Traumatherapeutin erlebt Albtraum

In einem Münchner Terrorprozess ist auch die Ärztin Büyükavci angeklagt. Kollegen kämpfen für ihre Freilassung

Als die Nürnberger Ärztin Dilay Banu Büyükavci verhaftet wurde, galt sie nach landläufigen deutschen Vorstellungen als »gut integriert«. Nun sitzt sie als politische Gefangene in München-Stadelheim.

Freundlich lächelt Dilay Banu Büyükavci in die Kamera, sie trägt die lockigen Haare als modischen Kurzhaarschnitt, um den Hals hat sie einen dezent gemusterten Schal geschwungen. Es ist eines der wenigen Fotos, die die Öffentlichkeit von ihr kennt. So wie auf diesem Foto mag die Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychiatrie ihren Patienten am Nürnberger Klinikum in Erinnerung geblieben sein. In einem Café in der Nähe des Krankenhauses hatte sie sich 15. April 2015 nach der Arbeit mit Kollegen getroffen, als dort eine schwer bewaffneten Anti-Terror-Einheit einrückte und sie verhaftete.

Seitdem sitzt die 46-Jährige im Hochsicherheitstrakt München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Sie wird beschuldigt, die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch leninistisch (TKP/ML) unterstützt zu haben. Diese kämpft in der Türkei auch mit Waffengewalt gegen das türkische Militär.

»Was habe ich mit denen zu tun? Ich habe mich für Migranten und Frauen in Deutschland eingesetzt, in einer Organisation, die in Deutschland nicht verboten ist«, hatte Büyükavci einem Spiegeljournalisten im Sommer nach ihrer Verhaftung erklärt. Tatsächlich werden ihr von der deutschen Anklagebehörde auch keine illegalen oder gar militanten Aktionen vorgeworfen. Doch nach dem Paragrafen 129b kann schon das Spendensammeln sanktioniert werden. Büyükavci wirft die Anklagebehörde vor, die TKP/ML im Rahmen des in Deutschland legalen Arbeitervereins ATIF unterstützt zu haben.

Ihr Medizinstudium hat Büyükavci in der Türkei absolviert. Dort hatte sie sich in ihrer Studienzeit in linken Bewegungen politisiert. Laut dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« war sie 2005 nach Deutschland gekommen, weil sie sich auf Psychiatrie spezialisieren wollte und es den passenden Studiengang in der Türkei nicht gab. Sie lernte Deutsch, promovierte, arbeitete, beantragte 2012 die deutsche Staatsbürgerschaft, die sie bislang allerdings noch nicht erhalten hat. Auch in Nürnberg engagierte sich Büyükavci politisch. Aktiv war sie bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und in verschiedenen Initiativen zur Unterstützung migrantischer Frauen.

Dabei kümmerte sie sich insbesondere um traumatisierte Frauen. Sie war Mitglied des bayerischen Landesmigrationsausschuss und der Gesellschaft für türkisch sprachige Psychotherapie und psychosoziale Betreuung (GTP). In dieser Funktion organisierte sie Kongresse in der Türkei und in Deutschland. Eine wichtige Rolle spielte sie bei der Organisation eines Fachkongresses zum Thema »Psychologische Aspekte zur Integration von Kulturen«. Dilay Banu Büyükavci steckte gerade Mitten in den Vorbereitungen für einen Nachfolgekongress, als sie verhaftete wurde. Die Veranstaltung musste ausfallen.

Die Nürnbergerin Claudia Steiner findet anerkennende Worte über das Engagement der Frau, die sie wie viele ihrer Bekannten und Freunde Banu nennt. Sie selbst hatte Banu im Nürnberger »8.März-Bündnis« kennengelernt, in dem Frauen unterschiedlicher politischer Richtungen kooperieren. »Wir haben uns immer gewundert, wie sie neben ihrem anspruchsvollen Beruf noch die Kraft für die Arbeit mit den Flüchtlingsfrauen aufbringt«, sagt Schuler gegenüber »nd«.

Zu Beginn ihres Verfahrens in München verlas Banu Büyükavci einer Erklärung: »Ich war vier Monate in Isolationshaft. 23 Stunden allein in der Zelle, eine Stunde Hofgang, wobei ich niemandem begegnen durfte. Warum? Was habe ich getan?« Die Frage nach dem »warum?« stellte sich auch immer wieder die Ärztin Susanne Kaiser, seit sie von der Verhaftung der Büyükavcis erfahren hat. »Ich habe Banu als eine wunderbare Frau und sehr angenehme Kollegin kennengelernt«, erklärt sie gegenüber »nd«. Als sie plötzlich verschwunden war, sei sie verwundert gewesen. Dann bekam sie von einem Kollegen den Tipp, Banus Namen im Internet zu googeln. »Da habe ich dann gelesen, dass sie unter der Beschuldigung verhaftet wurde, Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein. »Ich habe sofort gesagt, Banu und Terrorismus, das passt nicht zusammen«, so schildert Kaiser ihre erste Reaktion.

Mit einen kleinem Kreis weiterer Kolleginnen begann sie sich für die Freilassung Büyükavcis einzusetzen. Sie schrieben an verschiedene Landes- und Bundespolitiker, auch Angela Merkel erhielt einem Brief. Die meisten Adressaten reagierten jedoch nicht einmal. Lediglich der Bund der Steuerzahler antworte mit einem freundlichen Brief, erinnerte sich Erika Roth (Name geändert), die mit Susanne Kaiser die Solidaritätsarbeit organisiert und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Den Bund der Steuerzahler hatten sie angeschrieben, um auf die Kosten des Münchner Mammutprozesses hinzuweisen.

Seit Juni 2016 wird gegen 10 Angeklagte verhandelt, die wie Banu beschuldigt werden, mit legaler Arbeit die TKP/ML unterstützt zu haben. Ein Ende des Verfahrens ist nach Angaben des Rechtsanwalt Yunis Ziyal nicht abzusehen. Mit Büyükavci wurde auch ihr Kollege und Lebensgefährte Sinan Aydin verhaftet. Beide hatten kurz zuvor ein Haus gekauft. Seit der Verhaftung der beiden zahlt ein Verwandter die monatlichen Hypotheken. Wie lange er die Belastung noch tragen kann, ist ungewiss.

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Peter  Nowak