Eine Fotoausstellung in Kreuzberg erinnert an über drei Jahrzehnte BesetzerInnengeschichte

Alte, neue Kämpfe

Umbruch wurde 1988 von FotografInnen gegrün- det, die sich gegen die Unterbelichtung der linken Bewegung wehrten.“

Von Peter Nowak

Bei dem älteren Herrn mit Anzug und Brille würde man auf den ersten Blick keinen Sympathisanten der Berliner HausbesetzerInnenbewegung ver- muten. Doch das Foto, das Teil der Fotoausstellung „Die Häuser ser denen, die drin wohnen“ ist, zeigt den damals bekannten linken Theologen Helmut Gollwitzer, der 1981 in ein besetztes Haus in der Arndtstraße 42 am Chamissoplatz zog, das akut von Räumung bedroht war. Gollwitzer gehörte zu einer größeren Gruppe von WissenschaftlerInnen und Intellektuellen, die….

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Eine Fotoausstellung in der Regenbogenfabrik zeichnet die Geschichte der Hausbesetzer-Bewegung in Berlin nach

Häuserkampf ums Recht auf Wohnen

Binnen weniger Monate wurden im Westberlin der 1980er Jahre 160 Häuser besetzt. Viele wurden geräumt, manche Besetzung wurde legalisiert. Eine Ausstellung schlägt eine Brücke vom Gestern ins Heute.

»Des Spekulanten Brot ist Wohnungsnot«, steht auf dem Fronttransparent einer Demonstration durch den Berliner Stadtteil Grunewald im Jahr 1981. Dieser Protest am Wohnort der Reichen sorgte damals in Westberlin für viel Furore. Konservative Kritiker*innen sprachen von einer Stigmatisierung von Leistungsträger*innen. Fast drei Jahrzehnte später gibt es…

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»Wir sind stinksauer«

In der Lausitzer Straße 10 und 11 in Berlin-Kreuzberg sind diverse Alternativprojekte von der Verdrängung bedroht. Unter anderem befindet sich das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (Apabiz) in dem Gebäudekomplex. Die Jungle World hat mit Nenuschka, Lisa, Malte und Bini von »Lause bleibt e.V. i.G.« gesprochen.

Small Talk mit Mitgliedern des Vereins »Lause bleibt« über die Verdrängung aus Kreuzberg von Peter Nowak

Der dänische Investor Taekker will die Häuser Lausitzerstraße 10 und 11 verkaufen. Was bedeutet das für die Gewerbetreibenden und Mieter der Häuser?

Nenuschka: Taekker will die Gebäude an den meistbietenden Investor verkaufen. Eine solche Investition muss sich auch lohnen. Geplant sind Luxussanierungen und die Umwandlung der Gewerbeeinheiten in Lofts – die schicke Fabriketage als Single-Residenz. Die Gewerbetreibenden, das heißt auch alle Initiativen, Vereine, Projekte, würden direkt gekündigt. Die Mieterinnen der Wohnungen haben zwar mehr rechtlichen Schutz, aber auch für sie stiege der Verdrängungsdruck immens.

Taekker ist kein Unbekannter auf dem Berliner Immobilienmarkt. Was ist über die Unternehmensstrategie bekannt?

Nenuschka: Taekkers Strategie ist nicht anders als die anderer Immobilienunternehmen. Objekte wurden günstig aufgekauft, vollständig saniert und parzelliert als Eigentumswohnungen verkauft. Taekker hatte die Lausitzer Straße 10 vermutlich für etwa drei Millionen Euro vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg übernommen. Danach ist über zehn Jahre kein Geld hineingesteckt worden. Nun werden etwa 18 Millionen Euro verlangt – das wäre ein Gewinn von 600 Prozent.

In dem Gebäude haben zahlreiche Projekte wie etwa das Apabiz, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, die Videowerkstatt »Autofocus« und das Umbruch-Bildarchiv ihre Büros. Was würde der Verkauf für sie bedeuten?

Lisa: All diese Projekte und Vereine sind auf niedrige Mieten angewiesen. Sie leben von ihrer Anbindung im Kiez und ihrer Verbindung untereinander. Im Falle eines Verkaufs würden sie in der Stadt versprengt, einige müssten von zu Hause aus arbeiten und würden aus der Öffentlichkeit verschwinden. Wir sind stinksauer.

Mittlerweile wurde der Verein »Lause bleibt« gegründet. Welchem Zweck dient er?

Malte: Von der Verdrängung sind weit über 100 Menschen bedroht. Es gibt in beiden Häusern eine gewachsene Hausgemeinschaft. Die meisten Mieterinnen kennen sich seit Jahren untereinander. Sie lassen sich nicht nach ihrem Status als Wohn- oder Gewerbemieterinnen oder an der Frage der Laufzeit von Verträgen auseinanderdividieren. In unserer vielfältigen Zusammensetzung besteht unsere Stärke. Die Gründung des Vereins ermöglicht es uns, mit einer Stimme zu sprechen.

Haben Sie Forderungen an die Politik in Kreuzberg und Berlin?

Bini: Dieselben Parteien, die vor zehn Jahren oft dieselben Gebäude verramscht haben, deren Mieterinnen heute bedroht sind, sind diesmal zur Abgeordnetenhauswahl mit Slogans wie »Und die Stadt gehört euch!« oder einer »wohnungspolitischen Wende« angetreten. An Beispielen wie unserem muss sich die jetzige Bezirks- und Landespolitik auf jeden Fall messen lassen. Überall, wo es kreativ und lebendig ist, ist auch das Kapital. Aber in der eisigen Umarmung des Kapitals erlischt eben das Lebendige, nach dem es gesucht hatte. Die Stadtteile, die es mit Geld versorgt, hinterlässt es nach seinem Vorbild: leer. »Lause bleibt« ist unsere konkrete Forderung gegen die Stadt des Kapitals. Der Druck in der Stadt steigt, das merken alle.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Malte: Bei uns wohnen viele stadtpolitische Aktivistinnen. Es gibt Kontakte zu diversen Initiativen sowie zu verschiedenen Medien und Politikerinnen. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Erfolge gegen Verdrängung erkämpft, sei es bei »Bizim Kiez« oder in der Rigaer Straße. Widerstand lohnt sich.

http://jungle-world.com/artikel/2017/01/55496.html

Peter Nowak

Papierene Relikte

Freie Archive dokumentieren die Kämpfe sozialer Bewegungen über mehrere Jahrzehnte. Doch viele arbeiten unter prekären Bedingungen. Ob mehr staatliche Förderung helfen würde, ist umstritten.

Flugblätter, Broschüren, Plakate, Liederbücher – die sozialen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte haben eine Menge Papier hinterlassen. Oft sind die Materialien im politischen Handgemenge entstanden. Die Verfasser haben sich kaum Gedanken darüber gemacht, dass die handgeschriebene Broschüre mit dem Anti-AKW-Symbol oder das Flugblatt mit dem Symbol der Frauenbewegung einmal Dokumente der Zeitgeschichte werden könnten.

Doch schon in der Hochzeit der unterschiedlichen sozialen Bewegungen gab es eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht nur Zeitungen auswertete und Artikel ausschnitt, sondern auch Flugblätter, Broschüren und Plakate der sozialen Bewegungen archivierte. Für viele dieser Menschen wurde die Archivarbeit eine Lebensaufgabe, ihre Sammlungen bilden bis in die Gegenwart den Kern der sogenannten Freien Archive.

Der Leiter des »Archivs für alternatives Schrifttum« (afa), Jürgen Bacia, bezeichnet sie als »Sammelstellen für die papiergewordenen Relikte der autonomen, antifaschistischen, feministischen und anderen außerparlamentarischen Bewegungen«. Gemeinsam mit Cornelia Wenzel vom Kasseler »Archiv der Deutschen Frauenbewegung« hat er unter dem Titel »Bewegung bewahren« 2013 das Standardwerk zum Thema Freie Archive herausgegeben. Deren Bedeutung ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Viele sozial oder politisch Engagierte wollen verhindern, dass Bewegungen, in die sie viel Kraft und Zeit gesteckt haben, vergessen werden. Im Alter kümmern sich viele dieser Menschen darum, die Zeugnisse ihrer Tätigkeit an Freie Archive zu übergeben. Manchmal sind es aber auch die Erben, die mit einem oft ungeordneten Nachlass konfrontiert sind. So landen viele Materialien auf dem Müll, wenn sie nicht durch glückliche Fügungen Eingang in ein Freies Archiv finden.

Diese Archive stoßen immer öfter an ihre Grenzen. »Die Menschen, die dort arbeiten, sind häufig ohne regelmäßige Einkünfte und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde. Wir regeln das mit viel Selbstausbeutung«, beschreibt Bacia die Arbeit vieler Archivare.

Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede, wie bei einem bundesweiten Workshop der Freien Archive Ende Mai in Berlin deutlich wurde. Da blitzte kurzzeitig manche alte Kontroverse wieder auf. So sprach ein Archivar vom Berliner Schwulenmuseum bei seiner Projektvorstellung von den »Bewegungen mit den Sternchen«, die dort ebenfalls Platz gefunden hätten. Damit meinte er die Kämpfe von Lesben und Transpersonen, die im Schwulenmuseum dokumentiert werden. »Wir sind aber keine Sternchen«, kam der Widerspruch von Frauen, die auf dem Treffen Archive der feministischen Bewegung vertreten. Der Dissens konnte schnell beigelegt werden.

Die Frage, ob die Freien Archive staatliche Mittel fordern sollen, dürfte für mehr Diskussionen sorgen. »Während die Archive der DDR-Oppositionsbewegung mittlerweile großzügig gefördert werden, fühlt sich für die Zeugnisse der westdeutschen Alternativ- und Protestbewegung bisher niemand zuständig«, kritisiert Bacia. Er fordert staatliche Förderung bei vollständiger Wahrung der Unabhängigkeit. Wenzel verweist darauf, dass verschiedene Archive der Frauenbewegung eine finanzielle Förderung durchzusetzen konnten, ohne ihre Autonomie aufzugeben.

Das »Bildarchiv Umbruch«, das im Umfeld der Westberliner Instandbesetzerbewegung der achtziger Jahre entstanden ist, empfiehlt den Freien Archiven hingegen, zu ihren Gründungsideen zurückzukehren. Schließlich sei es damals nicht darum gegangen, Protestgeschichte zu historisieren, sondern darum, neue Generationen zu unterstützen. Wenn die Miete für die Archivräume steigt, sei es daher sinnvoller, gemeinsam mit den Nachbarn den Widerstand dagegen zu organisieren, als mehr Unterstützung vom Staat zu fordern.

http://jungle-world.com/artikel/2016/23/54166.html

Peter Nowak

Die Folgen von Zwangsräumung

WIDERSTAND Die Fotoausstellung „Ob Nuriye, ob Kalle, wir bleiben alle!“ im FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum

„Ich mag keine Räumungen“ hatte ein Jugendlicher auf das Schild gemalt, mit dem er am 2. April 2014 gegen eine Zwangsräumung in der Neuköllner Wissmannstraße protestierte. Das Motiv ist Teil der Fotoausstellung „Ob Nuriye, ob Kalle – wir bleiben alle!“, die bis zum 12. Juni im FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum zu sehen ist. Fotos von fünf FotografInnen werden präsentiert, die Aktionen von Berliner MietrebellInnen der letzten drei Jahre dokumentieren. In der vom Umbruch Bildarchiv kuratierten Ausstellung sind Arbeiten der FotografInnen Andrea Linss, Christina Palitzsch, neuköllnbild, Hermann Bach und Peter Homann zu sehen. Mehrere Fotos erinnern noch
einmal an die massiven Proteste gegen die Zwangsräumung der Familie Gülbol im Februar 2013 in Kreuzberg – der Widerstand hatte Signalwirkung. Danach wehrten sich MieterInnen nicht nur in Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln sondern auch in Spandau, Staaken und Charlottenburg gegen ihre Vertreibung. Neben den Fotos finden sich
kurze Angaben über die Hintergründe der Räumung und die Situation der betroffenen Menschen. Häufig haben sie mehrere Jahrzehnte in der Wohnung gelebt und stehen nun auf der Straße. Oft werden die menschlichen
Tragödien hinter den Räumungen erkennbar. So sind Proteste gegen die „Räumung einer vierköpfigen Familie nach Eigentümerwechsel“ am 31. März 2014 in der Neuköllner Jahnstraße dokumentiert. Auf einen anderen Foto sieht man einen Mann in einem weißen Gewand, der von einen Dach springen will. Es ist der Besitzer von Ali Babas Blumenladen, der am 14. 10. 2014 in Spandau geräumt wurde. Seine UnterstützerInnen konnten den Mann vom Selbstmord abhalten. Auf einem Foto ist die Beerdigung der Rentnerin Rosemarie F. dokumentiert, die zwei
Tage nach ihrer Räumung am 11. April 2013 gestorben ist. Daneben sieht man auf einen Bild jubelnde DemonstrantInnen einige Wochen zuvor. Sie haben gerade erfahren, dass ein erster Räumungsversuch der Rentnerin
verschoben worden ist. Der Fotograf Hermann Bach vom Umbruch Fotoarchiv will mit der Ausstellung darüber
informieren, dass Protest und Widerstand möglich sind. „Ich denke, dass täglich Läden verschwinden, dass Menschen gekündigt werden, das ist bekannt. Was nicht so bekannt ist: dass es Proteste dagegen gibt und dass der Protest zunimmt. Und dass es noch nicht entschieden ist, ob das so weitergeht oder nicht“. Eine Fotografie zeigt den akut
von Räumung bedrohten Betreiber des Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf M99, Hans Georg Lindenau. Er ist bei einer Kundgebung zu sehen, in seinem Rollstuhl. Mittlerweile haben zahlreiche NachbarInnen in einer Erklärung den Erhalt des Ladens gefordert.

aus Taz-Berlin, 9.5.2016
Peter Nowak
■■Ausstellung „Ob Nuriye, ob Kalle, wir bleiben alle“, bis zum 12. Juni, Treppenhaus des FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, Adalbertstraße 95a, Dienstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr, Eintritt frei

Der Chronist der Hausbesetzer

FOTOGRAFIE Kaum einer war so nah an der linken Szene wie Michael Kipp. Seine Fotos sind jetzt online zu entdecken

Der Mann mittleren Alters schaut zur Seite mit gekreuzten Armen. Er fühlt sich unbehaglich, das sieht man. Neben ihm steht ein junger Typ in Lederjacke, eine Sturmhaube über den Kopf gezogen. Auch er hat die Arme verschränkt, als wolle er sein Gegenüber imitieren. Ein Plakat an der Wand hilft bei der zeitlichen Datierung: Es ist der Sommer 1981 in Westberlin; das Foto zeigt den damaligen Vizevorsitzenden der Enquetekommission „Jugendprotest im demokratischen Rechtsstaat“ Rudi Haug im schwierigen Dialog mit BesetzerInnen der Potsdamer Straße 152.

Fotografiert hat die Szene Michael Kipp. Er war in der HausbesetzerInnenbewegung vor 30 Jahren als „Mann mit der Kamera“ bekannt und auch regelmäßig für die taz unterwegs. Nachdem Kipp im September 2009 an Lungenkrebs gestorben war, brachte sein Freund Peter Schwarz sechs Umzugskartons mit Fotoabzügen und Negativen zum Umbruch-Bildarchiv. Das stellte eine Auswahl ins Internet.

Einst heiß diskutierte, heute meist vergessene Politaktionen sind hier verewigt. Etwa das Bild eines Blocks nackter, nur mit einer Sturmhaube bekleideter AktivistInnen bei einer Demonstration gegen Häuserräumungen im September 1981. Oder ein Protestzug in den Villenbezirk Grunewald einige Wochen davor. Kipps Foto einer umgekippten Polizeiwanne bei einer Straßenschlacht nach Häuserräumungen im Dezember 1980 ist in viele Zeitungen gedruckt worden. „Michael war einer der ganz wenigen Fotografen, denen die linke Szene der frühen 80er Jahre vertraute“, berichtet seine langjährige Lebensgefährtin.

Kipp wurde 1951 geboren. Einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Heimen. Später wurde die außerparlamentarische Linke in Westberlin seine politische Heimat. Er war mehr am Lebensgefühl als an Theorie interessiert. „Was Rudi Dutschke gesagt hat, hat mich nicht interessiert. Lieber habe ich mit Fritz Teufel Fußball gespielt“, hat Kipp einmal erklärt.

Neben den Politaktivismus hat Kipp den Alltag in den besetzten Häusern aufgenommen. Da sieht man etwa Alternative und Autonome, die sich einem Plenum über die richtige Demostrategie streiten. Auch ein Foto vom ersten Wahlplakat der Alternativen Liste (AL) von 1979 fand sich in Kipps Nachlass: Es zeigt die Fußsohlen von drei Personen, die nur mit einem Laken bedeckt in einen Krankhausbett liegen. Kipp war Gründungsmitglied der AL; 1979 kandidierte er auf ihrer Liste für die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln.

In den 80er Jahren gelang Kipp der berufliche Durchbruch als Fotograf. Spiegel und Stern druckten seine Fotos. 1987 arbeitete Kipp für eine Fotoagentur, die den Wahlkampf des Regierenden Bürgermeisters Eberhardt Diepgen (CDU) managte. Dieses Engagement stieß auf Kritik in der linken Szene.

Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, beendete er seine Arbeit als Fotograf und zog zu seiner kranken Mutter. „Unmittelbarer Anlass war eine Steuerschätzung des Finanzamtes, die Kipp Schulden in vierstelliger Höhe bescherte“, erinnert sich Peter Schwarz, Kipps Mitbewohner in einem Hausprojekt in Neukölln. „Kipp vergaß, Rechnungen für seine Fotos auszustellen, und versäumte auch die Steuererklärung.“

Doch er scheint auch die plötzlichen Veränderungen in seinem Leben genossen zu haben. „Wenn Kipp Erfolg hatte, zog er sich zurück“, meint Peer Zeschmann vom Rixdorfer Café Linus, wo Kipp nach dem Tod seiner Mutter zum Stammgast wurde und von seiner Vergangenheit als Fotograf schwärmte. „Finanziell befand er sich damals auf dem Status eines Sozialhilfeempfängers. Mit Putzarbeiten besserte er seine kargen Einkünfte auf, bis er nach einem Streit Hausverbot bekam“, erinnert sich Zeschmann.

Zum Millenniumswechsel wollte Kipp noch einmal etwas Neues ausprobieren und bildete sich autodidaktisch zum Computerexperten aus. Die Lungenkrebsdiagnose machten seine Zukunftspläne zunichte. „Michael hatte auch nach vielen Krankenhausaufenthalten und gescheiterten Therapieversuchen noch einen enormen Lebenswillen“, erinnert sich Schwarz. Kipp plante in den letzten Wochen noch die Veröffentlichung seiner Fotos im Internet, doch die Krankheit war stärker. Das Umbruch-Bildarchiv hat mit der Fotogalerie nicht nur den Mann mit der Kamera, sondern auch ein Stück Westberliner Geschichte vor dem Vergessen bewahrt.

 Bilder unter www.umbruch-bildarchiv.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F08%2F10%2Fa0150&cHash=fb3be2ec74

Peter Nowak