Eine Stärkung der Ukraine wurde stets als Voraussetzung für Friedensverhandlungen genannt. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. So zeigt sich, wie richtig es ist, sich auf keine Seite zu stellen.

Nach ukrainischen Erfolgen: Bombenstimmung in Deutschland

Vor 107 Jahren haben sich Kriegsgegner aus ganz Europa im Schweizer Zimmerwald getroffen und ein Manifest verabschiedet, in dem es hieß: "Über die Grenzen, über die dampfenden Städte und Dörfer hinweg rufen wir Euch zu: Proletarier aller Länder vereinigt Euch". Die Forderung hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, wenn es um den Kampf gegen den Krieg geht, auch wenn das Proletariat, das den Krieg beenden könnte, heute viel zerstreuter ist.

„Seit wir die erste Panzerabwehrrakete an die Ukraine geliefert haben, haben wir tödliche Waffen geliefert“, erklärte am Montag Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Dort sprach der erklärte Bellizist, der seit Monaten für mehr Waffen an die Ukraine trommelt, auch sonst Klartext. Schon mit den ersten Waffen sei die Eskalation eingetreten, vor der …

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Von den Septemberstreiks vor 53 Jahren bis zu den ostdeutschen Betriebskämpfen gibt es aktuell genügend historische Anknüpfungspunkte. Doch die Linke bleibt passiv. Wie den Rechten das Feld überlassen wird.

Soziale Proteste: Die Linke als Diskurspolizei?

Wie bei den Septemberstreiks vor 53 Jahren müsste der Druck von der Basis der Beschäftigten ausgehen. Dazu ist es natürlich wichtig, diese historischen Erfahrungen überhaupt zu kennen. Und nicht nur sie. Marek Winter erinnert in einem Artikel in der Wochenzeitung Jungle World an vergessene betriebliche Kämpfe, die kaum 30 Jahre her sind: die Kämpfe der Belegschaften gegen die Zerschlagung der DDR-Industrie durch die Treuhand. Wenn jetzt Habeck und Co. in Schwedt die Deindustrialisierung Ostdeutschlands fortsetzen wollen, könnte es dann auch Proteste führen, die an diese Betriebskämpfe vor über 30 Jahren anschließen.

Aktuell ist die Zeit der Gesundbeter, die die Lage trotz hoher Inflation und eines bevorstehenden Winters mit zu erwartender Energiearmut bisher unbekannten Ausmaßes schönreden. Befürchtet wird von den ideologischen Staatsapparaten, dass ein Teil der Bevölkerung dieses Zweckoptimismus nicht teilt und womöglich auf die Straße geht, um eine andere Politik zu fordern.In liberalen Medien kommen Psychologen zu Wort, die erklären, wie man die Krise meistern und aushalten kann. Diesen Zweckoptimismus bedienen auch Politik und Medien. „5:1 für die Zuversicht“, titelte die linksliberale taz und vermeldet, dass außer der AfD alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien davon ausgehen, die Krise in der Hauptstadt sei gemeistert. Eigentlich müsste es als großes Warnsignal verstanden werden, wenn es keine linken Parteien gibt, die angesichts der drohenden massiven Inflation und Energieknappheit mit noch unklaren Folgewirkungen den Widerstand der Bevölkerung gegen diese Politik und ihre Profiteure unterstützen. Denn eine solche Kraft wäre auch ein großer Beitrag gegen rechts. Wenn aber eine ganz Große Koalition – außer der AfD – im Berliner Abgeordnetenhaus auf Zweckoptimismus setzt, ist das ein …

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Es ist dringend notwendig, dass auch in Deutschland eine neue antimilitaristische Bewegung entsteht, die sich von Geopolitik und Antiamerikanismus fernhält.

Kann eine neue antimilitaristische Bewegung der NATO-linken Paroli bieten?

Der neue deutsche Nationalismus, der sich als Weltmeister der NS-Aufarbeitung selber feiert, aber an Bündnispartnern wie Asow und Ustascha keinen Anstoss nimmt, müsste zum Gegenstand von theoretischer und praktischer Kritik werden. Das ist die Herausforderung, der sich eine neue antimilitaristische Bewegung in Deutschland stellen muss. Das bedeutet, dass aus den Fehlern der deutschen Friedensbewegung gelernt werden müsste, die immer auch deutschnationalen Parolen arbeitete, weil für sie der Hauptfeind eben nicht Deutschland, sondern die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition besonders die USA war. So sorgte diese Friedensbewegung mit dafür, dass sich Deutschland als selbstbewusste Nation gerieren konnte.

Nach mehr als drei Monaten Krieg in der Ukraine kann man feststellen, dass sich eine NATOlinke etabliert hat, die auch politische Spektren erfasst, die noch vor mehr als 20 Jahren bei den Kriegen, die den jugoslawischen Zerfallsprozess begleiteten, klar gegen die NATO und vor allem die Rolle Deutschlands beim Zerfall Jugoslawien positioniert hatten. Sie standen damit klar gegen die Grünen, die frisch in der Bundesregierung den Jugoslawienkrieg als Fortsetzung des Antifaschismus mit anderen Mitteln rechtfertigten. „Nie wieder Auschwitz“ war die Begründung des Außenministers Josef Fischer für die deutsche Beteiligung an dem Krieg. Dagegen wehrten sich vor über 20 Jahren die Überlebenden von Auschwitz, aber auch …

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Ablehnung jeglichen Nationalismus

Grossrussischer Chauvinismus gepaart mit Antikommunismus

Putins Rede vor der Anerkennung der ukrainischen Provinzen war auf einen Angriff auf den kommunistischen Kosmopolitismus der linken Arbeiter:innenbewegung.

Genau in diese Tradition sollten wir uns wieder stellen, wenn wir einen kommunistischen Kosmopolitismus fordern. Eine Zäsur stellt der Angriff auf die Ukraine sicherlich da. Denn erstmals ist es Russland, das die nach 1989 aufgebaute neue Nachkriegsordnung in Europa in Frage stellt. Die besagte, dass sich die Nato in ganz Osteuropa ausbreitet. In den 1990er Jahren schien Russland weder politisch noch militärisch in der Lage, darauf zu reagieren. Doch dies sollte sich mit dem Aufstieg des Putin-Regimes ändern.  Unter seiner Herrschaft wurde das Land nicht nur militärisch wieder aufgerüstet, so dass es in vielen Teilen der Welt von Syrien bis Mali wieder als Globalplayer auftreten konnte. Kombiniert wurde diese Rekonstruktion der Staatlichkeit mit einen autoritären kapitalistischen Regime mit einer rückwärtsgewandten nationalistischen Ideologie, wie sie gut in der …

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Was wir im Jahr 2022 von einen konsequenten Antimilitarismus lernen können, der Nationalismus auf allen Seiten verurteilt.

Die Waffen nieder auf allen Seiten!

Konsequente Kriegsgegner*innen stellen sich auch heute auf keine Seite. Sie unterstützen vielmehr die Opfer der Kriege auf allen Seiten, beispielsweise Menschen, die aus den Konfliktzonen fliehen. Sie rufen Menschen auf Seien auf, sich nicht für Kriegsdienste zur Verfügung zu stellen und auch der Kriegspropaganda zu widersprechen. Und sie organisieren Solidarität für die Kriegsgegner*innen und Deserteurinnen und Deserteure, die Verfolgung und Repression erleiden müssen. Denn Kriegszeiten sind immer auch Zeiten von besonders starker Verfolgung aller oppositionellen Stimmungen. Zudem kritisieren sie Nationalismus und Chauvinismus auf allen Seiten. Nicht nur in Russland, auch in vielen osteuropäischen NATO-Staaten wurden nationale Identitäten mithilfe nationalistischer und rechtsgerichteter Ideologien konstruiert, darunter auch in der Ukraine.

„Ich habe keine Angst vor einem neuen Kalten Krieg. Ich habe Angst vor einem heißen Krieg in Europa“, sagte die Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Sarah Pagung am 21. Februar in der Talk-Sendung „hart aber fair“. Sie sollte Recht behalten. Wenige Tage später hat dieser heiße Krieg mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine begonnen. Nun reden Politiker*innen von einer Zäsur in Europa. Seit 1939 sei erstmals wieder ein souveräner Staat auf dem Kontinent angegriffen worden, wurde nun häufig behauptet. Da werden die Kriege nach dem Zerfall von Jugoslawien großzügig ausgeblendet. Denn damals griffen die NATO-Staaten an. Eine Zäsur stellt der Angriff auf die Ukraine sicherlich dar. Denn erstmals …

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Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine beteiligen sich Linke verschiedener Strömungen an Protesten. Manche haben erkannt, dass hier kapitalistische Machtblöcke um Einflusssphären kämpfen

„Gegen Putin und gegen die Nato“

Am Donnerstagabend hatte die Berliner Stadtteilgruppe "Hände weg vom Wedding" eine Antikriegskundgebung organisiert, auf der verschiedene kommunistische und sozialistische Gruppen Redebeiträge hielten. Der Protest richtete sich klar gegen den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine und gegen die Nato-Kriegspolitik. Die Politik Russlands wurde hier eben nicht isoliert von der Ausbreitung der Nato in den letzten Jahrzehnten kritisiert.

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine gab es in vielen Städten in Deutschland spontane Proteste sehr unterschiedlicher Art. So fanden sich am Donenrstag rund um das in den ukrainischen Nationalfarben angeleuchtete Brandenburger Tor in Berlin wie in den Vortagen viele Menschen mit familiärem Bezug zur Ukraine ein, die zum Teil schon länger in Berlin leben. Aber auch Menschen aus Russland, Kasachstan und Belorussland haben sich dort in den Protesten beteiligt. In den letzten Jahren war Berlin zum Fluchtpunkt vor allem junger Menschen aus postsowjetischen Staaten geworden. Sie beteiligen sich oft zum ersten Mal an politischen Aktivitäten. Die Stimmung dort ist sehr emotional, weil viele der Beteiligten Freunde und Angehörige in der Ukraine haben. „Mein Vater kämpft gerade gegen die Russen“ hat ein junger Mann auf ein Schild geschrieben. Rund um das Brandenburger Tor sah man auch viele ukrainische Nationalfahnen. Einige Redner forderten von Deutschland …

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Deutschland stellt sich auf die Seite der Angreifer

Es geht um Einfluss-Interessen in Syrien. Die menschenrechtliche Ummantelung solcher Interessen, man wolle weitere Giftgaseinsätze verhindern, ist in vielerlei Hinsicht verlogen

Als notwendigen Angriff, der hoffentlich seine Botschaft nicht verfehle, dass man geächtete Chemiewaffeneinsätze nicht dulden werde, bezeichnete der Unionspolitiker Ruprecht Polenz den wenigen Stunden zuvor erfolgten Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Ziele in Syrien.

Nun ist Polenz auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ein noch immer gut vernetzter Außenpolitiker. Er vertritt also keine Minderheitsmeinung. Schließlich hat ja auch Bundeskanzlerin Merkel schon wenige Stunden nach dem Angriff von angemessenen und erforderlichen Maßnahmen gesprochen. Man begrüße, dass die Verbündeten gehandelt hätten.

Ähnlich äußerten sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt und Bundesaußenminister Heiko Maas. So beeilte sich das gesamte bundesdeutsche Politestablishement, sich auf die Seite der Angreifer zu stellen. Vergessen schien, dass noch zwei Tage vorher Merkel erklärte, dass sich Deutschland nicht direkt an dem Angriff beteiligte und dafür vom FDP-Außenpolitiker Lambsdorff kritisiert wurde.

Dabei sind die unterschiedlichen Erklärungen von Merkel nicht so inkonsistent, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Schließlich hat Merkel auch in der ersten Erklärung betont, dass, auch wenn sich Deutschland nicht direkt beteiligt, die Chemiewaffen aber verschwinden müssen. So konnte sie sich nun hinter den Angriff stellen, der ja vorgibt, genau dieses Ziel zu verfolgen. Auch in der grünennahen Taz waren in den letzten Tagen bellizistische Töne zu lesen. So schrieb Alexander Bühler:

Assad wird nicht aufhören, Giftgas gegen die Bevölkerung einzusetzen. Deshalb sind gezielte US-Luftschläge die einzig richtige Antwort.

Alexander Bühler, Taz

Spiel mit der Apokalypse

Er hat in dem Kommentar schon richtig erkannt, dass der momentane Konflikt, nicht zu der Apokalypse eines Konflikts zwischen Russland und den USA führen wird, was in einen globalen Krieg führen könnte. Bestimmte Tweets von Trump haben für kurze Zeit solche Befürchtungen aufkommen lassen, die noch immer die deutsche Friedensbewegung wieder belebt. Ihr geht es dabei auch nicht abstrakt um den Weltfrieden, sondern um die Furcht, dass durch einen unkontrollierten Konflikt deutsche Interessen in Gefahr gerieten.
Das war schon vor dem zweiten Golfkrieg so, als die apokalyptischen Szenarien Massen auf die Straße trieben, aber kaum jemand über die Scout-Raketen redete, die vom Saddam-Regime auf israelisches Gebiet geschossen wurden. Kaum jemand bemühte sich um eine Analyse der Interessen der unterschiedlichen Akteure und vor allem nicht über die Interessen der damals sich entfaltenden kapitalistischen Mittelmacht Deutschlands.

Später ließ sich dieses Deutschlands als Friedensmacht feiern, als es sich am Krieg, der zum Sturz Saddam Husseins führte, offiziell ebenso wenig beteiligte wie beim Sturz von Gaddafi in Libyen. Dass es dabei nicht um Frieden, sondern um eigene imperialistische Interessen Deutschlands ging, zeigte sich bei der Rolle des Landes bei der Zerschlagung von Jugoslawien. Gegen Serbien zog man schon aus historischen Gründen gerne wieder in Krieg. Damit sah man deutsche Interessen gewahrt.

Dass sich das Land bei den Angriffen auf den Irak und Libyen nicht direkt beteiligte, hieß nun nicht, dass man nicht logistische Unterstützung bei den Angriffen leistete, worauf Teile der deutschen Friedensbewegung mit Recht immer wieder hinwiesen. Trotzdem störte der Tenor ihrer Erklärungen, die sich meistens dahingehend erschöpften, dass Deutschland noch immer in der Außenpolitik von den USA oder der Nato abhängig wäre.

Dabei wird unterschätzt, dass Deutschland sehr genau die Interessen eines eigenständigen Nationalstaats verfolgt, der die USA längst als Konkurrent im innerkapitalistischen Kampf sieht, aber natürlich den Kontakt mit seinen ehemaligen Verbündeten nicht ganz abreißen lassen will. Ebenso will man die Beziehungen mit Russland auf eine neue Grundlage stellen.

Gute Kontakte, wo es angeblichen deutschen Interessen nützt, kombiniert mit Druck, wo das nicht der Fall sein sollte – für diese unterschiedlichen Interessen stehen verschiedene Kapitalfraktionen, die sich auch in unterschiedlichen politischen Formationen ausdrücken. Wobei auch da immer die Widersprüche, die nun mal im Spätkapitalismus immanent sind, auftauchen.

Die Grünen stehen eher für einen scharf antirussischen Kurs. Dort diskutiert man schon mal, ob die Bundeswehr Riga gegen die russische Armee verteidigen kann. Trotzdem hat der auch heute noch einflussreiche Politiker Jürgen Trittin den jüngsten Angriff in Syrien moderat kritisiert.

In der FDP, die sich so gedrängt sah, von Anfang an mit in der Koalition gegen das syrische Regime mitzumachen, hat zumindest der nach Lindner wichtigste Politiker Kubicki schon mal für eine Annäherung an Russland plädiert. In diesen scheinbaren Zickzackkurs kommt eher die Tatsache zum Ausdruck, dass Deutschland als „selbstbewusste Nation“ ihren Platz zwischen den innerkapitalistischen Konkurrenten Russland und USA immer neu austarieren muss.

Welche Rolle kann die Antikriegsbewegung spielen?

In dieser Gemengelage muss sich eine Antikriegsbewegung auch immer wieder neu finden. Sie ist eben nicht identisch mit der deutschen Friedensbewegung, die es überwiegend nicht schafft, die deutschnationalen Untertöne abzustreifen. Hier wird immer noch suggeriert, dass Deutschland von den USA abhängig ist.

Also kommen manche zu dem Schluss, die deutschen Interessen am besten in enger Kooperation mit Russland durchsetzen zu können und feiern Putin als Friedensfürst. Das ist nun genau so fatal wie die antirussischen Töne, die vor allem aus dem grünen Spektrum zu hören sind. Da hat man manchmal den Eindruck, hier werden noch immer die antislawischen Ressentiments bedient, die schon vor mehr als 100 Jahren die damalige Sozialdemokratie ins Lager des Burgfriedens mit den Herrschenden getrieben hat.

Eine Antikriegsbewegung, die ihren Namen verdient, müsste an der linken Minderheit anknüpfen, die sich vor 100 Jahren gegen den Kurs der Verteidigung irgendeines Vaterlandes positionierte und dafür den Kapitalismus in den Fokus des Kampfes nahm, der die eigentliche Ursache für immer neue Konflikte ist, die auch immer wieder zu Kriegen treibt.

Diese Strömung war in Teilen der Sozialdemokratie, des Anarchismus und Syndikalismus vertreten und es gab auch in kleinen Teilen des Bürgertums solche Ansätze. Viele dieser Kriegsgegner trafen sich in der „neutralen“ Schweiz, wo sie sich mit der Zimmerwalder Konferenz[5] international vernetzten.

Wo sind die Opfer des „humanitären“ Angriffs?

Eine Antikriegsbewegung, die sich heute in diese Tradition stellt, müsste vor allem aufhören, sich mit einer Seite in den Konflikt zu identifizieren. Auf den Angriff auf Syrien bezogen heißt dass, sich weder auf der Seite der Verbündeten Syriens noch auf der ihrer Gegner zu positionieren. In Syrien gilt es vielmehr die Kräfte zu unterstützen, die sich gegen das Regime und den Islamismus engagieren.

Zudem gilt es, aber auch die Propaganda der sogenannten westlichen Kriegsallianz zu hinterfragen. Schon die Konzentration auf den Einsatz von Chemiewaffen als angebliche „rote Linie“ ist nur ein Hebel, um deutlich zu machen, dass auch im Syrienkonflikt nichts ohne die Interessen des „Westens“ laufen wird.

Schließlich hatte das Assad-Regime mit Unterstützung Russlands, des Irans und der Hisbollah seine Macht wieder gefestigt. Dabei wurden diverse Islamisten geschlagen, die auch vom Westen unterstützt, aber nicht erfunden wurden. Aber das hat eben letztlich auch das autoritäre Assad-Regime wieder gestärkt. Mit dem Angriff hat der „Westen“ deutlich gemacht, dass es in dem Konflikt mitreden will.

Man will nicht zulassen, dass dort eine Regelung unter Federführung Russlands und unter Ausschluss der USA und ihren Verbündeten zustande kommt. Dass ist der eigentliche Grund für den jetzigen Angriff. Die menschenrechtliche Ummantelung solcher Interessen, man wolle weitere Giftgaseinsätze verhindern, ist in vielerlei Hinsicht verlogen.

Warum ist es für die Opfer des Krieges besser von den zahlreichen anderen Waffen ermordet oder verstümmelt werden? Und warum soll ausgerechnet eine USA-Regierung berufen sein, gegen Chemiewaffen Krieg zu führen, die noch immer den Einsatz von Napalm im Vietnamkrieg verteidigt? Und warum sollte eine französische Regierung nicht die vielen Massenmorde aufarbeiten, die sie als Kolonialmacht in Afrika verübte, bevor sie sich als Kämpfer gegen Chemiewaffen aufspielt?

Zudem sollte nun unabhängig untersucht werden, wie viel Opfer denn die nächtlichen Angriffe auf syrische Ziele gekostet haben. Denn auch in diesem Konflikt, hört man von den Opfern der anderen Seite wenig. Das war beim Krieg gegen Jugoslawien genauso wie bei den Angriffen gegen den Irak und Lybien.

Das wiederholt sich nun, wo es angeblich in Syrien nur Verletzte aber keine Toten gibt. Da verbinden sich die Angreifenden, die ja angeblich einen humanitären Krieg führen mit den syrischen Machthabern und deren Verbündeten, für die es natürlich ein Prestigeverlust wäre, wenn der Angriff noch viele Opfer gefordert hätte. Eine von allen Seiten unabhängige Antikriegsbewegung müsste sich hingegen auf die Opfer an Menschen, die Verletzten, die Toten und die Schäden hinweisen, die der Angriff erforderte.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.ruprecht-polenz.de
[2] http://atlantische-initiative.org/ueber-uns/verein/
[3] https://www.tagesschau.de/inland/syrien-diskussion-101.html
[4] http://www.taz.de/!5495419/
[5] http://www.zimmerwald1915.ch/

Was macht die Friedensbewegung, wenn Russland in Syrien mit bombt?

Am kommenden Sonntag geht ein Teil der deutschen Friedensbewegung 100 Jahre zurück in die Geschichte. Sie nehmen das Jubiläum der Zimmerwalder Konferenz, als sich vor 100 Jahren in den kleinen Schweizer Ort die versprengten Reste der europäischen Sozialdemokratie trafen, die den Kurs des Burgfriedens ablehnten, zum Anlass, um über die Probleme der heutigen Friedensbewegung zu sprechen[1].

Seit einigen Tagen ist die Situation für die abermals versprengen Reste der aktuellen Friedensbewegung noch schwerer geworden. Seit Russland genau wie die USA und Frankreich ebenfalls in Syrien Ziele bombardiert, müsste zumindest der Teil der Friedensbewegung in Argumentationsschwierigkeiten geraten, der Putin und seine Politik immer als friedlich darstellte und dagegen die kriegerische USA bzw. den US-Imperialismus stellten.

Ein Paradebeispiel war in diesen Kreisen die diplomatische Initiative Russlands, das syrische Giftgas ohne kriegerischen Einsatz zu beseitigen. So sei in letzter Minute ein schon geplantes Eingreifen der USA und anderer Natostaaten in Syrien verhindert worden, so die Sichtweise der Fraktion in der Friedensbewegung, die vielleicht etwas verkürzt als prorussisch bezeichnet werden können. Es ist tatsächlich schwer, einen Begriff für diese Strömung zu finden, die in Teilen der traditionellen Linken ebenso anzutreffen ist wie in der diffusen Mahnwachenbewegung, aber auch in offen rechten Kreisen.

Rückkehr der Geopolitik

Der Begriff der Putinversteher, der sich für diese Strömung eingebürgert hat, ist schon deshalb untauglich, weil er schon die Tatsache, dass jemand die Interessenlage und Beweggründe eines Landes verstehen will, mit einer negativen Konnotation versieht. Am ehesten könnte diese russlandfreundliche Strömung als Neuauflage einer Geopolitik[2] begreifen, die geografische Gegebenheiten zum Gegenstand der Politik machen will. Da wird zum Beispiel eine Verständigung mit Russland mit der notwendigen Kooperation der europäischen Mächte begründet. Die USA wird als nichteuropäische Macht als potentieller Aggressor betrachtet, der eine Kooperation zwischen der EU und Russland hintreiben könnte.

Auch das Konzept der Eurasischen Union, ein Bündnis zwischen europäischen und asiatischen Ländern, zu denen Russland den Schlüssel bieten soll, ist in geopolitischen Kreisen populär. Das Konzept kommt ursprünglich aus der politischen Rechten. Heute beziehen sich auch Menschen und Initiativen darauf, die sich als links verstehen. Doch mit dem emanzipatorischen Anspruch hat es auch heute nichts zu tun. Es geht um Staaten und ihre Regenten und die überhistorischen geografischen Gegebenheiten, die angeblich die Geschichte bestimmen. Kein Platz ist in einem solchen Geopolitikkonzept für die Bewohner der Länder, ihre Wünsche und ihre Kämpfe.

Es ist kein Zufall, dass anlässlich des Geburtstags von Otto von Bismarck, der sich in diesem Jahr am 1. April zum 200. Mal jährte, viel über vermeintlich löbliche Seiten des erzreaktionären Politikers sinniert wird. Dabei wird besonders betont, dass Bismarck nach zahlreichen, von ihm provozierten Kriegen einen Ausgleich mit Russland suchte, woraus Handlungsmöglichkeiten für den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt abgeleitet werden.

Hier wird versucht, eine geopolitische Tradition zu kreieren. Auch heute wird sie hauptsächlich in rechtspopulistischen Kreisen gepflegt. So wird auf einer Konferenz des Magazins Compact der französische Geopolitiker Thierry Meyssan auftreten[3], der erst kürzlich aufrief, IS und Moslembürger gemeinsam mit Putin zu bekämpfen. Meyssan ist mit seiner Veröffentlichung zum 11. September zum Star der Verschwörungstheoretiker geworden. Ihm wird aber auch von seinen Kritikern[4] bescheinigt, dass er lange Zeit in Frankreich als Wissenschaftler der Aufklärung galt. Gerade darin aber dürfte sein Erfolg liegen.

Den Anhängern eines solchen Bündnisses geht es nicht um eine Welt ohne Krieg. Ihnen geht es um ein starkes Deutschland bzw. einer deutschbeherrschten EU-Zone, die sich im Bündnis mit Russland gute Voraussetzungen für den Kampf um Bodenschätze und Wasser erobern soll und dazu natürlich bei Bedarf auch Krieg führen können. Nur sollen es nach den Vorstellungen der Geopolitiker eben Kriege sein, die im deutschen Interesse sind.

Die Intervention Russlands in Syrien hingegen wird dann als weltweiter Beitrag im Kampf gegen den Islamismus interpretiert, wie es der russische Präsident in seiner Rede auf der UN-Vollversammlung[5] kundtat und dazu sogar Verbindungen zur Anti-Hitler-Koalition zog, um auch die Traditionslinke zufrieden zu stellen.

Vom kalten und heißen Krieg

Tatsächlich ist die syrische Intervention für die russische Regierung vor allem eine gute Gelegenheit, um der Welt und auch der Bevölkerung zu signalisieren, wir sind wieder zurück in der Weltpolitik. Russland hat keineswegs vor, nach der Pfeife und unter dem Oberbefehl der USA oder Frankreich zu handeln. Wenn nun der französische Präsident Hollande von Putin fordert, er solle an den westlichen Vorgaben richten und nur die Islamistenfraktion bombardieren, die weltweit als zum Abschuss freigegeben angesehen wird, nämlich den IS, wird damit in Moskau auf wenig Gehör stoßen.

Dort hat man vielmehr deutlich gemacht, dass es Gespräche mit Vertretern westlicher Staaten nur in technischen Fragen geben soll. Man will so vermeiden, dass man sich, wie kurzzeitig im Kosovo passiert, plötzlich bewaffnet gegenübersteht, bzw. dass man gar aufeinander schießt. Man ist also dann wieder auf der Höhe des Kalten Krieges, als es den Verantwortlichen auch darum ging zu verhindern, dass daraus ein heißer Krieg wird.

Aber schon das Vokabular war zynisch. Denn der Krieg fand in den drei Kontinenten statt. Dort starben die Menschen, dort wurden die Städte und Dörfer verwüstet, die Felder vermint und eine unbekannte Zahl von Menschen dem Tod oder der Verelendung ausgeliefert. Heiß wäre der Krieg aber nur nach dieser Definition nur dann geworden, wenn dabei auch in den Zentren, also in den USA, in Russland, Frankreich oder Deutschland, Bomben eingeschlagen hätten und Menschen ums Leben gekommen wären. So wurden die Menschen also sortiert nach Metropolenbewohnern und den anderen.

Wenn nun Russland die Ergebnisse der Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg rückgängig machen will und sich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland als Macht, mit der man rechnen muss, präsentiert, bedeutet das für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ein Zurück zu diesen Zuständen. Wer von den russischen Bomben getroffen wird, ist für die meisten Medien hierzulande nicht interessant. Genau so wenig wie die Opfer der anderen Mächte, die mit Bomben und Drohnen dort aktiv sind.

Nur die Initiative Adopt the revolution[6], die weiterhin beharrlich daran erinnert, dass der Aufstand in Syrien damit begann, dass sich Menschen gegen eine autoritäre Herrschaft auflehnten, bevor die völlig legitime Revolte durch Nachbarstaaten militarisiert wurde, macht sich die Mühe, Menschen aus Orten zu Wort kommen[7] zu lassen, die unter russischen Bomben[8] lagen.

Solche Initiativen stehen damit in der Tradition einer Antimilitarismusbewegung, die wie der linke Flügel der Sozialdemokratie vor 1914 die Opfer unter den Menschen aller Länder ebenso in den Mittelpunkt stellte, wie die ökonomischen und politischen Interessen der Kriegsbeteiligten aller Allianzen. Sie kamen gerade nicht auf die Idee, sich dabei auf eine Seite zu stellen. Wenn schon nicht von dem Standpunkt eines linken Antimilitarismus kritisiert[9] der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich das russische Eingreifen in Syrien immerhin als weitere Untergrabung der Autorität der Vereinten Nationen.

Radikale Humanisten und der Krieg

Doch es sind nicht nur prorussische Geopolitiker, die die Bombe zumindest zeitweilig lieben lernen. Auch Philipp Ruch vom Kunstprojekt Zentrum für politische Schönheit[10]hat sich in einem Gespräch[11] mit dem Herausgeber des Freitag Jakob Augstein für eine militärischen Einsatz in Syrien ausgesprochen, natürlich nur zur Verteidigung der Menschen und ihrer Rechte.

Dass dieses Argument nicht nur von der rot-grünen Bundesregierung, sondern auch der Nato schon längst entdeckt wurde, um militärische Interventionen besser vermitteln zu können, scheint dem selbsternannten radikalen Humanisten Ruch entgangen zu sein. Es fällt ihm auch gar nicht auf, wie stark er die Ursachen des Syrienkonflikts vereinfachen muss, um seine Forderung nach einem Militäreinsatz gegen Assad zu legitimieren. Während es für die prorussischen Geopolitiker nur die Islamisten und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützer als Kriegstreiber gibt und Assad als legitime Regierung gilt, wird er für Ruch zum Betreiber einer „genozidalen Kriegsführung“ und die Islamisten und ihre Förderer kommen gar nicht vor.

So müssen alle, die sich für Kriege aussprechen, immer zuerst die Realität so zurechtbiegen, damit dann das Feindbild auch stimmt. In der Realität stirbt aber nicht die Wahrheit, wie ein gerne verwendetes Bonmot sagt. Es sind reale Menschen, die sterben – und je mehr Kräfte beim Bomben mitmachen, desto größer wird ihre Zahl.

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.kriegsberichterstattung.com/id/4706/100-Jahre-Zimmerwalder-Konferenz-Imperialismus-heute–Differenzen-verstehen–Spaltungen-ueberwinden/

[2]

http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/geopolitik/2976

[3]

http://juergenelsaesser.wordpress.com/2015/09/29/gemeinsam-mit-russland-is-und-muslimbruederschaft-bekaempfen/).

[4]

http://jungle-world.com/artikel/2002/15/24145.html

[5]

http://www.kremlin.ru/events/president/news/50385

[6]

https://www.adoptrevolution.org

[7]

http://www.adoptrevolution.org/fakten-talbiseh/

[8]

https://www.adoptrevolution.org/weitere-angriffe-des-russischen-militaers-interview-mit-aktivisten-aus-kafranbel/

[9]

http://www.stefan-liebich.de/de/article/4541.auch-russland-untergr%C3%A4bt-autorit%C3%A4t-der-uno.html

[10]

http://www.politicalbeauty.de/

[11]

https://digital.freitag.de/#/artikel/die-zugbruecke-geht-schon-wieder-hoch

[12]

http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_21.html