Von der Kaserneninsel zum Naturreservat

Die Ausstellung »Blick Verschiebung« im Schloss Biesdorf nimmt den urbanen und landschaftlichen Wandel in Ostdeutschland in den Blick

Fast menschenleer ist die Hochhaussiedlung. Nur kurz kommt eine Frau mit Hund ins Bild. Der Künstler Clemens von Wedemeyer zeigt in seinem zehnminütigen Video »Silberhöhe« den gleichnamigen Hallenser Stadtteil im Jahr 2003, als ein Großteil der Gebäude vor dem Abriss stand. Es geht dem Künstler nicht nur um den Untergang eines Stadtteils, sondern auch um das Scheitern eines urbanen Stadtkonzepts.

Wedemeyers Arbeit ist eines von drei Videos in der Ausstellung »Blick Verschiebung« im Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum (ZKR) im Schloss Biesdorf. 22 KünstlerInnen zeigen hier die Ergebnisse ihre Auseinandersetzung mit dem Wandel von Landschaften und urbanen Strukturen in den letzten 30 Jahren in Ostdeutschland. Überwiegend handelt es sich dabei um Fotoarbeiten.

So widmet sich Joachim Richau den verlassenen Kasernen der knapp 500 Meter breiten Insel Kietz mitten in der Oder. Nachdem 1991 die sowjetischen Soldaten die Insel verlassen hatten, wurde sie zum Refugium für seltene Pflanzen und Insekten. Thomas Wolf beschäftigt sich mit dem industriellen Niedergang in Wittenberge an der Elbe. Von der einst berühmten Nähmaschinenfabrik Singer blieb nur der Uhrenturm erhalten. Der international bekannte Fotograf Thomas Zielony wiederum widmete seine Arbeiten zwischen 1997 und 2005 Jugendlichen in verschiedenen ostdeutschen Städten. Wer die Diashow vollständig sieht, wird mehrmals auch Spuren rechter Jugendkultur entdecken. So tragen mehrere der Fotografierten Kappen und T-Shirts mit bei Rechten beliebten Modemarken. Spuren von linker Jugendkultur sind hingegen auf den Fotos kaum zu sehen.

Eine besondere Methode wählte die Fotografin Katja Eydel bei ihrer Arbeit »Streit des Karneval gegen die Fasten«. Zu sehen ist der sommerliche Berliner Alexanderplatz mit zahlreichen Sportanlagen und Vergnügungsmöglichkeiten. Doch der seltsame Titel spielt auf ein Bild des holländischen Malers Pieter Bruegel des Älteren aus dem Jahr 1559 an, der einen belebten Platz jener Jahre zeigt. Auch eine große Serie des japanischen Fotografen Seiichi Furuyu wird gezeigt, der Mitte der 1980er Jahre mit seiner Familie für einige Jahre in der DDR lebte. Seine Frau erkrankte an Depressionen und verübte 1985 Suizid. So sind seine Arbeiten eine Erinnerung an seine Frau, aber auch an ein Land, das es nicht mehr gibt.

Die sehenswerte Ausstellung vermittelt einen vielfältigen Blick auf das Territorium der DDR in den vergangenen drei Jahrzehnten. Es ist die letzte Schau des ZKR im Schloss Biesdorf. Aus finanziellen Gründen muss das Zentrum einen neuen Raum suchen. Dabei war es von der landeseigenen Grün Berlin GmbH erst im September 2016 zur Wiedereröffnung des Schlosses gegründet worden. Zum 1. Februar 2018 endet nun die Zusammenarbeit mit dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Die Einnahmen seien hinter den »zu hohen« Erwartungen des Bezirks zurückgeblieben, heißt es in einer Pressemitteilung der Grün Berlin GmbH: »Diese Einnahmeerwartungen hätten sich in den kommenden Jahren deutlich erhöht und zu einer unverträglichen Kommerzialisierung des Kunstortes geführt, die im Widerspruch zu den geltenden Förderrichtlinien steht«. Bis zum Ablauf der aktuellen Ausstellung sei der Weiterbetrieb aber gesichert.

»Blick Verschiebung« wird in diesem Jahr mit erweitertem kuratorischen Konzept auch in der Rathaushalle in Frankfurt (Oder) gezeigt. Vom Januar bis März 2018 werden zudem in Koproduktion mit dem ZKR im Dieselkraftwerk Cottbus mehrere Veranstaltungen stattfinden, die sich um die Themen drehen, die in der Ausstellung behandelt werden.

»Blick Verschiebung«, bis zum 8. April im Schloss Biesdorf

aus: nd vom Donnerstag den 4.1.2018, Berlin Kultur
Von Peter Nowak