Während  immer mehr Kommilitonen auf Essenstafeln angewiesen sind, ist die  Organisierung von Protest schwerer geworden. Aktuell machen Studierende  einen neuen Anlauf
Überraschend ist die Meldung nicht, die vor  einigen Tagen durch die Medien ging. Neben Geflüchteten sind es vor  allem Studierende, die vermehrt das Angebot der Essenstafeln [1] annehmen müssen, um über die Runden zu kommen. Auf ihrer jährlichen Bilanz-Pressekonferenz [2] betont der Vorsitzende des Bundesverbandes Jochen Brühl:
„Es  entsetzt uns, dass immer mehr Menschen von Armut betroffen sind, obwohl  Deutschlands Wirtschaftszahlen gut sind. Die Tafeln sind eine  Kompassnadel für gesellschaftliche Entwicklungen. Bei uns wird die Not  der Menschen sichtbar.“
Schon lange konnte beobachtet werden,  dass neben Erwerbslosen auch vermehrt Lohnabhängige die Tafeln nutzen  müssen, vor allem Menschen im Niedriglohnsektor und Alleinerziehende mit  Kinder. In dem jüngsten Bericht hat Brühl besonders hervorgehoben, dass  auch Studierende vermehrt das Tafel-Angebot nutzen müssen.
Die „Vertafelung der Gesellschaft“ [3] ist auch ein Zeichen dafür, dass statt Sozialpolitik immer mehr die  Verteilung von Almosen, die nicht einklagbar sind, zu den Stützpfeilern  einer Gesellschaft gehören, die gar nicht mehr den Anspruch hat [4], Armut zu bekämpfen.
Wenn das Studium kein Privileg mehr ist
Wenn nun in verschiedenen Medien der Anteil der Kommilitonen an den Tafelnutzern besonders herausgestellt [5] werden, könnte dahinter noch immer die Vorstellung stehen, dass es die  nun wirklich nicht verdient haben. Eine solche Vorstellung wäre mit  einer weiteren Abwertung der nichtstudentischen Tafelnutzer verbunden.
Die  Frage ist, wie die betroffenen Studierenden ihre Verarmung  gesellschaftlich verarbeiten. Es könnte sich eine Solidarisierung mit  den vielen Menschen einstellen, die schon lange auf Tafeln angewiesen  sind. Die Forderung, niemand solle darauf angewiesen sein, könnte die  Grundlage eines Bündnisses der verschiedenen Gruppen von Prekären sein.
Die Hoffnung auf ein solches Bündnis leitete den Hamburger Arzt und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth [6],  als er vor mehr als 20 Jahren konstatierte, dass die Studierenden ihre  Elitenfunktion verlieren würden und teilweise ins Prekarität absinken  würden. Er hielt damals noch Bündnisse von Studierenden,  Niedriglohnarbeitern und Erwerbslosen als emanzipatorische Alternative  möglich, gerade weil die Studierenden eben nicht mehr nach einigen  Jahren in die Elite abwandern, wie es noch bei der Kohorte der 68er oft  zu beobachten war.
Allerdings hat sich in den letzten Jahren  gezeigt, dass es illusionär wäre, davon auszugehen, dass Mittelständler,  die in die Armut abrutschen, automatisch solidarische Vorstellungen  entwickeln. Häufig gehen sie vielmehr in Abwehrhandlung und unterstützen  rassistische und sozialchauvinistische Bewegungen, die gegen Gruppen  und Personen mobil machen, die in der gesellschaftlichen Wertung noch  weiter unten stehen. Die Tatsache, dass in den Jahren der zunehmenden  Verarmung der Studierenden die Protestbereitschaft eher abgenommen hat,  ist ein Hinweis darauf.
Welche Perspektive hat der Bildungsstreik 2014?
Gab  es noch im letzten Jahrzehnt in mehrjährigen Abständen längere  Bildungsproteste, die mit Unibesetzungen und den Boykott von Vorlesungen  verbunden waren, so können die letzten Jahre als protestarme Zeit auf  dem Campus gelten.
In diesem Jahr begannen immerhin wieder universitäre Proteste [7] , ein bundesweites Bündnis [8] hat sich gegründet. Die Aktivisten formulieren eine Protestagenda über  mehrere Semester, wohl in der realistischen Erkenntnis, dass in  absehbarer Zeit ein bundesweiter Unistreik nicht zu realisieren ist.
Es  wird sich zeigen, ob es den Aktivisten gelingt, ihre Protestagenda  umzusetzen. Nur dann könnte es gelingen, Studierende auch als Teil eines  gesellschaftlichen Bündnisses gegen Verarmung und Vertafelung der  Gesellschaft zu gewinnen. Schließlich bieten solche Protestaktionen  immer die Möglichkeit, dass sich zumindest ein Teil der Aktivisten  öffnet für gesellschaftliche Erfahrungen und Lösungsvorschläge abseits  des politischen und gesellschaftlichen Mainstreams.
Ein gutes  Beispiel war in der letzten Zeit an der Londoner Universität zu  beobachten, wo sich Kommilitonen mit prekär beschäftigten Putzkräften am  Campus solidarisierten [9] und von der Unileitung mit Repression bedroht wurden.
Eine Professorin für Gender Studies an der Londoner Universität sieht [10] in den Aktivitäten der Studierenden eine Spätfolge der heftigen  Bildungsproteste in Großbritannien im Jahr 2010, die von der Regierung  mit einer massiven Repression beantwortet worden war. Es ist sicher kein  Zufall, dass die Staatsapparate alles unternehmen, um ein Bündnis gegen  eine Wirtschaftspolitik, die Armut produziert verhindern wollen, an dem  sich Studierende, prekär Beschäftigte und Erwerbslose gemeinsam  organisieren.
In Deutschland braucht es einstweilen noch keine  große Repression, hier ist der ideologische Kitt noch so fest, dass  solche Bündnisse schwer zu schaffen sind. Ein bundesweites  Bildungsstreiksemester könnte diesen ideologischen Kitt brüchiger werden  lassen.
Bafög, das nicht zum Leben reicht
Wenn  in den letzten Tagen in den Medien berichtet wird, dass sich Bund und  Länder auf ein Bildungspaket 2015 geeinigt haben und der Bund jetzt mit 6  Milliarden Euro die Kosten für das Bafög übernimmt, sollte das nicht  als Beitrag gegen die studentische Armut falsch verstanden werden.
Diese  Maßnahme wurde mit der Förderung der Bildungsrepublik Deutschland  begründet. Selbst dieses Ziel ist damit kaum zu erreichen. Denn der  Betrag von 6 Milliarden Euro ist verglichen mit den Milliarden für die  Bankenrettung nicht besonders hoch. Zudem können die Länder mit den  durch die Übernahme der BAföG-Kosten freiwerdenden Gelder beliebige  Haushaltslöcher stopfen.
Es ist also keineswegs sicher, dass sich  damit die Bildungsausgaben insgesamt erhöhen. Zudem wurde die  BAföG-Reform erst einmal wieder verschoben, worauf studentische  Initiativen kritisch hinweisen [11]. Doch selbst sie  argumentieren ganz in der Logik der Förderung des Bildungsstandorts  Deutschlands, wenn ein fzs-Sprecher erklärt:
„Die  BAföG-Reform ist ein Projekt für die Zukunft, kein Projekt in der  Zukunft. Es gibt keinen Grund, warum die Studierenden selbst auf die  notwendigsten Anpassungen noch zwei weitere Jahre warten müssen: Die  Förderungslücke zwischen Bachelor und Master muss geschlossen, die  Förderung muss von der Regelstudienzeit gelöst, als elternunabhängiger  Vollzuschuss gezahlt und automatisch an die realen Lebenshaltungskosten  angeglichen werden.“
Dass mit dem Bafög die Vertafelung des  studentischen Lebens vielleicht verhindert werden könnte, scheint selbst  den studentischen Kritikern gar nicht mehr realistisch, zumindest wird  der Zusammenhang erst gar nicht erst hergestellt
http://www.heise.de/tp/news/Studentische-Armut-und-die-Muehen-des-Widerstands-2211187.html
Peter Nowak
Links:
[1]
http://www.tafel.de
[2]
http://www.tafel.de/news-detailseite/artikel/jahrespressekonferenz.html
[3]
http://archiv.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/allg/tafeln.html
[4]
http://www.heise.de/tp/news/20-Jahre-Essenstafeln-sind-genug-2002545.html
[5]
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article128423043/Immer-mehr-Studenten-und-Asylbewerber-nutzen-Angebot-der-Tafeln.html
[6]
http://www.workerscontrol.net/de/authors/auf-dem-glatteis-des-neuen-zeitalters-die-krise-das-proletariat-und-die-linke
[7]
http://www.bildungsprotestfu.net/2014/05/bildungsstreik-aktionstage-mai-2014/
[8]
http://www.uni-erfurt.de/fileadmin/public-docs/Studierendenrat/pdf-Dokumente/Resolution_Bildungsstreik_2014.pdf
[9]
http://www.taz.de/!131482
[10]
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bi&dig=2014%2F01%2F22%2Fa0119&cHash=7a13552a095142c7fd61c64d74f340e2
[11]
http://www.fzs.de/presse/321714.html