Neue Wohnungen kontra freies Feld?

Erinnern an die Tempelhofer Unfreiheit

GESCHICHTE Auf dem Tempelhofer Feld soll ein Gedenkort für Nazi-Opfer eingerichtet werden – irgendwann. Initiative begrüßt Beschluss des Abgeordnetenhauses und kritisiert unklare Finanzierung
Auf dem Tempelhofer Feld soll ein Informations- und Gedenkort für die Opfer des NS-Terrors eingerichtet werden. Das hat das Abgeordnetenhaus in der vergangenen Woche auf Antrag von SPD- und Linksfraktion beschlossen. Während der Flughafen mit den Rosinenbombern während der Berlin-Blockade verbunden wird, wurde lange verdrängt, wie eng das Areal mit der Terrorpolitik der Nazis verbunden war.

Die SS hatte im Juni 1933 auf dem Tempelhofer Feld Berlins erstes Konzentrationslager errichtet, das als „Hölle am Columbiadamm“ berüchtigt war. Ab 1938 schufteten Tausende Zwangsarbeiter auf dem Flughafengelände für die Rüstung, darunter auch 500 Juden, die 1941 in Auschwitz ermordet wurden.

Als am 8. Mai 2010 das Areal für die Bevölkerung geöffnet wurde, musste eine Initiative gegen Behinderungen durch die Anmeldungsbehörde und das Desinteresse vieler BesucherInnen kämpfen, als sie an die KZ-InsassInnen und ZwangsarbeiterInnen erinnern wollten. Gegenüber der taz bezeichnet Beate Winzer, die Vorsitzende des „Fördervereins für ein Gedenken an die Naziverbrechen in und um das Tempelhofer Feld e. V.“, den Beschluss des Abgeordnetenhauses als einen „ersten Schritt“, der Konsequenzen haben müsse. So müsse der Senat die Bebauungspläne für das Gelände ändern und Grünflächen für einen Gedenkort ausweisen. Zudem sei die finanzielle Ausstattung noch nicht geklärt. Auch in der Benennung des Areals erkennt Winzer mangelnde Sensibilität für den historischen Ort. „Es ist eine Frechheit gegenüber den Menschen, die hier gelitten haben, wenn noch immer von der ,Tempelhofer Freiheit‘ gesprochen wird.“

In der Auszeichnung des Flughafens Tempelhof als „Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ durch die Bundesingenieurkammer sieht Winzer eine Entpolitisierung der Geschichte. Damit werde unterschlagen, dass die Ingenieure für die Rüstung geforscht haben. Über die Zwangsarbeit in der Rüstungsforschung wird der Historiker Thomas Irmer am 29. Juni um 18 Uhr in der Mediengalerie in der Dudenstraße 10 referieren. Dort ist noch bis zum 1. Juli die Ausstellung „Das KZ Columbiahaus und Zwangsarbeit am Flughafen Tempelhof“ zu sehen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F06%2F29%2Fa0173&cHash=c88ac2719c

Peter Nowak

Vor dem Rosinenbomber war der Terror

 Auf dem Gelände des Tempelhofer Flughafens erinnert nichts an dessen nationalsozialistische Vergangenheit. Eine Gedenkinitiative möchte das ändern.
Das Frühlingswetter dürfte bald wieder zu einem Besucherandrang auf dem Areal des ehemaligen Tempelhofer Flughafens in Berlin führen. Dessen Geschichte scheint für viele erst 1948 begonnen zu haben. Schließlich ist die Luftbrücke, mit der US-Rosinenbomber das von der Sowjetunion blockierte Westberlin versorgten, untrennbar mit dem Tempelhofer Flughafen verbunden. Doch auch dort gab es natürlich keine Stunde Null.

Das Tempelhofer Areal ist eng mit der Terrorpolitik der Nationalsozialisten verknüpft. Die SS hatte dort im Juni 1933 das erste Konzentrationslager Berlins errichtet. Als »Hölle am Columbiadamm« war es in den ersten Jahren des NS-Regimes zum Inbegriff des nationalsozialistischen Terrors geworden. In der Emigrantenpresse jener Zeit waren häufig Berichte über Folterungen im ersten Berliner SS-Gefängnis im Columbiahaus zu finden. Zu den 10 000 Gefangenen, die dort zwischen 1933 und 1936 interniert waren, gehörten die Kommunisten Werner Seelenbinder, John Scher und Ernst Thälmann, Schriftsteller wie Kurt Hiller und der demokratische Jurist Hans Litten.
 
Nachdem das KZ dem NS-Flughafen Tempelhof weichen musste, wurden die Gefangenen von Zwangsarbeitern abgelöst, die dort für die Luftrüstung schuften müssten. Sie arbeiteten unter anderem für die Weser Flugbau GmbH und die Lufthansa. Allein die Weser Flugbau beschäftigte 2 000 von ihnen. Sturzkampfbomber und andere Flugzeuge wurden dort von zumeist sowjetischen Zwangsarbeitern gebaut, repariert und gewartet. »Tempelhof war im Nationalsozialismus eines der Zentren der deutschen Luftrüstung. Jeder zehnte deutsche Bomber wurde dort produziert«, sagt Beate Winzer. Sie ist Vorsitzende des »Fördervereins zum Gedenken an Naziverbrechen um und auf dem Tempelhofer Flugfeld« und beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der nationalsozialistischen Geschichte von Tempelhof.
 
Das öffentliche Interesse an dieser Vergangenheit ist weiterhin gering. Das zeigte sich auch am 8. Mai vorigen Jahres. Als das Tempelhofer Gelände ausgerechnet am Tag der Niederlage des Nationalsozialismus geöffnet wurde, strömten die Massen zum Volksfest. Unter dem Motto »Tempelhof für alle« rannte ein Teil der linken Szene gegen den Zaun an, der das Areal eingrenzt. Wenig beachtet wurde dagegen die vom Mieterladen Chamissoplatz organisierte Gedenkkundgebung für die Häftlinge und die Zwangsarbeiter der NS-Zeit. Das Denkmal für die Häftlinge des KZ Columbiadamm, das 1993 vom Bezirksamt enthüllt wurde, befindet sich nicht am historischen Ort, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Verlegung des Denkmals gehört zu den Forderungen des Gedenkvereins. Von offizieller Seite gibt es nun erste Signale, die Vergangenheit nicht mehr völlig ignorieren zu wollen. Manfred Kühne von der Stadtentwicklungsverwaltung kündigte kürzlich an, dass auf dem Flughafengelände noch in diesem Jahr ein »historischer Informationspfad« entstehen soll. Einen genauen Termin dafürnannte er nicht.
 
Einem Gedenkort auf dem Gelände, wie er von Winzer und ihren Mitstreitern gefordert wird, könnte der Plan des Senats entgegenstehen, dort unter dem Stichwort »innovatives Wohnen« Mehrgenerationenhäuser errichten zu lassen.
 
Wie wenig sich solche Projekte mit der Gedenkpolitik vertragen, zeigt sich am Umgang mit der Stätte des ersten Arbeitshauses in Berlin-Rummelsburg, das unter den Nazis zur Verwahranstalt für als »asozial« stigmatisierte Menschen wurde. Obwohl die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg eine Präsentation von Informationstafeln beschlossen hat, sind diese bisher nicht angebracht worden. Dafür wirbt das Hotel »Das andere Haus 8« als Geheimtipp für »Kenner und Liebhaber Berlins« im ehemaligen Arbeitshaus um Gäste. »Individuell eingerichtete, ehemalige Zellen, teilweise mit Wasserblick« werden für 40 Euro pro Nacht angeboten. Da in Tempelhof keine Spur mehr von den ehemaligen Zwangsarbeiterlagern zu finden ist, dürfte eine solche Form des historischen Reisens dort zumindest nicht in Frage kommen.

http://jungle-world.com/artikel/2011/15/42996.html

Peter Nowak

Gestapo-Lager, KZ, Zwangsarbeiter-Hölle

Gestapo-Lager, KZ, Zwangsarbeiter-Hölle
GESCHICHTE Ein neuer Verein will sich mit der NS-Vergangenheit des Flughafengeländes Tempelhof befassen. Grabungen geplant

Am Montagabend hat sich der „Förderverein zum Gedenken an Nazi-Verbrechen um und auf dem Tempelhofer Flugfeld“ konstituiert. Rund 40 Personen folgten den Ausführungen von Beate Winzer, die seit fast 25 Jahren für eine Gedenkstätte für die NS-Opfer von Tempelhof kämpft.

Die historische Debatte um Tempelhof wurde lange fast ausschließlich auf die Ereignisse des Jahres 1948 – also die Luftbrücke – und den Kalten Krieg reduziert, so Winzer. „Dass sich auf dem Gelände 1933 ein Gefangenenlager der SS und der Gestapo sowie 1934 bis 1936 ein Konzentrationslager befand, wird kaum wahrgenommen.“ Der Verein will die braune Geschichte des Areals in Zusammenarbeit mit der Topographie des Terrors erforschen und zur Spurensicherung Grabungen durchführen.

Zur Historie des KZ auf dem Gelände gebe es zahlreiche historische Quellen. Schließlich war es als „Hölle am Columbiadamm“ in den ersten Jahren des NS-Regimes zum Inbegriff des braunen Terrors geworden. Allerdings seien noch viele Fragen offen, erklärte Frieder Böhne, der sich seit Jahrzenten bei den Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA) für die Geschichtsaufarbeitung einsetzt. Ein Forschungsgegenstand könnte die Verfolgung Homosexueller durch die Nazis am Beispiel des KZ Columbiadamm sein. Dort habe zeitweise fast die Hälfte der Gefangenen aus Homosexuellen bestanden.

Schwieriger ist die Quellenlage bei den Zwangsarbeitslagern, die sich bis 1945 auf dem Areal befanden. Tausende meist sowjetische Kriegsgefangene mussten dort für die deutsche Kriegswirtschaft schuften. Tempelhof war eines der Zentren der deutschen Luftrüstung. „Jeder zehnte deutsche Bomber wurde hier produziert“, so Winzer.

Aus dieser Zeit gibt es kaum noch Spuren. Die Holzbaracken wurden schon kurz nach Kriegsende abgetragen. In Zeiten des Kalten Krieges war eine Erinnerung an die braune Geschichte des Areals nicht vorgesehen. Erst 1994 wurde unter der Ägide des damaligen Tempelhofer Bezirksstadtrats für Volksbildung, Klaus Wowereit, ein Mahnmal für die KZ-Insassen gegenüber dem Tempelhofer Feld errichtet.

Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erklärte, dass seine Behörde erst nach der Öffnung des Flughafenareals aktiv werden konnte. Mittlerweile befasse sich eine Arbeitsgruppe mit der NS-Geschichte. Die genaue Formulierung des Forschungsauftrags müsse allerdings ebenso geklärt werden wie die Finanzierung. Allerdings hält es Kühne für realistisch, dass im kommenden Frühjahr erste Gedenktafeln mit Hinweisen auf KZ und Zwangsarbeit auf dem historischen Gelände aufgestellt werden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F11%2F24%2Fa0145&cHash=f802d1673a

Peter Nowak

Grenzenlose Weite

Peter Nowak über die Forderung nach einer NS-Gedenkstätte auf dem Gelände des Flugplatzes Tegel

Der  „Hölle am  Columbiadamm“ war in den ersten Jahren des NS-Regimes  zum Inbegriff des braunen Terrors geworden. In  der Emigrantenpresse  jener Zeit waren häufig Berichte über Folterungen im ersten  Berliner SS-Gefängnis im Columbiahaus zu finden. Das  Hausgefängnis der Geheimen Staatspolizei  war im Juli 1933  errichtet worden.  Im Februar 1934 war  die Zahl auf über  450 Gefangenen gestiegen. Zu den zeitweiligen Insassen gehörten die Kommunisten Werner Seelenbinder, Erich Honecker, John Scher und Ernst Thälmann, die Schriftsteller Kurt Hiller,  Armin T. Wegener  und  der demokratische Jurist Hans Litten. Für den Terror  war die neuaufgestellte SS-Wachtruppe Oranienburg-Columbia, die später in SS-Wachverband Brandenburg umbenannt wurde, zuständig. Mehrere spätere SS-Kommandeure haben im Columbiahaus ihr Handwerkszeug gelernt.

Das KZ musste 1936 dem NS-Airport Tempelhof weichen.  Ab 1938 schufteten auf dem Areal Tausende Zwangsarbeiter  für  die  deutsche Luftrüstung. Die Popularität des Flughafen Tempelhofs  steigerte sich nach 1945 noch.  Im beginnenden Kalten Krieg wurde der Flughafen Tempelhof zum Inbegriff des Überlebenswillens des „freien Berlins“. Schließlich landeten auf dem  Flugfeld die legendären Rosinenbomber, mit denen Westberlin der sowjetischen Blockade trotzte. Jetzt konnte man es den Russen  doch noch zeigen, wenn man schon nicht verhindert hatte, dass Rotarmisten die Hakenkreuzfahne vom Reichstag entfernten.  In diesem Frontstadtklima war kein  Platz für eine Erinnerung an das KZ-Columbiahaus.        Daran hat sich auch heute nicht viel geändert.

Ein Erinnerungs-  und Gedenkort für die Opfer des Columbiahauses und die Zwangsarbeiter ist in den aktuellen Bebauungsplänen nicht vorgesehen.  Schließlich hat die international hochgelobte Gedenkrepublik Deutschland dafür spezielle Orte. So wurde in  die Topographie des Terrors, dem Dokumentationszentrum für den NS-Terror, nach der Neugestaltung auch ein Stück der Berliner Mauer  als in Stein gehauene Bekräftigung integriert, dass Deutschland am 8.November 89 befreit wurde.   

Als  am 8. Mai 2010 das Areal des abgewickelten Tempelhofer Flughafens für die Berliner Bevölkerung geöffnet wurde, wollte eine  kleine Initiative den KZ-Insassen und den Zwangsarbeitern gedenken, die auf dem Gelände gelitten haben. Sie hatten mit Behinderungen durch die Anmeldungsbehörden und Desinteresse auch der Öffentlichkeit zu kämpfen.

Derweil schwadronieren  Kolumnisten in verschiedenen Zeitungen über die grenzenlose Weite am ehemaligen Flughafen. Manchmal treffen sie unfreiwillig ins Schwarze, wie Ingo Arend, der im „Freitag  nach einen Tempelhofbesuch ins Schwärmen kam.    „ Vergiss die Stadt, den Kiez und den Tod. Vor dir liegen 389 Hektar öffentliches Grün. Unfassbar“.  

aus Monatszeitung Konkret 8/2010

http://www.konkret-verlage.de/kvv/in.php?text=&jahr=2010&mon=08

Peter Nowak