Mietwohnungen oder Grünfläche am Tempelhofer Flughafen?

Es gibt einen Volksentscheid, meist beteiligt sich daran nur der Mittelstand

„Jetzt auf zum Volksentscheid“, lautet die Parole des Bündnisses 100% Tempelhof, das sich dagegen ausspricht, dass das Areal des ehemaligen Flughafen-Areals mitten in der Berliner Innenstadt nicht bebaut wird. Jetzt ist es amtlich: In Berlin werden in den nächsten Monaten genau darüber die Wahlberechtigten entscheiden können.

Ob es der Tag der Europawahl sein wird, wie die Volksbegehren-Befürworter vorschlagen, ist noch nicht sicher. Es wäre auf jeden Fall eine demokratische und kostengünstige Entscheidung. Schließlich sind an diesem Tag die Wahllokale schon geöffnet und das Interesse an dem Volksentscheid ist dann auch größer. Beim letzten Volksentscheid des Berliner Energietisches verhinderte vor allem die CDU, dass der Termin auf den Tag der Bundestagswahl gelegt wurde. Das Anliegen einer Rekommunalisierung der Berliner Energienetze verfehlte das vorgeschriebene Quorum. So kann man Demokratie auch behindern, monierten die Initiatoren des Volksbegehrens. Der Diplompolitologe Birger Scholz hat in einer Auswertung des Volksbegehrens allerdings auch einige Schwachpunkte angesprochen, die nicht dem Senat angelastet werden können.

Die Marginalisierten ignorieren Volksbegehren oft

So konnte Scholz gut aufzeigen, dass sich an dem Volksbegehren hauptsächlich Angehörige des Mittelstands beteiligten, während es von den einkommensschwachen Teilen der Berliner Bevölkerung weitgehend ignoriert wurde. „Im westlichen Spandau und im östlichen Marzahn-Hellersdorf, beides Bezirke mit Hochhaussiedlungen und sozialen Brennpunkten, erhielt das Volksbegehren die geringsten Zustimmungswerte. Das erfolgreiche Wasservolksbegehren hingegen warb mit sinkenden Wassergebühren und konnte in beiden Bezirken das nötige Quorum erreichen“, schreibt Scholz.

Er sieht die Gründe für die Ignoranz in die Programmatik: „Zwar wurde versprochen, dass das neue Stadtwerk die ‚Energiewende sozial gestalten‘ werde, doch bei Lichte betrachtet war das Versprechen vage. Stromsperren sollten vermieden und die Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte gefördert werden. Keine Rolle spielte die Frage, ob der ökologische Strom der neuen Stadtwerke günstiger sein würde als der Kohle- und Atomstrom von Vattenfall (was in einem liberalisierten Strommarkt kaum realisierbar ist).“

Allerdings berücksichtigt Scholz zu wenig, dass mehrere Gruppen unter dem Stichwort Energiearmut sehr wohl die soziale Komponente in das Blickfeld genommen haben. Ob das allerdings auch bei den Betroffenen angekomt, ist natürlich die Frage. Wobei auch Volksbegehren, die eindeutig Menschen mit niedrigen Einkommen tangieren, von diesen oft ignoriert wurden, zeigte sich 2010 in Hamburg. Damals ist eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancen für einkommensschwache Bevölkerungsteile bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung an der Abstimmung nicht beteiligt haben. Den Ausschlag gab die Hamburger Mittelschicht, die sich massiv gegen die Reform engagierte.

Der Kultursoziologe Thomas Wagner hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Bürgerbeteiligungsmodellen befasst und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass sie vor allem von Angehörigen des Mittelstandes genutzt werden und die Interessen einkommensschwacher und marginalisierter Bevölkerungsteile dort oft noch weniger zur Geltung kommen als bei traditionellen Partizipationsmodellen in Parteien und Gewerkschaften.

Wie ernst ist es dem Senat mit den Sozialwohnungen?

Diese Frage wird bei dem Volksbegehren zum Tempelhofer Feld eine besondere Rolle spielen. Der Berliner Senat wirbt nun für seine Bebauungspläne damit, dass dort angeblich Sozialwohnungen errichtet werden solle.

Dann könnte sich die Alternative zwischen einer innenstadtnahen Erholungsfläche für die gestressten Kreativbeschäftigten oder einem bezahlbaren Wohnraum abzeichnen. Nur gab es in der Vergangenheit genügend Beispiele, in dem bezahlbare Wohnungen herangezogen wurden, um Projekte von sozialen Initiativen auszubremsen. Zudem muss natürlich die Frage gestellt werden, wie viele einkommensschwache Mieter ihre Wohnungen in der Nähe des Tempelhofer Flughafens bereits verlassen mussten, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. Schließlich war mit dem Ende des Flughafens in den Stadtteilen Neukölln und Tempelhof eine Aufwertung verbunden.

„Jahrelang konnte ich kein Fenster öffnen, weil der Lärm des Flughafens zu laut war. Jetzt konnte ich endlich auf meinen Balkon sitzen, doch jetzt muss ich die Wohnung verlassen, weil ich mir nach dem Ende des Flughafens die Miete nicht mehr leisten können“, berichtete eine Mieterin, die direkt am Flughafengelände im Neuköllner Schillerkiez wohnte. Wenn die Initiatoren des Volksbegehrens allerdings ihren Anspruch ernst nehmen, eine Demokratie für Alle zu wollen, müssten sie mit den gerade in Neukölln aktiven Erwerbslosen-, Mieter- und Migrantenorganisationen von Anfang an zusammenarbeiten.

Vor einigen Monaten war bei einer Diskussionsveranstaltung der Berliner Mietergemeinschaft über die Zukunft des Tempelhofer Feldes trotz Einladung und Zusage kein Vertreter der Initiative erschienen, um sich den kritischen Fragen zu stellen. Am kommenden Freitag gibt es in Berlin eine neue Möglichkeit zur gemeinsamen Diskussion. Dann wird Thomas Wagner gemeinsam mit Aktivisten der Neuköllner Stadtinitiativen über das Thema „Von der Mitmachfalle zur Verdrängung „ diskutieren.

Keine Tempelhofer Freiheit

Die Diskussionen der nächsten Wochen sind schließlich mehr noch als die Abstimmung ein Zeichen, dass man den Anspruch Ernst nimmt, über die Gestaltung der innenstadtnahen Flächen mit allen Bewohnern Berlins zu beratschlagen. Weil an solchen Diskussionsveranstaltungen auch Menschen ohne deutschen Pass partizipieren können, die am Volksentscheid nicht teilnehmen können, macht Deutlich, wie wichtig die Diskussion ist. Ob sich dann eine Mehrheit für eine Grünfläche oder für eine Bebauung entscheidet, ist dann eher sekundär, wenn es eine lebhafte Debatte gegeben hat.

Dass bisher alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien dem Anliegen der Volksbegehreninitiatoren nicht zustimmen, muss keine Vorentscheidung über den Ausgang sein. Schon das Wasservolksbegehren wurde gegen alle diese Parteien im damaligen Abgeordnetenhaus gewonnen. Die Diskussion der nächsten Wochen wird auch zeigen, wie geschichtsbewusst die Menschen in Berlin sind. Dann müssten sie auf die lange offiziell benutzte Phrase von der Tempelhofer Freiheit verzichten. Sie ist eine Verhöhnung der vielen Menschen, die just auf dem Areal während des NS leiden mussten. Schon 1933 wurde dort mit dem Columbiahaus ein wildes KZ errichtet, in dem Nazigegner misshandelt wurden. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden auf dem Gelände Zwangsarbeiterlager errichtet, in denen Menschen aus ganz Europa eingepfercht waren, die für die deutsche Luftrüstung schuften mussten.

Im Berliner Bewusstsein hatte sich aber mit dem Flughafen Tempelhof eher das Bild vom Rosinenbomber verbunden, der während der Berlinblockade am Beginn des Kalten Krieges die Westberliner Bevölkerung aus der Luft versorgte. Es waren nur kleine Initiativen, die die NS-Geschichte des Tempelhofer Geländes wachhielten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155759

Peter Nowak

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