Europäisches Treffen der Solidarität

Viel wird darüber geklagt, dass es mit der transnationalen Kooperation in der Linken selbst auf europäischer Ebene nicht so recht klappt. Wo ist denn die europäische Gewerkschaft, die auch Arbeitskämpfe im EU-Raum gemeinsam führt?

iDe europäischen Zusammenschlüsse der Reformlinken kommen über ein Zweckbündnis im EU-Parlament nicht hinaus. Gemeinsame Kämpfe werden von dort nicht initiiert. Doch in der außerparlamentarischen Linken gibt es Bestrebungen einer transnationalen Kooperation. So trafen sich am 17. und 18. März in Köln Linke aus ganz Europa zum Erfahrungsaustauch. Anlass war der Kampf gegen Repression. De halb wurde das Datum auch um den 18. März, den Internationalen Kampftag der politischen Gefangenen gelegt. Das Ende des Treffens war eine zweistündige Kundgebung vor der JVA Köln-Ossendorf, auf der die Gefangenen direkt angesprochen wurden. Der Anlass des Treffens liegt in der Solidarität mit einer Gefangenen, die allerdings seit einigen Wochen nicht mehr in Ossendorf sondern in Wittlich inhaftiert ist.

In der Einladung heißt es: „2017 wurde in Aachen eine Genossin aus Barcelona zu siebeneinhalb Jahren Knast verurteilt und sitzt derzeit in Köln. Bei der kollektiven, sich über Europa erstreckenden, Solidaritätsarbeit, wurde immer wieder festgestellt, dass es ein starkes Bedürfnis auf allen Seiten gibt, mehr voneinander zu erfahren und sich zusammen solidarisch mit den von Repression Getroffenen zu zeigen. Daraus entwickelte sich die Idee, das Wochenende um den Tag der Gefangenen am 18.03.2018 zu gemeinsamen Aktivitäten in Köln zu nutzen.“

Solidarität mit Lisa

Bei der Gefangenen handelt es sich um Lisa, eine Anarchistin, die von der Justiz des Bankraubs beschuldigt wurde. Sofort nach ihrer Verhaftung gab es eine transnationale Solidaritätskampagne, die vor allem von libertären Kreisen getragen wurde. In vielen europäischen Ländern fanden vor und nach der Verurteilung von Lisa Solidaritätsaktionen statt, von der Störung einer Veranstaltung des deutschen Konsulats in Barcelona bis zum Aufhängen von Transparenten. Am 21. Dezember 2017 gab es einen Internationalen Solidaritätstag mit Lisa. Dass darüber selbst in linken Kreisen wenig bekannt wurde, mag auch daran liegen, dass die Gefangene nicht als Opfer von staatlicher Repression sondern als Anarchistin dargestellt wurde, die auch den Knast zum Kampfterrain macht. Die Frage, ob sie die ihr vorgeworfenen Taten verübt hat oder nicht, spielt für die Organisator_innen keine Rolle. In einer Erklärung heißt es: „Eine Strafe auferlegt zu bekommen, bedeutet nicht, dass die inhaftierte Person ‚nur‘ dem Gefängnissystem ausgeliefert ist. Der politische und justizielle Staatsapparat ermittelt, über- wacht, analysiert weiter und entscheidet über das Schicksal der Gefangenen. Vor allen wenn die Gefangene nicht auf ihren Knien vor Gericht um Gnade gebe- ten hat (…). Die Möglichkeiten, mit denen das Justizsystem demonstrieren kann, dass sie mit ihr noch nicht fertig sind, sind zahlreich. Die Verweigerung mit der Polizei zu kooperieren, gilt als Schuldbeweis und kann dazu genutzt werden, die Ermittlungen auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Das Schweigen und die Würde gegenüber den Vollstreckenden und ihren Vorwürfen wird als Verschleierung des Verbrechens betrachtet und kann neue Ermittlungen herbeiführen.“ Eine solche offensive Strategie gegen die Justiz und den Gefängnisapparat ist heute in Deutschland selten. Doch noch in den 1980er und 1990er Jahren war ein solch offensives Agieren von Gefangenen und Angeklagten durchaus in größeren Teilen der außerparlamentarischen Linken üblich. Das hat dann dazu geführt, dass häufig Gerichtssäle von der Polizei geräumt wurden, weil der politische Kampf auch im Gerichtssaal ausgetragen wurde.

Nicht die Repression, sondern die kriminalisierte Politik stand im Mittelpunkt

Das hatte auch zur Folge, dass viele Medien nicht darum herum kamen, sich auch mit den poltischen Intentionen der Gefangenen und ihrer Unterstützer_innen zu beschäftigen. Nicht die Repression, sondern die Politik, die kriminalisiert werden sollte, stand im Mittelpunkt. Das stärkte die Bewegung der Unterstützer_innen. Denn das Starren auf Repression lähmt in der Regel, während der Fokus auf den politischen Zielen, die kriminalisiert werden, eher mobilisiert. Der Kongress am 17. und 18. März in Köln war der Versuch, diese Politik zu diskutieren und sich besser zu vernetzen. Die unterschiedliche Politik der Repression und Zerstreuung widerständischer Kerne und Netzwerke in den unterschiedlichen Ländern stand im Zentrum vieler Diskussionen.

Positiv zu vermerken ist, dass dieses Internationale Treffen seinem Anspruch gerecht geworden ist. Gerade in Deutschland ist es oft so, dass auf Treffen mit dem Adjektiv international dann doch die deutschsprachigen Regionen im Mittelpunkt stehen. Das war in Köln anders. Dort standen die Berichte der Genoss_innen u.a. aus Italien, Griechenland und Belarus im Mittelpunkt.

Aus den osteuropäischen Ländern waren nur wenige Genoss_innen anwesend, die ihren Lebensmittelpunkt wegen der Repression oft mittlerweile in Deutschland haben. Interessant zu erfahren war, dass in Belarus die anarchistische Bewegung eine wichtige Rolle in der dortigen Opposition gegen den autoritären Langzeitherrscher Lukaschenko spielt.

Gegen das sächsische Polizeigesetz

Die Teilnehmer_innen aus Deutschland waren in der Regel Zuhörer_innen oder berichteten über ihre Erfahrungen mit Knast und Repression. Mit einer Ausnahme. Genoss_innen aus Dresden informierten über das geplante sächsische Polizeigesetz, das mehr Kameras, Überwachung und Kontrolle bedeutet. Die Details dieses Gesetzes werden erst in den nächsten Monaten bekannt. Doch hier dürfte nach dem Vorbild von Bayern ein weiterer Versuch erfolgen, staatliche Ausforschungen, die heute bereits in einer gesetzlichen Grauzone vollzogen werden, zu legalisieren. Hier blieb die Frage offen, wie die erklärten Gegner_innen von jedem Staat mit einer reformistischen Linken umgehen, die ebenfalls Kritik an dem geplanten sächsischen Polizeigesetz angemeldet hat. Ist es möglich, im Widerstand gegen dieses spezifische Projekt zu kooperieren? Diese Frage kam auch auf, als es um die Einschätzung der Gefangenengewerkschaft GG/BO ging, die es in den letzten drei Jahren geschafft hat, in vielen Gefängnissen Unterstützer_innen für konkrete Reformen zu gewinnen. Es gab bei einigen Teilnehmer_innen den Hinweis, dass die Gefangenengewerkschaft klar reformistische Ziele formuliert, aber in den Knästen einen Raum der Solidarität öffnet. Schließlich dominieren in den Knästen Konkurrenz und Entsolidarisierung, das ist drinnen nicht anders als draußen. Wenn Hunderte Gefangene sich in einer Gefangenengewerkschaft für konkrete Forderungen organisieren, ist das unterstützenswert.

Soziale Kämpfe und Widerstand

Was für die Situation in den Knästen richtig ist, hat auch draußen Gültigkeit. Daher war es erfreulich, dass sich die erste Diskussionsrunde am Samstagmorgen der Frage widmete, ob und wie die Linke die sozialen Kämpfe wahrnimmt. Mit Linke ist hier das außerparlamentarische und libertäre Spektrum gemeint, das sich in Köln versammelt hat. Nicht nur in Belarus ist die libertäre Linke Teil des sozialen Protests. Griechische Genoss_innen berichteten über den langjährigen Widerstand gegen die Goldmine auf der Halbinsel, der seit Jahren zum Kristallisationspunkt von Widerstand in Griechenland und darüber hinaus geworden ist. Seit Jahren sind dort Aktivist_ innen massiver Repression aus- gesetzt. Das hat sich auch unter der Tsipras-Regierung nicht geändert, die in der Opposition noch zu den Gegner_innen des Minenprojekts gehörte, bis sie zur Regierungslinken wurde. Die griechischen Genoss_innen waren auch ehrlich genug, um deutlich zu machen, dass auch in den Reihen der antiautoritären und undogmatischen Linken der Tsipras-Regierung die Möglichkeit gegeben wurde, zu zeigen, ob sie zumindest einen Teil ihrer Versprechungen umsetzt. In den ersten Wochen nach dem Regierungsantritt schien es so, als würden einige Reformen umgesetzt. Es sind auch viele der antiautoritären Linken gegen das Austeritätsdiktat der von Deutschland dominierten EU auf die Straße gegangen. Nachdem Tsipras kapituliert hatte, wurde er auch innenpolitisch ein Sozialdemokrat, der mit linken Sprüchen rechte Politik umsetzt. Damit hat er die Theorien der außerparlamentarischen und anarchistischen Linken bestätigt, dass eine grundsätzliche Veränderung nicht in den Parlamenten und in den Regierungspalästen umgesetzt werden kann. Eine Lehre, die die Regierungslinken dieser Welt trotz aller Erfahrungen nicht ziehen wollen, weil sie sich dann selber in Frage stellen müssten. Das wäre eigentlich eine gute Grundlage für das Wachsen einer außerparlamentarischen Linken, die Veränderungen auf der Straße und nicht im Parlament erkämpfen will. Voraussetzung wäre dannaber, den sozialen Kämpfen auch den Kämpfen von Lohnabhängigen mehr Solidarität und Beachtung zu schenken. Nur ein Beispiel. Der jahrelange Kampfzyklus der Logistikarbeiter_innen in Norditalien, den Bärbel Schönafinger von labournet.tv mit dem Dokumentar lm „Die Angst wegschmeißen“ bekannt gemacht hat, war bei den italienischen Genoss_innen auf der Konferenz kein Thema. Dabei hat der Arbeitskampf nichts mit Protestritualen etablierter Gewerkschaften zu tun. Die überwiegend migrantischen Logistikarbeiter_innen blockierten die Zufahrten zu Logistikzentren, es kam zu Räumungen durch die Polizei. Unterstützt werden sie von der kleinen lin- ken Basisgewerkschaft Si Co- bas. Wenn solche Kämpfe, die es in vielen Ländern gibt, Teil der Praxis der antiautoritären Linken würden, hätte sie die Chance, eine gesellschaftliche Gegenmacht zu entwickeln. Zu wünschen wäre es. Denn in einer Zeit, wo von einer Regierungslinken niemand mehr etwas erwartet, wäre es eine Alternative gegen politische Apathie und Rechtsruck. Dann könnte auch das Kölner Treffen als Austausch grenzüberschreitender Realität eine Fortsetzung finden. Wichtig ist dabei nicht das Treffen sondern der gesellschaftliche Prozess in den Basiskämpfen der einzelnen Länder.

aus: mai 2018/429 graswurzelrevolution 23
http://www.graswurzel.net/intern/gwr429klein.pdf

Peter Nowak

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Der Artikel wurde im Schattenblick nachgedruckt:

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/gras1763.html

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Hinweis in der jungen Welt:

Graswurzelrevolution

Katja Einsfeld sucht in einem mutmaßlich ernstgemeinten Beitrag nach »anarchistischen Lösungsansätzen für das Putzproblem«. Alle müssen ins »Putzkollektiv«! Über eine Aktion von Atomwaffengegnern gegen den Fliegerhorst Büchel und die nachfolgenden juristischen Verwicklungen berichtet Katja Tempel. Jakob Reimann skizziert in einem lesenswerten Text die Interessen der verschiedenen Akteure des Krieges im Jemen, wo sich eine »historische Cholera- und Hungerkatastrophe« entwickelt. Peter Nowak fragt, wo die »europäische Gewerkschaft« sei, die »auch Arbeitskämpfe im EU-Raum gemeinsam führt«. Hier sei von der Regierungs- und Reformlinken nichts zu erwarten, dafür aber womöglich von der »antiautoritären Linken«. (jW)

Graswurzelrevolution, 47. Jg./Nr. 429 (Mai 2018), 24 Seiten, 3,80 Euro, Bezug: Verlag Graswurzelrevolution e. V., Vauban­allee 2, 79100 Freiburg, E-Mail: abo@graswurzel.net

https://www.jungewelt.de/artikel/332412.neu-erschienen.html

Widerstand gegen Stuttgart 21 geht weiter

-Nach ihrer Niederlage bei der Volksabstimmung Ende November haben die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 deutlich gemacht, dass sie ihren Widerstand nicht einstellen werden

Führende Aktivisten, wie der Pressesprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, und Werner Sauerborn von der Gruppe Gewerkschaftler gegen S21, haben in einem Offenen Brief an den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eine harte Haltung gegenüber der Bahn gefordert. Ehe der Bau überhaupt weitergehen kann, müsse die Bahn einen tragfähigen Finanzierungsplan vorlegen und das Grundwassermanagement regeln, heißt es in dem Schreiben. Bevor diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist für die S21-Gegner ein Abriss historischer Gebäude und ein Fällen von Bäumen im Stuttgarter Schlossgarten undenkbar.

Unterstützt werden sie dabei von Peter Dübbers, dem Enkel des Architekten des bisherigen Stuttgarter Hauptbahnhofs Paul Bongartz. Er fordert in einem Brief an den für Kultur zuständigen Staatsminister Bernd Neumann, das Bahnhofsgebäude als Kulturdenkmal zu erhalten.

Die Bahn hat allerdings andere Pläne und will am 9.Januar mit dem Abriss beginnen. Die Gegner des Projekts verlassen sich nicht allein auf offene Briefe, sondern setzen ihren Widerstand auch auf der Straße fort. Für den 7.Januar ist eine zentrale Demonstration geplant.

Volksabstimmung – scheindemokratische Farce?

In einer Stuttgarter Erklärung begründen die S21-Gegner, warum sie trotz des Votums der Bevölkerung ihren Protest fortsetzen. Sie sparen dabei auch nicht mit Selbstkritik:

„Auch in der Protestbewegung haben allzu viele darauf vertraut, dass die grün-rote Landesregierung die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vorbedingungen zur ‚Volksabstimmung‘ erfüllen würde, das heißt, alle entscheidungsrelevanten Tatbestände offenzulegen. Stattdessen wurden Fakten ignoriert, die Auskunftsverweigerung seitens der Bahn hingenommen und Falschaussagen toleriert“, heißt es in der Erklärung.

In einer der Taz beigelegten Sonderausgabe haben die S21-Gegner ihre Vorwürfe detaillierter dargelegt. Nur wenige Wochen nach der Volksabstimmung seien führende Versprechen der S21-Befürworter Makulatur geworden, ist in der Zeitungsbeilage zu lesen.

„Bereits heute übersteigen die S21-Kosten erkennbar die vereinbarte Obergrenze. Die Zusage, andere wichtige Schieneninfrastrukturprojekte in Baden-Württemberg würden durch S21 nicht ausgebremst, gilt bereits nicht mehr“, monieren die S21-Kritiker. Detailliert setzen sie sich mit den Stresstest auseinander, der die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs ermitteln sollte. Nach ihrer Lesart handelt es sich dabei in mehreren Punkten um Manipulationen und Tricks.

Vom Denkmalschutz über die Kosten bis zur Leistungsfähigkeit werden in der Publikation noch einmal alle Themen aufgezählt, die die S21-Gegner in den letzten Monaten allerdings durchaus auch schon benannt haben. Dass diese Argumente bei der Volksabstimmung nicht die Gegner des Projekts stärkten, ist eine Tatsache, die von den Aktivisten hauptsächlich mit der ökonomischen Macht der Befürworter erklärt wird. So seien die möglichen auf das Land zukommenden Kosten bei einem Ausstieg maßlos übertrieben worden, während kaum erwähnt worden sei, dass die Realisierung des Projekts viel teurer als geplant werden würde.

Allerdings müssen sich die S21-Gegner nun mit dem Problem auseinandersetzen, dass sie kaum noch einen Hebel in der Hand haben, um das Projekt zu stoppen. Appelle an die Bundesregierung, aus dem Projekt auszusteigen, zeugen von einer gewissen Hilflosigkeit. Denn die Bundesregierung hat in den letzten Jahren immer wieder bekräftigt, wie wichtig ihr die Durchführung von Stuttgart 21 ist.

Dabei hat Merkel sogar die Wahlniederlage ihrer Partei in Baden-Württemberg in Kauf genommen. Denn dass nun ein grüner Ministerpräsident, der als entschiedener Gegner des Projekts angetreten ist, Stuttgart 21 durchsetzen muss, bringt CDU und FDP in eine komfortable Lage. Die brauchen nur zusehen, wie die Grünen das Problem bewältigen, ihrer eigenen Basis die Polizeieinsätze zu vermitteln, die nötig werden, falls Bäume gefällt und weitere Gebäude abgerissen werden. Auch können die Konservativen hoffen, dass die Koalition zwischen Grünen und SPD in Baden-Württemberg diesen Stresstest nicht durchhält.

Dann könnten sich die beiden Parteien, die das Projekt Stuttgart 21 befürworteten und vor der Volksabstimmung gemeinsam dafür warben, bald in einer großen Koalition wiederfinden. Es könnte dann aber auch der Widerstand wieder wachsen und trotz der Volksabstimmung durchaus noch ein ernstzunehmender politischer Faktor werden. Schließlich hat der gerichtlich durchgesetzte Baustopp beim Grundwassermanagement – wegen der unzureichenden Berücksichtigung des Schutzes des Juchtenkäfers – der siegestrunkenen Bahn deutlich gemacht, dass sie auch nach dem Votum der Bevölkerung in Baden-Württemberg mit ihren Plänen noch nicht am Ziel ist.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151142
Peter Nowak