»Man ist sich näher, als es oft erscheint«

Der Kampf um das »Recht auf Stadt« und gegen Zwangsräumungen wird in vielen Ländern geführt. Inzwischen gibt es auch Versuche transnationaler Vernetzung der Mieterbewegung. Der Filmemacher Matthias Coers und der Politikwissenschaftler Grischa Dallmer sind seit Jahren in der Berliner Mieterbewegung aktiv, haben die Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« mitgestaltet und an dem Film »Mietrebellen« mitgearbeitet. Mit ihnen sprach die Jungle World über Wohnungskrisen, Widerstand und internationale Organsiation.

Sie haben kürzlich in Moskau Ihren Film »Miet­rebellen« über die Berliner Mieterbewegung gezeigt. Wen interessiert das dort?

Coers: Wir wurden mit dem Film vom kritischen Kunst- und Medienfestival Media Impact mit Unterstützung des Goethe-Instituts Moskau eingeladen. Im Anschluss an die Präsentation gab es mit über 40 Zuschauern eine Diskussion zum Verständnis der Situation in Berlin, aber auch über die Frage des Wohnens in der russischen Metropole. Für die Lage der Mieter in Berlin gab es starke Empathie, aber es gab auch Erstaunen darüber, mit welchem Aufwand und mit welcher Heftigkeit zum Beispiel Zwangsräumungen in Deutschland durchgesetzt werden.

Gab es Kontakte mit russischen »Mietrebellen«?

Coers: Von einer Mieterbewegung kann dort nicht gesprochen werden, was schon an der Struktur des Wohnens liegt. Die meisten Menschen leben in Wohnungen, die ihnen nach Ende des Real­sozialismus überschrieben wurden. Sie sind mit dem Aufbringen von Erhaltungs- und Energiekosten belastet. Zudem übersteigen die Wohnkosten oft das Einkommen. Zur Miete wohnen ist nicht die Regel, auch wenn sich die Mieterrechte im vergangenen Jahr etwas verbessert haben sollen. Doch sind für eine 60-Quadratmeter-Wohnung schnell 1 000 Euro monatlich fällig, auch wenn sie eher in der Peripherie liegt. Wobei zum Beispiel eine Lehrerin oft nur 400 bis 500 Euro im Monat verdient. Beim Erwerb von Eigentumswohnungen werden zum Beispiel in den Innenstadtbezirken von Moskau schnell 8 000 Euro pro Quadratmeter fällig.

Ihre Reihe »Wohnen in der Krise« war eines der wenigen Beispiele für transnationale Kontakte unter widerständigen Mieterinnen und Mietern. Wie ist das Projekt entstanden?

Dallmer: Die Reihe »Wohnen in der Krise«, deren Dokumentation als Youtube-Kanal häufig abgefragt wird, ist aus den Diskussionen des Donnerstagskreises der Berliner Mietergemeinschaft entstanden. Nach der kritischen Auseinandersetzung mit Methoden der militanten Untersuchung und des Community Organizing war das Bedürfnis groß, die Lebenswirklichkeit und die konkreten Fragen des Wohnens in verschiedenen europäischen Ländern in den Blick zu bekommen und zu verstehen. Wir haben Experten und Aktivisten eingeladen und lokale Videos übersetzt, so konnten in Berlin bisher unbekannte Informationen aus den Nachbarländern zusammengetragen werden. In den als PDF zur Verfügung stehenden Ausgaben der Zeitschrift Mieter Echo des vorigen Jahres sind die Veranstaltungsinhalte auch noch einmal verschriftlicht zu finden. Die entstandenen Kontakte werden weiter gepflegt, tatsächlich und konkret zum politischen Austausch genutzt und sind schon bei Aktionen auf europäischer Ebene zum Tragen gekommen.

Kam es durch die Veranstaltungsreihe zu einer besseren Koordination?

Dallmer: Ja, es sind lebendige Kontakte nach Polen, Spanien, Griechenland, Russland, in die Niederlande, Frankreich, die Türkei, Großbritan­nien und Schweden entstanden. In Wechselwirkung mit unserer Reihe hat sich auch die »Europäische Aktionskoalition für das Recht auf Wohnen und die Stadt« herausgebildet, in der inzwischen Gruppen aus 20 Ländern zusammenarbeiten. Derzeit bilden sich internationale Arbeitsgruppen zu den Themen Finanzialisierung des Wohnungsmarkts, Europäische Charta für das Recht auf Wohnen und Widerstand gegen Zwangsräumungen.

Coers: Trotzdem dürfen diese Verbindungen in Relation zu den Angriffen, denen die Menschen derzeit in den Fragen des Wohnens ausgesetzt sind, nicht überschätzt werden. Die Aktiven sind teils im professionellen Bereich des Wohnrechts, der Sozialfürsorge oder in wissenschaftlichen Zusammenhängen zeitlich stark eingebunden und nur wenige können einen Großteil ihrer Arbeitszeit in die Entwicklung von europäischer Zusammenarbeit investieren. So bleibt der Austausch lose, auch wenn eine Tendenz zur Verstetigung spürbar ist.

Warum entwickeln sich transnationale Kontakte in der Mieterbewegung besonders schwer?

Coers: Einerseits sind es die zeitökonomischen Grenzen der Beteiligten, die räumlichen Entfernungen und die Sprachgrenzen, die immer wieder aufs Neue überwunden werden müssen. Entscheidend ist aber, dass auch große Gruppen mit Hunderten dauerhaft Aktiven wie »Recht auf Wohnen« (Droit Au Logement, DAL) in Frankreich oder die »Plattform der Hypothekenbetroffenen« (Plataforma de Afectados por la Hipoteca, PAH) in Spanien in den jeweiligen Ländern mit den konkreten Aufgabenstellungen und Problemen stark beschäftigt sind. Von einer transnationalen Ebene ist nicht direkt praktische Hilfe zu erwarten, sondern es geht um Austausch, Erfahrungs- und Wissensvermittlung, letztlich darum, die eigene Situation besser zu verstehen und angehen zu können. Allein das praktische Wissen darum, dass an unterschiedlichsten Orten mit unterschiedlichen Strategien widerständig Auseinandersetzungen geführt werden, wirkt bestärkend. Auch transnationale Gewerkschaftsarbeit hat auf europäischer Ebene leider zu wenig Relevanz. Die Arbeitszusammenhänge einer Mieterbewegung von unten sind um ein Vielfaches fragiler, verschaffen sich aber durchaus Gehör.

Dallmer: Es gibt Schwierigkeiten, doch es zeigen sich momentan immer mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Bereichernd für die eigene Praxis sind die Aktivitäten der Freundinnen und Freunde aus den anderen Ländern allemal. Eine Frage ist beispielsweise der Bezug auf die Europä­ische Union. Soll für verbindliche europäische Vereinbarungen im Bereich des Wohnens gekämpft werden oder nicht? In Ländern mit geringem Mieterschutz wird diese Frage oft bejaht, da man sich von internationalem Druck Verbesserungen erhofft. In Ländern, wo gute Mieterrechte realisiert wurden, herrscht eine gewisse Skepsis, ob so das lokale Mietrecht nicht eingeschränkt werden könnte. In der Europäischen Aktionskoalition wird gerade debattiert, ob gemeinsam gegen internationale Akteure auf dem Immobilienmarkt, etwa das Immobilienverwaltungsunternehmen Camelot, vorgegangen werden kann.

Welche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass in einigen Ländern viele Menschen in Eigentumswohnungen leben, in anderen, wie Deutschland, aber mehrheitlich zur Miete?

Dallmer: Protest und Widerstand richten sich an unterschiedliche Adressaten. Während es in Deutschland oft um Mietzahlungen an private Vermieter geht, sind es in Spanien die Banken, an die Kredite zurückgezahlt werden sollen. Wegen der Finanzialisierung der Immobilienunternehmen und da die meisten Menschen, die Kredite zurückzahlen sollen, dies auf absehbare Zeit nicht schaffen und somit nie wirkliche Eigentümer werden, hat sich bei Mieterkämpfen im Ruhrgebiet der Kampfruf »Wir sind alle Mieter der Banken« etabliert. Man ist sich näher, als es oft erscheint.

Coers: Nach Filmdiskussionen in Neapel, Wien, Glasgow, Amsterdam, Córdoba, Moskau und Diskussionsberichten aus Dublin, London, New York, dem Kosovo und Mexiko muss man sagen, dass es nicht darauf ankommt, ob zur Miete oder in Eigentumswohnungen gewohnt wird. Die Menschen werden aktiv, wenn die Wohnraumversorgung nicht mehr gewährleistet ist oder die Wohnraumkosten sie erdrücken. Und sie denken auch entsprechend über die nationalen Grenzen hinweg solidarisch. Es ist aber deutlich geworden, dass ein Wissensaustausch stattfinden muss, damit die jeweilige konkrete krisenhafte Situa­tion auch verstanden werden kann. Verallgemeinert formuliert, ist bei den Aktivisten und Gruppen zum Thema Wohnen die Frage nach sozialer Gerechtigkeit sehr präsent. Auf mögliches Versagen jeweiliger Volkswirtschaften wird vornehmlich nicht geschaut, sondern eher auf die politische und ökonomische Verfasstheit in transnationaler Perspektive.

Es gab Ende Oktober in Córdoba eine europäische Konferenz der Bewegung gegen Zwangsräumungen. Wurde dort auch über diese Schwierigkeiten der Koordination geredet?

Dallmer: Ja, allerdings sind diese internationalen Kooperationen noch ganz jung und da ist es nicht verwunderlich, dass viele Fragen bisher noch offen sind. Die meisten Beteiligten waren sich einig, dass es erst einmal entscheidend sei, ein Bewusstsein füreinander zu bekommen. Ak­tive aus verschiedenen Ländern traten an uns heran, um »Mietrebellen« in ihren Stadtvierteln aufzuführen.

Gab es Fortschritte bei der transnationalen Koordination der Mieterbewegung?

Dallmer: Es gibt auf jeden Fall einige Fortschritte. Bei einem internationalen Treffen in London zu Protesten gegen die Immobilienmesse MIPIM sind beispielsweise viele Gruppen aus Osteuropa das erste Mal überhaupt aufeinandergetroffen und planen jetzt ein osteuropäisches Treffen der Mieterbewegungen mit Berliner Beteiligung.

Coers: Unser persönlicher Beitrag besteht aktuell darin, den Film »Mietrebellen« auch international zu verbreiten, um über die Verhältnisse hier aufzuklären und am Beispiel von Berlin zu ermutigen, dass es sich lohnt, den aufgezwungenen Zumutungen mit Ausdauer widerständig entgegenzutreten, und dass sich zugleich auch schon kleinteilige Erfolge lohnen.

In Budapest, Den Haag, Barcelona, Poznań, Brest, Bukarest, Athen und Istanbul sowie in ­Toronto, Seoul, Hongkong und Mumbai sind überwiegend in Zusammenarbeit mit politischen Gruppen Aufführungen in Planung. Zudem beteiligen wir uns an einer weiteren Veranstaltung der Reihe »Wohnen in der Krise« zur historischen und aktuellen Situation in Graz und Wien

http://jungle-world.com/artikel/2014/47/50967.html

Interview: Peter Nowak

»Von den Sozialbehörden zu den Ausländerbehörden«

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Deutschland arbeitslosen Zuwanderern aus anderen EU-Ländern Hartz IV verweigern darf. Die Jungle World hat mit Lutz Achenbach gesprochen. Er ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sozialrecht in Berlin und vertritt EU-Bürger, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Deutschland einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern kann. Sind Sie enttäuscht?

Es hätte natürlich auch gute Argumente dafür gegeben, der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

Wird durch das Urteil die Situation für EU-Bürger erschwert, Leistungen nach Hartz IV zu beantragen?

Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit langem befassen, nicht direkt etwas zu tun hat.

Warum?

In dem konkreten Fall, über den der EuGH am Dienstag entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihren Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen und teilweise auch schon hier gearbeitet haben, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und das Urteil ist damit nicht unmittelbar auf sie anwendbar.

Welche Verschärfungen plant die Politik, um EU-Bürger von den Leistungen auszuschließen?

Gerade wurde eine Änderung des Freizügigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht, die das Recht zur Arbeitssuche auf sechs Monate begrenzt. Wer länger bleiben will, muss gegenüber der Ausländerbehörde nachweisen, begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden. Damit wird das Problem weg von den Sozialbehörden hin zu den Ausländerbehörden geschoben, wo sich die Bundesregierung eine restriktivere Auslegung erhofft.

http://jungle-world.com/artikel/2014/47/50960.html

Interview: Peter Nowak

»In erster Linie Geld«

»Nachtleben für Rojava« heißt das Motto einer Berliner Initiative, die praktische Solidarität mit den vom »Islamischen Staat« (IS) bedrohten Menschen in Nordsyrien leisten möchte. Jonas Mende gehört zu den Initiatoren.

Was hat das Berliner Nachtleben mit dem Kampf gegen den IS in Rojava zu tun?

Das Berliner Nachtleben ist an vielen Orten der Welt bekannt für seine Vielfältigkeit und Freizügigkeit. Dabei profitieren wir von individuellen Freiheiten, die es zu verteidigen gilt. Diese Freiheiten stehen im direkten Gegensatz zu dem repressiven und tyrannischen Weltbild des IS. Rojava ist zu einem Symbol für die Hoffnung auf ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben geworden. Das wollen wir unterstützen.

Wen haben Sie für die Initiative angesprochen?

Verschiedene Berliner Clubs, Kneipen, Bars, Veranstalter und Künstler, die wir persönlich kennen und die bereit sind mitzumachen. Mit diesem Stamm sprechen wir alle möglichen Läden und Einzelpersonen an und bauen auf eine breitflächige und kreative Beteiligung. Es besteht für alle die Gelegenheit, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die Kampagne einzubringen.

Wie waren die Reaktionen?

Bisher waren die Reaktionen überwiegend positiv. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Situation in Rojava medial sehr präsent ist und viele Leute das Bedürfnis verspüren, sich zu engagieren. Zu den Unterstützern der Kampagne gehören unter anderem der Club Watergate, die Booking-Agentur Monkeytown und das Sicherheitsunternehmen Shelter.

Wie sieht die konkrete Unterstützung für Rojava aus?

In erster Linie sammeln wir Geld. Dabei wollen wir nicht als außenstehende Personen entscheiden, wo und wie die Spenden am besten eingesetzt werden sollen. Die Aktivisten vor Ort entscheiden, was am dringendsten benötigt wird. Neben dieser konkreten finanziellen Unterstützung wollen wir Öffentlichkeit für die Lage in Rojava schaffen. Denn die internationale Solidarität und öffentlicher Druck sind eine wichtige Hilfe für die Menschen in Rojava.

Soll die Kampagne auf andere Städte ausgeweitet werden?

Unser Schwerpunkt liegt in Berlin. Es gibt allerdings schon Kontakte in andere Städte wie Hamburg, Frankfurt und Bremen. Natürlich ist es ausdrücklich erfreulich, wenn die Idee auch dort aufgegriffen wird und weitere Unterstützung erhält. Die humanitäre Situation in Rojava ist so katastrophal, dass es nicht genug

http://jungle-world.com/artikel/2014/46/50913.html

Peter Nowak

»Nur ein Einzelfall«

Der Berliner Sozialrechtler Lutz Achenbach über das Urteil des EuGH

Deutschland darf einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern. Hat sich damit die deutsche Rechtslage durchgesetzt?
Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit Langem befassen, gar nichts zu tun hat.

Warum?
In dem Fall, über den der EuGH entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihrem Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und noch nie gearbeitet oder sich beworben hat. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen, sich bewerben und teilweise auch schon hier gearbeitet haben und denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und sie sind von dem Urteil daher auch nicht betroffen.

Warum wird dann dem Urteil in der Öffentlichkeit eine solche Bedeutung zugesprochen?
Die Leipziger Richter, die den Fall vorliegen hatten, haben natürlich ein begründetes Interesse daran, dass hierüber von einem europäischen Gericht entschieden wird. Das liegt auch daran, weil im hier einschlägigen SGB II nichts darüber enthalten ist, wie mit EU-Bürgern verfahren wird, die nicht mal arbeitssuchend sind.

Sind Sie über das Urteil enttäuscht?
Es hätte natürlich gute Argumente dafür gegeben, auch der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/952071.nur-ein-einzelfall.html

Fragen: Peter Nowak

»Türkei duldet IS-Strukturen«

Der Islamische Staat (IS) ist immer noch nicht geschlagen. Doch wie konnte er überhaupt so mächtig werden? Die Jungle World sprach mit Ismail Küpeli über die Bedeutung Syriens und der Türkei für den Aufstieg des IS. Küpeli ist Politikwissenschaftler, Aktivist und Autor. Er beschäftigt sich mit der autoritären Entwicklung in der Türkei unter der AKP-Regierung und der Politik des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung.

Die Türkei scheint sich nach langem Widerstand bereit erklärt zu haben, kurdische Kämpfer über ihre Grenze in die vom IS bedrohte Stadt Kobanê zu lassen. Ist das eine Wende in der Politik der türkischen Regierung gegenüber dem IS?

Nein, das ist keine Wende. Vielmehr gab es seit etwa sechs Monaten eine langsame Bewegung, seit der Sommeroffensive des IS im Nordirak und der Geiselnahme türkischer Diplomaten in Mossul durch den IS. Der IS hat sich durch die Eroberung der Erdölquellen im Nordirak sehr große ­finanzielle Einnahmen sichern können, womit eine größere Eigenständigkeit gegenüber den bisherigen Unterstützern des IS, etwa den arabischen Golfstaaten und der Türkei, einhergeht. Dies erklärt auch die Geiselnahme und bedeutet, dass die Türkei den IS nicht mehr als bloßes Werkzeug gegen das Regime Bashar al-Assads und die Kurden in Nordsyrien nutzen kann.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder ­Berichte über Kooperationen zwischen türkischen Behörden und dem IS. Wie seriös sind solche Nachrichten?

Insbesondere in der türkischsprachigen Presse gibt es sehr viele Meldungen über eine solche Kooperation, mit unterschiedlicher Seriösität. Die Unterstützung von bewaffneten Rebellen in Nordsyrien, islamistische Gruppen eingeschlossen, wird nicht einmal seitens der türkischen Regierung bestritten. Es gibt Beweise, dass der türkische Geheimdienst Waffenlieferungen an Kämpfer in Nordsyrien organisiert. Weniger gesichert sind die Meldungen über eine direkte Kooperation zwischen der Türkei und dem IS. Aber zumindest die Duldung von IS-Strukturen in der Türkei ist belegt. Unter anderem gibt es Rekrutierungsbüros in Istanbul und Ausbildungslager im Grenzgebiet und die Türkei wird als Rückzugsgebiet genutzt, etwa durch medizinische Versorgung der IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern.

Lange vor dem Machtantritt der AKP-Regierung wurden in der Türkei Islamisten im Kampf gegen Linke, Gewerkschafter und Oppositionelle eingesetzt. Können Sie dazu einige Beispiele nennen?

Die türkisch-kurdische Hizbollah, die nicht mit der allgemein bekannten libanesischen Hizbollah verwechselt werden sollte, wurde in den neunziger Jahren im Rahmen des schmutzigen Krieges gegen die PKK und alle oppositionellen Kräfte eingesetzt. Die Hizbollah ist nur eine der Organisationen und Netzwerke, die als Todesschwadronen und Terrororganisationen eingesetzt wurden. Beispiele für die Aktionen solcher Gruppen reichen von Entführung, Folter und Hinrichtung von einzelnen Personen, etwa Journalisten, Menschenrechtlern und vermeintlichen PKK-Sympathisanten, bis hin zu Massakern an der kurdischen Landbevölkerung.

Könnte man eine Linie von der türkischen ­Hizbollah, einer sunnitisch-islamistischen Organisation, zum IS ziehen?

Eine solche Linie wird von PKK-nahen Akteuren gezogen; ich finde dies wenig überzeugend. Die Hizbollah wurde in den vergangenen Jahren als bewaffneter Akteur weitgehend ausgeschaltet und hat sich als politische Partei neu formiert. Dies geht auch darauf zurück, dass bis vor kurzem zwischen der türkischen Regierung und der PKK ein sogenannter Friedensprozess stattfand, in dem Organisationen wie die Hizbollah keinen Platz hatten. Der IS ist eine neue Entwicklung und hat mit der Hizbollah der Neunziger wenig Verbindungen.

Sie bezeichnen den IS als eine Frucht des syrischen Bürgerkriegs nach der Niederlage der demokratischen zivilen Opposition. Welchen Anteil hatte das syrische Regime am Aufstieg des IS?

Nach der Niederschlagung der friedlichen Oppositionsbewegung durch das Assad-Regime haben bewaffnete Rebellengruppen innerhalb der Anti-Assad-Opposition die Oberhand gewonnen. Die brutale Repression des Regimes hat dazu geführt, dass bald nur noch wenige daran glaubten, auf friedlichem Wege das Regime stürzen zu können. Die weitere Entwicklung der verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen geht darauf zurück, wer welche externe Unterstützung mobilisieren konnte – also Kämpfer, Waffen, Geld. Hier kam die Koalition der arabischen Golfstaaten und der Türkei ins Spiel, die insbesondere islamistische Gruppen unterstützt haben, die nach und nach säkulare Kräfte verdrängt haben. Aus diesem is­lamistischen Milieu stieg der IS auf – neben anderen Kräften wie der al-Nusra-Front.

Es gibt einige Stimmen, auch in der Linken in Deutschland, die angesichts der Bedrohung durch den IS eine Kooperation mit dem Assad-Regime fordern. Kann man davon reden, dass es jetzt das kleinere Übel ist?

Nein, kann man nicht. Das Assad-Regime ist nach wie vor für deutlich mehr Opfer verantwortlich und – wie zuvor angedeutet – für den Aufstieg des IS mitverantwortlich. Das Regime bombardiert Städte, lässt Oppositionelle foltern, verschwinden und ermorden. Die Brutalität des IS sollte die Gewalt des Assad-Regimes nicht vergessen lassen.

Andere Gruppen drängen auf die Unterstützung der Freien Syrischen Armee (FSA). Gibt es dort nicht auch viele undemokratische und ­islamistische Gruppen?

Die Freie Syrische Armee als ein zusammenhängender militärischer Verband existiert schon länger nicht mehr. Die einzelnen FSA-Einheiten haben sich in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt. Manche haben sich de facto aufgelöst, andere haben sich den Islamisten angeschlossen, wiederum andere kämpfen auf Seiten der säkularen Opposition. Kleinere Einheiten kämpfen sogar gemeinsam mit den kurdischen YPG-Einheiten gegen den IS. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass derzeit in Kobanê frühere und derzeitige FSA-Kämpfer auf beiden Seiten stehen.

Viele Linke sehen in den Kurdinnen und Kurden, die gegen den IS kämpfen, endlich wieder eine linke Alternative im Syrienkonflikt, die unterstützenswert ist. Hat dieser Optimismus eine reale Grundlage?

Es findet sicherlich eine gewisse Romantisierung statt; nicht zu übersehen etwa an den Plakaten, auf denen ikonenhaft kurdische Kämpferinnen abgebildet werden. Aber trotz aller Skepsis ist Rojava in Nordsyrien innerhalb des syrischen Bürgerkrieges eine der ganz wenigen demokratischen Zonen. Die PYD versucht – sei es aus Not oder aus einer basisdemokratischen Orientierung heraus – alle Bevölkerungsgruppen in Nordsyrien in die politischen Strukturen einzubinden, einschließlich über Quoten für Frauen und einzelne Bevölkerungsgruppen. Massaker an Zivilisten, Hinrichtung von Oppositionellen und brutale Repression, die leider in anderen Regionen Syriens zum Alltag geworden sind, finden unter der PYD-Herrschaft nicht statt. Dies ist für syrische Verhältnisse schon sehr viel.

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Christine Buchholz, musste viel Häme und Kritik einstecken, weil sie sich bei Facebook mit einem Schild zeigte, auf dem sie sich für Solidarität mit den Kurden in Kobanê, aber gegen US-Bombardements aussprach. Ist es nicht tatsächlich Aufgabe einer Linken, Alternativen zur Militärpolitik zu fordern?

Das Problem mit dem Buchholz-Schild war nicht die grundsätzliche Kritik an westlichen Militär­interventionen. Diese Kritik formulieren viele. Sondern es ging um eine vermeintliche solidarische Bezugnahme auf die Verteidiger von Kobanê, wobei Buchholz völlig unterschlagen hat, dass genau diese Menschen die US-Luftangriffe herbeigewünscht und begrüßt haben. Und zwar als eine Rettungsmaßnahme, als die Gefahr, dass Kobanê vom IS erobert werden könnte, am größten war. Über Antiimperialismus lässt sich ja streiten, über Heuchelei weniger.

Wenn die Frage wäre, ob Organisationen wie der IS sich allein durch militärische Maßnahmen, sei es durch YPG-Kämpfer oder durch US-Luftangriffe, aus der Welt schaffen lassen, dann ist die Antwort: Natürlich nicht. Ohne eine demokratische Lösung für Syrien, in der alle Bevölkerungsgruppen friedlich koexistieren dürfen, kann vielleicht der IS besiegt werden – aber nur um vom nächsten reaktionären Gewaltakteur abgelöst zu werden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50876.html

Interview: Peter Nowak

„Viele wehren sich»

Grischa Dallmer über Aktionen gegenZwangsräumungen
Grischa Dallmer ist seit Jahren in der Berliner Mieterbewegung aktiv und hat am Film Mietrebellen« (oers/Schulte  Westenberg) mitgearbeitet. Den Film stellte Dallmer auch auf dem einwöchigen Internationalen Treffen gegen
Zwangsräumungen (ENTRAD) im spanischen Córdoba vor, das am Sonntag zu Ende ging. Mit ihm sprach Peter Nowak.


Wer nahm am Treffen teil?
Aktive von Initiativen gegen Zwangsräumungen aus ganz Europa. Es gab Workshops zur Antirepressionsarbeit, Verhinderung von Burn-outs und Entscheidungsfindungsprozessen. Zudem wurde über den Widerstand gegen
Zwangsräumungen in Europa gesprochen. Austausch und Koordination der Initiativen standen dabei im Mittelpunkt. Neben spanischen waren polnische, griechische, britische, rumänische, portugiesische und deutsche Gruppen dabei. Es war das erste größere transnationale Treffen von Anti-Zwangsräumungs-Initiativen.

Wer hat es vorbereitet?
Ein internationaler Vorbereitungskreis. Das Treffen wurde in Netzwerken und Verteilern beworben.

Warum fand es in Spanien statt?
Weil in Spanien Zwangsräumungen, aber auch der Widerstand dagegen in den vergangenen Jahren zum Massenphänomen geworden sind. Viele Menschen kauften vor der Krise Wohnungen und verschuldetem sich bei den
Banken. Wenn sie die Hypotheken nicht mehr bezahlen können, lassen die Banken sie räumen. Viele Betroffen wehren sich inzwischen.


Und wenn die Räumung nicht verhindert werden kann?

Viele Menschen organisieren sich weiter in den Initiativen und besetzen Wohnungen in den vielen Neubauten, die wegen der Immobilienblase leerstehen. Diese Wiederaneignung von Wohnraum nennen sie Obra social (Die soziale Tat) – sie hat sich in vielen Städten ausgebreitet.

Welche Rolle spielte der Mieterwiderstand in Deutschland?

Viele Teilnehmer aus Spanien waren erstaunt, dass auch in Deutschland trotz vermeintlich boomender Wirtschaft einkommensschwache Menschen oft keine Wohnung finden und dass es Zwangsräumungen gibt.

Gibt es weitere Aktionen für transnationalen Mietwiderstand?
2013 organisierte ein Kreis um die Berliner MieterGemeinschaft die Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise«, bei der Aktivisten aus Europa über ihre Lage berichteten. Alle Beiträge findet man auf youtube.com/WohneninderKrise.  Zuletzt organisierte die »Europäische Aktionskoalition für das Recht auf Wohnen und die Stadt« internationale
Aktionstage. Das breite Interesse am länderübergreifenden Austausch zeigt sich auch daran, dass der Film »Mietrebellen« über den Berliner Widerstand in Großbritannien, Spanien, Italien, USA oder Mexiko gezeigt wurde und
da Debatten anregt.

Interview: Peter Nowak

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/950783.viele-wehren-sich.html

»Mit Protesten und Militanz konfrontiert«

Die Künstlerin Esther Rosenbaum gehört zum Filmkollektiv »Schwarzer Hahn«. Die Gruppe hat in mehrjähriger Arbeit den 90minütigen Dokumentarfilm »Verdrängung hat viele Gesichter« produziert, der zurzeit in verschiedenen Programmkinos läuft.

In Ihrem Film wird die Verdrängung durch Baugruppen und der Widerstand dagegen im Berliner Stadtteil Treptow dokumentiert. Was sagen Sie zu dem Vorwurf des innenpolitischen Sprechers der Berliner SPD, Tom Schreiber, linke Gentrifizierungskritiker wollten Menschen mit Terror aus dem Stadtteil vertreiben?

Diese Debatte ist ideologisch aufgeladen und zeugt von dem Willen, den Mieterwiderstand zu spalten, zu neutralisieren und letztlich zu zerstören. Dass die SPD die Kampagne losgetreten hat, ist nicht verwunderlich. Schließlich versucht sie, sich als sozial darzustellen, und sorgt mit ihrer Politik dennoch für die Verdrängung von einkommensschwachen Menschen. Wenn sich SPD-Politiker jetzt beklagen, dass die Nutznießer dieser Verdrängung in den Stadtteilen mit Protesten und Militanz konfrontiert sind, zeugt das nicht nur von Verlogenheit, sondern auch von Hass auf einen Widerstand, der sich nicht kanalisieren lässt.

Hören Sie solche Vorwürfe denn zum ersten Mal?

Nein. Während wir unseren Film gedreht haben, gab es eine ähnliche Kampagne gegen Mieteraktivisten in Treptow. Auch da war die SPD die treibende Kraft, sogar in Personalunion des SPD-Politikers Tom Schreiber.

Welches inhaltliche Ziel hatte die Kampagne?

Die Kampagne richtete sich gegen die politische Positionierung der Aktivisten. Sie wurden angegriffen, weil sie Eigentumswohnungen als zentrales Moment der Verdrängung betrachteten. Damals wurde die erste große und außerparlamentarische Mietendemonstration vorbereitet und die SPD bekam es kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen mit der Angst zu tun.

Wie haben die Treptower Aktivisten auf die Kampagne reagiert?

Die ärmeren Menschen im Stadtteil wurden von der Kampagne nicht beeinflusst. Sie schätzten im Gegenteil die Qualität einer Initiative, die die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt stellt und die Politik als verlogen gegenüber den Armen herausstellt. In unserem Film stehen das Leben und der Kampf dieser Menschen im Mittelpunkt.

http://berlingentrification.wordpress.com

Small Talk von Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2014/43/50783.html

Männer in Krawatten

Die Gewerkschafterin Nebile Irmak Çetin über Hausangestellte und kommunale Dienstleister in der Türkei

Nebile Irmak Çetin ist Vorsitzende der Istanbuler Sektion der Wohnraumbediensteten, die dem linksorientierten Gewerkschaftsdachverband DISK angeschlossen ist. Sie hat auf der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz „Streik durch Erneuerung“ Anfang Oktober in Hannover gesprochen. Am Rande der Veranstaltung sprach mit ihr Peter Nowak.

Wer ist in Ihrer Gewerkschaft organisiert?

Unser Schwerpunkt sind die Menschen, die Dienstleistungen in den Kommunen erbringen sowie Hausmeister und Reinigungskräfte. In den offiziellen Versicherungsdateien sind rund hundertfünfzigtausend Menschen in dieser Branche beschäftigt. Doch in der Realität arbeiten hier mindestens doppelt so viele.

Wie ist die soziale Situation der Beschäftigten?

Es gibt in der Türkei einen Mindestlohn, der umgerechnet etwa 300 Euro im Monat beträgt. Bei der derzeitigen Preisentwicklung kann aber kein Mensch davon leben. Lange Zeit bekamen die Beschäftigten eine eingerichtete Wohnung gestellt. Das bot für sie eine gewisse Sicherheit, weil sie von den Mietzahlungen befreit waren. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Die Beschäftigten bekommen keine Wohnung mehr gestellt, so dass sie von dem niedrigen Lohn noch für die Miete aufkommen müssen. Dadurch hat sich ihre soziale Situation natürlich enorm verschlechtert.

Warum gab es diese Änderung?

In vielen türkischen Städten sind sogenannte Gate Communitys entstanden. In diesen geschlossenen Siedlungen wohnen vor allem Angehörige der neuen, gut verdienenden Mittelschicht. Oft arbeiten in so einer Siedlung bis zu 100 Beschäftigte als Hausmeister, Sicherungsleute, Reinigungskräfte. Sie bekommen keine Dienstwohnung mehr gestellt und werden diskriminiert und behandelt sie wie Dienstboten.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

In einer Siedlung ist der Hausmeister für die Reinigung des Swimming Pools zuständig. Doch ihm und seiner Familie ist es strengstens verboten, in diesen Pool schwimmen zu gehen. Es gibt viele solcher alltäglichen Diskriminierungen.

Warum war es bisher so schwierig, die Beschäftigten gewerkschaftlich zu organisieren?

Tatsächlich sind in unserer Branche nur etwa drei Prozent der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Es ist vor allem die Angst vor Arbeitslosigkeit, die viele davon abhält, sich in der Gewerkschaft zu organisieren. Ihnen wird deutlich gesagt, dass sie entlassen werden, wenn sie sich organisieren und mehr Lohn fordern. Schließlich gibt es wegen der hohen Arbeitslosigkeit genügend Menschen, die für weniger Lohn arbeiten.

Gibt es also kaum Erfolge ihrer gewerkschaftlichen Arbeit?

Doch, in der letzten Zeit ist das Interesse an der Gewerkschaft gewachsen. Der Grund liegt darin, dass im Reinigungs- und Sicherheitsbereich privatisiert wird. Viele Beschäftigte befürchten nun, dass ihre Rechte noch weiter eingeschränkt werden und sie noch mehr arbeiten müssen Sie entscheiden sich für die Gewerkschaftsmitgliedschaft, weil sie sich dann besser wehren können. Aber es ist immer noch eine Minderheit.

Und? Kommt irgendwann der gewerkschaftliche Aufschwung in der Türkei?

Das wird schwierig. Vor allem junge Menschen sehen in Gewerkschaftern Männer mit Krawatten. Das zeigt, wie sehr sich viele Funktionäre von den Problemen und Sorgen der armen Menschen entfernt haben. Es ist an der Zeit, dass die Jugend und die Frauen aktiv werden und sich Macht an den Gewerkschaften erkämpfen.

Interview: Peter Nowak

Dachgeschossausbau statt Wohnungsneubau?

Die Bündnisgrünen haben kürzlich im Berliner Abgeordnetenhaus eine Studie vorgestellt, in der sie die Wohnungspolitik des Berliner Senats kritisieren und  eigene Vorschläge machen.  Peter Nowak sprach  mit  bau- und wohnungsbaupolitischer Sprecher der Fraktion der Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus Andreas Otto (A.O.).

Was kritisieren Sie an der Wohnungsbaupolitik des aktuellen Berliner Senats?

A.O.: Er setzt zu eindimensional auf den Neubau von Wohnungen auf der grünen Wiese. Wir hatten in der Studie hingegen am Beispiel von Neukölln Alternativen aufgezeigt.

Welche sind das?

A.O.:  Es gibt in Berlin ein  Potenzial für fast 80.000 Wohnungen durch den Ausbau von Dachgeschossen, das  Aufstocken oder die Umnutzung von   nicht mehr genutzten  Gebäuden  wie Park-  und Gewerbehäusern und die Nutzung verriegelter Flächen wie  Parkplätzen. Diese 3 Werkzeuge wären eine Alternative zu der Politik des Senats, immer mehr Häuser auf Freiflächen und z.B. Kleingärten zu bauen.
Kann  man mit den Daten  einer  Studie, die die Situation in einen Stadtteil untersuchte, Forderungen für die gesamtberliner Wohnungssituation begründen?

A.O.:  Es ist eine Frage der Kapazitäten. Wir waren nicht in der Lage eine gesamtberliner Untersuchung durchzuführen. Aber die Ergebnisse sind im Prinzip auf ganz Berlin übertragbar. Die Situation in Stadtteilen wie Treptow, Pankow, Reinickendorf ist durchaus mit der in Neukölln vergleichbar.

Wie wollen Sie Eigentümer  zum Dachgeschossausbau und den Umnutzungen  motivierten?

A.O.: Es handelte sich um eine Planungsstudie, die  zunächst aufzeigt, was in der Berliner Wohnungspolitik möglich ist.    Es ginge natürlich darum, die Eigentümer zu überzeugen und diese Maßnahmen auch finanziell zu fördern. Die steigende Nachfrage würde Eigentümer über Aufstocken oder Umbau nachdenken lassen. Zudem  könnten  mit Zuschüssen aus dem Wohnungsbauprogramm oder niedrigeren Zinsen Anreize dazu geschaffen werden.

Nun fehlen in Berlin vor allem Wohnungen für einkommensschwache MieterInnen. Besteht nicht die Gefahr, dass ein Dachgeschossausbau wieder vor allem hochpreisigen Wohnraum schafft?
A.O.:  Es ist richtig, dass ausgebaute  Dachgeschosswohnungen oft im höheren Mietpreissegment angesiedelt sind. Doch ein solcher Ausbau widerspricht nicht den Vorhaben einer Wohnungspolitik für alle und kann auch dazu beitragen, dass Bestandswohnungen für Menschen  mit geringen Einkommen zur Verfügung stehen.  Wenn jemand, der mehr Geld in der Tasche hat, in eine ausgebaute Dachgeschosswohnung zieht,  verdrängt er nicht die Mieter aus dem preiswerten Bestand. Wir fordern vom Senat deshalb, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen endlich zu beschränken.

In der letzten Zeit hat sich eine Initiative für den Neubau eines kommunalen Wohnungsbaus gegründet. Was halten Sie von diesem Ansatz?

A.O.:  In dem wohnungspolitischen Vorschlagen der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus  hat der Erhalt und die Förderung des  Kommunalen   Wohnungsbaus eine  hohe Priorität.

MieterEcho online 14.10,2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohnungsbau-der-gruenen.html

Interview: Peter Nowak

Das internationale Recht ist unser Maßstab

Majed Abbadi über die Arbeit der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq

Al-Haq wurde 1979 von Juristen in Ramallah gegründet und hat einen Sonderstatus als beratende Organisation beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC). Mit Programmdirektor Majed Abbadi sprach für »nd« Peter Nowak.

Was ist die zentrale Aufgabe von Al-Haq?
Das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen unter der israelischen Besatzung ist unsere zentrale Aufgabe. Schon die Gründer haben sich die Frage gestellt, wie können die Kämpfe gegen die Besatzung auf eine internationale Ebene gehoben werden? Das internationale Recht ist für uns dabei der zentrale Maßstab.

Wie sieht ihre Arbeit im Konkreten aus?
Wir haben seit den 80er Jahren Feldforschung betrieben, Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Analysen erstellt und in die internationale Arena gegeben. Daneben veranstaltet das Al-Haq Center für internationales Recht jährlich eine Sommerschule und Seminare auf internationaler Ebene. Damit haben Menschen aus aller Welt die Möglichkeit, sich von der Situation vor Ort mit eigenen Augen zu überzeugen.

Welche Menschenrechtsverletzungen untersuchen Sie zurzeit?
Aktuell liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit in der Dokumentation und Analyse der Menschenrechtsverletzungen, die die israelische Armee beim vergangenen Angriff auf Gaza verübt hat. Dabei sind über 2000 Menschen gestorben. Das Agieren der israelischen Armee verstößt gegen internationales Recht, an das sich jede Besatzungsmacht halten muss.

Warum sprechen Sie von Israel als Besatzungsmacht im Gaza-Streifen, obwohl sich seine Armee Mitte 2005 dort zurückgezogen hat?
Es gibt unterschiedliche Formen der Besatzung. Israel kontrolliert das Wasser und die Bodenschätze des Gaza-Streifens, entscheidet wer das Gebiet betreten darf und wer nicht. Daher ist für uns Israel weiterhin eine Besatzungsmacht.

Warum unternimmt die palästinensische Autonomiebehörde so große Anstrengungen, um dem Internationalen Strafgerichtshof IStGH beizutreten?
Der IStGH ist eines der wirkungsvollsten Instrumente, die wir auf internationaler Ebene haben. Wir unterstützen deshalb diesen Schritt vollständig und rufen auch die Freunde Israels in der UNO auf, die Mitgliedschaft Palästinas im IStGH nicht weiter zu blockieren. Schließlich wird dort nicht nach politischen sondern nach juristischen Aspekten geprüft. Wenn es in Israel keine Menschenrechtsverletzungen gegeben hat, wie immer behauptet wird, dann wird der IStGH auch das feststellen. Das wäre doch ein großer Erfolg für Israel. Doch sie versuchen, diesen Schritt zu verhindern, weil sie wissen, dass Israel die Menschenrechte verletzt hat.

Warum fordern Sie gerade von der deutschen Regierung, sie soll sich gegen diese Blockadepolitik engagieren?
Deutschland ist immer als starker Befürworter des IStGH aufgetreten. Nun bezeichnet die deutsche Regierung einen Beitritt Palästinas als eine Gefahr für den Friedensprozess. Dabei könnte der IStGH den Friedensprozess beleben, weil er deutlich machen könnte, dass internationales Recht wichtiger ist als die Politik.

Kümmert sich Al-Haq auch um Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Behörden?
Wir dokumentieren auch Menschenrechtsverletzungen der Autonomiebehörde, egal ob sie in Ramallah oder Gaza sitzt. Wir legen den Verantwortlichen die Daten vor und wenn sie darauf nicht reagieren, machen wir die Fälle in unseren Medien öffentlich. Weil wir gute Kontakte zu palästinensischen Medien haben, konnten wir damit erfolgreich Menschenrechtsverletzungen der Autonomiebehörden thematisieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/949001.das-internationale-recht-ist-unser-massstab.html

Peter Nowak

»Mit der Räumung nicht einverstanden«

Eine Woche lang hielten Flüchtlinge die Zentrale des DGB Berlin-Brandenburg in Berlin-Schöneberg besetzt. Nach dem Ablauf eines Ultimatums erstattete die Gewerkschaft in der vergangenen Woche Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die etwa 20 Besetzer und ließ das Gebäude von der Polizei räumen. Dabei wurden zwei Flüchtlinge verletzt. Anna Basten arbeitet im Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi, der Lohnabhängige unabhängig vom Aufenthaltsstatus berät. Sie hat mit der Jungle World gesprochen und gibt im Interview nur ihre persönliche Meinung wieder.

Small Talk von Peter Nowak

Verlieren undokumentiert arbeitende Menschen angesichts der Räumung nicht das Vertrauen in die Gewerkschaften und in Ihren Arbeitskreis?

Das fragen wir uns auch. Zurzeit haben wir hier noch keine Antwort, wie sich die Räumung auf unsere Arbeit auswirkt.

Sehen Sie in dem Geschehen generell einen Rückschlag für die flüchtlingspolitische Arbeit der Gewerkschaften?

Auf jeden Fall. Wir sind mit der Räumung überhaupt nicht einverstanden und waren auch nicht in die Entscheidung eingeweiht. Einige Mitglieder unseres Arbeitskreises haben die Flüchtlinge besucht und standen mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DGB in Kontakt. Es gab aber keine offizielle Kontaktaufnahme des DGB-Vorstands mit uns.

Es gibt gewerkschaftsinterne Kritik am DGB-Vorstand. Können solche Diskussionen noch etwas bewirken, wenn derart drastisch vorgegangen wurde?

Die Diskussionen müssen für eine Positionierung der Gewerkschaften in der Flüchtlingsfrage genutzt werden. Dabei müsste die Gewerkschaftsmitgliedschaft von Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in den Mittelpunkt gerückt werden. Schließlich wurden im vergangenen Jahr bereits 300 Flüchtlinge bei Verdi aufgenommen.

In der Vergangenheit wurde die Mitgliedschaft von Flüchtlingen unabhängig vom Aufenthaltsstatus meist mit Verweis auf die Satzung abgeblockt. Scheitern solche Forderungen weiterhin an gewerkschaftlichen Satzungsfragen?

http://jungle-world.com/artikel/2014/41/50701.html

Interview: Peter Nowak

„Kein Schubladendenken“

GENTRIFIZIERUNG Der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ nimmt vor allem Baugruppen in den Blick. Die wollte man aber nicht denunzieren, sagt Filmemacherin Hanna Löwe

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Frau Löwe, Thema des Films „Verdrängung hat viele Gesichter“ ist die Gentrifizierung. Warum beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Baugruppen?

Hanna Löwe: In Treptow begann der MieterInnenwiderstand, nachdem eine Stadtteilinitiative gegen die Bebauung eines Grundstücks durch Baugruppen Sturm lief und die Beteiligung ehemaliger Linker daran thematisierte. Danach begannen im Stadtteil Diskussionen, inwieweit der Bau von Eigentumswohnungen einen Kiez aufwertet und der Mieterhöhung preisgibt.

Gab es bereits die Kritik, dass im Film die Baugruppenmitglieder ihre Position ausführlich darlegen können?

Ja, aber darauf sind wir stolz. Wir wollten keinen Film machen, der das Schubladendenken bedient. Es wäre einfach gewesen, die Kämpfe der Bewegung als die Position der „Guten“ darzustellen und alles andere zu denunzieren. Wir müssen aber niemand herabwürdigen, um die Probleme beim Namen zu nennen.

Gleich zu Beginn des Film verweigert eine Baugruppe die Kommunikation. War das öfter der Fall?

Baugruppenmitglieder sehen sich vordergründig als Menschen, die niemand verdrängen wollen. Ein Teil weiß aber genau, dass ihr Verhalten andere verdrängt, und nimmt es billigend in Kauf. Sie verweigern Interviews, weil sie die Kritik trifft. Eine Baugruppe in Treptow hat sich selber ein Gentrifizierungsfrei-Zertifikat ausgestellt, obwohl ein Mitglied seine Wohnung jetzt für 1.900 Euro kalt vermietet und in München wohnt.

Wieso kommt es im Film bei Begegnungen mit Baugruppen oft zu Diskussionen über die persönliche Verantwortung?

Viele Mitglieder von Baugruppen wollen nur die Lösung für ihre Probleme und fallen aus allen Wolken, wenn sie mit Kritik konfrontiert wurden. Sie haben oft großen Rechtfertigungsbedarf.

Wieso sind Baugruppen sogar bei aktiven Linken zum Teil beliebt?

Wo Geld ist, weil eine Erbschaft auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin wartet, da wird schnell mal die linke Idee dem eigenen Lebenskonzept angepasst. Das gilt ja nicht nur für den Bau von Eigentumswohnungen, sondern auch bei der Jobvergabe. Man geht in bestimmte Gruppen, weil dabei der Job bei einer NGO, einer Stiftung oder einer Partei abfällt.

Mehrmals werden im Film die Füße von sprechenden Personen gezeigt, die dann fast wie Hände gestikulieren. War das ein künstlerisches Stilmittel?

Das war nicht geplant, sondern hat sich so ergeben. Manchmal mussten wir die Kamera nach unten drehen, weil Gesichtsaufnahmen unerwünscht waren. Bei einem Politiker waren wir so fasziniert, wie der mit seinen Füßen redet. Das musste als humoristische Einlage drin bleiben. Im Abspann zeigen wir die vielen Füße einer Demonstration, das war gewollt. Die Füße symbolisieren Dynamik, Bewegung, alles ist im Fluss.

Sind zur Filmpremiere auch die BaugruppenbewohnerInnen eingeladen?

Am 5. November ist im Zirkus Cabuwazi eine spezielle Kiezpremiere in Treptow geplant, zu der wir auch die Baugruppenmitglieder einladen. Wir hoffen auf kontroverse Diskussionen.

Hanna Löwe

38, ist Künstlerin und in stadtpolitischen Gruppen aktiv. Als Teil des Filmkollektivs Schwarzer Hahn hat sie „Verdrängung hat viele Gesichter“ produziert.

Der Film

Der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ setzt sich mit der Gentrifizierung am Beispiel von Alt-Treptow auseinander. Premiere heute um 18.30 Uhr im Moviemento, Kottbusser Damm 22. Weitere Termine: berlingentrification.wordpress.com

http://www.taz.de/Film-ueber-Gentrifizierung-in-Berlin/!147327/

Peter Nowak

Gezielt mobilisieren

Juliane Fuchs arbeitet im Fachbereich Handel des ver.di-Bezirks Hannover/Leine-Wese

Wie bereitet ihr euch auf die nächsten Tarifauseinandersetzungen im Einzelhandel vor?

Indem wir eine gezielte Mobilisierungskampagne mit unseren Kolleg/innen im Handel machen. Dazu gehören Schulungen, auf denen wir die Erfahrungen der letzten Tarifrunde auswerten.

Sind die ver.di-intern?

Überwiegend zumindest. Die Herstellung einer betrieblichen Aktionsfähigkeit steht im Fokus. Die Gesamtorganisation ist immer beteiligt.

Welche Rolle spielt das Tarifhandbuch, das ihr erstellt?

Es soll die vielen guten Aktionen, aber auch die Fehler aus der letzten Tarifrunde dokumentieren. Damit soll eine größere Verbindlichkeit hergestellt werden. Das Handbuch ist kein fertiges Produkt sondern soll immer mit neuen Erfahrungen ergänzt werden. Es ist also Work-in-Progress.

http://www.verdi-news.de/abonnenten.html

Interview: Peter Nowak

»Waffen sind nicht zurückholbar«

Paul Russmann über die Gefahren von Lieferungen

Sehen Sie die aktuelle Diskussion um Waffenlieferungen nach Irak als Niederlage Ihrer jahrelangen Arbeit gegen die Verbreitung von Waffen?

Es geht hier nicht um Sieg oder Niederlage. Ich sehe hier vor allem die Verantwortungslosigkeit einer Bundesregierung, die seit Jahren Waffen in Krisen- und Spannungsgebiete sowie in Staaten liefert, die Menschenrechte verletzen. Auch an Länder, die den IS unterstützen, werden Waffen aus Deutschland geliefert. Damit verstößt sie gegen ihre eigenen 2000 formulierten politischen Grundsätze zum Waffenexport.

Die Bundesregierung setzt nur ihre alte Politik fort?

Eine neue Qualität besteht darin, dass nun erstmals Waffen nicht an Staaten, sondern mit den kurdischen Peschmerga an nichtstaatliche Akteure geliefert werden sollen. Damit ist die Bundesrepublik Kriegspartei in diesem Konflikt.

Nun argumentieren viele, die Lieferungen seien nötig, um das Leben von Tausenden zu retten. Müssen da nicht Bedenken zurückstehen?

Diese Argumentation ist ja nicht neu. Schon während des Jugoslawienkonflikts wurde der Einsatz der Bundeswehr mit der Rettung von mit Vertreibung bedrohten Volksgruppen begründet. Mit der gleichen »Berechtigung« könnte die Lieferung von Waffen nach Sudan oder Syrien oder in andere Konfliktgebiete gefordert werden, in denen Menschen bedroht sind.

Welche Gefahren sehen Sie durch Waffenlieferungen?

Es zeigt sich, dass Waffen, die einmal geliefert wurden, nicht mehr zurückholbar sind. Die Perschmerga kämpfen für einen eigenen Staat, was zu Konflikten mit der irakischen Zentralregierung oder Nachbarländern wie die Türkei führt, dann auch mit Waffen aus Deutschland.

Welche Schritte schlagen Sie vor?

Die Kampagne »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« hat eine Pressemitteilung verfasst, in der sie neben Kritikpunkten auch elf Sofortmaßnahmen für die notleidenden Menschen auflistet. Dabei geht es um unmittelbare humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen durch den Abwurf von Medikamenten, Decken und Nahrungsmitteln. Auch sollen die Betroffenen, die das wünschen, in Länder ihrer Wahl ausgeflogen werden. Zudem soll der Druck auf Länder wie Saudi-Arabien und Katar verstärkt werden, die Unterstützung für den IS aufzugeben.

www.ohne-ruestung-leben.de

https://www.neues-deutschland.de/artikel/943418.waffen-sind-nicht-zurueckholbar.html

Interview: Peter Nowak

Aus Großvaters Tagebuch

Kriegsgegner besetzten das »GÜZ« in der Altmark

Am Dienstag und am gestrigen Mittwoch besetzten Kriegsgegner das »Gefechtsübungszentrum Heer« (GÜZ) der Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt). Peter Nowak sprach mit Jan Stehn, einem der Organisatoren der Aktion, die vom Protestcamp »War Starts Here« ausging.

nd: Was hat Sie zu der Besetzung des GÜZ motiviert?
Stehn: Nachdem ich längere Zeit im Ausland lebte, haben mich die Aktionen gegen das GÜZ motiviert, mich wieder politisch zu betätigen. Dort bereitet sich die Bundeswehr auf ihre Einsätze vor und dort ist es auch möglich, Kriegsplanungen direkt zu behindern. Gerade in der aktuellen Debatte darum, was deutsche »Verantwortung« bedeutet, ist uns wichtig deutlich zu machen, dass Militär und Waffenexport kriegerische Konflikte verlängern und eskalieren. Es gibt viele Möglichkeiten, sich friedensfördernd zu engagieren. Die Bundeswehr brauchen wir nicht.

Wie ist Ihnen gelungen, in das GÜZ einzudringen?
Das war nicht schwer. Wir hatten die Aktion angekündigt und waren auf Wachleute, Polizei oder Feldjäger vorbereitet. Doch wir konnten unbehelligt zwei Kilometer vordringen und uns auf einer Brache niederlassen. Einige setzten dort vorbereitete Friedenszeichen, es wurden Bäume gepflanzt. Ich trug aus dem 100 Jahre alten Kriegstagebuch meines Großvaters vor. Er hat sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges begeistert beteiligt, aber bald die Grausamkeit des Krieges erkannt.

Wie reagierten die Wachmannschaften?
Kurz, nachdem wir uns niedergelassen hatten, sind Soldaten eingetroffen und haben uns beobachtet. Dabei war auch der Leiter des GÜZ, Oberst Gunter Schneider, der bis zur Räumung durch die Polizei nach 2,5 Stunden vor Ort war. Ein Teil von uns verließ den Platz freiwillig, andere wurden vom Gelände getragen.

Welche juristischen Folgen kann die Aktion haben?
Das wird sich zeigen. Da das GÜZ kein eingefriedetes, umzäuntes Gelände ist, haben wir keinen Hausfriedensbruch begangen. Ob das Betreten des Geländes eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist ebenfalls unklar. Der Weg, auf dem wir uns befanden, war nicht einmal beschildert. Einige Aktivisten haben Widerspruch gegen die fragwürdigen Platzverweise eingelegt, die die Polizei für das GÜZ-Gelände ausgesprochen hat. Dort ist weder eine Begründung noch die verantwortliche Behörde angegeben.

Die Aktionen finden im Rahmen des »War Starts Here«-Camps statt, an dem verschiedenste Gruppen teilnehmen. Wie klappt die Kooperation derselben?
Das Camp wird bereits zum dritten Mal Spektren übergreifend organisiert. In diesem Jahr wurde besonderer Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, dass unterschiedliche Gruppen ihre Aktionen auf dem Camp vorbereiten, sodass die Teilnehmer unterschiedliche politische Ansätze kennenlernen und darüber gemeinsam diskutieren können.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943136.aus-grossvaters-tagebuch.html

Interview: Peter Nowak