Müssen die Grünen fürchten, unter die 5-Prozent-Hürde zu fallen?

Das Ende eines künstlichen Hypes um eine Partei, die eigentlich keiner braucht – ein Kommentar

Jüngere Zeitgenossen werden es für Fake-News halten. Doch vor knapp 15 Jahren haben die damaligen Spitzenpolitiker einer Partei namens FDP auf Talkshows durch auffällige Schuhsohlen für Spott und Aufmerksamkeit gesorgt. Dort prangte die Zahl 18[1]. Das war die Marge, mit der die damaligen Vorturner der Liberalen in den Bundestag einziehen wollten.

Das Duo hatte sich das Ziel gesetzt, nicht mehr Funktionspartei von Union oder SPD sein zu wollen. Vielmehr wollten sie als dritte eigenständige Kraft Sozialdemokraten und Konservativen Paroli bieten. Sogar eine eigene Kanzlerkandidatur der Liberalen war im Gespräch. Möllemann hatte wahrscheinlich das Beispiel Österreich vor Augen, wo damals Jörg Haider mit einem scharfen Rechtskurs die FPÖ tatsächlich in die Liga der führenden Parteien hievte. Möllemann stürzte im buchstäblichen Sinne ab und wurde kein Berliner Haider.

Doch 7 Jahre späte spukte das Projekt 18 Prozent[2] weiter in den Köpfen mancher FDP-Politiker. Die Geschichte ist darüber hinweggegangen. Westerwelle und Möllemann sind tot und die FDP ist derzeit nicht im Bundestag vertreten. Wenn sie es beim nächsten Mal wieder schafft, wird sie sehr wahrscheinlich wieder zu der Funktionspartei zwischen SPD und Union.

Das ist das eigentlich Interessante, glaubt man den Prognosen nach der Wahl von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten. Das Zweiparteien-System, das die Nachkriegsordnung nach 1945 in Westberlin dominierte, hat auch heute noch immer eine gewisse Stabilität.

Das ist schon deshalb erstaunlich, weil dieses Modell in Ostdeutschland keine Grundlage hat. Dort hatte auf der sozialdemokratischen Seite die PDS in den 1990er Jahren die Rolle einer sozialen Volkspartei übernommen. In manchen Regionen eroberten Rechtsaußen-Gruppierungen die Hegemonie als sozialrassistische Heimatparteien.

Das klassische Modell mit zwei hegemonialen Parteien, an denen sich die kleineren Parteien auszurichten haben, wird schon seit Jahrzehnten als Auslaufmodell gehandelt. Doch wer ist der Rammbock, der es zum Einsturz bringen kann? Vor 5 Jahren wurde kurze Zeit die Piratenpartei gehandelt[3]. Doch deren Hype war bereits vorüber, bevor sie überhaupt in den Bundestag einzog.

Als Zeugnisse des kurzen Hypes der Piratenpartei sind noch einige Landtagsmandate übriggebliebenen, die bei den nächsten Wahlen verschwinden werden. Lediglich in dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg konnte eine Piratenpartei als undogmatische Linke überleben.

Auch die Grünen haben seit Jahren den Drang, das Zwei-Parteien-System zu durchbrechen. Sie wollen nicht mehr Funktionspartei sein, sondern wie es im Politsprech so schön heißt, mit SPD und Union auf Augenhöhe verhandeln. Dass die Grünen ausgerechnet im strukturkonservativen Baden-Württemberg einen ersten Ministerpräsidenten stellen und der auch noch bei den folgenden Wahlen bestätigt wurde, hat die grünen Blütenträume gesteigert.

Die Wochenend-Taz entwickelte sich zum Sprachrohr dieser Strömung. Der Journalist Peter Unfried veröffentlichte in den letzten Monaten zahlreiche Beiträge, in denen er den Grünen Ratschläge gab, wie sie von Funktionspartei zur führenden Kraft werden und dann den sozialökologischen Umbau vorantreiben könnten. Mit diesem Begriff wird eine kapitalistische Regulationsphase bezeichnet, die sich vor allem auf erneuerbare Energie und neue Technologien stützt.

Im Diskurs von Unfried und seinen Anhängern soll Deutschland Motor dieses sozialökologischen Umbaus in Europa und auch darüber hinaus werden. So wird versucht, einen grünen Standortnationalismus zu kreieren, der vor allem in der letzten Zeit einen betont antirussischen Einschlag bekommen hat. Die Nato wird nicht mehr wie in der Frühphase der Grünen in Frage gestellt, sondern soll im Gegenteil gegen Russland einsatzbereit gehalten werden.

Mit dem Diskurs des Aufstiegs der Grünen zu einer mit Union und SPD ebenbürtigen Partei ist also ein expliziter Rechtskurs der Parteien verbunden. Doch das waren vor allem Papierdiskurse, die in der Taz und einigen anderen Medien geführt wurden. In der politischen Praxis hat sich immer gezeigt, dass die Grünen mit der Ausnahme von Kretschmann eine Funktionspartei blieben. Selbst in Berlin scheiterten[4] sie 2011 mit dem Versuch, mit Renate Künast zur Regierenden Bürgermeisterin zu machen.

Nach den Prognosen der letzten Wochen sind sie nun näher an der Fünf-Prozent-Hürde als den angestrebten 20 Prozent[5]. Der Niedergang in den Prognosen hat sich schon lange vor Schulz‘ Antritt für die SPD abgezeichnet, aber wurde durch den noch verschärft. Schließlich hatten sich die Grünen ja schon auf eine Allianz mit der Merkel-Union eingerichtet, was für sie Sinn machte, wo es scheinbar keine Alternative zu Merkel auf der politischen Ebene gab und die Parole „Merkel muss weg“ von AfD und Pegida vertreten wurde.

Nun könnte mit Schulz tatsächlich ein SPD-Herausforderer Merkel ablösen und die Grünen müssen sich fragen, ob sie wieder Juniorpartner der Sozialdemokraten werden wollen. Für Unfried und Freunde ist das ein Greuel. Dagegen machen sie seit einigen Wochen mobil.

Doch der Hype, den Schulz bei der Sozialdemokratie und darüber hinaus ausgelöst hat, hat wenig mit realen Alternativen zur Merkel-Politik zu tun. Vielmehr versteht er es anscheinend, zumindest vorübergehend, ehemalige SPD-Wähler für ihre Partei zurückzugewinnen. Manche sprechen davon, dass er wieder Vertrauen zurückgewinnt. Doch das ist schon mal eine unbewiesene Behauptung.

In einer politischen Atmosphäre, wo grundlegende Inhalte nicht mehr bei Wahlen verhandelt werden und kein Sozialdemokrat nur einen Steuersatz für Unternehmen, wie er noch bei der Regierung Helmut Kohl bestand, mehr zu fordern wagt, ist eine Stimme für die SPD weniger eine Frage des Vertrauens, sondern die Frage nach dem Ausprobieren eines neuen Produkts. Die Wähler handeln wie Kunden, die im Supermarkt eine neue, besonders angepriesene Zahnpasta kaufen. Man probiert was Neues aus, hat aber keine besonderen Erwartungen daran. Die theoretischen Prämissen legte der Politologie Johannes Agnoli bereits 1967, als er das damals viel beachtete Buch „Transformation der Demokratie[6] verfasste.

Zu den wichtigsten Aspekten dieses Versuchs, den Kapitalismus stabil zu machen und politisch zu sichern, gehören: a) die Auflösung der Klasse der Abhängigen in einem pluralen System von Berufskategorien. Sie erwies sich schon in der faschistischen Fassung als geeignet, der objektiven Polarisierung der Gesellschaft von der subjektiven, organisatorischen und bewußtseinsmanipulativen Seite her entgegenzutreten. Dem organisierten Kapitalismus stehen hier wirksamere Mittel zur Verfügung als dem früheren Konkurrenzkapitalismus. Und aus den Fehlern des faschistischen Pluralismus hat der demokratisch genannte schließlich auch gelernt.

b) In der staatlichen Reproduktion der Gesellschaft schlägt dies um in die Formalisierung der Parteienpluralität. Gemeint ist, dass zwar mehrere, den Herrschaftstendenzen nach allerdings am besten zwei Parteien um den Machtanteil konkurrieren, die einzelnen Parteien dabei aber weitgehend sich angleichen. Sie verzichten darauf, konkrete gruppen- oder klassengebundene Interessen zu vertreten, werden zur allgemeinen Ausgleichsstelle und stehen in einem nach außen hin unterschiedslosen Austauschverhältnis mit allen realen Gruppen und allen idealen Positionen ausgenommen die an Strukturveränderungen interessierten Gruppen und die revolutionären Ideen. Solche Parteien trennen sich von der eigenen gesellschaftlichen Basis und werden zu staatspolitischen Vereinigungen: zu den Amtsträgern des staatlichen Ausgleichs.

Johannes Agnoli

Darin hat sich auch 50 Jahre nach der Abfassung des Traktats in Deutschland wenig geändert, auch in den USA ist es nicht gelungen, die Dualität Demokraten versus Republikaner zu überwinden. Das ist auch der Grund dafür, dass Bernie Sanders den dringenden Aufrufen seiner jüngeren, aktionistischeren Anhänger nicht nachgekommen ist und sein Wirkungsfeld nicht außerhalb der großen Parteien verlegt.

Agnoli hat noch in den 1980er Jahren die sich damals noch als Protestpartei gerierenden Grünen mit in sein Modell der Einheitspartei einbezogen. Auch damit kann er sich posthum bestätigt sehen.

Natürlich muss neuen Produkten im Supermarkt genauso wie am Politmarkt ein Markenkern, etwas Unverwechselbares, angedichtet werden. Wenn diese Erzählung dann funktioniert, läuft das Produkt gut.

Der Berliner Journalist Rainer Balcerowiak hat in der Edition Berolina ein gut lesbares Buch veröffentlicht, das einen Begriff kritisch unter die Lupe nimmt, der im anstehenden Wahlkampf eine zentrale Rolle spielten dürfte. Es geht um den Begriff Reform. Mit dem Titel „Die Heuchelei von der Reform“[7] macht der Autor schon deutlich, dass er das ganze Reformgerede für Ideologie hält. Er macht einen Exkurs bis zu den Römern, als es auch schon Reformbedarf gab. Sehr gut zeichnet der Autor nach, wie der Begriff einen neuen Bedeutungsgehalt bekommen hat.

Noch in der Ära Willi Brandt trugen Reformen dazu bei, das Leben vor allem von Lohnabhängigen zu verbessern, es war also klassisch sozialdemokratische Politik. Doch schon in der Ära seines Nachfolgers Helmut Schmidt wurden Reformen zum Schrecken für die Subalternen. Der Begriff Reform wird seit mehr als drei Jahrzehnten häufig dann verwendet, wenn einst erkämpfte Rechte auf dem Arbeits- oder Rentensektor, im Bereich von Wohnungen und Mieten abgebaut und diese Bereiche den Interessen der Wirtschaft unterworfen wurden. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Agenda 2010, die Gerhard Schröder und Co. als Reform verkauften.

Balcerowiak findet erfreulich klare Worte, wenn er davon spricht, dass mit den Hartz-Gesetzen neben der politisch gewollten Verarmung eine „Unterwerfung unter ein bisher für unmöglich gehaltenes Kontroll- und Repressionssystem“ verbunden war. Nun gehörte Martin Schulz immer zu den Befürwortern der Reform, die er jetzt auch nicht abbauen, sondern nur an einigen Punkten modifizieren will. Weder will er Sanktionen aufheben, wie es Erwerbslosengruppen und soziale Initiativen seit Jahren fordern, noch will er die Politik der Verarmung abschaffen. Doch schon für die vage Ankündigung von Modifizierungen beim Hartz IV-Regime hagelt es Kritik von Wirtschaftsverbänden, der Union und auch Teilen der Grünen[8]. Balcerowiak hat in einem Kapitel den Mythos vom Reformlager, das angeblich bei den kommenden Wahlen im Angebot sei, gut gekontert und vor allem aufgezeigt, dass die Grünen als neoliberale Partei gut mit der FDP harmonieren.


https://www.heise.de/tp/features/Muessen-die-Gruenen-fuerchten-unter-die-5-Prozent-Huerde-zu-fallen-3635441.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3635441

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.n-tv.de/politik/Westerwelle-fuer-Projekt-18-article118035.html
[2] https://www.welt.de/politik/article3188102/Projekt-18-Westerwelles-Albtraum-ist-zurueck.html
[3] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article106242600/Hoehenflug-der-Piraten-gebremst.html
[4] http://www.welt.de/politik/wahl/berlin-wahl/article13539983/Wie-sich-Renate-Kuenast-in-Berlin-vergaloppiert-hat.html
[5] https://philosophia-perennis.com/2017/01/31/gruene-historischer-tiefstand/
[6] http://copyriot.com/sinistra/reading/agnado/agnoli06.html
[7] http://buch-findr.de/buecher/die-heuchelei-von-der-reform/
[8] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/wahlkampf-gruene-kritik-martin-schulz-acht-punkte-plan

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Aus diesen Beitrag zitierte der in den Artikel erwähnte Taz-Kommentator Peter Unfried ohne Quellengabe:

„Wie ich lese, plane ich außerdem einen sozialökologischen Umsturz, also eine „kapitalistische Regulationsphase, die sich vor allem auf erneuerbare Energie und neue Technologien stützt“. Schlimm. Und als ob das nicht schon genug wäre: Wer steckt hinter dem perfiden Plan, eine schwarz-grüne Bundesregierung zu installieren? Sie ahnen es.“
Hier geht es zum vollständigen Kommentar:
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5398162&s=&SuchRahmen=Print/

Stresstest bei AKWs in Deutschland mangelhaft

Vom Botschaftsjuristen zum syrischen Spion

Grünalternative Sittlichkeit

Links

[1]

http://www.taz.de/!119881/

[2]

http://www.cohn-bendit.eu/de/ct/392-Verleihung-des-48.-Theodor-Heuss-Preises-an-Daniel-Cohn-Bendit#center

[3]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154270

[4]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154788

[5]

http://www.donacarmen.de/?p=416

[6]

http://www.donacarmen.de/

[7]

http://www.demokratie-goettingen.de/mitarbeiter/klecha-stephan

[8]

http://www.demokratie-goettingen.de/

[9]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=hi&dig=2013%2F09%2F14%2Fa0047&cHash=82fe7e2988dcd2096d3357b0e6f50f5d

[10]

http://www.fuellers-bureau.de/

[11]

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gruene-und-paedophilie-die-taz-kippt-einen-artikel-12538638.html

[12]

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/tag/christian-fueller/

[13]

http://blogs.taz.de/hausblog/2013/08/22/ines-pohl-zur-nicht-veroeffentlichung-eines-artikels-ueber-paedophilie-und-gruene-ideologie/

Sehnsucht nach den starken USA

Links

[1]

http://www.jungewelt.de/2013/09-07/003.php

[2]

http://jungle-world.com/jungleblog/2311/

[3]

http://www.taz.de/Kommentar-Deutsche-Syrienpolitik/!123521/

Der grüne Danny und die Lust

Die Grünen wollen ihre Toleranz gegen Pädophile aufarbeiten. Für Differenzierungen scheint dabei wenig Platz

Mehr als 10 Jahre ist es her, als führende Politiker der Grünen mit ihrer radikalen Vergangenheit konfrontiert wurden. Warf Joseph Fischer in seiner Zeit als Spontiaktivist nur Steine oder auch Molotow-Cocktails, und wie viele Polizisten hat er verprügelt? Und hatte der damalige studentische Aktivist des Kommunistischen Bundes, Jürgen Trittin, etwa auch klammheimliche Freude nach dem Attentat der RAF auf Generalbundesanwalt Buback gezeigt wie damals viele seiner Kommilitonen an der Göttinger Universität? Solche Fragen mussten sich kurz nach dem Antritt der rotgrünen Koalition einige Spitzenpolitiker der Grünen gefallen lassen. Die Auseinandersetzung ging schließlich zu ihren Gunsten aus.

Schließlich konnten die Grünen ihre gelungene Eingliederung in die Gesellschaft vorweisen und wer seine Zustimmung zu Kriegen gibt, dem kann das Vaterland einige radikale Jugendsünden verzeihen. Mit dem Film Joschka und Herr Fischer war diese Debatte nun endgültig beendet. Nun könnte den Grünen eine neue Debatte über ihre Vergangenheit ins Haus stehen, die sich aber grundlegend von den Diskussionen vor mehr als einem Jahrzehnt unterscheidet. Es geht um die Frage, wie es „Die Grünen“ und führende Persönlichkeiten der Partei mit der Pädophilie gehalten haben.

Ausgangspunkt des neuen Streits war die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an das Grüne Urgestein Daniel Cohn-Bendit. Der langjährige Realpolitiker hatte sich die Auszeichnung redlich verdient und eigentlich hatten sogar selbst die Konservativen längst ihren Frieden mit ihm gemacht. Doch dann wurden einige Texte aus seiner Zeit als Sponti und Kinderladen-Mitarbeiter neu gelesen, die er vor allem in dem 1975 erschienenen und längst vergriffenen Buch „Der große Basar“ veröffentlichte.

Lust im Kinderladen
Dort fanden sich auch solche Bekenntnisse:

„Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf Jahren schon gelernt hatten, mich anzumachen. Es ist kaum zu glauben. Meist war ich ziemlich entwaffnet. (…)

Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: ‚Warum spielt ihr nicht untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere Kinder?‘ Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.“

Heute betont der geläuterte Politiker Cohn-Bendit, die Lust, über die hier geschrieben wird, sei die Lust am Provozieren gewesen. Unterstützt wird er dabei von Mitstreitern und Eltern aus dem Kinderladen. Doch es sind nicht wie vor mehr als 10 Jahren vor allem Attacken aus der Union, vor denen sich Cohn-Bendit und seine Freunde verteidigen müssen. Einige der größten Kritiker der alten Texte von Cohn-Bendit sitzen in der grünennahen Taz und auch bei den Grünen selber.

Dass der CSU-Politiker Dobrinth das Thema als wahlkampftauglich erkennt, ist nun wahrlich nicht verwunderlich. Erstaunlich ist eher, dass er erst jetzt nachzieht und dass er die Argumente gegen Cohn-Bendit durchaus in der Taz finden könnte. Wenn Dobrinth moniert, „die Grünen probieren, die schützende Hand über so einen widerwärtigen Typen wie den Cohn-Bendit zu halten“, sind sogar scharfe Kritiker Cohn-Bendits gezwungen, sich verbal hinter ihn zu stellen

Zweierlei Zeitgeist?
Doch die Forderung des CSU-Politikers, „die Grünen müssten offenlegen, wie viel Geld von der Grünen-Bundestagsfraktion und der Partei an Pädophilenorganisationen geflossen sei“, wird wohl umgesetzt. Genau eine solche Untersuchung wird von den Grünen vorbereitet. Auch bei der Taz gibt es schon solche Aufarbeitungen. Sollte der dort herrschende Ton auch die Melodie für die Untersuchung bei den Grünen vorgeben, dann sind die Ergebnisse schon klar.

Der Zeitgeist der 1970er Jahre wird angegriffen, weil der es angeblich ermöglicht habe, dass man nicht konsequent gegen alle Bestrebungen vorgegangen sei, Sexualität mit Kindern zu entkriminalisieren. Selbst Projekte, in denen pädophile Männer versuchen, ihre Neigungen zu überwinden, werden mittlerweile in Taz-Artikeln kritisiert. Das ist erstaunlich, weil die Taz eigentlich immer für Alternativen zu repressiven Strategien plädiert hat.

Mit einer solchen Diktion wird aber auch völlig ausgeblendet, dass die Debatte um freie Sexualität selbst für Kinder und Jugendliche eine Reaktion auf Gewalterfahrungen auch sexueller Art war, wie sie Kinder und Jugendliche in allen herkömmlichen Institutionen, in Familien und Heimen, immer wieder erlebt hatten. Sie kamen selten an die Öffentlichkeit, weil die jeweiligen Autoritäten es gar nicht zuließen. Eher wäre ein Kind oder Jugendlicher noch in den 1960er Jahren entmündigt worden, als dass der Leiter eines Kinderheims oder gar ein Pfarrer wegen sexueller Gewalt gegen Kinder zur Verantwortung gezogen worden wäre.

Erst in Folge der 68er Bewegung organisierten sich auch Kinder und Jugendliche selbstständig und in diesem Kontext wurde die Forderung von selbstbestimmter Sexualität von Kindern und Jugendlichen aufgriffen. In Gruppen wie der Indianerkommune und der heute besonders in der Kritik stehenden grünen „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Päderasten und Transsexuelle“ waren Restbestände solcher Forderungen noch in der Schwundstufe enthalten.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den von solchen Gruppierungen vertretenen Positionen wäre tatsächlich notwendig, Dann sollte aber auch über die Forderung nach selbstbestimmter Sexualität auch bei Kindern und Jugendlichen kontrovers diskutiert werden können und nicht in der Form eines Tribunals über diese Organisationen geurteilt werden. Doch der Zeitgeist steht dagegen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154270
Peter Nowak

Rückkehr zur ethnischen Berichterstattung in den Medien?

Wie wichtig ist, dass der Täter „südländisch aussieht“? Ein Kommentar in der Taz löst eine Kontroverse aus

Ein Todesfall hat in den letzten Tagen in Berlin für ein großes mediales Interesse gesorgt. Ein junger Mann war in alkoholisierten Zustand in der Nähe des Roten Rathauses von einer Gruppe junger Partygänger so schwer geprügelt worden, dass er kurz darauf starb. Was diesen Fall so besonders ins Blickfeld rückte, war wohl der Tatort mitten in der Berliner Innenstadt.

Dieser Todesfall gäbe sicher genügend Anlass, nach der Ursachen der Zunahme von Gewaltdelikten zu fragen, bei denen es nicht um Geld, das Handy oder Eifersucht geht, sondern um den puren Spaß am Quälen von in der konkreten Situation Wehrlosen. Erst vor wenigen Tagen war ein Rollstuhlfahrer nach einem Fußballspiel zusammengeschlagen und mit seinen Schal fast erdrosselt worden. Auch hier war es eine Gewalttat aus reinem Spaß. Ist das ein Indiz für eine Gesellschaft, in der der Mitmensch generell nur noch als Gegner oder sogar Feind wahrgenommen wird und sich dieses Verhältnis in die Eventkultur ausweitet?

In Gruppen und nach einem entsprechenden Drogenkonsum werden die im Alltag noch unterdrückten Gewaltphantasien gegen Mitmenschen hemmungslos ausgelebt. Hier könnte eine Erklärung für diese Gewalt in der Eventkultur liegen. Doch die Diskussionen drehten sich schnell um die ethnischen und religiösen Hintergründe der Täter.

Antirassismus auf Knigge-Niveau?

Der Tagesspiegel vermeldete in seinem Bericht über die Gewalttat, dass die Täter nach Polizeiangaben „südländisch aussehen“. Die Taz verzichtete in ihrer Berichterstattung auf solche Zuschreibungen, was Taz-Redakteur Deniz Yücel in einer Kolumne als „Du-darfst-nicht-Antirassismus“ kritisierte.

In seiner Polemik bezog er auch die Richtlinien des Deutschen Presserats ein, nach denen die nationalen, ethnischen und religiösen Hintergründe von mutmaßlichen Tätern nur dann in Zeitungsberichten erwähnt werden sollten, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Yücel hält diese Regelung für überholt; er moniert:

„Was einst eine vernünftige Reaktion darauf war, dass Eduard Zimmermann in ‚Aktenzeichen XY‘ vorzugsweise nach jugoslawischen und türkischen Staatsbürgern fahndete (‚Der Täter spricht gebrochen Deutsch und ist bewaffnet‘) und deutsche Lokalzeitungen und Boulevardblätter über keinen Ladendiebstahl berichten konnten, ohne auf die Herkunft der Täter zu verweisen (‚Ausländer beim Klauen erwischt‘), hat sich zu einem Verschleierungsinstrument verselbstständigt; zu einer Ansammlung von ‚Du-darfst-nicht‘-Sätzen, die die Glaubwürdigkeit von Medien erschüttern, aber jede Erkenntnis verhindern.“

Jahrelang haben Menschenrechtsorganisationen dafür gestritten, dass die Nennung der vermeintlichen Herkunft von angeblichen Straftätern in Zeitungsberichten verschwindet, gerade um solche Diskriminierungen zu verhindern. Es gibt auch keinen Grund von diesem Grundsatz abzuweichen. Das wurde nicht zuletzt durch Yücels Kommentar deutlich.

Seine Polemik veranlasste eine Schar von Kommentatoren die multikulturelle Gesellschaft noch einmal rhetorisch zu beerdigen. Zuvor hatten schon rechte Gruppen die Gewalttat aufgegriffen und zu Mahnwachen aufgerufen. Die Taz hatte berichtet, dass im Kondolenzbuch rassistische Parolen auftauchten.

Über soziale Realitäten statt über ethnische Zuschreibungen berichten

Diese Reaktion macht noch einmal deutlich, dass Yücel wohl eine zu positive Einschätzung über die Zivilisiertheit der Gesellschaft in Deutschland hat. Während Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen gegen ethnische Ermittlungen kämpfen, wird hier dafür plädiert, dass ethnische Berichterstattung, die in den meisten, vor allem den auflagenstärksten, Zeitungen immer Praxis war, auch auf Medien wie die Taz wieder ausgeweitet wird.

Yücel kann auch nicht erklären, was mit der ethnischen Duftmarke erreicht würde, außer der Zunahme von Ressentiments. Denn weder kann er spezifizieren, was ein südländisches Aussehen ist, noch was es aussagen soll. Was mit dieser Diskussion aber verdrängt wird, ist die Frage, warum in Berlin lebende junge Menschen andere aus reinem Fun quälen und sogar töten. Um das zu klären, wäre nicht das Aussehen der Täter relevant, sondern die Lebensverhältnisse, denen sie in ihrem Alltag ausgesetzt sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153058
Peter Nowak

Öffentliches Interesse

E-MAIL-Verkehr: »taz« gewinnt Rechtstreit

Die »taz« darf weiterhin gegen den Willen eines Burschenschaftlers relevante Auszüge aus dessen E-Mail-Verkehr veröffentlichen. Das entschied das Landgericht Braunschweig Mitte letzter Woche in erster Rudolf Sch., der als Alter Herr weiterhin mit der ultrarechten Burschenschaft  “Karlsruher Burschenschaft Tuiskonia” verbunden ist, wollte  der Zeitung per Einstweiliger Verfügung verbieten lassen, aus seinen Emails zu zitieren.  Er sehe sich durch die Veröffentlichung  in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, argumentierte er. Zumal  in den Mails deutlich gemacht wurden, dass sie  nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sind.
Bei dem Schriftwechsel ging es nicht um persönliche Dinge, sondern um eminent politische Fragen. Mehrere Burschenschafter vom rechten Flügel, darunter der Kläger,  beraten dort über Möglichkeiten,  im Dachverband „Deutsche Burschenschaften“ die Macht an sich reißen  und den in ihren Augen  zu liberalen Vorstand zu vermachten.  Dabei wird auch nicht vor eindeutigen politischen    Aussagen gespart:
„Durch die von den Siegermächten eingesetzten Medien-Macher (….) und durch den von den 68ern erfolgten Umdeutungsversuch aller traditionellen Werte soll gerade beim deutschen Volk erreicht werden, dass es statt natürlichem Stolz und nationalbewusstsein (…) Schuld- und Scham-Gefühle entwickelt.
„Gerade der exklusive Verschwörungsgehalt, mit dem bewusst eine Übernahme des Verbands durch rechte Gruppen geplant wurde, unterstreicht die Relevanz“, rechtfertigt die taz  die Veröffentlichung der Mailinhalte gegen den Willen der Verfasser.
Das Landgericht Braunschweig  folgte nach einer mündlichen Verhandlung dieser Auffassung. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, über den Vorgang  zu berichten. Weil der Kläger hinreichend anonymisiert wurde,  sei er  nicht in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, weil der Schreiber der Mails weitere juristische Schritte einleiten kann. Hat sie auch in den höheren Instanzen bestand, kann sie nach Meinung von Juristen auch Auswirkungen auf ähnliche Fälle bei anderen Medien haben.
Mittlerweile hat der Mann auch Probleme mit seinen Arbeitgeber. Die Volkswagen-AG hat ihm verboten, solche Mails künftig weiterhin mit dem Account des Unternehmens zu versenden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205877.oeffentliches-interesse.html

Peter Nowak

Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt

Auf einem Medienkongress in Berlin wurden manche Mythen über die Internetgesellschaft in Frage gestellt
Viel wurde über Revolution geredet am 8. und 9. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt, über die im arabischen Raum ebenso wie über die Internetrevolution. Die sollte eigentlich im Mittelpunkt des von Freitag und Taz organisierten Medienkongresses stehen, der das Motto trug: „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt.“

Doch in die Planungsphase fielen die Aufstände von Tunesien, Ägypten und Libyen und so bekam die Revolution auch wieder eine gesellschaftspolitische Dimension. Auf der Eröffnungsveranstaltung wurden beide Revolutionsvorstellungen verbunden. Über die Rolle des Internet bei den Aufständen diskutierten Medienaktivisten aus Ägypten, Tunesien, Irak und Belarus. Sie stellten unisono klar, dass die ganz realen Aufstände auf den Plätzen und Straßen die Revolution ausmachen und das Internet lediglich ein wichtiges Hilfsmittel sei. So betonte die ägyptische Aktivistin Mona Seif, sie sehe als politische Aktivistin das Internet als eine Möglichkeit, ihre Ideen zu verbreiten.

Die tunesische Bloggerin Lina ben Mhenni betonte ebenfalls die Rolle des Internets für die Koordination der Proteste. Victor Malishevsky aus Belarus berichtete über eine eher demobilisierende Seite des Internetaktivismus. So hätten in seinem Land viele Menschen das Ansehen eines Live-Streams von Demonstrationen im Umfeld der letzten Präsidentenwahlen als ihren Beitrag zur Oppositionsbewegung bewertet, ohne sich an einer Demonstration beteiligt zu haben.

Blogger nicht gleich Dissident

Der Medienwissenschaftler und Blogger Evgeny Morozov räumte mit manchen romantischen Vorstellungen über die politische Dissidenz der Blogger auf und lieferte einige Gegenbeispiele. So zahlte die chinesische Regierung an Blogger 50 Cent, damit sie Beiträge und Kommentare posten, die die chinesische Regierung in ein gutes Licht rücken. Wie Blogger Spitzeldienste für die Polizei leisten, zeigte sich auch im Fall von Adrian Lamo, der Bradley Manning bei den US-Behörden denunzierte, wichtige Informationen an Wikileaks weitergeleitet zu haben.

Sowohl die Solidarität mit Manning als auch die Folgen der Internetplattform Wikileaks waren Themen in den rund zwei Dutzend Workshops und Diskussionen am Samstag. Gerade am Beispiel von Wikileaks wird jetzt schon deutlich, dass der Plattform von den Medien eine Rolle zugeschrieben wurde, die sie mit weder personell noch technisch erfüllen konnte. Seit Monaten wird über den Wikileaks-Gründer mehr diskutiert als über die veröffentlichten Dokumente.

Morozov warnte auch vor der Vorstellung, das Internetzeitalter sei die beste Stütze für demokratische Bestrebungen in der Politik. Die Online-Welt sei wesentlich leichter manipulierbar als Zeitungen und bei weitem nicht so transparent, wie manche Menschen glauben, betonte er. Seine Mahnung auch bei Bloggern genau auf die Inhalte zu schauen, hätte auf dem Kongress gleich im Anschluss beherzigt werden können, als ein Videobeitrag der kubanischen Bloggerin Yoani Sanchez gezeigt wurde. Die selbst innerhalb der kubanischen Opposition wegen ihrer ultrarechten Thesen umstrittene Bloggerin wurde auch auf der Konferenz als Ikone der Meinungsfreiheit gefeiert.

Auffällig war das Fehlen von Positionen auf der Konferenz, die die eine grundsätzliche Kritik auch an den Verhältnissen in Deutschland leisteten. Wenn man bedenkt, in welchen Umfeld und Kontext die Taz Ende der 70e Jahre gegründet wurde, bekommt das Kongressmotto eine zusätzliche Bedeutung. Die Gründer hatten sich eine grundlegende politische Umwälzung auf die Druckfahnen geschrieben und das Internet bekommen.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/149632
 
Peter Nowak

„Verräter in unseren Reihen“

Taz und Spiegel machen geleakte NPD-Mails öffentlich, was auch zu der Frage führt, wie es hier mit dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre steht
Als hätte der Mailschreiber etwas geahnt. Unter dem Betreff „Verräter in unseren Reihen“ schreibt ein NPD-Funktionär an seine Kameraden: „Einer dieser Empfänger hat DEFINITIV Informationen an die Antifa weitergegeben, bzw. dessen ePost-Adresse wird von Antifas angezapft (Feind liest mit).“
   

Dass die Öffentlichkeit jetzt über das große Misstrauen in NPD-Kreisen informiert ist, lag am NPD-Leak, den neben dem Spiegel auch die Taz in ihrer Wochenendausgabe publik machte. Auf ihrer Homepage dokumentierte sie eine kleine Auswahl der ihr zugespielten ca. 60.000 Mails aus dem Innenleben der Rechtspartei. Laut Taz haben 6 Redakteure die Mails geprüft und darauf geachtet, dass persönliche Angaben und Namen von Personen, die bisher nicht im NPD-Kontext aufgefallen sind, unkenntlich gemacht wurden.

Sollte die veröffentlichte Auswahl repräsentativ sein, dann dreht sich ein Großteil der gehackten Mails um organisatorische Fragen. So wird mitgeteilt, dass der Mitschnitt einer Veranstaltung nun online gestellt ist und der Link bekannt gemacht werden soll. Ein anderes NPD-Mitglied schildert die Schwierigkeiten bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften für den Wahlantritt und klagt über die Inaktivität der eigenen Kameraden.

 

Bei der per Mail geführten Debatte über die Gestaltung von Informationsmaterial der NPD wurde auch nicht mit rechter Propaganda gespart. So heißt es in einen Kommentar des sächsischen NPD-Landesvorstandes zur Gestaltung einer Werbepostkarte: „Dennoch lege ich gesteigerten Wert darauf diesen ’schlicht(en) 30er-Jahre-Jargon‘ zu verwenden. Wenn wir ein Alleinstellungsmerkmal haben ist es „deutsch“ zu sein.“ Auch die internen Querelen werden in dem Mailverkehr deutlich. So wird die Absetzung eines Stützpunktleiters der Jungen Nationaldemokraten gefordert, der eine Einladung mit „Heil Germania“ unterschrieben hat.

Welche Folgen das NPD-Leak für die Partei ist noch offen. Die innerparteilichen Kritiker des NPD-Vorstandes dürften sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den mangelnden Schutz der Daten für ihre Zwecke zu nutzen, so wie sie es schon bei der Aufdeckung der Spitzel in den Parteigremien mit mäßigem Erfolg versucht haben.

Gilt das Recht auf eigene Daten auch für die NPD?

Die Aktion dürfte und sollte auch die Frage wieder auf die Tagesordnung setzen, ob das Recht auf die eigenen Daten auch für die NPD gelten soll. Im Dezember 2008 waren anlässlich des 25. Kongresses des Chaos Computer Club NPD-Seiten gehackt worden: Neben Zustimmung gab es damals mit Verweis auf das Datenschutzargument auch Kritik an der Aktion. Man könne nicht das Recht auf die eigenen Daten propagieren und es dann im Falle der NPD oder anderer extrem rechter Gruppierungen selber außer Kraft setzen, hieß es.

Zudem stellen sich bei dem NPD-Leak ähnliche Fragen wie bei den WikiLeaks-Veröffentlichungen. Wo beginnt die Privatsphäre und ist selbst bei größter Sorgfalt auszuschließen, dass auch Unbeteiligte an die Öffentlichkeit gezerrt werden? Darunter könnten auch Menschen sein, die aus Recherchegründen mit der NPD in Mailkontakt standen. Zudem stellt sich die Frage, welchen Nutzen die Mails von einem antifaschistischen Standpunkt haben. Selbst wenn man die organisatorischen Klärungen, um die es in dem Großteil der Kommunikation geht, bei Seite lässt, bleibt der Neuigkeitswert doch arg begrenzt. Dass die NPD auf das Alleinstellungsmerkmal „Deutsch“ Wert legt, war auch vor der Enthüllung kein Geheimnis. Auch der gar nicht immer kameradschaftliche parteiinterne Umgang füllt nun schon seit Jahren die Medien. So kann man sich durch das NPD-Datenleck noch einmal bestätigen lassen, was alle, die es interessiert, auch vorher wussten. Um die NPD politisch zu verorten und auch zu politisch bekämpfen, sind daher die Mails wohl ähnlich entbehrlich wie die Verfassungsschutzleute. 
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34188/1.html

Peter Nowak