt. »Die Bosse haben gedacht, wir können uns nicht wehren, doch da haben sie sich getäuscht«, sagt Facchino, der in Marokko geboren wurde.

Ein zentrales Mittel im Arbeitskampf waren Blockaden, wenn Waren angeliefert werden sollten. Die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die Beschäftigten vor. Die Bilder von Streikenden, die von der Polizei blutiggeschlagen worden waren, sorgten in Italien für Empörung. Dadurch wuchs die Unterstützung für die Beschäftigten. In mehreren Unternehmen konnten eine Verkürzung der Arbeitszeiten und höhere Löhne durchgesetzt werden.

Doch vor allem Ikea scheint entschlossen, den Streik der Beschäftigten repressiv zu beantworten. Im Juni wurden 24 Beschäftigte des Ikea-Lagers in Piacenza entlassen, alle sind Mitglieder der Gewerkschaft S.I. Cobas. Gleichzeitig wächst die polizeiliche und juristische Repression. So wurden gegen vier Mitglieder von Laboratorio Crash und gegen fünf Mitglieder des Collettivo Hobo Aufenthaltsverbote für die Orte verhängt, in denen sich die bestreikten Unternehmen befinden. Die beiden linken Gruppen unterstützen die Logistikbeschäftigten. Eine Unterstützerin, die in Piacenza wohnt, bekam eine mündliche Verwarnung mit der Aussicht auf ein Aufenthaltsverbot in ihrer eigenen Stadt. Käme es dazu, könnt sie ihre Wohnung nicht mehr legal betreten.

Dieser Repression von Unternehmen und Polizei wollen die Beschäftigten mit einer Ausweitung der Solidarität begegnen. Bereits am 25. Juni gab es den ersten Ikea-Aktionstag mit kleinen Kundgebungen vor Filialen in Hamburg und Berlin. Der zweite Ikea-Aktionstag am 26. Juli fand bereits in weiteren Städten statt. Ikea ist als internationaler Konzern ökonomisch verwundbar, wenn Kunden die Arbeitsbedingungen in den italienischen Logistikzentren nicht mehr gleichgültig sind.

Ausgangspunkt der Solidaritätsarbeit war ein Treffen europäischer Basisgewerkschafter Ende März in Berlin (Jungle World 12/2014). »Dort berichteten zwei Kollegen von S.I. Cobas über den Kampfzyklus. Danach haben wir begonnen, diesen Arbeitskampf bekannt zu machen«, erzählt Johanna Schellhagen. Mitte Mai wurde einer der engagierten Lagerarbeiter aus Bologna zu Informationsveranstaltungen nach Deutschland eingeladen. In Berlin wurde auch ein Austausch mit Gewerkschaftern aus der Logistikbranche in Deutschland organisiert. Damit wird auch noch einmal die Bedeutung der neuen Medien für die Solidaritätsarbeit deutlich. Denn zuvor hatte der jahrelange Arbeitskampf kaum Beachtung gefunden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/31/50320.html

Peter Nowak