Chance für Solidarität


Deutschland Seine Verhaftung wurde in der Türkei gefeiert: In Hamburg steht Musa Aşoğlu vor Gericht

Die Repression gegen die G20-Proteste hat in der letzten Zeit das Thema Knast und Justiz wieder stärker in den Fokus der außerparlamentarischen Linken gerückt. Doch oft wird vergessen, dass ein Großteil der politischen Gefangenen in Deutschland heute migrantische Linke aus der Türkei und Kurdistan sind. Gegen sie wird mit dem Paragraphen 129b ermittelt, der die »Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland« unter Strafe stellt.
2008 wurde das erste Mal mit diesen Paragraphen linker Widerstand im Ausland vor deutschen Gerichten abgeurteilt. Fünf vermeintliche Mitglieder der türkischen kommunistischen DHKP-C wurden vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht angeklagt und verurteilt – ein Pilotverfahren. 2010 entschied der Bundesgerichtshof, dass auch Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK nach dem Paragraphen 129b angeklagt werden können. Davon wird seitdem reichlich Gebrauch gemacht. Die Aktivitäten der kurdischen Bewegung, die ihre bisherigen traditionsmarxistisch-leninistischen Positionen in den letzten 20 Jahren einer gründlichen Revision unterzog, sich dem Demokratischen Konföderalismus zuwandte und den Kämpfen der Frauen einen großen Stellenwert zuschreibt, werden von der deutschen Justiz mit dem Terrorismusvorwurf belegt. Seit Juni 2016 läuft in München ein Verfahren gegen elf mutmaßliche Mitglieder der türkischen Kommunistischen Partei TKP/ML. Alle lebten und arbeiteten seit Jahren legal in Deutschland, als sie durch ihre Verhaftung im Jahr 2015 aus ihrem Alltag herausgerissen wurden.

Mediale Vorverurteilung als »Terror-Fürst«

Zurzeit läuft in Hamburg ein Verfahren gegen den türkischen Linken Musa Aşoğlu. Am 25. Januar hat der Prozess vor dem Hamburger Oberlandesgericht begonnen. Bis Anfang August 2018 sind schon Termine anberaumt. Aşoğlus Anwältinnen Gabriele Heinecke und Fatma Sayın zufolge weist das Verfahren gegen ihn einige Besonderheiten auf. Ihr Mandant wurde in deutschen und türkischen Medien als einer der »meistgesuchten Terroristen der Welt« und als »Terror-Fürst« vorverurteilt. Die türkischen Medien feierten Aşoğlus Verhaftung. Sie hatten ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, ebenso wie die USA. Dort hat man großes Interesse daran, vermeintliche Mitglieder der DHKP-C zu verurteilen, weil die Organisation, die politisch in der Tradition des Guevarismus steht und Stadtteilarbeit in Armenvierteln mit dem bewaffneten Kampf kombiniert, für Angriffe auf US-Einrichtungen in Istanbul und Ankara die Verantwortung übernommen hat. So könnte nach einer Verurteilung in Deutschland Aşoğlu die Auslieferung in die USA oder gar in die Türkei drohen. Eine solche Auslieferung ist möglich, wenn die betreffenden Länder zusichern, dass der Gefangene in der Haft nicht gefoltert wird und dass ihm nicht die Todesstrafe droht. Dann steht der Auslieferung von Deutschland aus nichts mehr im Wege.
Die Politik spielt bei sämtlichen 129b-Verfahren in Deutschland eine zentrale Rolle. Das Gesetz kann nur angewendet werden, wenn das Bundesjustizministerium die Bundesanwaltschaft dazu ermächtigt, gegen kurdische und türkische Linke in Deutschland zu ermitteln. Der Bundesvorstand der Roten Hilfe hat das Prinzip gut zusammengefasst: »Die Entscheidung, ob Unterstützer der kurdischen Befreiungsbewegung oder türkische Kommunisten einen legitimen Kampf führen oder ›Terroristen‹ sind, wird auf politischer Ebene getroffen. Ob verfolgt wird oder nicht, hängt nicht vom Tatvorwurf ab, sondern wird letztlich von einem Bundesministerium festgelegt«. Genau hier bieten sich auch politische Interventionsmöglichkeiten über die Begleitung der Prozesse hinaus. »Keine Ermächtigung zur Verfolgung kurdischer und türkischer Linker in Deutschland« müsste eine zentrale politische Forderung werden. Dabei geht es nicht darum, ob jemand die politischen Inhalte der jeweiligen Gruppierungen unterstützt oder nicht. Es geht darum, dass diese Inhalte in Deutschland nicht kriminalisiert werden dürfen und damit die Kooperation zwischen deutscher und türkischer Justiz beendet wird. Die ist nämlich ungestört weitergelaufen, während sich führende Politiker_innen Deutschlands und der Türkei gegenseitig bekämpft haben. Es ist keine Gefälligkeit für das türkische Regime, sondern eigenes Interesse deutscher Staatsapparate, Linke aus Kurdistan und der Türkei und sicher demnächst auch anderen Regionen in der Welt abzurteilen. Daher muss ein Kampf gegen diese Repression auch die Repressionsorgane beider Staaten und ihre Kooperation in den Fokus rücken.

Wenig Interesse in der außerparlamentarischen Linken

Das Interesse der außerparlamentarischen Linken an dem Verfahren ist sehr begrenzt. Das zeigte sich auch bei der internationalen Konferenz »Freiheit für Musa Aşoğlu«, die am 10. und 11. Februar im Centro Sociale in Hamburg stattfand. Ziel der Veranstalter_innen vom Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen« war es, unterschiedliche von Repression betroffene Spektren zusammenzubringen. So berichteten Aktivist_innen des Bündnisses »United We Stand« auch über die Repression gegen G20-Gegner_innen und den wachsenden Widerstand dagegen. Eine gemeinsame Diskussion kam jedoch nur in Ansätzen zustande.

aus: ak 635 vom 20.2.2018

https://www.akweb.de
Peter Nowak

Ditib als Bauernopfer

Während die deutsch-türkische Partnerschaft bei der Flüchtlingsabwehr und gegen Linke reibungslos läuft, streitet man sich über einen Moscheeverein

Seit Monaten fordern Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen, dass die Bundesregierung das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei aussetzen soll. Es entspricht schon im Allgemeinen nicht den menschenrechtlichen Standards und droht das Asylrecht auszuhebeln. Dass nun in der Türkei der Weg in eine islamistische Präsidialdemokratur fortgesetzt wird, ist ein weiterer Grund für die Forderung, das Abkommen, das nie hätte geschlossen werden dürfen, aufzukündigen.

Doch in der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien stoßen diese Forderungen auf taube Ohren. Dort ist Flüchtlingsabwehr gerade im Wahljahr oberster Grundsatz und dafür taugt auch ein Erdogan noch genug. Dafür werden Ersatzdiskussionen geführt. Dazu gehört die wochenlange Auseinandersetzung über den türkischen Moscheeverband Ditib[1].

Keine Frage, für Anhänger einer säkularen Gesellschaft ist ein solcher Verband ein Anachronismus und es wäre eigentlich begrüßenswert, wenn sein Einfluss reduziert würde. Besser noch, es würden gesellschaftliche Verhältnisse entstehen, in denen ein solcher Verband wie alle religiösen Institutionen mangels Nachfrage absterben würden. Das wäre ein Zustand, in dem die Menschen nicht mehr Religion als „Opium des Volkes“ benötigten, wie es Karl Marx mal ausdrückte.

Doch wir leben heute in Zeiten, in denen die Subalternen mehr Betäubungsmittel denn je brauchen und der Islam ist nur eines davon. Das liegt auch daran, dass emanzipatorische Auswege aus den herrschenden Verhältnissen scheinbar nicht bestehen. Dann betäuben sich die Menschen besonders oft mit allen möglichen Opiaten, die nicht immer religiöser Natur sein müssen. Wenn die Diskussion um die Ditib in einem solchen Kontext stehen würde, würde sie in eine emanzipatorische Richtung laufen.

Aber die aktuelle Dauerdebatte ist in Wirklichkeit ein Ablenkungsmanöver. Auf die Ditib wird eingeprügelt, weil man so den konservativen Wählern suggerieren kann, dass man starke Worte gegen die Türkei findet. Als Hauptsache bleibt, dass der Flüchtlingsdeal mit der Türkei weitergeht. Auch viele der schärfsten Türkei-Kritiker finden es ganz in Ordnung, dass die Türkei mit dafür sorgt, dass Migranten gar nicht erst in den EU-Raum gelangen.

Aktuell regt man sich darüber auf, dass Ditib-Mitglieder angeblich Informationen über Gülen-Mitglieder an die türkischen Behörden geschickt haben. Hat Ditib diese Informationsweitergabe zugegeben, wie es deutsche Medien berichteten,[2] oder hat ein Ditib-Vertreter die Vorwürfe nur ernst genommen, wie es der Moscheeverein selber behauptet[3]?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Vorwürfe stimmen. Nach dem Putschversuch in der Türkei galt Gülen als Staatsfeind Nummer eins. Da es lange Zeit eine Kooperation mit den herrschenden Islamisten gab, ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Moscheen die Orte waren, an denen sich die nun verfeindeten Glaubensbrüder noch regelmäßig trafen. Es wäre da nur logisch im Sinne der türkischen Staatsraison, dass dort nach Gülen-Mitgliedern gefahndet wurde.

Es ist aber unverständlich, warum das so auf besonders große Aufregung stößt. Bis heute ist unklar, wie groß die Rolle der Gülen-Bewegung beim gescheiterten Putschversuch war. Selbst erklärte Erdogan-Gegner betonen in der Regel, dass die Gülen-Bewegung einen wichtigen Anteil daran hatte. Natürlich wird diese Bewegung jetzt vom Erdogan-Regime zum omnipräsenten Hauptfeind aufgeblasen.

Damit soll auch vergessen gemacht werden, dass die Gülenbewegung und die Islamisten um Erdogan jahrelang gemeinsam Oppositionelle verfolgt und mit Kampagnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt haben. Die Massenprozesse im letzten Jahrzehnt, als Oppositionelle beschuldigt wurden, einem tiefen Staat anzugehören und für Jahre in Gefängnissen verschwanden, wären ohne die Kooperation zwischen der Gülen-Bewegung und den erdogantreuen Islamisten nicht möglich gewesen.

Nun haben die sich die brothers in crime verkracht und die Gülenbewegung ist unterlegen. Das ist doch eigentlich kein Grund, sich darüber besonders aufzuregen.

Wenn nun die CDU-Vorstandsmitglieder Julia Klöckner und Jens Spahn erklären, dass Ditib kein Partner mehr sein kann und erst ihre Kooperation mit der Türkei lösen müssen, dann wird hier die eigene konservative Agenda bedient. Wie schon bei der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft wird auch bei der Ditib-Diskussion vorausgesetzt, man könne nur einem Staat gegenüber loyal sein.

Wer noch politisch, kulturell oder religiös mit der Türkei verbunden ist, macht sich da schon mal verdächtig. Hier wird gegen einen islamistischen Nationalismus ein eigener Nationalismus in Anschlag gebracht. Das soll der Union, aber auch der SPD konservative Wähler bringen.

Auch Linkspolitiker wie Sevim Dagdelen[4] bedienen hier Klischees, wenn in verschiedenen Presseerklärungen der Eindruck erweckt wird[5], als stünde Erdogan via Ditib schon in den deutschen Klassenzimmern. Statt den notwendigen Kampf gegen reaktionäre Organisationen wie Ditib in den Kontext einer emanzipatorischen Islamkritik einzuordnen, wird hier das Klischee vom Türken bedient, der diesmal nicht mehr nur vor Wien, sondern schon in deutschen Klassenzimmern steht.

Dabei läuft auf anderem Gebiet die Kooperation zwischen der türkischen und der deutschen Justiz reibungslos. Gegen türkische und kurdische Linke, die oft bereits in ihrer Heimat gefoltert wurden und Jahre in Gefängnissen verbrachten, werden regelmäßig auch Erkenntnisse der türkischen Justiz verwendet.

Aktuelles Beispiel ist der vor einigen Wochen verhaftete Musa Aşoğlu[6], dem sogar die Auslieferung in die Türkei droht. In den Medien wird er zum Terrorfürsten[7] aufgebaut, weil er Mitglied einer linken Organisation ist, die bereits vom türkischen Faschismus gesprochen hat, als viele in Erdogan noch den Garanten einer islamischen Demokratie wähnten.

Die regimenahen türkischen Medien feierten die Verhaftung des Mannes in Hamburg als gelungene Kooperation. Auch die Prozesse gegen vermeintliche Mitglieder einer kleinen türkischen kommunistischen Partei[8] wären ohne die reibungslose deutsch-türkische Kooperation nicht möglich gewesen. Diese deutsch-türkische Partnerschaft will die Bundesregierung genau sowenig beenden wie den Flüchtlingsdeal. Ditib ist da nur ein Bauernopfer.

https://www.heise.de/tp/features/Ditib-als-Bauernopfer-3604641.html

Peter Nowak


URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3604641

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ditib.de
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkei-moscheeverband-ditib-bestaetigt-spitzelei-fuer-tuerkischen-staat/19242942.html
[3] http://www.ditib.de/detail1.php?id=560&lang=de
[4] https://www.sevimdagdelen.de/tag/erdogan/
[5] https://www.sevimdagdelen.de/erdogans-ditib-agenten-ausweisen/
[6] http://political-prisoners.net/item/4786-woechentliche-kundgebung-vor-dem-untersuchungsgefaengnis-ug-in-hamburg-fuer-musa-aolun.html
[7] http://www.mopo.de/hamburg/polizei/musa-asoglu-verhaftet-was-wird-jetzt-aus-dem-terror-fuersten–25249036
[8] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/

Nach der Querfront gegen Erdogan endlich die Stunde der Vermittler?

Analysten hätten besseres zu tun, als einzig Thesen der Rechten zu übernehmen

In den letzten Tagen schien es die ganz große Querfront gegen Erdogan zu geben. Da musste man schon sehr genau zwischen den Zeilen lesen, um einen Unterschied zwischen den vielen Presseerklärungen von Politikern der Linkspartei, der Grünen oder der Union zu finden. Sie vermittelten alle den Eindruck,  als würden sich Erdogan und seine AKP anschicken, die Macht in Deutschland zu übernehmen.

Modell Österreich – oder wie sogenannte Mitte rechte Thesen übernimmt

Die Parteien rechts von der Union konnten sich angesichts der Anti-Erdogan-Front nicht profilieren. Besonders deutlich wurde das in diesen Tagen in Österreich, wo demnächst die Präsidentenwahl wiederholt werden muss. Um dem FPÖ-Kandidaten Hofer den Wind aus den Segeln zu nehmen, übernimmt die Front seiner Gegner die schrillen Töne gegen Erdogan und tut so, als stünden die Türken erneut vor Wien.

In der Presse wird offen das Ziel dieses Anti-Erdogan-Kurses angesprochen. Nicht um Menschenrechte geht es, sondern darum, der FPÖ möglichst wenig Betätigungsfelder zu lassen. Ob das Kalkül aufgeht, wird sich am Wahlabend zeigen. Immer aber siegt die rechte Politik. Entweder wählt die Mehrheit gleich das Original  und Hofer wird noch Präsident. Oder sein Gegenkandidat siegt erneut knapp und setzt dann die FPÖ-Politik light um.

Auch in Deutschland wird im Alltag schon längst ziemlich unwidersprochen die Türkei-Politik umgesetzt, die rechts von der Union immer gefordert wird.  Das wurde deutlich, als Tausende in Deutschland lebende Menschen mit türkischen Hintergrund eine Demonstration in Köln anmeldeten und es tatsächlich wagten, den gewählten Präsidenten, der gerade einen Putsch überstanden hatte, per Liveschaltung sprechen lassen zu wollen.

Da wurde ihnen von führenden Unionspolitikern unumwunden gesagt, dass sie doch gefällig in die Türkei zurückkehren sollen, wenn sie Erdogan hochleben lassen wollen. Die Rechtsaußenpartei Pro NRW und ihre Bündnispartner wurden für die Propagierung solcher Forderungen nicht gebraucht. Nach einer Kundgebung wurde ihnen die gerichtlich durchgesetzte Demonstration untersagt, weil einige Teilnehmer aggressiv und alkoholisiert gewesen sein sollen.

Aber für die Parole, wer Erdogan liebt, soll Deutschland verlassen, wurde der rechte Narrensaum nicht gebraucht. Das schien rund um die Demo in Köln der sogenannte demokratische Konsens zu sein. Gab es nicht einmal das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft, mit dem auch diskutiert wurde, dass Menschen durchaus zwei Staaten und ihren Regierungen gegenüber loyal sein können?

Wird hier nicht an zweifelhafte deutschnationale Traditionen angeknüpft, wenn Menschen aus anderen Ländern selbst nach einem überstandenen Putsch nicht einmal ihr gewähltes Staatsoberhaupt per Liveschaltung hören dürfen? Natürlich ist Erdogan kein lupenreiner Demokrat. Aber welcher andere Präsident ist das schon?

Man stelle sich vor, Expats aus den USA würde eine Liveschaltung zu den Präsidenten ihres Landes verweigert – vielleicht mit dem Argument, dass in den USA die Todesstrafe noch immer nicht abgeschafft ist und noch immer viele Menschen teilweise jahrelang in der Todeszelle sitzen?

Wie sieht es mit deutschen Politikern aus? Bei den Maidan-Protesten in der Ukraine begnügten sich der damalige Außenminister Westerwelle oder die grüne Bundestagsabgeordnete Rebecca Harms nicht mit Zuschaltungen per Bildschirm. Sie waren selber vor Ort, um die  Ukraine auf den Weg in Richtung Westen zu begleiten. Die innenpolitischen Folgen sind bekannt.

Welche Reaktionen es in Deutschland gegeben hätte, wenn die alte ukrainische Regierung Einreise- und Zuschaltverbote für diese deutschen Politiker durchgesetzt hätte, kann man sich vorstellen. Allerdings hätten die in deutschen Politstiftungen gebrieften Politiker wie Vitali Klitschko ein solches Szenario verhindert.

Wie wären die Reaktionen, wenn in Ländern mit einer sich als deutsch verstehenden Minderheit oder prodeutsch positionierenden Gruppierungen verboten wird, Politiker der Bundesregierung zu Kundgebungen zuzuschalten oder einzuladen? Gründe wurden sich genügend finden.

So könnten die Länder an der europäischen Peripherie, vor allem Griechenland, damit argumentieren, dass es wesentlich die Bundesregierung war, die 2015 das Austeritätsdiktat gegen den griechischen Wählerwillen durchzusetzte. Wie groß die Empörung war, als kurz nach den Wahlen im letzten Jahr die von der linkssozialdemokratischen Syriza dominierte Regierung Vertreter der Troika nur verbal für unerwünscht erklärte, dürfte manchen noch bekannt sein.

Es blieb nicht bei der Empörung, es wurden alle politischen und ökonomischen Instrumentarien angewandt, um Griechenland die Austeritätspolitik der EU aufzuzwingen.

Gülen – die gemäßigten Islamisten des Westens?

Nun also ist Erdogan ins Visier geraten. Es wird viel von westlichen Werten, von Demokratie und Menschenrechten geredet. Dass die meisten Politiker dabei aber betonen, bei ihrer Kritik an der türkischen Regierung soll das Flüchtlingsabkommen – das die Menschenrechte vieler Menschen stark einschränkt, – nicht in Frage gestellt werden, zeigt schon die instrumentelle Qualität des Menschenrechtsarguments gegen die Türkei.

Das Land ist für viele Außenpolitiker noch immer die Pforte, die das Tor nach Kerneuropa vor Migranten bewachen soll, aber es sich bloß nicht einbilden soll, es könne dort mitbestimmen. Weil die Türkei unter Erdogan sich aber mit seiner Rolle als Torwächter nicht zufrieden geben will, ist er vielen Politikern in Europa suspekt. Und die wären sicher auch gar nicht so traurig gewesen, wenn der Putsch  Erfolg gehabt hätte.

Dass aus den westlichen Staaten nach dem Scheitern des Coups eine Gratulation an den gewählten Präsidenten ausgeblieb, ist eine Formalie, die aber in der internationalen Diplomatie sehr ernst genommen wird. Putin ist gleich in die Bresche gesprungen und soll sehr früh die Unterstützung der gewählten Regierung bekundet haben.

Auch der Umgang mit der Gülen-Bewegung in den sogenannten westlichen Ländern nach dem Putsch ist bemerkenswert. Sicher wird ihre Rolle beim Putschversuch jetzt von der türkischen Regierung propagandistisch aufgewertet.

Es war wahrscheinlich ein loses Bündnis von Kemalisten und Gülen-Leuten, die sich nur in der Ablehnung Erdogans einig waren, dafür verantwortlich. Die Gülen-Leute haben aber bei der  Organisation des Putsches schon deshalb eine wichtige Rolle gespielt, weil sie in wichtigen türkischen Staatsapparaten Stellungen besetzten.

Schließlich haben sie jahrelang gemeinsam mit der Erdogan-AKP daran gearbeitet, kemalistische Kräfte dort auszuschalten und sie mit oft gefälschten Beschuldigungen ins Gefängnis gebracht. Die Gülen-Bewegung und die Erdogan-AKP teilen eine ähnliche islamistische Ideologie. Sie sind Feinde von Menschenrechten und eine Gefahr für politische Gegner und sexuelle und kulturelle Minderheiten.

Neben persönlichen Machtkonflikten dürfte der zentrale Grund für die Konfrontation zwischen beiden islamistischen Formationen ihre Haltung zum sogenannten Westen sein. Es ist sicher kein Zufall, dass Gülen schon lange unbehelligt in den USA lebt.

Die Gülen-Bewegung wird so zu einer Art „gemäßigter Islamisten“-Alternative zur Erdogan-AKP aufgebaut. Nur wenige Analysten erinnern in diesen Tagen an die islamistische Agenda der Gülen-Bewegung auch in Deutschland[1].

In der Regel wird diese Bewegung so dargestellt, als handele es sich um eine von der Erdogan-Bewegung verfolgte zivilgesellschaftliche Gruppe, der es um Menschenrechte geht. Nun ist es in der westlichen Politik nicht Besonderes, dass man schnell sogenannte gemäßigte Islamisten kreiert, die zumindest für säkulare Menschen gar nicht so gemäßigt sind.

Auch die AKP wurde lange Zeit als gemäßigte Islamisten und eine Art CDU der arabischen Welt gehandelt, als sie sich noch scheinbar im Einklang mit den Zielen des Westens befand.

Kretschmann hält die Hand über Gülen-Bewegung

Der grünkonservative Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich nun bei der Schönrednerei der Gülen-Islamisten besonders hervorgetan. Auf eine schriftliche Bitte des türkischen Generalkonsuls, die Gülen-Einrichtungen in Baden Württemberg zu überprüfen, blaffte er ganz undiplomatisch zurück[2]:

Selbstverständlich werde man genau das nicht machen. Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden.

Nun ging es dabei nicht um Forderungen nach Auslieferung und Bestrafung von Gülen-Mitgliedern, sondern um die Überprüfung der Einrichtungen. Warum Kretschmann ohne genaue Prüfung schon das Klagelied über die verfolgten Islamisten anstimmt, muss befremdlich stimmen Schließlich ist die islamistische Agenda dieser Bewegung bekannt.

Damit hat sie jahrelang mit der AKP übereingestimmt und die hat sich auch nach dem Zerwürfnis der Brothers in Crime nicht grundlegend geändert. Natürlich hat das türkische Konsulat Eigeninteressen, um die Gülen-Bewegung in schlechtem Licht darstellen zu können. Doch sie haben auch aus den Zeiten der Kooperation Spezialwissen. Es ist äußerst fahrlässig, wenn dies einfach ignoriert wird, weil man die Gülen-Bewegung als gemäßigte Islamisten hätscheln will.

Linke türkische Opposition wird weiterverfolgt

Während also die Gülen-Islamisten nun zur türkischen Zivilgesellschaft umfrisiert werden, kann die jahrelange linke türkische Opposition auch in Deutschland nicht mit so viel Milde rechnen. Die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem türkischen Justizapparat läuft vor und nach dem Putsch hervorragend. Sie baut auf eine lange Tradition, die in eine Zeit zurückreicht, als die AKP noch gar nicht gegründet war.

In der letzten Woche wurde erneut ein angeblicher Funktionär der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt[3]. Der deutsch-türkische Boxer Ismail Özen, der wegen seines Engagement für die türkisch-kurdische Zivilgesellschaft schon von türkischen Nationalisten Morddrohungen erhalten hatte[4], solidarisierte sich mit den Verurteilten[5].

Von Kretschmann und all denen, die jetzt so vehement für die Gülen-Bewegung eintreten, hörte man hingegen nichts. Auch im Münchner Prozess gegen 10 angebliche Mitglieder der kleinen kommunistischen Organisation TKP/ML[6] geht die Kooperation zwischen deutschen und türkischen Ermittlungsbehörden weiter. Viele der Angeklagten[7] waren bereits unter unterschiedlichen türkischen Regierungen in der Türkei verhaftet und wurden teilweise gefoltert.

Sie sind, wie die Ärztin Dilay Banu Büyükavci[8] seit Jahren in Deutschland integriert und die politische Organisation, der sie angehören sollen, ist hier auch nicht verboten. Die kritische Debatte über die Menschenrechtslage in der Türkei hat nicht dazu geführt, dass das Verfahren von einer größeren politischen Öffentlichkeit hinterfragt wird.

Auch die linke anatolische Band Grup Yorum[9] war bei einem Auftritt auf dem Fest der Kulturen im osthessischen Fulda mit ungewöhnlichen Auflagen konfrontiert[10].  So durften weder T-Shirts noch DVDs der Band verkauft oder durch Spenden weitergegeben werden. Auch eine Gage durfte der Band nicht gezahlt werden.

Solche Methoden kennt die Band bereits von Auftritten in Deutschland[11] und in ihrer türkischen Heimat. Nun ist diese Verfolgung gegen unterschiedliche Bestandteile der türkischen Opposition allerdings kein Einknicken vor Erdogan und der Türkei, wie es auch in Pressemitteilungen der Linken immer wieder behauptet wird.

Das Interesse an der Verfolgung dieser Gruppen und Personen teilt der deutsche Staat und seine Apparate mit den türkischen Behörden, egal welche Regierung gerade an der Macht ist.

Wenn eine Linke den Visumszwang verteidigt

Wie auch Politiker der Linken bei der Erdogan-Kritik die Menschenrechte instrumentell benutzen, zeigt eine Pressemitteilung der Bundestagsabgeordneten Sevin Dagdelen mit der markigen Überschrift Keine Visafreiheit für die Erdogan-Diktatur[12]. Wenn man über die inflationäre Verwendung des Diktaturbegriffs hinweg sieht, wäre es eine noch nachvollziehbare Forderung gewesen, Erdogan und seinen engsten Mitarbeitern kein Visum zu geben

Doch Dagdelen will die gesamte türkische Bevölkerung, also auch die Opposition bestrafen, in dem sie fordert, dass die nicht ohne Visa in die EU einreisen dürfen. Wäre es nicht für eine Partei, die die Bewegungsfreiheit hochhält, die logische Forderung, eine generelle Visafreiheit zu fordern?  Das würde auch den Oppositionellen eine Ausreise erleichtern, die nicht erst seit dem Putsch von Verfolgungen in der Türkei betroffen sind.

Dagdelen wird hier zum linken Feigenblatt all jener, die nicht Erdogan, sondern die türkische Bevölkerung als Gefahr für das europäische Abendland sehen. Wenn die Türken schon mal vor Wien gestoppt werden, können sie jetzt nicht einfach ohne Visa in die EU einreisen, lautet diese Logik.

Die Stunde der Realisten

Erdogan sucht sich derweil neue Bündnispartner und findet sie in Russland. Noch vor einigen Monaten, nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs, schien eine militärische  Auseinandersetzung zwischen den beiden Ländern nicht unwahrscheinlich. Die Position im Syrienkonflikt birgt noch immer Springstoff für das neue temporäre Bündnis.  Und die vereinigte Querfront gegen Erdogan gerät ins Wanken.

Während der CDU-Politiker Lamers mit weiteren Warnungen an Erdogan[13] eher das neue Bündnis beflügeln dürfte, scheint auch schon die Stunde der Vermittler gekommen zu sein, die davor warnen, dass der Westen es mit seinem Anti-Erdogan-Kurs übertreiben und sich selber schaden könnte.

Der Sozialdemokrat Gernot Erler sieht keine Gefahr eines neues Bündnisses Putin-Erdogan gegen die EU[14], ohne dass er diese Einschätzungen begründet. Er warnt vor Dramatisierungen und plädiert für realistische Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Auch Erlers Parteifreund Bundesaußenminister Steinmeier mahnt zu Gelassenheit und umwirbt Erdogan mit dem zweifelhaften Kompliment, die Türkei sei ein wichtiger Nato-Partner[15]. Prompt schickte er seinen Staatssekretär als Vermittler nach Ankara[16].

Er soll verhindern, dass aus dem Streit zwischen dem Westen und der Türkei Putin-Russland als lachender Dritter hervorgeht. Denn, der Besuch Erdogans in Russland macht dem Westen eins klar. Die unipolare Welt existiert nicht und Erdogan und Co. haben so die Möglichkeit, aus der subalternen Rolle als Pforte also Torwächter der EU herauszukommen. Den Analysten wird klar, dass Erdogan durchaus Trümpfe in der Hand hat.

In die EU setzt die Mehrheit der türkischen Bevölkerung kaum Hoffnungen, sie ist auch schon lange nicht mehr Erdogans Ziel. Aber der Flüchtlingsdeal und die Nato sind den westlichen Eliten schon ein wenig Entspannung Richtung Erdogan wert.

Aus menschenrechtlicher Perspektive wäre der Kampf gegen den deutsch-türkischen Flüchtlingsdeal und für die Visafreiheit für die türkische Bevölkerung und natürlich die Unterstützung der demokratischen Oppositionellen aus der Türkei ein lohnendes Ziel. In die interessengeleitete Querfront gegen Erdogan, bei der es um Menschenrechte bestimmt nicht geht, muss sie sich dabei nicht einmischen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49082/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

[1]

[2]

[3]

[4]

[5]

[6]

[7]

[8]

[9]

[10]

[11]

[12]

[13]

[14]

[15]

[16]