Wahlprogramm mit Kurzzeitgültigkeit


Die Union verabschiedet ein Wahlprogramm – da die Umsetzung der Reformversprechen an den Finanzierungsvorbehalt gekoppelt ist, wird es nach den Wahlen zu den Akten gelegt

Kurz vor der Sommerpause werden die letzten Vorbereitungen für den Bundestagswahlkampf abgeschlossen. Dazu gehört auch die Vorstellung des Wahlprogramms von CDU/CSU, das allerdings bewusst nicht als Programm einer Partei, sondern einer Regierung vorgestellt wurde. Damit wollte die Union selbstbewusst deutlich machen, dass sie auch in der nächsten Legislaturperiode wieder die Regierung stellt, wofür auch Umfragen sprechen – nur die Frage, wer dann der Koalitionspartner sein wird, bleibt offen.

Das Programm signalisiert Offenheit in alle denkbaren Richtungen. So beliebig und austauschbar wie der Titel „Gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ ist auch das Programm selbst. Einerseits wird die Priorität der Haushaltskonsolidierung betont, anderseits wurden zahlreiche soziale Versprechungen vor allem im Bereich der Familienpolitik in das Programm geschrieben. Auch die Forderungen nach einer moderaten Mietpreisbremse und eines Mindestlohns – unter gewissen Bedingungen – wurden übernommen. Sollte es nach der Bundestagswahl zur Fortsetzung der bisherigen Koalition mit der FDP reichen, wird eben die Haushaltssanierung im Programm betont und die sozialen Versprechungen müssen zurückstehen.

Das haben neben der FDP auch schon Sprecher der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigungen innerhalb der Union deutlich gemacht. So plauderte deren Sprecher Kurt Lauk aus, was jeder weiß, was man eigentlich vor Wahlen aber nicht so laut ausspricht: Wahlprogramme sind das eine, was nach den Wahlen umgesetzt wird, aber etwas ganz anderes. Sollte aber nach der Wahl die Mehrheit für eine Koalition mit der FDP fehlen, kann die Union in Verhandlungen mit den Grünen oder SPD auf ihre sozialen Versprechungen verweisen. Da im Programm keine Finanzierungsvorschläge gemacht werden und die Union Steuererhöhungen ausschließt, wird der SPD dann die Rolle zugewiesen, sich bei Verhandlungen womöglich für Steuererhöhungen stark machen zu müssen.

SPD spricht vom Wahlbetrug

Das erklärt auch die heftigen Reaktionen der SPD auf die Vorlage der Union. Wenn deren Kanzlerkandidat Steinbrück von einem „Wahlbetrug mit Ansage“ spricht, ist das die übliche Wahlrhetorik. Schließlich ist die SPD in dieser Angelegenheit ein gebranntes Kind. Hatte sie doch vor den Wahlen 2005 so vehement gegen eine Anhebung des Rentenalters agiert, dass ihr manche potentiellen Stammwähler noch immer übel nehmen, dass sie in der folgenden großen Koalition die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre durchgesetzt hat.

Die Wahlversprechungen im Unionsprogramm haben sogleich wütende Kommentare in der wirtschaftsliberalen Presse von FAZ bis Handelsblatt provoziert. Dort wird das neoliberale Mantra immer noch weiterverbreitet, dass es gelte, für den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter Opfer zu bringen. Da könnte ein Wahlprogramm, das soziale Reformen – wenn auch unter Vorbehalt – verspricht, zu Aufweichungen des Opferdiskurses führen. Die Reaktionen machen wieder einmal die wirtschaftsliberale Hegemonie in großen Teilen der deutschen Presselandschaft deutlich. Dass man damit aber nicht unbedingt Wahlen gewinnt, musste die Union 2005 auch schon erfahren, wo sie einen Wahlkampf nach dem Drehbuch der wirtschaftsliberalen Presse führte und nur mit Hilfe der SPD die Regierung bilden konnte.

Diskussionen über Wahlboykott im Bürgertum

Die Union hofft, mit ihrem Wahlprogramm, das auch der sozialliberalen Klientel entgegenkommt, diese wenn nicht zu einer Stimme für die Union so doch zumindest zur Wahlenthaltung zu bewegen. Entsprechende Diskussionen gibt es bereits in der Taz und auch auf verschiedenen Internetseiten. Angestoßen hat die Debatte der Sozialwissenschaftler Harald Welzer. Im Unterschied zu früheren Wahlboykottkampagnen, die aus Gründen der Kapitalismus- und Staatskritik gestartet wurden, sieht das von Welzer angesprochene Klientel bei allen relevanten Parteien zu viel Sozialdemokratisches und zu viel an Verteilungs- und Gerechtigkeitsdebatte. Daher werden Welzers Ausführungen auch in rechten Kreisen mit Aufmerksamkeit verfolgt. Dagegen reagieren die wenigen, die noch an einen Regierungswechsel zu Rotgrün im Herbst glauben, auf solche Vorschläge aus dem eigenen Milieu umso gereizter. Die Union ist hier mit „Maß und Mitte“ dann einer guten Position.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154516
Peter Nowak