Die Geschichte der 68er Bewegung in Speyer

Gegen das bürgerliche Bildungsprivileg

Herbert Obenland, Wolfgang Hien, ­Peter Birke: Das andere 1968. Von der Lehrlingsbewegung zu den Auseinandersetzungen am Speyer-Kolleg 1969–72. Berlin: Die Buchmacherei, 2022. 260 S., 15 Euro

Berlin, Frankfurt, Tübingen – mit diesen Orten wird die 1968er Bewegung verbunden. Kaum jemand wird ausgerechnet Speyer mit den Aufbruch in Verbindung bringen. Dabei hatte der auch dort Spuren hinterlassen, wie in dem Buch Das andere 1968 beschrieben wird. Die Autoren Wolfgang Hien und Herbert Obenland beschreiben ein in mehrfacher Hinsicht anderes 1968: Statt um Theoriedebatten in einer Universitätsstadt ging es um den Kampf um Bildung auch für Kinder aus Arbeiterfamilien in einer Stadt, die von der Chemieindustrie geprägt war. Gleich zu Anfang bringt Herbert Obenland diese Unterschiede prägnant auf den Punkt: …

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"Systemsturz – Der Sieg der Natur über den Kapitalismus" wurde zum Bestseller. Kohei Saito schlägt den Degrowth-Kommunismus vor. Was daran gewagt ist – und was fehlt.

Klima und Klassenkampf: War Karl Marx der erste Ökologe?

Es besteht eine merkwürdige Diskrepanz zwischen der im ersten Teil mit Verve begründeten Option des Degrowth-Kommunismus und den reformerischen Vorschlägen im Anschluss. Ein Schwachpunkt ist auch, dass die Lohnabhängigen in diesem Buch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sicherlich finden sich in den von Saito vorgestellten fünf Säulen zum Degrowth-Kommunismus sinnvolle Forderungen, etwa nach Verkürzung der Arbeitszeit, demokratischer Kontrolle des Produktionsprozesses im Betrieb und einer Gebrauchswertwirtschaft, die sich an den Grundbedürfnissen der Menschen orientiert.

Als 2017 der Historienfilm „Der junge Marx“ in die Kinos kam, waren manche über den Beginn erstaunt. Die erste Szene zeigt nämlich keine Arbeiter im Streik oder auf den Barrikaden, sondern Landarbeiter, die Fallholz im Wald sammeln, was damals als Diebstahl galt. Die Feudalherren, die sich den Wald angeeignet haben, ließen ihre Privatarmee auf die Menschen los, die im Wald Holz sammelten. Viele wurden schwer verletzt oder ermordet. Diese Szene bezog sich auf die Texte von Karl Marx in der Neuen Rheinischen Zeitung über das Holzdiebstahlgesetz, das den Terror gegen die Landlosen, die das Holz zum Feuer machen sammelten, legitimierte. Diese Szene ist auf zweifache Weise interessant. Erstens wird der Blick …

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Matthias Thaden: Migration und Inne- re Sicherheit. Kroatische Exilgruppen in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2022, 365 Seiten, 24,95 Euro

Fast unbehelligt

Einst gab es noch eine deutschlandkritische Linke, die auf diese Kontinuitätslinien hinwies. Heute scheint sich die hingegen von vielen befürchtete Schlussstrichpolitik weitgehend durch- gesetzt zu haben. Daher ist das Buch von Thaden umso wichtiger, weil es auch ein Schlaglicht auf die Unterstützung von NS-Kollaborateur*innen in der BRD bis in die 1970er-Jahre wirft.

Sie warfen die Sprengsätze in die jugoslawische Handelsmission. Dann übergossen sie Möbel, Teppiche und Akten mit Benzin, so dass binnen weniger Minuten alles in Flammen stand. Der Hausmeister der Handelsmission wurde im Beisein seines 12jährigen Sohnes durch einen Lungenschuss getötet. Dieser Anschlag ereignete sich am 29. November 1962 in Mehlem bei Bonn und war der Höhepunkt der Terrorwelle von rechten exilkroatischen Gruppen in der Bundesrepublik. Sie konnten über Jahre in der BRD fast unbehelligt agieren und Terror nicht nur gegen jugoslawische Einrichtungen, sondern auch gegen Menschen aus Jugoslawien ausüben, die sich nicht vor dem Karren der Rechten spannen lassen wollten. Bisher ist über die rechten Strukturen der Exilkroat*innen wenig bekannt. Da hat der Historiker Matthias Thaden mit seinen Buch …

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Benedikt Sepp: Das Prinzip Bewegung. Theorie, Praxis und Radikalisierung in der Westberliner Linken 1961–1972, Wallstein Verlag 2023, 353 S., geb., 42 €.

Geschichte der radikalen Linken: Theorie als Bewegung

Der Historiker Benedikt Sepp rekonstruiert die Neue Linke im Westberlin der 1960er und 70er Jahre am »Prinzip Bewegung«

Ein schon abgegriffenes Bonmot besagt, dass es – auch für viele Linke – heute einfacher sei, sich das Ende der Menschheit als ein Ende des Kapitalismus vorzustellen. Dabei ist es noch nicht einmal 50 Jahre her, dass Menschen überall auf der Welt der Überzeugung waren, eine nichtkapitalistische Gesellschaft innerhalb weniger Jahre erkämpfen zu können. In den 1960er und 70er Jahren herrschte in Teilen der Bevölkerung nahezu sozialrevolutionäre Stimmung. Lässt sich aus dieser Zeit etwas gegen die heutige Apathie der Linken lernen ? …

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Bohnstengl Rene, Obermayr Linda Lilith, Karl Reitter, Corona als gesellschaftliches Verhältnis, Brüche und Umwälzungen im kapitalistischen Herrschaftssystem. Mangroven-Verlag 2023. 343 Seiten. ca. SFr. 36.00. ISBN: 978-3-946946-36-6.

Welche Solidarität gab es in der Pandemie?

„Die inzwischen gut zweieinhalb Jahre während den Massnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus sind aus dem Alltag vieler Menschen aus dem deutschsprachigen Raum nicht mehr wegzudenken“

„Die inzwischen gut zweieinhalb Jahre währenden Massnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus sind aus dem Alltag vieler Menschen aus dem deutschsprachigen Raum nicht mehr wegzudenken“. Sofort stutzt man, wenn man diesen Satz im Vorwort des kürzlich im Mangroven-Verlag erschienenen Buches „Corona als gesellschaftliches Verhältnis“ liest. Die Ausführungen sind vom Oktober 2022, als die Corona-Massnahme noch mal verschärft wurden.  Sie wirken wie aus der Zeit gefallen, wenn man die Sätze fast ein Jahr später liest. Denn oberflächlich erinnert heute nichts mehr an die Pandemiezeit. Kommt das Buch also zu spät oder hätte zumindest das Vorwort ergänzt werden müssen? Vielleicht kommt da Buch gerade zur rechten Zeit, weil sich ja einerseits kaum jemand noch mit der Pandemiezeit beschäftigt, bis auf wenige kleine Gruppen. Anderseits wird …

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Wie "vorbei" ist die Covid-19-Krise wirklich? Ein neues Buch könnte eine kritische Diskussion zwischen den Fronten einleiten. Manche seiner Thesen sollten aber kritisch betrachtet werden.

Neue Corona-Varianten – alte Frontstellungen?

Erfreulich ist, dass die Autoren nicht nur den Irrationalismus der Staatsapparate in der Pandemie an verschiedenen Stellen gut herausarbeiten, sondern auch den Irrationalismus in der sehr heterogenen Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen benennen. Im Gegensatz zu einem Großteil der Medien erkennen die Autoren an, dass die Gegner der Corona-Maßnahmen nicht vorschnell alle rechts eingeordnet werden.

Lange Zeit war Covid-19 kein großes Thema mehr. Doch vor wenigen Tagen ließ ein Bericht im Deutschlandfunk aufhorchen. „Corona, Masken und Selbsttests sind mit Ende der Pandemie aus unserem Alltag verschwunden. Nun steigen die Fallzahlen wieder“, hieß es. „Die Coronavirus-Variante ‚Eris‘ breitet sich aus. Experten blicken bislang gelassen auf den Herbst und Winter.“ Tatsächlich berichten Menschen, die öfter mit Personen aus Großbritannien Kontakt haben, dass dort in manchen Bereichen wieder Masken getragen werden. Auch die Impfprogramme würden dort ausgeweitet. Auffallend ist, …

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Autobahnen als Orte von Nationalismus, Moderne und Männlichkeit

Immer nur rechts abbiegen

Conrad Kunze: Deutschland als Autobahn Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus Transcript-Verlag, Bielefeld 2022 458 Seiten, 48 Euro ISBN 978-3-8376-5943-6 ----------------------------- Ausstellung „A 100 – Operation Beton“ bis 24.9. im Museum Neukölln, Gutshof Britz, Alt-Britz 81, tgl. 10-18 Uhr, Eintritt frei 26./27.8. Festival der Entschleunigung 2.9., 10 Uhr Baustellenbegehung

Bundesverkehrsminister Volker Wissing macht immer wieder deutlich, dass er den Bau weiterer Autobahnen fortsetzen will. Dazu gehört auch die Stadtautobahn A100 in Berlin. Der FDP-Minister und Freund der Automobilindustrie beruft sich dabei auf Pläne aus den 1990ern und ignoriert die Klimadebatte der letzten Jahre. Der Bau neuer Autobahnen ist das ganz falsche Signal. Doch es gibt auch historische Gründe, die für einen Kampf gegen Autobahnen sprechen. Diese hat der Kulturwissenschaftler Conrad Kunze von der FU Berlin in seinem Buch …

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Besprechung von: Meike Gerber, Emanuel Kapfinger, Julian Volz (Hg.), Für Hans-Jürgen Krahl, Beiträge zu seinem antiautoritären Marxismus, Mandelbaum Verlag, Reihe Kritik und Utopie, Wien 2022, 18 Euro

Brauchen wir eine neue Krahl-Lektüre?

Die von Emanuel Kapfinger als neoleninistisch bezeichneten linksautonomen Gruppen haben am Beispiel der Gelbwestenbewegung in Frankreich analysiert, dass es ihr nicht gelungen ist, eine linke Struktur zu bilden und sich dem Zangengriff von staatlicher Repression und reformistischer Vereinnahmung zu entziehen. Damit formulieren sie Erfahrungen, die viele außerparlamentarische Linke in den letzten Jahrzehnten immer wieder gemacht haben. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass es eben in großen Teilen der gesellschaftlichen Linken an einer Organisationsdebatte, die mit einer permanenten politischen Praxis verbunden ist, fehlt. Vielmehr stürzen sich Linke in verschiedene Kampagnen, bis sie sich meistens nach einigen Jahren aus der politischen Praxis zurückziehen und Zuflucht in der Theorie suchen. Damit müsste doch eigentlich Theorie und Praxis zusammen gedacht werden. Nur dann können sich theoretische Erkenntnisse in der Praxis einschreiben und Erfahren aus der politischen Praxis wieder in die theoretische Arbeit aufgenommen werden. Genau das hat Krahl in der kurzen Zeit seines politischen Wirkens praktiziert. Für ihn gab es diese Trennung in Theorie und Praxis nicht. Auch das ist Vermächtnis von Krahl.


Am 17. Januar 2023 wäre Hans-Jürgen Krahl 80 Jahre alt geworden. Ein Sammelband will den Anstoß geben, sich wieder den Schriften dieses wichtigen Theoretikers der Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu widmen. Dabei muss man sich die Frage stellen, welchen Gebrauchswert sie heute noch haben. …

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Wo es kämpferische Belegschaften gibt, braucht es keine mutigen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer. Wo sie nötig sind, schützt das deutsche Gesetz sie nicht. Eine Bestandsaufnahme.

Whistleblower in der Arbeitswelt: Was fehlt, wenn sie gebraucht werden

Mit dem kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Hinweisgeberschutzgesetz, das durch eine EU-Richtlinie erzwungen wurde, setzte sich der Bremer Rechtsanwalt Gerhard Baisch kritisch auseinander. "Es soll die Unternehmenskultur verbessern und nicht Whistleblower unterstützten", moniert der Jurist. Zudem werde die Offenlegung von Missständen, wie sie beispielsweise Brigitte Heinisch im Pflegebereich aufgedeckt hat, gar nicht von dem Gesetz abgedeckt.

„20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?“ So lautet der Titel eines Buches, das kürzlich im Berliner Wissenschaftsverlag erschienen ist. Den besagten Preis erhielten bisher so unterschiedliche Personen wie die Berliner Krankenpflegerin Brigitte Heinisch und die weltbekannten US-Whistleblower Chelsea Manning und Edward Snowden. Sie alle haben Missstände der …

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Was sagen uns die Notizbücher des Anarcho-Kommunisten Erich Mühsam?

Erich Mühsam: Bündnisfälle

Mühsam, der in der Festungshaft einige Wochen lang KPD-Mitglied war, machte aus seiner Ablehnung der bürgerlichen Demokratie ebenso wenig ein Geheimnis wie aus seiner Kritik am zunehmend autoritären Kurs gegen linke Oppositionelle in der SU. Aber diese Kritik hinderte ihn nicht an einer Zusammenarbeit mit Kommunist*innen in Deutschland und eben auch mit der Roten Hilfe – das Honorar, das Mühsam wie alle Redner*innen der Roten Hilfe für seine Arbeit erhielt, war dafür sicher nicht ausschlaggebend.

Noch fast 90 Jahre nach der Ermordung von Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg erscheinen neue Schriften des bekannten Anarchisten. So hat die Berliner Gustav Landauer Initiative vor einigen Wochen in zwei Broschüren die Notizbücher Mühsams veröffentlicht. Der erste Band enthält seine Notizen aus den …

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Adi Schwartz, Einat Wilf: Der Kampf um Rückkehr. Heinrich & Hentrich Verlag 2022. 302 Seiten. 52.00 SFr. ISBN: 978-3-95565-551-8.

Eine israelische Sicht auf den Nahostkonflikt

Der Einsatz der israelischen Armee vor einigen Wochen richtete sich gegen ein palästinensisches Flüchtlingscamp in Dschenin in der Westbank. Ein Buch geht auf die Hintergründe ein.

Es war bereits in der Vergangenheit immer wieder Ort von Auseinandersetzungen zwischen militanten Palästinenser*innen und der israelischen Armee. Vielleicht stellen sich manche die Frage, warum es im Jahr 2023 noch immer palästinensische Flüchtlingscamps auf einem Territorium gibt, auf dem nach UN-Beschlüssen ein palästinensischer Staat an der Seite Israels entstehen soll.  Ein kürzlich im Verlag Hentrich erschienenes Buch unter dem Titel „Der Kampf um Rückkehr“ liefert einige Antworten. Der Untertitel „Wie die westliche Nachsicht für den palästinensischen Traum den Frieden behindert hat“ macht schon deutlich, …

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gata preta: Ich vermisse euch wie Sau. Eine Auseinandersetzung mit Flucht, Exil und Illegalität. Immergrün Verlag, Berlin 2022. 224 Seiten, 12 EUR

Buch über linke politische Flucht

Das Buch «Ich vermisse euch wie Sau. Eine Auseinandersetzung mit Flucht, Exil und Illegalität» ist eine Aufarbeitung von Freund:innen mit der Flucht und dem anschliessenden Exil ihres Freundes Ricardo. Ergänzt wird das Buch durch Interviews mit ehemaligen Exilant:innen aus der RAF und der ETA.

Wenn es um Flucht und Exil aus politischen Gründen in der Gegenwart geht, denken auch die meisten Linken nicht in erster Linie an Deutschland. Dabei gibt es auch in der BRD Linke, die sich langjährigen Haftstrafen durch Flucht ins Ausland entzogen haben. So wie Ricardo, der seit Ende der 1990er-Jahre in der ausserparlamentarischen Linken und der Graffiti-Szene in Dresden aktiv war. Ab 2006 produzierte er monatlich eine Livesendung beim Freien Radio Coloradio in Dresden. Im Jahr 2007 war er an der Organisierung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Rostock beteiligt. Grossen Wert legte er auf …

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Manfred Liebel / Philip Meade 2023: Adultismus. Die Macht der Erwachsenen über die Kinder. Eine kritische Einführung. Bertz + Fischer, Berlin. ISBN: ISBN 978-3-86505-768-6. 440 Seiten. 19,00 Euro.

Elternmacht

„In Deutschland hatte der kommunistische Pädagoge Edwin Hörnle in den 1920er Jahren ein Konzept entwickelt, das auf der politisch verstandenen Selbstorganisation proletarischer Kindergruppen aufbaut. Ähnliche Ideen, die vor allem auf den Pädagogen und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Kurt Löwenstein zurückgehen, wurden im Arbeiterverein ‚Die Kinderfreunde‘ unter dem Namen Rote Kinderrepubliken bis zur Machtergreifung der Nazis praktiziert.“ . Leider wurde auf diese Konzepte im Buch nicht weiter eingegangen. Auch das mittlerweile nur noch antiquarisch erhältliche Buch „Betrogene Kinder: Eine Sozialgeschichte der Kindheit“ fehlt im umfangreichen Literaturverzeichnis.

Der Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ hat im Frühjahr 2023 gleich mehrere Filmpreise erhalten. Eher selten wird bei den Lobreden erwähnt, dass der Film zeigt, wie sich die Schüler*innen gegen die autoritäre Herrschaft und Gängelung an einer scheinbar liberalen Schule auflehnen und dabei von den Lehrkräften immer wieder ausgebremst werden. Dabei werden unterschiedliche Herrschaftsmethoden angewandt. Während ein konservativer Lehrer Law and Order auch mit Polizei und Staatsgewalt an der Schule durchsetzen will, hofft ein Teil seiner Kolleg*innen, die autoritäre Agenda mit permanentem Druck gegenüber den Schüler*innen auch ohne Hilfe der repressiven Staatsapparate durchsetzen zu können. Beide Fraktionen sind sich darin einig, dass gegen die Jugendlichen eine Zero-Tolerance-Politik durchgesetzt werden muss. So ist der Film ein gutes Dokument des in der Gesellschaft ganz selbstverständlich herrschenden Adultismus, ein Begriff, der …

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Lisa Yashodhara Haller / Alicia Schlender (Hg.) 2021: Handbuch Feministische Perspektiven auf Elternschaft. Verlag Barbara Budrich, Leverkusen. ISBN: 978-3-8474-2367-6. 632 Seiten. 59,90 Euro.

Woher kommen die Eltern?

Das gesellschaftliche Idealbild von Müttern und Elternschaft verändert sich zwar im Wandel der Zeit, bleibt aber kapitalistisch vereinnahmt.

„Mama ist King von Beruf“ steht auf einem großen Transparent, das für einen neuen Song wirbt. Zu sehen war das Banner auf einer Häuserwand in Berlin-Kreuzberg. Die selbstbewusste junge Frau, die dort zu sehen war, hat auf den ersten Blick wenig gemein mit dem konservativen Bild einer Mutter, die sich nur um Küche und Kinder kümmert. Kein Zweifel, das klassische Bild über Mütter und Elternschaft hat sich in den Jahrzehnten in der Gesellschaft massiv gewandelt. Das stellt auch die feministische Theorie und Praxis vor neue Herausforderungen. So war es in den 1970er Jahren in feministischen Kreisen regelrecht verpönt, sich mit …

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Warum Rechte schon immer Autofans waren. Und weshalb Eva Herman zu Unrecht aus einer "Kerner"-Sendung im ZDF flog. Antworten liefert Kulturwissenschaftler Conrad Kunze.

Wie faschistisch sind die deutschen Autobahnen?

Kunze betont die wichtige Rolle der Nationalsozialisten bei der Popularisierung der Autobahnen in Deutschland. Denn noch in den 1930er-Jahren galten Autobahnen in weiten Teilen der Bevölkerung als unpopuläres Eliteprojekt. Nur wenige konnten sich Autos leisten. Dass die NSDAP 1933 die in den Schubladen der großen Konzerne liegenden Autobahnpläne aufgriff, sei auch ein Signal der NS-Führung an die Kapitalfraktionen gewesen, dass sie unter ihrer Regierung gut bedient würden, so Kunze.

„Aber Hitler hat die Autobahn gebaut“ – solche und ähnliche Sätze, die darauf angelegt waren, das verbrecherische NS-Regime zu relativieren, waren in der Bundesrepublik bis weit in die 1980er-Jahre zu hören. Als die ehemalige Fernsehmoderatorin Eva Herman 2007 in der ZDF Talkshow von Johannes B. Kerner unter anderem die provokante Behauptung aufstellte, dass wir heute alle auf Autobahnen fahren, die von den Nazis gebaut wurden, wurde sie aus der Sendung geworfen. Dabei habe Herman in der Sache Recht, erklärte der Kulturwissenschaftler Conrad Kunze. Er hat die Geschichte der Autobahnen in Deutschland erforscht und seine Ergebnisse in dem Buch …

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