Über 1.000 So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen demonstrieren in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen und machen Druck für die beginnenden Tarifverhandlungen.

Ausgebrannt und unterbezahlt

Der Sozialarbeiter Marc Seilheimer, der sich seit Beginn im Bündnis engagiert, kündigte unterdessen an, die Tarifverhandlungen weiter mit Solidaritätsaktionen zu begleiten. Er ist Mitglied der Initiative „Hände weg vom Wedding“, die vor einem Jahr den „Solidaritätstreff Soziale Arbeit“ initiiert hat, der sich regelmäßig im Kiezhaus Agnes Reinhold in Wedding trifft

„Sie sagen: kürzen, wir sagen: stürzen“: Immer wieder war diese Parole zu hören, als am Samstagnachmittag gut 1.200 So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen und ihre Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vor dem Roten Rathaus eintrafen. An dem milden Herbsttag wollte das Solidaritätsbündnis mit der Demonstration die Beschäftigten bei den Tarifverhandlungen für die öffentlichen Dienste der Länder (TV-L) unterstützen, die jetzt beginnen. Gefordert wurden …

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Die regionale Vervierfachung der Inzidenzen zum Ende des Oktoberfests wird erstaunlich gelassen aufgenommen. Deutsche Gerichte erklären im Nachhinein Covid-19-Maßnahmen für rechtswidrig. Das bedeutet nicht zwangsläufig, das Virus nicht mehr ernst zu nehmen.

Corona 2022: Wird die Debatte rationaler?

Das bedeutet aber auch, dass die Erzählung über die Krankheit sich ändert. Die Covid-19-Erkrankungen werden in etwa so behandelt, wie die Grippefälle der letzten Jahre. Sie wurden nicht ignoriert. Es wurde auch dazu aufgerufen, dass sich vulnerable Gruppen schützen. Aber es wurde nicht die gesamte Gesellschaft unter Quarantäne gestellt.

„Oktoberfest endet – Vervierfachung der Corona-Insidenz. Sogar die Zahl der belegten Betten in Münchner Krankenhäusern steigt. Diese Meldungen hätte vor einigen Monaten noch zu einer großen medialen Debatte geführt. Den Organisatoren des Bier-Events in der bayerischen Landeshauptstadt wäre vorgeworfen worden, die Gesundheit vieler Menschen zu gefährden und möglicherweise auch für deren Tod verantwortlich zu sein. Selbst die Kritik des Gesundheitsministers Karl Lauterbach war aber in diesem Fall sehr moderat: …

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Im Sommer 2018 bewegte der Streik der studentischen Beschäftigten die Berliner Hochschulen. Die Nachwirkungen bewegen drei Jahre später Berliner Arbeitsgerichte.

ANGRIFF AUF DIE GEWERKSCHAFTSRECHTE AN DER BERLINER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT

In dem Komitee „Mo bleibt“ arbeiten Kolleg*innen der FAU mit denen verschiedener DGB-Gewerkschaften zusammen. Mehrere gewerkschaftlich engagierte Beschäftigte an der HUB beteiligen sich an der Solidaritätsarbeit, weil sie selber das „autoritäre Klima“ an der Hochschule zu spüren bekommen.

Ende Juli wurde die Klage eines IT-Beschäftigten an der Berliner Humboldt-Universität (HUB) abgewiesen. Der ehemalige Personalrat und Gewerkschafter Moritz W., der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hatte gegen die Hochschule geklagt, weil sie …

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Protest gegen Preis für Jeff Bezos

Amazon-Aktion in Berlin und europaweite Streiks geplant

Der seit Jahren anhaltende Protest gegen Arbeitsbedingungen, Geschäftspraktiken und Gebaren des weltumspannenden Online-Versandhändlers Amazon wird am kommenden Dienstag mitten in der Bundeshauptstadt zum Ausdruck kommen. An diesem Tag nämlich möchte der Axel-Springer-Verlag Amazon-Chef Jeff Bezos persönlich für sein »visionäres Geschäftsmodell« und sein »Talent für Innovationen« mit der Verleihung des »Axel Springer Award« ehren. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hatte Bezos, der neben Microsoft-Gründer Bill Gates als reichster Mann der Erde gilt, im Jahr 2014 zum »schlimmsten Chef des Planeten« gekürt.

»Kein Award für Ausbeutung – wir stellen uns quer!«, so das Motto des linken Bündnisses »Make Amazon Pay (MAP). Beschäftigte, Gewerkschafter und Amazon-Kritiker betrachten die Preisverleihung an Bezos als zynische Provokation und wollen die Gelegenheit nutzen, um ihren Unmut vor Ort auszudrücken. Allein aus dem hessischen Bad Hersfeld, wo vor fünf Jahren der erste Streik für einen Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel stattfand, werden am Vormittag zwei Busse nach Berlin aufbrechen. Der Großteil der Mitreisenden kommt direkt aus der Belegschaft.

Das «visionäre Geschäftsmodell» von Amazon, von dem der Axel-Springer-Verlag schwärmt, stützt sich nach Aussagen der Kritiker vor allem auf die systematische Ausbeutung von Arbeitskräften. «Keine Tarifverträge, Lohndruck und prekäre Jobs, Arbeitshetze und permanente Überwachung – das ist nicht unsere Zukunft», erklärt MAP-Sprecherin Maria Reschke gegenüber «nd».

Bei den Vorbereitungstreffen für die Proteste am 24. April waren auch GewerkschafterInnen aus Polen anwesend. Diese transnationale Kooperation, die bei einem global agierenden Konzern wie Amazon notwendig ist, um einen Arbeitskampf zu gewinnen, ist auch ein Verdienst der außerbetrieblichen Amazon-Solidarität. Ein Großteil der aktiven Beschäftigten im Amazon-Werk Poznań ist bei der anarchosyndikalistischen Workers Initiative (IP) organisiert. Auch in Polen ist die Kampfbereitschaft gewachsen. Neben der IP will sich die Gewerkschaft Solidarnoc an den Protesten gegen die Preisverleihung beteiligen. Sie ist der polnische Bündnispartner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und hat im zweiten polnischen Amazon-Werk in Wroclaw einigen Einfluss. Auch die LINKE-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig unterstützt den Protest. Das MAP-Bündnis will am 24. April vom Kreuzberger Oranienplatz zum nahe gelegenen Springer-Hochhaus ziehen. Dort will auch das Netzwerk Attac vor Ort sein und die Steuervermeidungsstrategie des Konzerns anprangern.

Gewerkschaften planen weitere Aktionen. Dabei könnte es erstmals zu europaweiten Streiks kommen. Bei einem Treffen von Betriebsräten aus Europa und Nordamerika am Donnerstag und Freitag in Rom wollten sie Kooperationsmöglichkeiten ausloten. Dabei stehe unter anderem auf der Tagesordnung, «inwiefern wir international synchronisierte Streiks an den umsatzstärksten Tagen realisieren können», sagte der für Amazon zuständige Vertreter der Gewerkschaft ver.di, Thomas Voß. In einem ersten Schritt sei ein gemeinschaftlicher Streik mit Beschäftigten aus Italien und Spanien möglich, sagte Voß. «Gewerkschaften können im nationalen Rahmen nichts gegen Global Player wie Amazon ausrichten.»

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1085907.gewerkschafter-gegen-amazon-protest-gegen-preis-fuer-jeff-bezos.htm

Peter Nowak

Der Preis ist heiß

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos erhält den »Axel-Springer-Award«

»An Evening for Jeff Bezos« heißt die Veranstaltung, die der Springer-Konzern am 24. April in Berlin ausrichten will. An diesem Tag soll der Gründer des Amazon-Konzerns und Eigentümer der Washington Post den »Axel-Springer-Award« 2018 erhalten. »Mit der Auszeichnung würdigt Axel Springer sein visionäres Unternehmertum in der Internetwirtschaft sowie die konsequente Digitalisierungsstrategie der 140jährigen US-Traditionszeitung«, heißt es in der Pressemitteilung des Verlags. Die Laudatio auf den Preisträger soll John Elkann, der Verwaltungsratspräsident des Fiat-Konzerns, halten.

Doch auch die zahlreichen Kritiker des Geschäftsmodells von Amazon werden sich am 24. April zu Wort melden. Das Bündnis »Make Amazon Pay« (MAP) will den Abend nutzen, um die schlechten Arbeitsbedingungen, Tarifflucht und Gewerkschaftsfeindlichkeit bei dem Unternehmen anzuprangern. »Das Zukunftsmodell von Amazon heißt: keine Tarifverträge, Lohndruck und prekäre Jobs, Arbeitshetze und permanente Überwachung. Das ist nicht unsere Zukunft!« sagte die MAP-Sprecherin Maria Reschka der Jungle World. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat Bezos bereits 2014 einen Negativpreis für Ausbeutung der Mitarbeiter verliehen. Der 54jährige ist dem Magazin Forbes zufolge mit einem geschätzten Vermögen von etwa 130 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Das Bündnis »Make Amazon Pay« war vergangenes Jahr erstmals an die Öffentlichkeit getreten, um den Kampf der Amazon-Beschäftigten für einen Tarifvertrag zu unterstützen. Mit einer Aktionswoche rund um den »Black Friday« im November, der von Amazon als Schnäppchentag beworben wurde, blockierten einige Hundert Aktivisten eine Versandhalle im Westen Berlins. Auch an verschiedenen Amazon-Standorten gab es Proteste. In dem Bündnis haben sich Beschäftigte des Unternehmens gemeinsam mit Gruppen der außerparlamentarischen Linken wie dem »Ums Ganze«-Bündnis organisiert. In Leipzig unterstützen linke Gruppen bereits seit fünf Jahren die Beschäftigten des dortigen Amazon-Standortes bei ihrem Kampf um einen Tarifvertrag und bessere Arbeitsbedingungen. Auch das Leipziger Streiksolidaritätsbündnis ist Teil von MAP.

Beim ersten Vorbereitungstreffen für die Proteste am 24. April waren zudem Gewerkschaftler aus Deutschland und Polen anwesend. Diese transnationale Kooperation, die bei einem global agierenden Konzern wie Amazon notwendig ist, um einen Arbeitskampf zu gewinnen, ist auch ein Verdienst der außerbetrieblichen Amazon-Solidarität. Ein Großteil der engagierten Beschäftigten im Amazon-Werk Poznań ist bei der anarchosyndikalistischen »Workers Initiative« (Inicjatywa Pracownicza, IP), organisiert, die bereits mehrere Solidaritätsaktionen mit den Beschäftigten in Deutschland initiierte. Auch die Solidaritätsinitiativen haben dafür gesorgt, dass der Kontakt zwischen der IP und den Beschäftigten in mehreren Amazon-Standorten in Deutschland zustande gekommen ist.

In Polen ist die Kampfbereitschaft ebenfalls gewachsen. Neben der IP will sich auch die Gewerkschaft Solidarność an den Protesten am 24. April in Berlin beteiligen und hat die Entsendung eines Busses mit Beschäftigten angekündigt. Solidarność ist der polnische Partner der DGB-Gewerkschaft Verdi und hat im zweiten polnischen Amazon-Werk in Wrocław Einfluss bei den Beschäftigten. Lena Widmann, die bei Verdi für Amazon zuständig ist, konnte der Jungle World noch keine konkreten Planungen ihrer Gewerkschaft für den 24. April nennen. »Wir besprechen das mit den Amazon-Beschäftigten und gehen dann an die Öffentlichkeit«, sagte sie. Wichtig sei ihrer Gewerkschaft, dass »der Kampf um einen Tarifvertrag und der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt stehen«, so Widmann. »Auf dem Vorbereitungstreffen war Konsens, dass es darum am 24. April gehen soll«, sagte ein Mitglied des MAP-Bündnisses der Jungle World.

https://jungle.world/artikel/2018/14/der-preis-ist-heiss

Peter Nowak

Exzellente Ausbeutung

Beschäftigte beklagen unhaltbare Zustände an Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Im Bundestagswahlkampf betonen alle Parteien, wie wichtig in einer globalisierten Welt die Unterstützung des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist. Wer in der Wissenschaft arbeitet, fühlt sich jedoch alles andere als gut unterstützt. »Das deutsche Universitätssystem, das in politischen Sonntagsreden so hoch gelobt wird, basiert zu Teilen auf der Ausbeutung derer, die ohne Absicherung und ohne angemessene Bezahlung unterrichten«, sagt Ulrike Stamm, die als Gastprofessorin unter anderem am Institut für Literaturwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität arbeitet. Sie gehört zu den MitbegründerInnen des »Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft«, in dem sich zu Jahresbeginn über 100 Vertreter aus Hochschulen und wissensch

Befristungen von unter einem Jahr, die Unter- oder Nicht-Entlohnung von Lehrtätigkeit und der Verschleiß von hoch qualifiziertem wissenschaftlichem Personal seien inzwischen der Regelfall. 75 Prozent aller wissenschaftlich Beschäftigten haben dem Netzwerk zufolge befristete Arbeitsverträge. In Frankreich und Großbritannien seien hingegen lediglich ein Viertel, in den USA sogar nur ein Fünftel der wissenschaftlichen Arbeitsverträge befristet.

Am Donnerstag stellte der Zusammenschluss einen Forderungskatalog vor, wie die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessert werden müssten. Dazu gehört die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das mit seinen Kurzverträgen eine längere Berufsplanung für Akademiker erschwert. Darüber hinaus fordern die Wissenschaftler die Abschaffung von Lehrstühlen zugunsten demokratischer Strukturen in Fachbereichen und Instituten, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Regelfall sowie unbefristete Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion.

Eine angemessene und flächendeckende Grundfinanzierung der Hochschulen wird von dem Bündnis als Voraussetzung für die Umsetzung dieser Forderungen gesehen. Denn die Grundfinanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen reiche immer weniger, um die Grundaufgaben der Hochschulen zu decken. Stattdessen fließe viel Geld in Exzellenzinitiativen und projektgebundene Forschungsförderung. Da gleichzeitig die Studierendenzahlen steigen, seien die Hochschulen gezwungen, immer mehr Lehre durch prekär beschäftigten Nachwuchs sowie unbezahlte PrivatdozentInnen und unterbezahlte Lehrbeauftragte zu bewältigen. Wie prekär die Situation ist, zeigte vor Kurzem die Antwort des Berliner Senats auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Danach geben an Berliner Hochschulen ca. 750 Privatgelehrte Seminare ohne Bezahlung. In anderen Hochschulen sieht es nicht besser aus.

Die größten Schnittmengen zu ihren Forderungen sieht das Netzwerk bei der LINKEN und in einigen Punkten bei den Grünen. Bei den Unionsparteien und der FDP finden sie hingegen kein Gehör, sagt Fabian Frenzel. Daher wollen sich die Beschäftigten im Wissenschaftsbereich weiter organisieren. »Ziel ist es, so gut aufgestellt zu sein, dass wir in einzelnen Hochschulen auch Arbeitskämpfe führen können«, meint Frenzel. Doch dazu müsse der Organisationsgrad unter den wissenschaftlich Beschäftigten verbessert werden. Die Kooperation mit Gewerkschaften mache Fortschritte, betont Frenzel. Unterstützung bekommt das Bündnis von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der GEW. Mit der Bildungsgewerkschaft bereitet das Netzwerk für November eine Tagung in Berlin vor. Gute Kontakte gibt es auch zu der im letzten Jahr an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main gegründeten Hochschulgewerkschaft Unterbau, die sich das Ziel gesetzt hat, Studierende und Beschäftigte an den Hochschulen gemeinsam zu organisieren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1062344.exzellente-ausbeutung.html

Peter Nowak

Weihnachten soll wehtun

Mit Spontanität wollen die Amazon-Arbeiter den Konzern unter Druck setzten

Eine große Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon vor Weihnachten sucht man in diesem Jahr vergebens. Das liegt jedoch nicht an Untätigkeit sondern an einer neuen Taktik der Gewerkschaft.

Bis Weihachten wird an den Amazon-Standorten Rheinberg, Werne und Koblenz gestreikt. Der Ausstand begann am 21.Dezember. Damit ist der Kampf der Amazon-Beschäftigten für einen neuen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzelhandels wieder neu entbrannt. In den vergangenen Jahren fand der Arbeitskampf vor allem in den Weihnachtstagen ein großes öffentliches Interesse. Schließlich ist der Onlinekonzern in dieser Zeit besonders druckempfindlich, weil sehr viele Menschen Bestellungen aufgeben.

Im November und der ersten Dezemberhälfte wurde auch in diesem Jahr an 12 Tagen an unterschiedlichen Amazon-Standorten die Arbeit niedergelegt. Dass diese Ausstände medial wenig Beachtung fanden, lag auch an der veränderten Streiktaktik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. »Es werden nicht alle Streiks per bundesweiter Pressemitteilung bekannt gemacht. Wenn in einem Landesbezirk gestreikt wird, wird dies über eine Landespressemitteilung bekannt gegeben«, erklärt Thomas Voss vom verdi-Fachbereich Handel gegenüber »nd«. Die neue Streiktaktik habe sich aber bewährt, meint der Gewerkschaftssekretär. Die flexible Strategie, bei der Streiks sehr kurzfristig bekannt gemacht werden, mache es für Amazon schwer, zu reagieren und sich auf den Ausstand vorzubereiten. »Das führt zu spürbaren Störungen der Arbeitsabläufe mit Auswirkungen auf die Auslieferung und treibt die Kosten für Amazon in die Höhe. Denn das Unternehmen hat an vielen Standorten Ersatzbeschäftigte eingestellt, die dann nicht zum Einsatz kommen, weil wir zum angenommenen Zeitpunkt eben nicht streiken«, betont Voss. Dabei seien allein in Leipzig im November rund 7000 sogenannte unproduktive Stunden angefallen.

Dass Amazon manchmal mehr Geld ausgeben muss, wenn nicht gestreikt wird, bestätigt auch David Johns vom Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig gegenüber »nd«. Die zusätzlich eingestellten Ersatzbeschäftigten müssen ebenso bezahlt werden, wie die regulären Mitarbeiter. Wenn es dann doch zu verlängerten Mittagspausen kommt, wie eine der flexiblen Arbeitskampfmethoden genannt wird, sei die Stimmung gut und es würden auch sich auch Beschäftigte daran beteiligen, die vorher abseits standen.

Das außerbetriebliche Bündnis unterstützt seit mehr als drei Jahren die Beschäftigten, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.Es wurde zum Vorbild für Solibündnisse an anderen Amazon-Standorten. Das letzte bundesweite Treffen der Solidaritätsgruppen fand im November 2016 am Standort Bad Hersfeld statt. Dort wurde auch das Konzept des Konsumentenstreiks entwickelt. Kunden sollten Waren bestellen und anschließend von der Möglichkeit der Rücksendungen gebrauch machen. Dabei sollten die Sendungen mit Unterstützungsbekundungen der Streikenden versehen werden.

»Wir waren organisatorisch nicht in der Lage, diese Kunden-Kampagne so auszuweiten, dass sie sich für Amazon auch finanziell bemerkbar macht«, meint Johns. Ver.di bietet für ihre Aktion Aufkleber an, die für die Rücksendungen verwendet werden können. Darauf heißt es unter anderem: »«

»Eine präzise Auswertung können wir nicht bieten. Wir wissen aber, dass sie auf großes Interesse bei Kunden stößt und der Arbeitgeber Amazon sie sehr wohl registriert«, meint Thomas Voss. Über die weitere Perspektive des Amazon-Streiks will sich der Gewerkschaftssekretär nicht äußern. Nur soviel, der Kampf werde weitergehen. »So lange bei Amazon kein Tarifvertrag existiert, muss sich das Unternehmen jederzeit auf Arbeitskampfmaßnahmen und auch weitere Streiks einstellen. Und wir werden bei unserer derzeitigen flexiblen Streiktaktik bleiben, weil wir sie als sehr erfolgreich ansehen«, stellt Voss klar.

Auch das Solibündnis hat seine Arbeit keineswegs eingestellt, selbst wenn die Homepage seit einem Jahr nicht erneuert wurde. »Wir haben in letzter Zeit mehr mit den Kollegen vor Ort gearbeitet, als bundesweite Kampagnen gemacht«, begründet David John diese digitale Inaktualität. Das Bündnis bereitet das am polnischen Amazon-Standort Wroclaw geplante Treffen der Beschäftigten vor. Dort wollen Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen Ländern darüber beraten, wie sie Amazon transnational unter Druck setzen können.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1036281.weihnachten-soll-wehtun.html

Von Peter Nowak

Umstrittener Protest eines Kinobetreibers

Antisemitisches Plakat am Filmtheater Babylon

Viele Passanten, die sich am Montagabend am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte aufhielten, waren empört und irritiert. Der Geschäftsführer des Kinos Babylon, Timothy Grossmann, sprühte mit weißer Farbe Davidsterne auf die Scheiben der Eingangstüren des Kinos. Kurz zuvor hatte er, selbst in eine gelbe Warnweste gekleidet, ein großes Transparent über der Eingangstür des Kinos aufgehangen. Es zeigt ein brennendes Kino Babylon. Dichter schwarzer Rauch schlägt aus dem Gebäude. Daneben steht in großen Lettern: »Boykott! Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht im Kino Babylon«.

»Die Aktion hat sich der Geschäftsführer des Kinos ausgedacht und er hat auch eigenhändig die Davidsterne gesprüht. Damit soll unser Arbeitskampf in eine antisemitische Ecke gestellt werden«, sagt ein Streikposten der Gewerkschaft ver.di, ebenfalls in gelber Warnweste, vor der Tür des Filmspielhauses. Seit Juli 2015 befinden sich Mitarbeiter im Arbeitskampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Für die Geschäftsführung um Grossmann gibt es dagegen keinen Arbeitskampf. »Der Tarifkonflikt ist nur vorgeschoben«, sagt eine Sprecherin des Kinos dem »nd«. Mit der »Kunstaktion« habe der jüdische Geschäftsführer einen »Hilfeschrei« aussenden wollen, dass es sich in Wirklichkeit um eine »große Diffamierungskampagne« handele.

»Seit fünf Jahren haben die Filmvorführer des Babylons keine Lohnerhöhung bekommen. Sie erhalten unverändert einen Stundenlohn von 9,03 Euro. Gleichzeitig sind die Eintrittspreise und Besucherzahlen deutlich gestiegen«, erklärt dagegen Andreas Köhn vom ver.di-Landesbezirk dem »nd«. Er kritisiert die Aktion des Geschäftsführers scharf. Damit werde der legitime Kampf der Mitarbeiter in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Inzwischen prüft der Staatsschutz des Landeskriminalamts, ob die Aktion Grossmanns ein Straftatbestand darstellt. Bereits am Montagabend hatten Kinobesucher wegen des Plakats von einem Besuch abgesehen. Auch der Sänger und Autor Thees Uhlmann verlegte seine für Donnerstagabend im Kino geplante Lesung. »Wer Symbole und Sprüche aus der dunkelsten Zeit Deutschlands und der ganzen Welt dazu nutzt, um auf seinen eigenen Kram aufmerksam zu machen, bei dem spiele, lese, rede ich nicht«, sagte er.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/987167.umstrittener-protest-eines-kinobetreibers.html

Peter Nowak

Wenn die Leinwand dunkel bleibt

STREIK Im Kino Babylon Mitte gibt es immer wieder Warnstreiks. Es geht um mehr Lohn und Personal

„Worst Case Scenario“ lautet der  Titel eines Film im aktuellen Programm des Kinos Babylon Mitte. Für den Geschäftsführer des Filmhauses am Rosa-Luxemburg Platz, Timothy Grossman, wäre es ein Worst-Case-Scenario, wenn
die Leinwand dunkel bliebe. Denn die Verdi-Betriebsgruppe im Kino ruft seit dem 22. Mai immer wieder zu Warnstreiks auf. Die Gewerkschaft hatte den vor zehn Jahren geschlossenen Tarifvertrag gekündigt und die Geschäftsführung zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Sie will die Übernahme des Bundestarifvertrages des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) für die Babylon-Beschäftigten und eine Erhöhung der Personalbesetzung erreichen. „Seit fünf Jahren gab es im Bereich der FilmvorführerInnen keine Entgelterhöhung. Lediglich der Einstiegslohn für PlatzanweiserInnen
wurde 2014 auf den jetzt geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro erhöht“, erklärt Andreas Köhn vom
Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg.  Bei zwei Verhandlungen habe Grossman erklärt, die z usätzlichen Gelder könne das Kino nicht aufbringen. „Die Eintrittspreise sind um teilweise 20 Prozent gestiegen“, kontert Köhn. „Auch die Anzahl der BesucherInnen hat sich deutlich erhöht.“ Zudem sind im Doppelhaushalt 2016/17 Subventionen
in Höhe von 361.500 Euro für das Filmhaus eingeplant. Bisher betrugen die Zuschüsse 358.000 Euro jährlich.
Zeitgleich mit dem aktuellen Verdi-Streik ist im Syndikat A die Broschüre „Babylohn“ von Hansi Oostinga erschienen, die an den Arbeitskampf der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) in den Jahren 2008 bis 2010 in dem Kino erinnert. Neben zahlreichen Solidaritätsaktionen linker Gruppen spielen dort auch die juristischen Auseinandersetzungen mit den GewerkschafterInnen eine Rolle. Diese sind bis heute nicht beendet. FAU-Mitglied und Betriebsrat Andreas H. wehrt sich juristisch gegen seinen Rauswurf. Mit der Beschuldigung, ein Plakat beschädigt
zu haben, wurde ihm fristlos gekündigt und seine Wohnung polizeilich durchsucht. Den aktuellen Arbeitskampf unterstützt der bis zur gerichtlichen Klärung Beurlaubte trotzdem. Babylon-Geschäftsführer Grosman war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

aus: Taz, 9.7.2015

Peter Nowak

Dieses Kino wird bestreikt

Beschäftigte am Babylon in Mitte demonstrieren für Anpassungen ihrer Verträge

Weil ihre Verträge in zwei beziehungsweise fünf Jahren nicht tarifrechtlich angepasst wurden, bestreiken Mitarbeiter das Kino Babylon.

»Dieses kommunale Kino wird heute bestreikt. Darum bitten wir Sie, heute von einem Kinobesuch Abstand zu nehmen und die berechtigen Forderungen der Beschäftigten nicht zu unterlaufen«, heißt es auf Plakaten, die in den vergangenen Tagen rund um das Kino Babylon am Rosa-Luxemburg Platz verteilt wurden. Verfasst wurden sie von der ver.di-Betriebsgruppe des Kinos Babylon. Sie fordert die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der 15 KinomitarbeiterInnen. »Fünf Jahre Verzicht sind genug. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, steht auf einem Schild, den ein Streikender am Montag in die Höhe hält, als er mit einem Kinobesucher über den Arbeitskampf diskutiert. »Im Dezember 2013 wurde mein Stundenlohn nach einer Forderung des Senats auf 8,50 Euro tarifvertraglich angehoben. Seitdem gab es keine weiteren Anpassungen«, erklärte der Mitarbeiter. Die Filmvorführer hätten sogar seit fünf Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen.

Ver.di fordert die Übernahme des Bundestarifvertrages des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) für die Babylon-Beschäftigten. Außerdem soll es eine verbindliche Mindestbesetzung während des laufenden Kino- und Veranstaltungsprogramms geben, die auf die Besucherzahlen abgestimmt wird. Andreas Köhn vom ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg betont, dass das Kino die Forderungen wirtschaftlich tragen kann. »Schließlich sind die Eintrittspreise und die Einmietung in den letzten Jahren um teilweise 20 Prozent gestiegen. Auch die Anzahl der Besucher hat sich deutlich erhöht.«

Zudem erhöhen sich auch die Subventionen, die das Land Berlin jährlich an das Kino überweist. Im Doppelhaushalt 2016/2017 sind 36 5000 Euro Zuschuss vorgesehen. Bisher betrug der jährliche Zuschuss an das Kino 35 8000  Euro. Ver.di fordert nun vom Senat, die Auszahlung der Zuwendungen an die Umsetzung des bundesweiten HDF-Tarifvertrages zu koppeln. Der Geschäftsführer der Neuen Babylon GmbH, Timothy Grossman, erklärte bei den zwei Verhandlungsterminen mit ver.di, aus eigenen Mitteln sei kein Spielraum für die Erfüllung der Forderungen. Gegenüber »nd« war Grossmann nicht zu einer Stellungnahme bereit.

Bereits 2009 und 2010 war das Kino Babylon durch einen Arbeitskampf über Berlin hinaus bekannt geworden. Damals wandten sich die Beschäftigten an die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU). »Der Arbeitskampf machte damals deutlich, dass auch in prekären Verhältnissen engagierte Arbeitskämpfe möglich sind«, heißt es im Vorwort einer Broschüre über den Arbeitskampf, die kürzlich vom FAU-Aktivisten Hansi Oostinga beim Verlag Syndikat A herausgegeben wurde. »Die Broschüre erinnert an den von heute aus gesehen doch sehr organisierten und professionellen Arbeitskampf«, sagt FAU-Mitglied und Babylon-Betriebsrat Andreas Heinz dem »nd«. Auch den aktuellen Streik von ver.di unterstützt die FAU ausdrücklich. Dabei waren die Beziehungen zwischen beiden Gewerkschaften nicht immer die besten. Die FAU warf ver.di vor, mit Grossman einen Tarifvertrag abgeschlossen zu haben, nachdem der der Basisgewerkschaft ihre Tariffähigkeit aberkennen wollte. Damals hatten sich in einen bundesweiten Solidaritätskomitee allerdings auch Mitglieder von DGB-Gewerkschaften mit der FAU solidarisiert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/977003.dieses-kino-wird-bestreikt.html

Peter Nowak

Papierlos, rechtlos

Bürokratie: Menschen ohne Arbeitserlaubnis können bei Verdi nicht mehr Mitglied werden. eine Justizposse

Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen. So präsentieren sich  die deutschen Gewerkschaften gerne nach außen. Doch wenn es um Flüchtlinge geht, hört die Solidarität schnell auf – zumindest beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Die Vorstandsetage ist nämlich der Auffassung, dass Ausländer ohne Arbeitserlaubnis nicht Verdi-Mitglied werden dürfen.Begonnen hat es im vergangenen Sommer, als rund 300 Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in die Gewerkschaft aufgenommen wurden – vom Hamburger Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Die Asylbewerber schrieben .

„In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden,  die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt“. Seitdem sah  man  auf Flüchtlingsdemonstrationen häufig  Ver.di-Fahnen. Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme hat vom ver.di-Bundesvorstand eine Abmahnung bekommen. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die -Satzung verstoßen. Begründet wurde das mit einer Stellungnahme der Verdi-Verwaltung, die formaljuristisch in Ordnung sein mag, mit der Wirklichkeit und den Herausforderungen einer Gewerkschaft aber herzlich wenig zu tun hat. Zum einen wird bemängelt, dass eine Lampedusa-Flüchtlinge als Bauarbeiter oder Automechaniker arbeiteten, also bei der Dienstleistungsgewerkschaft falsch seinen. Dies verkennt jedoch die Lebensrealität der meisten Migranten, die sich mit kurzfristigen Arbeitsverhältnissen herumschlagen müssen. Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln? Zum anderen argumentieren die Bürokraten von Verdi, dass diejenigen Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, weder lohnabhängig noch erwerbslos seine. Dabei gelingt der Gewerkschaftsführung ein Kunstgriff, in dem sie sich „weniger auf den Zustand der Erwerbslosigkeit als auf arbeitsmarktpolitische bzw. sozialrechtliche Zuordnung“ beruft. Das heißt: da die Flüchtlinge vom Staat nicht als erwerbslos gemeldet werden, dürfen sie sich nicht in Verdi organisieren.Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Verdi gegenüber den Arbeitgebern geschwächt? Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren. Die Erwerbslosen können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht sich auch der Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso. Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Verdi-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt. Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Verdi-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist inzwischen zwar nicht von seiner Position abgerückt, aber es gibt einige Hoffnungsschimmer. Die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen trotz des Gutachtens Verdi-Mitglieder bleiben. Zudem existieren seit einigen Jahren in mehreren Städten  Ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Papierlos aber nicht rechtlos, lautet ihr Motto. Es sollte für alle Flüchtlinge gelten. Vor allem in den Gewerkschaften.

Peter Nowak

aus Wochenzeitung Freitag 24/2014 vom 6.4. 2014

https://www.freitag.de/inhaltsverzeichnis

Eingeschränkte Solidarität

Ver.di hat in Hamburg 300 Flüchtlinge aufgenommen – nun gibt es Ärger in der Organisation

Flüchtlinge dürfen in Deutschland nicht arbeiten und können daher nicht einmal arbeitslos sein – aber dennoch Gewerkschaftsmitglieder? Im Hamburger Lampedusa-Fall ist das umstritten.

»Um uns selbst zu verteidigen und unsere Rechte zu erlangen müssen wir kämpfen. In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt.«

Das schrieb eine Gruppe libyscher Flüchtlinge, die sich »Lampedusa in Hamburg« nennt und für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der Hansestadt kämpft, Anfang Juli an die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Den etwa 300 Migranten war vom Fachbereich »Besondere Dienstleistungen« bei ver.di Hamburg die Gewerkschaftsmitgliedschaft angeboten worden, was sie gerne annahmen. Seitdem treten sie auf Kundgebungen und Demos auch mit ver.di-Fahnen auf.

»Wir heißen die Flüchtlinge willkommen und wollen die Beschäftigten in Hamburg mit den neuen Mitgliedern aus Libyen in einen Dialog bringen, um die Forderungen der Flüchtlinge auf eine breitere Basis zu stellen«, erklärte der Fachbereichsleiter »Besondere Dienstleistungen«, Peter Bremme, den Neumitgliedern. Bremme möchte gegenüber »nd« dazu nicht mehr Stellung nehmen. Denn statt für den erhofften Dialog mit den Gewerkschaftsmitgliedern sorgte die Aufnahme zunächst für Zoff mit dem Gewerkschaftsapparat. Bremme wurde vom ver.di-Vorstand mit der Begründung abgemahnt, er habe er eigenmächtig gehandelt.

Das Ressort Organisation beim ver.di-Bundesvorstand stellte in einem Gutachten fest, dass die Aufnahme der Flüchtlinge der ver.di-Satzung widerspricht. Die Flüchtlinge stünden weder in einem Beschäftigtenverhältnis, noch seien sie Erwerbslose, die ver.di-Mitglieder werden können. Eine Satzungsänderung könne nur gemeinsam mit den Einzelgewerkschaften des DGB erfolgen, heißt es in dem Gutachten.

Für die Aufgenommenen hat das keine Konsequenzen. »Die Neumitglieder sind nach wie vor bei ver.di Mitglied. Es ist auch nicht beabsichtigt dies zu ändern«, betont Dieter Raabe vom ver.di-Fachbereich Organisation gegenüber »nd«. Ver.di setze sich politisch für die Rechte von Migranten, Flüchtlingen, Menschen ohne Papiere und Asylbewerbern ein. »Dieses politische Engagement werden wir auf allen Ebenen fortsetzen, gerne auch weiterhin mit dem AK Undokumentierte Arbeit.« Dort beraten Gewerkschaftsmitglieder Beschäftigte auch ohne gültige Dokumente über ihre Rechte als Lohnabhängige.

Projekte wie die Anlaufstellen für undokumentiert Arbeitende hätten einen »wichtigen Impuls in die Gewerkschaftsbewegung gegeben und konkret gezeigt, dass Arbeitende ohne Arbeitserlaubnis sehr wohl an gewerkschaftlicher Zusammenarbeit interessiert sind und Arbeitskämpfe mit ihnen erfolgreich geführt werden können,« heißt es nun in einen offenen Brief an den Verdi-Bundesvorstand. Er fordert eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus. »Migrationskontrolle ist nicht unser Geschäft«, lautet die Überschrift.

Zu den Erstunterzeichnern dieses Schreibens gehören Mitglieder des AK Undokumentiertes Arbeiten, darunter Michal Kip. Gegenüber »nd« bezeichnet er die Aufnahme der Flüchtlinge als einen mutigen Schritt, die Gewerkschaft an ein Thema heranzuführen, dem bislang innerhalb der Organisation zu wenig Beachtung geschenkt worden sei. »An diesem Beitritt zeigt sich beispielhaft ein Verständnis von Gewerkschaftssolidarität, das von den unterschiedlichen Lebenslagen der Mitglieder ausgeht und einen Ausgleich schaffen will«, betont Kip.

Mittlerweile wurde der Brief von mehr als 500 ver.di-Mitgliedern unterschrieben, darunter Ehren- und Hauptamtliche aus den verschiedensten Fachbereichen. Noch bis zum kommenden Montag kann der Brief unterzeichnet werden. Die Debatte in der Gewerkschaft dürfte damit aber nicht beendet sein.

Der Brief kann bei ak.verdi@gmail.com bestellt und unterzeichnet werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/918085.eingeschraenkte-solidaritaet.html

Peter Nowak

Zeit für den Weihnachtsstreik

Verdi setzt beim Arbeitskampf im Einzelhandel auf Streiks an den Adventswochenenden.

Wenn in den kommenden Wochen vor Berliner Einkaufszentren Flyer verteilt werden, muss das keine Werbung für das Weihnachtsgeschäft sein. Es könnte sich auch um ein Flugblatt handeln, das zur Solidarität mit den Streikenden im Einzelhandel aufruft: »Bitte kaufen Sie heute nicht in den bestreikten Betrieben ein.«

Der bisher längste Arbeitskampf im Einzelhandel hat die Weihnachtszeit erreicht. Provoziert wurde er durch die Kündigung sämtlicher Entgelt- und Manteltarifverträge durch die Arbeitgeberseite zum 1. Mai dieses Jahres. Es geht um die Senkung von Löhnen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Handelsbranche, in der es für die Beschäftigten ohnehin besonders schwer ist, sich zu organisieren. Die Arbeit im Einzelhandel ist geprägt von Teilzeitstellen, niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten und einer Sechstagewoche.

»Mit diesem Vorhaben legt die Unternehmerseite die Axt an die Existenzsicherung und wesentlichen Schutzregelungen für die Beschäftigten im Einzelhandel«, sagte Stefanie Nutzenberger vom Bundesvorstand von Verdi im Januar, nachdem die Unternehmer ihr Vorhaben angekündigt hatten. Der langjährige Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Anton Kobel, betont in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Express, bei diesem Arbeitskampf gehe es vor allem um die Abwehr von Verschlechterungen. Die Unternehmer wollen die Kassierer und Kassiererinnen einer schlechteren Tarifgruppe zuordnen. »Dies wären 250 bis 300 Euro monatlich weniger Gehalt für Vollzeitkräfte beziehungsweise eine fünfzehnprozentige Kürzung«, beschreibt Kobel die Folgen für die Beschäftigten.

Zudem wollen die Arbeitgeber die tariflich vereinbarte Kassierzulage von etwa 25 Euro monatlich abschaffen und eine neue Niedriglohngruppe für das Einräumen von Regalen schaffen. Die Beschäftigten des Einzelhandels sind trotz der langen Dauer dieses Arbeitskampfs auch deshalb weiterhin motiviert, weil eine Durchsetzung solcher Verschlechterungen für viele bedeuten würde, dass sie mit Hartz IV aufstocken müssten.

Dass sich die Tarifauseinandersetzung bis in die Adventszeit zieht, ist der harten Haltung der Unternehmer geschuldet, die bisher sämtliche Kompromissvorschläge der Gewerkschaft ablehnte. An der Basis wird jedoch auch moniert, dass Verdi noch immer keine bundesweite Arbeitskampfstrategie entwickelt habe und die Öffentlichkeitskampagne vor allem Betroffene, aber kaum andere gesellschaftliche Gruppen erreiche. In verschiedenen Städten haben sich allerdings bereits Gruppen gegründet, die an Streiktagen die Beschäftigten unterstützen. So haben sich im Umfeld der Studierendengruppe »Die Linke.SDS« Initiativen gebildet, die gemeinsam mit Verdi Kundgebungen und Flashmobs organisieren. Mitte November besuchten in Berlin im Rahmen ­einer »Blitzaktion« Gewerkschafter, Beschäftigte und Unterstützer mehrere Filialen des Bekleidungskonzerns H & M und sprachen mit den Beschäftigten über ihre Arbeitssituation und ihre Erwartungen an den Tarifkampf.

In den kommenden Wochen will auch die Arbeitsgruppe Streik des Berliner »Blockupy«-Bündnisses mit eigenen Aktionen den Arbeitskampf unterstützen. Genutzt werden sollen die Adventswochenenden, an denen für die Beschäftigten des Einzelhandels der Stress und die Arbeitsbelastung besonders spürbar werden. Die Unterstützer wollen dabei vor allem ihre Solidarität mit den Beschäftigten unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft ausdrücken. Damit knüpfen sie an den letzten Arbeitskampf im Handel aus dem Jahr 2008 an. Damals solidarisierten sich erstmals »Kritische Kundinnen und Kunden« mit den Forderungen der Beschäftigten. Höhepunkt war die Aktion »Dichtmachen«, mit der eine Reichelt-Filiale über mehrere Stunden blockiert wurde. Selbst in einer abgeschwächten Variante würde eine solche Aktion eine erhebliche Beeinträchtigung des Weihnachtsgeschäfts bedeuten und den Druck auf die Unternehmer erhöhen. Zustimmung von vielen Beschäftigten, denen die bisherige Taktik von Verdi zu verhalten erscheint, wäre sicher vorhanden.

http://jungle-world.com/artikel/2013/49/48941.html

Peter Nowak

Taxifahrer wollen weniger Konkurrenz

ARBEIT Minigewerkschaft protestiert gegen Hungerlöhne und Vermittlungsgutscheine für Arbeitslose

Gewerkschaftlich organisierte TaxifahrerInnen wenden sich gegen die massive Vermittlung von Arbeitslosen in ihrer Branche. Am Dienstag wollen sie vor der Kreuzberger Filiale der Bundesagentur für Arbeit demonstrieren. „Wir sind dagegen, dass die Arbeitsagentur über Vermittlungsgutscheine immer mehr Leute in das Taxigewerbe vermittelt, ohne zu berücksichtigen, dass wir FahrerInnen jetzt schon kaum noch von dem Verdienst leben können“, erklärte Andreas Komrowski der taz. Der Taxifahrer gehört zu dem rund einen Dutzend Berliner FahrerInnen, die sich gewerkschaftlich organisiert haben.

Seit drei Jahren existiert die Berliner Taxi-AG bei der Dienstleitungsgewerkschaft Ver.di, die auch zu den OrganisatorInnen der Protestkundgebung gehört. Die startete 2012 unter Berliner TaxifahrerInnen eine Umfrage über deren Einkommensverhältnisse. Dabei kam heraus, dass viele für Stundenlöhne zwischen 4,50 bis 6,50 Euro hinter dem Lenkrad sitzen. Mindestens ein Viertel müssen als AufstockerInnen zusätzliche Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit beantragen, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben können.

Ein Grund ist die sinkende Zahl von Menschen, die sich ein Taxi leisten können. „Unser Alltag ist durch Konkurrenz um die weniger werdenden Fahrgäste geprägt. Da die Höhe des Lohns vom Umsatz abhängig ist, ist die Denkweise auch bei Angestellten oft unternehmerisch geprägt“, so Komrowski. Die Zeiten, als das Taxifahren ein beliebter Job für Studierende in Westberlin war, kennt er nur vom Hörensagen. So muss heute, anders als früher, bei Studierenden die Sozialversicherung bezahlt werden, wenn es mehr als ein Minijob ist. Zudem verlangen die Taxischulen für einen Schein, der 1994 noch 300 DM kostete, inzwischen vierstellige Eurobeträge.

Die AG Taxi fordert die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro brutto. Für die GewerkschafterInnen gehört die Reduzierung der Taxi- Konzessionen zu den dafür notwendigen Strukturmaßnahmen. Eine Fahrpreiserhöhung würde noch keine auskömmlichen Löhne schaffen, solange die Konzessionsvergabe in Berlin unbegrenzt ist, argumentiert die Gewerkschaft. Durch Neukonzessionierungen würden die Umsätze pro Fahrzeug und damit auch die Löhne nach kurzem Aufschwung wieder sinken, so die Analyse der Taxi-AG.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F08%2F26%2Fa0094&cHash=db0791930da794eb5ee0778fe992e53f

Peter Nowak

Kundgebung am 27. August von 10 bis 13 Uhr vor der Bundesagentur für Arbeit, Charlottenstr. 87-90

Wenn der Tarif nicht stimmt

Linke Gewerkschafter fordern ihre Organisationen auf, für die Leiharbeitsbranche keine Tarifverträge mehr abzuschließen.

»Nein zum DGB-Tarifvertrag in der Zeitarbeit«, lautete die Überschrift eines offenen Briefs, der Mitte April an die Bundesvorstände des DGB sowie der Einzelgewerkschaften Verdi, IG Bau, IG Metall und IG Bergbau, Chemie, Energie gerichtet wurde. Unterzeichnet wurde er von zahlreichen Basisgewerkschaftern. Bei Mag Wompel von der Onlineplattform Labournet gehen derzeit weitere Solidaritätserklärungen ein. Es mag überraschen, dass sich Gewerkschafter, die sich gegen Verzichts­ideologie und Sozialpartnerschaft wenden, nun gegen den Abschluss eines Tarifvertrags aussprechen. Schließlich treten immer wieder Beschäftigte in den Streik, weil Unternehmen sich weigern, Tarifverträge abzuschließen. Dabei haben Unternehmen durch geregelte Verträge große Vorteile. Sie erhalten dadurch Rechtssicherheit und mit den DGB-Gewerkschaften als Tarifpartner auch eine Institution, die für Betriebsfrieden sorgt. In Zeiten des Verlustes von Arbeiterautonomie verliert der DGB als Vermittlungsinstanz im Unternehmerlager allerdings an Bedeutung.

Daher gibt es immer häufiger Arbeitskämpfe für einen Tarifvertrag, denn für die Beschäftigten ist er in der Regel mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen verbunden. Warum sollten sie Interesse am Abschluss eines Tarifvertrags haben, wenn er mit Lohnverlusten verbunden ist? Genau das wäre aber in der Leiharbeitsbranche der Fall, argumentieren die gewerkschaftlichen Kritiker des Tarifvertrags. Damit würden Dumpinglöhne tarifiert, monieren sie in ihrem offenen Brief. Sie setzen stattdessen allerdings nicht auf die Bereitschaft zum Arbeitskampf, sondern auf das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.

Arbeitsrechtler weisen bereits seit geraumer Zeit auf den dort festgeschriebenen Grundsatz des »Equal Pay« hin. Danach steht Leiharbeitern der gleiche Lohn wie den Beschäftigten mit Festanstellung zu, es sei denn, es werden durch Tarifverträge andere Vereinbarungen getroffen. Entsprechend sind die Vertreter der Leiharbeitsbranche sehr an einem Tarifvertrag interessiert. Beim Abschluss von Tarifverträgen waren die DGB-Gewerkschaften für die Leiharbeitsbranche nicht die ersten Ansprechpartner, stattdessen schloss sie mit den Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) Tarifverträge ab, die seitens der DGB-Gewerkschaften als Sanktionierung von Dumpinglöhnen heftig kritisiert wurden.

Allerdings schlossen die DGB-Gewerkschaften selbst nur geringfügig bessere Tarifverträge ab, gegen die schon damals heftige Kritik auch im Gewerkschaftslager verteidigten sie diesen Schritt mit dem Argument, dass man so verhindern wolle, dass sich die christlichen Gewerkschaften in der Branche etablierten. Dieses Argument steht den DGB-Gewerkschaften mittlerweile nicht mehr zur Verfügung. Denn das Bundesarbeits­gericht hat in mehreren Urteilen ganz in ihrem Sinne entschieden. Ende 2010 stellte es fest, dass die christlichen Gewerkschaften keine Arbeitnehmervertretung sind, später folgte die Entscheidung, dass die mit ihnen abgeschlossenen Verträge daher nichtig sind.

Die derzeitige Auseinandersetzung um Tarifverträge in der Zeitarbeitsbranche könnte zur Profilierung einer neuen politischen Strömung im gewerkschaftlichen Milieu beitragen. Vor einigen Tagen veröffentlichte Labournet ein Posi­tionspapier von »linken Hauptamtlichen bei Verdi«, die sich zu einer »konflikt- und basisorientierten Gewerkschaftsarbeit bekennen« und dem Co-Management, dem Standortnationalismus und der Stellvertreterpolitik eine Absage erteilen. Zudem werden im Positionspapier auch die »Perspektive einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung« und »das Eintreten gegen das kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem« betont. Dort haben sich Gewerkschafter zusammengefunden, die in der außerparlamentarischen Linken und Bündnissen wie der Interventionistischen Linken aktiv waren und darüber zur Gewerkschaftsarbeit kamen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/22/47789.html
Peter Nowak