Aufstand der Mitte?

Nicht der soziale Frieden, sondern Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit fand am 4.Juni im Harz das Kyffhäusertreffen[1] des rechten Flügels der AfD statt.  Dort stimmte Björn Höcke seine treue Zuhörerschaft unter dem Motto „Die Geduld unseres Volkes ist zu Ende“ auf den Furor Teutonicus ein, auf ein Deutschland, das wieder Denkmäler statt Gedenkorte baut. Höcke hofft auf einen schnellen Kollaps der „entarteten“ Altparteien, die verschwinden könnten wie Anfang 1990er Jahre die italienische Christdemokratie.

Wer das Video[2] ansieht, fühlt sich an die Frühzeiten der völkischen Bewegung am Beginn der Weimarer Republik erinnert, die damals schon die Zerstörung der Weimarer Republik plante.  Vor einiger Zeit noch hätte man solche Versammlungen als Treffen der Ewiggestrigen abgetan. Doch Höcke und Co. treten als eine Kraft auf, die ganz unverhohlen die Machtfrage stellt und ihre Gegner zu Boden zwingen will.

Dass die völkische Rechte mit so viel Selbstbewusstsein  auftritt, hat etwas mit jener „Enthemmten Mitte“ zu tun, wie sie eine Studie beschriebt, die von der Rosa Luxemburg Stiftung, der Heinrich Böll Stiftung und der Otto Brenner Stiftung am Mittwoch gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (Gewaltbereitschaft in rechten Gruppen steigt[3]). Die repräsentative Erhebung ist der neueste Teil eines Langzeitforschungsprojekts, das seit 2002 politische Einstellungen in Deutschland untersucht.

Das Problem ist die Mitte

Nun ist der Mitte-Begriff immer problematisch, weil er suggeriert, das wäre der Ort der Vernunft und Stabilität und die rechten und linken Ränder wären das eigentliche Problem. Doch die Studie räumt ja gerade mit dieser Vorstellung auf.

Es ist die ominöse Mitte der Gesellschaft, die sich völkisch radikalisiert und genau das ist der Grund, warum Höcke und Co. so penetrant optimistisch sind. Oliver Decker, einer der Mitverfasser der Studie bracht das bei der Vorstellung gut auf den Punkt:

Bei Nazis und Rechtsextremen denkt man an die Ränder der Gesellschaft. Das trifft es aber nicht, die Ideologie des völkischen Denkens ist sehr verbreitet.

Dabei hat sich die Zahl der Personen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild gegenüber den Vorjahren nicht verändert. Was sich gegenüber den Vorjahren verändert hat, wird  im Fazit der Studie benannt. Dort ist die Rede:

(…) von einem teilweise deutlichen Anstieg der Abwertung bestimmter Gruppen: Islamfeindschaft, Antiziganismus und die Abwertung von Asylantragstellern. Gleichzeitig wachsen die Befürwortung einer antidemokratischen, autoritären Politik und die Akzeptanz von Gewalt bzw. die Bereitschaft, selbst Gewalt einzusetzen, etwa um den eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen oder sich «gegen Fremde durchzusetzen.

Der Befund ist keineswegs überraschend. Erst kürzlich legte die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro einen Bericht[4] über antiziganistische Einstellungen in Berlin[5] vor. Dabei wurde auch deutlich, dass der Antiziganismus bis in die Amtsstuben hinein verbreitet ist und sich auf große Teile der Bevölkerung stützt. Es ist das Gefühl, solche Ressentiments,  nicht mehr nur im kleinen Kreis, sondern in aller Öffentlichkeit zu äußern können, ohne dass es zumindest gesellschaftlich sanktioniert wird. Das mobilisiert wiederum andere Menschen. Genau das ist das eigentlich Neue, das die Studie formuliert.

Kritik von Vertretern der enthemmten Mitte

Der Berliner Politologe Klaus Schröder[6] bezeichnete die Studie im Deutschlandfunk als belanglos[7] und sah die deutsche Mitte – zu der er sich selber zählt – verunglimpft. Ihm passte die ganze Richtung nicht, er verwies darauf, dass auch noch die der Linkspartei nahestehende Rosa Luxemburg-Stiftung an der Studie mitgearbeitet habe.

Für Schröder, der sich seit Jahren als wissenschaftlicher Anhänger der Totalitarismustheorie einen Namen gemacht hat, ist so etwas ein Unding. Zudem sieht er in einer Aussage, nach der „Deutschland endlich die Macht und Geltung bekommen soll, die ihm zusteht“, nicht etwa Ausdruck einer extrem rechten Gesinnung. Schließlich würden ihr viele zustimmen. Dass er mit dieser Aussage eigentlich den Befund der Studie nur bestätigt und selber das beste Beispiel für die enthemmte Mitte ist, wird ihm dabei gar nicht bewusst.

Das gilt auch für seine Kritik an einer Frage der Studie, die die Einstellung zu  Geflüchteten erkunden soll.

Und bei der Ausländerfeindlichkeit sehen wir eine Frage, die ist typisch für die Suggestion, die hier gestellt wird, nämlich: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Nun weiß ja kein Mensch, warum die hier herkommen. Also würde jeder sagen, ja wahrscheinlich gibt es welche, die wollen den Sozialstaat ausnutzen, andere wiederum nicht. Wenn aber die Befragten gezwungen werden, auf eine pauschale, generalisierte Frage zu antworten, dann haben sie nicht viele Möglichkeiten.

Derart gibt sich Schröder hier als Versteher und Erklärer der enthemmten Mitte. Auch sein Dresdner Kollege Werner Patzelt[8] hat am gleichen Tag, als die Mitte-Studie  erschienen ist, wieder einmal den Pegida-Versteher[9] gegeben.

Bei einer neuen Buchvorstellung über Pegida hat er erneut an die Politik appelliert[10], deren Anliegen ernst zu nehmen und sie bloß nicht auszugrenzen. Das Buch trägt den programmatischen Titel Pegida. Warnsignale aus Dresden[11]. Sowohl der Herausgeber als auch sein Forschungsobjekt sind gute Beispiele für die „Enthemmte Mitte“.

Aufstand der Mitte und das semantische Terrain

Doch auch das politische Spektrum, das sich positiv auf die Studie bezieht und sofort die altbekannten Phrasen ablässt, ist Teil des Problems. So fällt den sozialdemokratischen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz nur ein Aufstand der Mitte[12] ein, der auch noch ein Aufstand der Anständigen sein soll.

Dass er sich damit auf dem semantischen Terrain der enthemmten Mitte befindet, ist die eine Sache. Dass er dann noch nachschiebt, es dürfe nicht zugelassen werden, dass „Populisten und Extremisten den sozialen Frieden in Europa gefährden“,  ist politisch besonders grotesk.

Damit liefert Schulz gleich die Rechtfertigung für Repression gegen Gewerkschaften und soziale Initiativen[13],  wie sie die Parteifreunde von Schulz in Frankreich (Frankreich: Orgie der Polizeigewalt[14] erproben.

Die enthemmte Mitte hingegen gefährdet den sozialen Frieden gerade nicht. Menschen mit solchem autoritären Gedankengut beteiligen sich in der Regel nicht an Arbeitskämpfen und mobben eher kämpferische Kolleginnen und Kollegen, spielen so eher die Rolle einer Art Pegida am Arbeitsplatz.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in ihrer kürzlich in der Rosa Luxemburg-Stiftung veröffentlichten Studie[15] „Amazon in Leipzig. Von den Gründen, (nicht) zu streiken“ diese Mechanismen gut beschrieben. Nicht der soziale Frieden, sondern politische und gesellschaftliche Minderheiten sind die Opfer der enthemmten Mitte und der Austeritätspolitik, die Schulz und seine Parteifreunde seit Jahren führend mit vorantreiben.

„Ressentiments – etwa gegenüber Flüchtlingen, Roma,  Schwulen… – sind vor diesem Hintergrund nicht nur Ausweis mangelnder Bildung oder fehlenden ethnischen Bewusstseins. Sie sind vielmehr die konsequente Fortsetzung innergesellschaftlicher und/zwischenstaatlicher Konkurrenz – und zwar noch im Sozialprotektionismus als dessen Negation:  Die genannten Gruppen sind ‚die anderen‘, mit denen ‚die Anständigen‘ und ‚die Fleißigen‘ konkurrieren müssen und/oder die unberechtigterweise an den ‚eigenen nationalen‘ Konkurrenzerfolgen teilhaben wollen und/oder die diese Konkurrenzerfahrungen gefährden“, stellt der Gewerkschafter und Publizist Patrick Schreiner[16] den Zusammenhang zwischen der Austeritätspolitik und der „enthemmten Mitte“ her.

Bisher gibt es noch zu wenige Bücher, die weniger soziologisch diese Zusammenhänge erklären. Das kürzlich vom Markus Metz und Georg Seeßlen im Verlag  Bertz + Fischer erschienene Buch Hass und Hoffnung, Deutschland, Europa und die Flüchtlinge[17] gehört zu den wenigen Texten, die nicht mit moralisierenden Appellen auf die „enthemmte Mitte“ reagieren.

Wer den Neoliberalismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschismus zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisierte Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitieren, hat ebenfalls verloren.

Die Stärke dieses Buches liegt darin, dass hier die Mechanismen der Kulturindustrie und der IT-Technologie bei der Herausbildung der autoritären Subjekte der enthemmten Mitte gut beschrieben werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48549/1.html

Peter Nowak 16.06.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.derfluegel.de

[2]

https://youtu.be/oRSOaacPsqA

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48535/

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Antiziganismus-im-System-3227242.html

[5]

http://amaroforo.de/dokumentation-von-antiziganismus-berlin

[6]

http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/apt/mitarbeiter/schroederk

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/studie-die-enthemmte-mitte-politologe-haelt-mitte-studie.694.de.html?dram:article_id=357314

[8]

http://wjpatzelt.de

[9]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[10]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article156226402/Wissensluecken-machen-Pegida-Anhaenger-so-radikal.html

[11]

https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/pegida-warnsignale-aus-dresden-das-neue-buch

[12]

http://www.zeit.de/news/2016-06/16/deutschland-eu-parlamentspraesident-schulz-fordert-aufstand-der-anstaendigen-16085612

[13]

https://www.facebook.com/Against-police-violence-and-for-demonstration-rights-in-france-2016-1051796708224609/?fref=nf

[14]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48536/

[15]

http://www.rosalux.de/publication/42258/amazon-in-leipzig.html

[16]

https://www.kritisch-lesen.de/autor_in/patrick-schreiner

[17]

http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?products_id=478

Neue Hartz IV-Regelung verfassungswidrig?

Weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket halten nach Gutachten die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein

  Ab Januar 2012 soll der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher um 10 Euro auf 374 Euro steigen. Entsprechende Medienberichte hat eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums bestätigt.

Heftige Kritik an der Maßnahme, die noch in diesem Monat vom Bundeskabinett beschlossen werden soll, kommt von Gewerkschaften und Sozialverbänden. So erklärte Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband: „Auch die angekündigte 10-Euro-Erhöhung macht die Hartz-IV-Regelsätze nicht verfassungsfester. Dass für die älteren Kinder gar keine Anpassung erfolgt, ist ignorant und geht an der Alltagsrealität von Familien vollkommen vorbei.“

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand forderte eine grundsätzliche Reform der Hartz IV-Gesetze. Buntenbach kann sich mit ihrer Kritik auf zwei Studien der DGB-nahen Hans Böckler Stiftung stützen, die am 5. September in Berlin vorgestellt wurden. Danach entsprechen weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wegen methodischer Fehler bei der Bemessung sei der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher kleingerechnet worden. Das ist das Fazit zweier von dem Juristen Johannes Münder auf Basis von Daten der Verteilungsforscherin Doktor Irene Becker erstellten Studie.

An 10 Punkten werden Widersprüche zum Hartz IV-Urteil festgestellt

Ein zentraler Kritikpunkt lautete, bei der Festsetzung des Regelbedarfs seien Menschen mit geringen Einkommen als Referenzgruppe aufgenommen worden, obwohl die Richter in Karlsruhe betonten, dass das Existenzminimum nicht über das Konsumverhalten von Menschen ermittelt werden darf, die von Sozialhilfe oder Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Mit der Ungleichbehandlung von Single-Haushalten und Familien bei der Festsetzung des Regelsatzes werde gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verstoßen.

Als Hauptmangel beim Bildungspaket wurde die Benachteiligung von Kindern aus strukturschwachen Gebieten angeführt. Denn dort, wo keine Bildungsförderungsmaßnahmen angeboten werden, besteht nach der Logik der Gesetzgeber auch kein Anspruch auf Leistungen.

Eine unabhängige Kommission wird gefordert

Buntenbach forderte als Konsequenz aus den Studien die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die die Regelsätze nach dem tatsächlichen Bedarf und nicht nach Kassenlage bemisst. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn erst erneut das Bundesverfassungsgericht eingreifen müsste“, so die Gewerkschafterin. Tatsächlich haben mittlerweile mehrere Betroffene Klagen gegen die neuen Regelsätze eingereicht, darunter auch Gewerkschaftsmitglieder, die vom DGB unterstützt werden.

Allerdings warnen Erwerbslosenaktivisten vor zu großen Hoffnungen, dass es Karlsruhe schon im Sinne der Erwerbslosen richten werde. Schon im letzten Jahr wurden von manchen Sozialverbänden Illusionen verbreitet. Doch in dem Urteil haben die Richter bewusst keine konkreten Zahlen für Hartz IV-Sätze vorgegeben. „Das Positivste, was aus der Diskussion um die Klage entstanden ist, war das Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“, das im letzten Herbst für eine Erhöhung des Regelsatzes eintrat und sich dabei nicht in juristischen Details verfing, sondern die konkrete Situation der Betroffenen thematisierte“, meinte ein Erwerbslosenaktivist. Das Bündnis, um das es nach dem Urteil ruhig geworden ist, könnte bei erneuten Klagen wieder aufleben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150416

Peter Nowak

Klimaschutz mit Haken

Keine Standards für Menschenrechte

Pünktlich zum Klimagipfel im mexikanischen Cancún veröffentlicht die Heinrich Böll Stiftung eine Studie, die sich kritisch mit den Klimafinanzhilfen befasst. »Milliardensummen aus öffentlichen Quellen werden für den internationalen Klimaschutz in Entwicklungsländern benötigt, doch es gibt keine qualitativen Standards dafür«, moniert Barbara Unmüßig von der grünennahen Stiftung. Es bestehe sogar die Gefahr, dass die Finanzhilfen Menschenrechtsverletzungen und neue Umweltzerstörungen förderten.

 Die hiesige Energiediskussion zeigt überdies, wie schnell sogar Atomkraftwerke zu Klimarettern hochgejubelt werden. Ähnliches geschieht im globalen Süden mit Monokulturen für die Gewinnung von Biotreibstoffen. Diese profitträchtige Entwicklung bedroht nicht nur die Ernährungsgrundlage vieler Menschen, sie ist auch wesentliche Triebkraft der klimaschädlichen Abholzung von Urwäldern.

Die aktuelle Studie will mit einem Kriterienkatalog für förderwürdige Klimaprojekte verhindern, dass im Namen des Klimaschutzes Menschenrechte unter die Räder kommen. Doch Papier ist geduldig. Zur konkreten Umsetzung braucht es Druck von sozialen Bewegungen vor Ort. Daher sind zwei Punkte in der Studie besonders wichtig.

Künftig sollten vom Klimawandel Betroffene an den Entscheidungen für Klimaschutzprojekte beteiligt werden. Notwendig sei außerdem die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdemechanismen, so dass die Betroffenen, etwa Kleinbauern, Frauen oder indigene Bevölkerungsgruppen, öffentlich Rechenschaft für fehlgeschlagene Projekte einfordern können. Damit könnte man beim Gastgeberland der Klimakonferenz anfangen. Ein in der Provinz Oaxaca geplantes Windkraftprojekt nütze nur den Politikern und den reichen Bauern, während die Region dadurch noch mehr verarme, kritisieren soziale Gruppen aus der Region.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185214.klimaschutz-mit-haken.html

Peter Nowak

Armut wohnt an der Autobahn

Linkspartei legt Studie über die Folgen des Baus innerstädtischer Betonschneisen vor
Die Ergebnisse einer repräsentativen Studie zu den Folgen des innerstädtischen Autobahnbaus für die Anwohner lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wohngebiete entlang der Stadtautobahn weisen einen deutlich höheren Anteil von Erwerbslosen und sozial Benachteiligten auf. Das betreffe alle Bevölkerungsgruppen, betonte Sigmar Gude vom Stadtforschungsbüro TOPOS, das die Untersuchung im Auftrag der Linksfraktion des Bundestages gestern vorstellte. Untersucht wurde je ein Wohngebiet in Berlin und in Essen.

Handynummer eintragen und mit Glück und Geschick gewinnen:    >>hier klicken<<  »Beschäftigte, die in Autobahnnähe wohnen, haben niedrigere Einkommen, und auch die Renten älterer Bewohner sind in der Nähe der Autobahnen geringer«, so Gude. Autobahn-Anwohner haben ein um fast 50 Prozent höheres Armutsrisiko und sind um ein Drittel häufiger arbeitslos. Deshalb besitzen sie oft kein Auto. »Sie leiden unter den Folgen eines Individualverkehrs, an dem sie selber kaum beteiligt sind«, resümierte der Stadtforscher.

Der Zustand der Wohnhäuser ist nach der Studie schlechter, je näher sie an der Autobahn stehen. Der Leerstand nimmt zu. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutzmaßnahmen werden oft nicht eingehalten. So waren in einem großen Teil der autobahnnahen Wohnungen in Essen keine Lärmschutzfenster eingebaut, obwohl die gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Heidrun Bluhm, nennt einen Grund für dieses Nichteinhalten geltender Bestimmungen: Lärmschutzmaßnahmen werden nur durchgeführt, wenn sie von den Anwohnern eingefordert werden. »Wenn die aber ihre Rechte gar nicht kennen, gehen sie leer aus«, so Bluhm. Die Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch kritisierte die Haltung vieler Länderpolitiker, die den Autobahnbau mit dem Argument befürworten, die Gelder dafür kämen vom Bund und müssten nun mal ausgegeben werden. Die sozialen Folgekosten des Autobahnbaus würden dabei oft nicht berücksichtigt, kritisiert auch Bluhm.

Das wird auch daran deutlich, dass Gude die bundesweit erste Studie erstellt hat, die die Auswirkungen des Autobahnbaus auf die Bewohner untersucht. Für Bluhm besteht die Konsequenz aus der Studie im Eintreten für eine Verkehrspolitik, »die Verkehr reduziert und vermeidet«.

Diese Forderung dürfte im Berliner Senat noch für viele Diskussionen sorgen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Woworeit will an der Verlängerung der Stadtautobahn A 100 von Neukölln nach Treptow festhalten und hat dafür auf dem jüngsten Landesparteitag seiner SPD eine knappe Mehrheit bekommen. Grüne und die LINKE lehnen das Projekt wie auch weiterhin große Teile der SPD ab.

Somit dürfte die Studie Wasser auf die Mühlen der Gegner des Projekts sein. Für die Verkehrsexpertin der Berliner Linksfraktion, Jutta Matuschek, weisen die Ergebnisse auf eine »fatale Perversion der Stadtentwicklung im Gefolge von Autobahnbauten hin«. Die angeblichen oder tatsächlichen Entlastungen in von Autobahnen entfernteren Quartieren gingen zu Lasten der ärmsten Bevölkerung. Matuschek fordert jetzt Lösungen, die den Weiterbau der A 100 entbehrlich machen.

Auch der außerparlamentarische Widerstand gegen das Projekt wächst. In den letzten Wochen haben die Aktionen der Autobahnkritiker zugenommen. Auf der heutigen Megaspree-Demonstration werden die A 100-Gegner einen der geplanten Sternmärsche organisieren.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/174962.armut-wohnt-an-der-autobahn.html

Peter Nowak

Viele Klischees

China-Bilder
Räuber der Globalisierung«, »Produktpiraten«, »Diktatur«, »Klimasünder«. Die Liste der Vorwürfe der Begriffe, mit denen in deutschen Medien China beschrieben wird, ist lang. Dort sprechen offizielle Stellen mittlerweile gar von einer Verschwörung der Medien gegen die Volksrepublik China. Dieser Vorwurf sei haltlos. Doch die Berichterstattung sei an Krisen, Kriegen und Katastrophen statt an der Realität orientiert, Klischees würden zu wenig hinterfragt. »Die Arbeitswelt oder soziale Fragen kommen in der China-Berichterstattung kaum vor«, so Carole Richter. Die Erfurter Kommunikationswissenschaftlerin ist Herausgeberin der Studie »Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien«, die am Montagabend in den Berliner Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt wurde. Herausgegeben wurde die Studie von der Stiftung in Kooperation mit den Universitäten Erfurt und Duisburg-Essen.

 Für die Untersuchung wurden 8700 Artikel aus führenden Printmedien, darunter der »Spiegel«, der »Focus«, die »FAZ« und die »taz«, aus dem Jahr 2008 ausgewertet. In diesem Jahr stand China wegen der Unruhen und der Unruhen in Tibet besonders im Blickfeld der Medien. Die von chinesischen Stellen formulierte Kritik an der Berichterstattung zu den Konflikten in Tibet wurde durch die Studie bestätigt. Weil es außer Aufnahmen von Gewalt ausübenden tibetischen Mönchen keine Bilder aus der Konfliktregion gab, musste das Klischeebild von der Repressionsmacht China mit Fotos prügelnder Polizisten aus Nepal bestätigt werden.

Dass über die Produktion mancher Vorurteile auch die deutschen Korrespondenten in China erstaunt sind, machte der Pekinger »taz«-Reporter Sven Hansen deutlich. Die oft besonders klischeebeladenen Überschriften seien von der Redaktion kreiert worden, auch der Korrespondent habe sie erstmals erst im Internet gesehen. Der Erfurter Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez sieht die Gründe der Schieflagen der deutschen China-Berichterstattung auch in der zunehmenden ökonomischen Konkurrenz des asiatischen Landes für die westlichen Staaten. Dies schlage sich vor allem in der Berichterstattung auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen und Zeitschriften nieder.

Das Publikum reagierte nicht nur mit Zustimmung auf die Erfurter Studie. So wurde bemängelt, dass es keine Vergleiche über Berichte anderer Länder gibt, die ähnlich wie China in der besonderen Kritik der deutschen Medien stehen. Ein weiterer Mangel sei, dass man in der Untersuchung nicht auch Medien wie das »Neue Deutschland«, den »Freitag« oder andere linke Zeitungen einbezogen habe. Diese hätten die hiesige China-Berichterstattung in den deutschen Medien in der Vergangenheit ebenfalls kritisch beleuchtet. So spiele bei der Berichterstattung über Tibet sicherlich auch die oft distanzlose Bezugnahme auf den Dalai-Lama und das von ihm repräsentierte System in vielen deutschen Medien eine wichtige Rolle. In der Regel werde das geistige Oberhaupt der Tibeter unkritisch als »Mann des Friedens« gefeiert.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/173163.viele-klischees.html