Das betrifft nicht nur die CDU, sondern geht an den Kern der bürgerlichen Demokratie. Kommentar

Verschiebung des Unionsparteitags: Wie Corona-Politik gemacht wird

Hier zeigt sich, dass es notwendig ist, nicht nur über die Folgen von Corona, sondern auch über die Folgen der Corona-Maßnahmen zu reden. Die Behinderung demokratischer Entscheidungsprozesse durch die Verschiebung von Parteitagen, Kongressen oder auch Demonstrationen und Protesten gehört dazu. Es sollte um eine gesellschaftliche Debatte gehen: Ob wir bereit sind, dem Gesundheitsschutz alles unterordnen zu wollen.

Angela Merkel hat sich in den letzten Wochen besonders als Politikerin der Angst präsentiert, die es am liebsten sehen würde, wenn sich die Bevölkerung in einen freiwilligen Lockdown begeben würde. Im Gegensatz zum Frühjahr soll die Wirtschaft aber möglichst nicht gänzlich runtergefahren werden. Doch Feiern, Sportveranstaltungen und auch Demonstrationen sollen möglichst freiwillig unterbleiben. Wenn die freiwillige Selbsteinmauerung nicht genügend Unterstützung findet, schlägt die Stunde der Staatsapparate. Die Ankündigung der Großeinsätze der Polizei in verschiedenen Städten können zur Abschreckung im Livestream verfolgt werden. Am Wochenende waren in Berlin 1000 Polizisten im Corona-Einsatz. Doch auch auf der repräsentativen ….

… politischen Ebene zeigt die Corona-Angst Folgen. Die CDU will ihren Parteitag erneut verschieben und löst damit eine parteipolitische Kontroverse aus.

CDU soll auf Merkel-Linie bleiben

Dass es bei der abermaligen Verschiebung nicht nur um Corona geht, zeichnete sich schon länger ab. Jetzt hat Friedrich Merz, einer der Kandidaten für die Merkel-Nachfolge, den Verdacht geäußert, mit der Verzögerung solle seine Wahl verhindert werden.

Laut Merz gebe es keinen rationalen Grund, einen Präsenzparteitag zu verschieben. Sollte sich die Corona-Lage verschärfen, könnte auch ein digitaler Parteitag abgehalten und mit der Wahl eines neuen Vorstands beendet werden. Wenn hingegen der CDU-Vorstand, ohne einen neuen Termin zu nennen, den Parteitag verschiebe, so hat das laut Merz politische Gründe. Ein Teil des politischen Establishments wolle ihn seiner Auffassung nach verhindern.

Nun muss man keinerlei Sympathie mit dem konservativen Merz haben, der seinen CDU-internen Machtkampf mit Merkel verloren hat und stattdessen lukrative Posten in verschiedenen Wirtschaftsfunktionen bediente. Doch mit seiner Analyse der ständigen Parteitagsverschiebungen dürfte Merz richtig liegen. Das zeigt sich schon daran, dass Merkel und ihre Vertraute Kramp-Karrenbauer die Verschiebung durchdrückten.

Merkel kann in der Politik noch nicht per Verordnung den Lockdown anordnen, da gibt es noch Ministerpräsidenten, mächtige Interessengruppen und Gerichte, eben die verschiedenen Schützengräben der bürgerlichen Demokratie. Im CDU-Vorstand aber kann sie noch durchregieren. So werden eben die Voraussetzungen geschaffen, dass der Vorstand nicht an den langjährigen Merkel-Kontrahenten Merz geht.

Dabei geht es weniger um grundsätzliche politische Unterschiede. Beide sind überzeugte Marktwirtschaftler und flexibel genug, um auf neue politische Erscheinungen zu reagieren. So hat Merkel in der Koalition mit der FDP die marktliberale Seite stärker betont als im Bündnis mit der SPD. Auch Merz hat schon erklärt, dass auch er mit den Grünen regieren kann.

Die vor allem in liberalen Kreisen betonten Unterschiede zwischen Merz und Merkel mögen vor allem für Grünen-Wähler interessant sein, in der politischen Praxis sind sie nicht von Belang. Dass es im Merkel-Flügel der Union trotzdem so große Aversionen gegen einen Vorsitzenden Merz gibt, hat vor allem persönliche Gründe. Merz sieht seine Kandidatur auch als eine Revanche an Merkel, die sich vor über 20 Jahre gegen ihn durchsetzte. Umgekehrt dürfte Merkel in einem Erfolg von Merz eine späte Niederlage sehen.

Das sind nun Fragen, die nur die Unionsführungsriege angehen. Warum der Mitgliederentscheid über den neuen Vorstand in der Union nicht mehrheitsfähig ist, wäre auch eine Frage an die Union. Doch die ständige Verschiebung des Parteitags hat eine demokratietheoretische Komponente, die eben nicht nur für die CDU interessant ist.

Hier wird einfach ein Vorstand im Amt gehalten, obwohl es in großen Teilen der Union den Wunsch für eine Neuwahl seit Monaten gibt. Man stelle sich vor, ein solches Prozedere würde eine Regierungspartei in einem der Länder veranstalten, die als illiberale Demokratie gelabelt werden, dann wäre der Protest der Liberalen aller Couleur groß.

Doch genau diese Liberalen loben die Verzögerungstaktik des Merkel-Etablissement in der Union als verantwortungsvolles Handeln. Sie sind natürlich erleichtert, dass Merz als Parteivorsitzender verhindert werden kann. Corona wird wie so vieles in diesen Zeiten zum Vorwand für einen Demokratieabbau. Zudem soll die Entscheidung der CDU auch eine Pilotfunktion haben.

Auch Parteitag der Linken soll abgesagt werden

Massiver Druck wird auch auf die Linke ausgeübt, ihren in Thüringen geplanten und bereits verkürzten Parteitag zu verschieben. Auch dort soll ein neuer Vorstand gewählt werden.

Das Duo Wissler/Henning-Wellsow ist sicher nicht in allen Parteikreisen beliebt, es gab aber keine ernstzunehmenden Kontrahenten. Eine Verschiebung des Parteitags würde vor allem verhindern, dass sich das neue Vorstandsduo vor den nächsten Bundestagswahlen einarbeiten und vielleicht mit eigenen Akzenten profilieren kann. Das ist aber gerade für eine kleine Partei überlebensnotwendig.

Daher ist es umso erstaunlicher, dass es da nicht größeren Widerstand gegen eine weitere Schleifung bürgerlich-demokratischer Grundsätze gibt. Man kann ein Kritiker der bürgerlichen Demokratie sein und sie verteidigen, wenn sie durch eine autoritäre Variante abgelöst werden sollte. Die ständige Verschiebung von Parteitagen bedeutet gerade bei Parteien, die wie die CDU und die Linke einen neuen Vorstand wählen, ein Lahmlegen ihrer Arbeit.

Auch über die Folgen der Corona-Maßnahmen reden

Hier zeigt sich, dass es notwendig ist, nicht nur über die Folgen von Corona, sondern auch über die Folgen der Corona-Maßnahmen zu reden. Die Behinderung demokratischer Entscheidungsprozesse durch die Verschiebung von Parteitagen, Kongressen oder auch Demonstrationen und Protesten gehört dazu. Es sollte um eine gesellschaftliche Debatte gehen: Ob wir bereit sind, dem Gesundheitsschutz alles unterordnen zu wollen.

Dann müssten wir aber davon wegkommen, wie das Kaninchen auf die Schlange auf die täglich steigenden Infektionszahlen zu starren, und alle, die das ablehnen, in die Schublade „Corona-Leugner“ zu stecken. Dahin gehört auf keinen Fall der Epidemiologe der Berliner Charité, Stefan Willich, der die Grenzwerte, die Politiker für die Einschränkungen im täglichen Leben festgelegt haben – 50 Infektionsfälle bei 100.000 Einwohner -, für völlig willkürlich hält und das Fehlen eines vernünftigen Bezugsrahmen bemängelt.

Willich fordert repräsentative Stichproben, die über das tatsächliche Infektionsgeschehen in einer Region Auskunft geben können. „Die politische Risikobewertung folgt, wie schon früher, als es um den Mund-Nasen-Schutz ging, weniger epidemiologischen als ressourcenstrategischen Prämissen“, schreibt die Journalistin Ulrike Baureithel in der Wochenzeitung Freitag unter der Überschrift „Antworten auf Covid“.

Die sechs Abschnitte mit eigenen Fragestellungen (z.B. „Was wissen wir über die Verbreitung?“, „Wie gut sind eigentlich Corona-Tests?“) sind in einem Gestus verfasst, der eben nicht Angst erzeugt, sondern aufklärt und auch zugibt, dass es in Bezug auf Covid viel mehr Fragen als Antworten gibt. So heißt es unter der Frage „Welche Rolle spielt die Wissenschaft?“:

„Sie liefert zu wenig und viel zu Einseitiges, so lautet das Verdikt vieler nicht epidemiologischer Experten, Public-Health-Spezialisten und Psychologen, die sich aus dem inneren Kreis der Politikberatung ausgeschlossen sahen und sehen.“

Es genügt also keineswegs, mantraartig auf die Wissenschaftlichkeit zu verweisen, wenn Kritik an den Corona-Einschränkungen geübt wird. Baureithel stellt in der Zusammenstellung auch die Frage „Wie viele Tote leisten wir uns?“ 

Dazu schreibt sie: „Derzeit bewegen sich die wöchentlichen Zahlen im niedrigen, zweistelligen Bereich; auch in der Todesrate, also das Verhältnis von Infizierten und Verstorbenen sinkt. Daher gilt die Krankheit auch als weniger aggressiv. Die gefürchtete Übersterblichkeit hat sich nicht eingestellt.“

Doch Baureithel betont, dass sich das in Zukunft noch ändern kann. Zudem warnt sie vor einer Verengung des Blicks auf Corona. „Jährlich sterben etwa 350.000 Menschen in Deutschland an Herz-Kreislauferkrankungen.“

Eine Diskussion, die sich der Frage widmet, wie wir mit Corona leben können, sollte sich von solchen differenzierten Stellungnahmen und nicht von der Politik der Angst leiten lassen. Peter Nowak