Als die braune Saat gelegt wurde

Westliche Politiker sind für die Etablierung der rechten Szene im Osten mitverantwortlich

Ungewohnte Töne sind im Vorfeld des 28. Jahrestags der Deutschen Einheit zu hören. Erstmals äußern auch führende SPD-Politiker*innen deutliche Kritik am Vereinigungsprozess und sparen dabei auch die Rolle westdeutscher Politiker*innen und Beamt*innen nicht aus. So fordert die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD), unterstützt vom SPD-Ostbeauftragen Martin Dulig, eine Wahrheitskommission, die das Agieren der Treuhand bei den Privatisierungen der DDR-Industrie untersuchen soll. Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Chemnitzer SPD-Fraktion, Detlef Müller, schlägt statt einer Wahrheits- eine Aufarbeitungskommission mit erweitertem Aufgabenbereich vor.

»Wir sollten aber die Gelegenheit nutzen, im Rahmen einer solchen Kommission nicht nur die Arbeit der Treuhand, sondern die gesamte Nachwendezeit umfassend aufzuarbeiten. 28 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes durch die Friedliche Revolution ist ein guter Zeitpunkt dazu: Die Menschen und Zeitzeugen, die den Übergang der Systeme und seine Auswirkungen miterlebt haben, können sich noch aktiv und lebendig an den Diskussionen beteiligen«, erklärte Müller in einer Pressemitteilung.

Bei dieser Aufarbeitung sollte auch untersucht werden, welche Verantwortung auch westdeutsche Politiker*innen für die Etablierung einer rechten Szene in Teilen Ostdeutschlands und vor allem in Sachsen trägt. Viel wurde in den letzten Jahren über die Verantwortung der SED und ihrer Politik für diese Rechtsentwicklung diskutiert. Dabei wurden neben absurden Argumenten wie die frühkindliche Erziehung auch bedenkenswerte Argumente in die Debatte geworfen. Dazu gehörte die autoritäre SED-Politik, die Kritik und Widerspruch kaum zuließ oder die relativ homogene Gesellschaft in der DDR.

Merkwürdigerweise wurde aber bisher die Wendezeit ausgeklammert. Dabei fanden im Spätherbst in vielen Städten der DDR mit Schwerpunkt Sachsen und Thüringen große Demonstrationen mit einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer und nationalistische Parolen statt. Sie richteten sich längst nicht mehr nur gegen die zu diesem Zeitpunkt schon stark geschwächte SED, sondern auch gegen die linke DDR-Opposition, die mit der Parole »Wir sind das Volk« gegen die SED und ihre Staatsorgane protestierte. Ihr Ziel war aber keine Wiedervereinigung, sondern eine eigenständige und demokratische DDR.

»Das Leipziger Demo-Publikum ist ein anderes geworden. Jetzt, wo das Demonstrieren nicht mehr gefährlich ist, kriechen die Deutsch-Nationalen aus ihren Löchern«, schrieb die DDR-Oppositionszeitschrift »telegraph« am 29. November 1989. Linke und Alternative wurden schon im November 1989 als »Rote« und »Wandlitzkinder« beschimpft und oft auch tätlich angegriffen. Wer darauf hinwies, dass sich auch Neonazis auf den Demos zeigten, wurde beschimpft.

Deren Demoutensilien kamen aus der BRD. Massenhaft wurden Deutschlandfahnen und Publikationen in die DDR geliefert, die mit nationalistischen Parolen die schnelle Wiedervereinigung propagierten.

Zu dem für die Volkskammerwahlen geschmiedeten Wahlbündnis »Allianz für Deutschland« gehörte neben den Unionsparteien und dem Demokratischen Aufbruch (DA) mit der Deutschen Sozialen Union (DSU) auch eine rechtskonservative Partei. Sie wurde bis 1992 von der CSU unterstützt, die mit der DSU die Etablierung einer Rechtspartei außerhalb Bayerns umsetzen wollte.

Solche Pläne waren bereits in der Ära Franz Josef Strauß gescheitert. Und auch die DSU wurde eine von vielen rechten Kleinparteien, die nach 1990 vor allem in Sachsen kamen und verschwanden. Bereits im Herbst 1989 transportierten die rechten Republikaner täglich rechte Materialien von Frankfurt am Main in die DDR, wie ein daran Beteiligter später enthüllte. Im Herbst 1989 wurden die Grundlagen für die rechte Ordnungszelle Sachsen gelegt, in der antifaschistische Aktivitäten wie beispielsweise gegen die rechten Aufmärsche zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden von Politik und Polizei kriminalisiert wurden. Zudem saß hier die NPD zwei Legislaturperioden im Landtag. Die AfD könnte bald die stärkste Partei in Sachsen werden.

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Peter Nowak