Exzellente Ausbeutung

Beschäftigte beklagen unhaltbare Zustände an Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Im Bundestagswahlkampf betonen alle Parteien, wie wichtig in einer globalisierten Welt die Unterstützung des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist. Wer in der Wissenschaft arbeitet, fühlt sich jedoch alles andere als gut unterstützt. »Das deutsche Universitätssystem, das in politischen Sonntagsreden so hoch gelobt wird, basiert zu Teilen auf der Ausbeutung derer, die ohne Absicherung und ohne angemessene Bezahlung unterrichten«, sagt Ulrike Stamm, die als Gastprofessorin unter anderem am Institut für Literaturwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität arbeitet. Sie gehört zu den MitbegründerInnen des »Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft«, in dem sich zu Jahresbeginn über 100 Vertreter aus Hochschulen und wissensch

Befristungen von unter einem Jahr, die Unter- oder Nicht-Entlohnung von Lehrtätigkeit und der Verschleiß von hoch qualifiziertem wissenschaftlichem Personal seien inzwischen der Regelfall. 75 Prozent aller wissenschaftlich Beschäftigten haben dem Netzwerk zufolge befristete Arbeitsverträge. In Frankreich und Großbritannien seien hingegen lediglich ein Viertel, in den USA sogar nur ein Fünftel der wissenschaftlichen Arbeitsverträge befristet.

Am Donnerstag stellte der Zusammenschluss einen Forderungskatalog vor, wie die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessert werden müssten. Dazu gehört die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das mit seinen Kurzverträgen eine längere Berufsplanung für Akademiker erschwert. Darüber hinaus fordern die Wissenschaftler die Abschaffung von Lehrstühlen zugunsten demokratischer Strukturen in Fachbereichen und Instituten, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Regelfall sowie unbefristete Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion.

Eine angemessene und flächendeckende Grundfinanzierung der Hochschulen wird von dem Bündnis als Voraussetzung für die Umsetzung dieser Forderungen gesehen. Denn die Grundfinanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen reiche immer weniger, um die Grundaufgaben der Hochschulen zu decken. Stattdessen fließe viel Geld in Exzellenzinitiativen und projektgebundene Forschungsförderung. Da gleichzeitig die Studierendenzahlen steigen, seien die Hochschulen gezwungen, immer mehr Lehre durch prekär beschäftigten Nachwuchs sowie unbezahlte PrivatdozentInnen und unterbezahlte Lehrbeauftragte zu bewältigen. Wie prekär die Situation ist, zeigte vor Kurzem die Antwort des Berliner Senats auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Danach geben an Berliner Hochschulen ca. 750 Privatgelehrte Seminare ohne Bezahlung. In anderen Hochschulen sieht es nicht besser aus.

Die größten Schnittmengen zu ihren Forderungen sieht das Netzwerk bei der LINKEN und in einigen Punkten bei den Grünen. Bei den Unionsparteien und der FDP finden sie hingegen kein Gehör, sagt Fabian Frenzel. Daher wollen sich die Beschäftigten im Wissenschaftsbereich weiter organisieren. »Ziel ist es, so gut aufgestellt zu sein, dass wir in einzelnen Hochschulen auch Arbeitskämpfe führen können«, meint Frenzel. Doch dazu müsse der Organisationsgrad unter den wissenschaftlich Beschäftigten verbessert werden. Die Kooperation mit Gewerkschaften mache Fortschritte, betont Frenzel. Unterstützung bekommt das Bündnis von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der GEW. Mit der Bildungsgewerkschaft bereitet das Netzwerk für November eine Tagung in Berlin vor. Gute Kontakte gibt es auch zu der im letzten Jahr an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main gegründeten Hochschulgewerkschaft Unterbau, die sich das Ziel gesetzt hat, Studierende und Beschäftigte an den Hochschulen gemeinsam zu organisieren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1062344.exzellente-ausbeutung.html

Peter Nowak

»Ein Streik ist noch nicht revolutionär«

Manuel Müller studiert im 12. Semester Medizin und engagiert sich bei den Kritischen Medizinerinnen und Medizinern. Er ist Pressesprecher der Hochschulgewerkschaft »unterbau«, deren Gründungskongress vom 18. bis 20. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main stattfindet.

Manuel Müller studiert im 12. Semester Medizin und engagiert sich bei den Kritischen Medizinerinnen und Medizinern. Er ist Pressesprecher der Hochschulgewerkschaft »unterbau«, deren Gründungskongress vom 18. bis 20. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main stattfindet.

In Ihrer Presseerklärung steht: »Wir werden versuchen, die Verhältnisse an der Universität Frankfurt gründlich und grundlegend aufzuwühlen, um damit eine Wende gegen die Neoliberalisierung der Hochschule einzuleiten.« Ist das angesichts der politischen Kräfteverhältnisse nicht Revolutionsromantik?

Wir sind uns der herrschenden Kräfteverhältnisse bewusst. Wir sehen selbstverständlich, dass reaktionäre Kräfte Auftrieb haben, dass die Linke orientierungslos und ohnmächtig ist. Aber was hilft es, in Anbetracht dessen den Kopf in den Sand zu stecken? Trotz der aktuellen Entwicklungen sehen wir uns nicht in der Position, unsere Ansprüche aufzugeben und in Resignation zu versinken. Unser Anspruch ist es, dem neoliberalen Kapitalismus nicht nur, aber vor allem, an der Hochschule entgegenzutreten, weil wir eben an der Hochschule arbeiten oder studieren. Und darüber hinaus, weil es dort auch viele Probleme gibt: Die Studien- und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und junge Akademikerinnen und Akademiker haben immer schlechtere Perspektiven.

Haben Sie bereits Arbeitskämpfe geführt?

Viele von uns waren und sind beispielsweise an der Hiwi-Initiative beteiligt und haben dort durchaus Praxis in Arbeitskämpfen der wissenschaftlichen Hilfskräfte sammeln können. Andere Mitglieder konnten in diversen weiteren Strukturen und Gruppen ähnliche, für uns sehr wertvolle Erfahrungen sammeln. Ich war beispielsweise 2012 an den Aktionstagen und Demonstrationen für eine Entlohnung im Praktischen Jahr von Medizinstudierenden beteiligt.

Kapitalismuskritik ist an den Hochschulen heutzutage eher minoritär. Wie wollen Sie das mit Ihrem Konzept ändern?

Wir versuchen, auf die Perspektivlosigkeit zu antworten, indem wir für eine praktische Wiederbelebung des Anarchosyndikalismus und Rätesozialismus stehen. Und wir sind der Überzeugung, dass eine nachhaltige Politisierung und Organisation ausgehen muss von konkreten Problemen innerhalb der gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionssphäre.

Ergeben sich mit der Aufkündigung des Klassenkompromisses von oben nicht wieder Spielräume für linke Interventionen in den DGB-Gewerkschaften?

Zwar wurde die Sozialpartnerschaft in der Praxis dadurch einseitig erschüttert, doch folgen die DGB-Gewerkschaften insgesamt noch immer einer sozialpartnerschaftlichen Doktrin, die – mit wenigen Ausnahmen – keinen Klassenantagonismus kennt und die Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betont. Heute ist es sehr wichtig, zu erkennen, dass eine solche sozialpartnerschaftliche Doktrin auch der Kern von Standortpolitik und Nationalismus ist. Gegen jedweden Korporatismus setzen wir ein klassenkämpferisches Bewusstsein. Ein Streik ist noch nicht revolutionär. Da unser politischer Horizont jedoch auf das Fernziel einer selbstverwalteten Hochschule und Gesellschaft ausgerichtet ist, ist eine Organisation außerhalb der DGB-Gewerkschaften notwendig – denn dieses Ziel teilt keine DGB-Gewerkschaft.

An einer Diskussionsveranstaltung Ende Oktober mit dem Titel »Verwalter oder Spalter: Wie weit können Gewerkschaften an der Uni gehen?« haben sich unter anderem die GEW und »Unterbau« beteiligt. Wie soll die künftige Kooperation denn aussehen?

Statt Konkurrenz wünschen wir uns einen einvernehmlichen, solidarischen Wettbewerb um die beste Form der Organisation der Interessen der Belegschaften. Wir können derzeit sicherlich noch nicht alles leisten, was die etablierten Gewerkschaften bieten. Deswegen halten wir Doppelmitgliedschaften für sinnvoll. Zudem organisieren sich bei uns auch Menschen erstmals gewerkschaftlich, die sich aufgrund ihres politischen Anspruchs niemals ernsthaft in einer DGB-Gewerkschaft engagieren würden. Auch in der Hinsicht sehen wir also ein Ergänzungspotential.

Wir solidarisieren uns uneingeschränkt mit allen anderen gewerkschaftlichen Kämpfen, die zum Aufbau eines klassenkämpferischen Bewusstseins an den Hochschulen und in der Gesellschaft beitragen. Hier unterstützen und begrüßen wir die wichtigen Impulse, die auch von der GEW ausgegangen sind, beispielsweise mit dem Templiner Manifest zur prekären Arbeit im Wissenschaftsbereich. Das war ein wichtiger Beitrag zur Schaffung eines Problembewusstseins. Befristung und Wettbewerbsorientierung werden auch dank dieser Initiative immer häufiger als problematisch wahrgenommen.

Im vergangenen Jahr organisierte die Basisgewerkschaft FAU in Jena einen Arbeitskampf in einem Callcenter der Universität. Sollen solche Interventionen künftig unter dem Dach der Hochschulgewerkschaft laufen?

Dieser Arbeitskampf ist ein sehr gutes Beispiel für die Wirkmächtigkeit basisdemokratisch organisierter Gruppen bei Arbeitskämpfen. Für uns ist dieser Fall vor allem deshalb exemplarisch, da sich die Beschäftigten an eine Organisation gewandt haben, die unseren Prinzipien sehr nahesteht. Das genannte Callcenter war bis dahin für eine enge Verbindung zu den etablierten großen Gewerkschaften bekannt. Vermutlich war dies ein Grund dafür, dass sich die Beschäftigten an eine alternative Struktur wie die FAU gewandt haben. Die Schwelle, eigenes Engagement einzubringen, ist hier wesentlich niedriger, als wenn Beschäftigte sich neben ihren Problemen am Arbeitsplatz noch durch existierende Funktionärsstrukturen kämpfen müssen, um in einen Arbeitskampf einzutreten. Ähnliche Aktionsformen werden auch für uns relevant werden, sobald wir uns als »Unterbau« in praktische Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen einbringen.

Interview: Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/46/55209.html