Rösler und der Romneyeffekt

Auch in Deutschland gehört eine Verachtung der Einkommensschwachen bei Politikern, die Ungleichheit fördern, längst zum Alltag

Der Staat wird ärmer und die vermögenden Schichten reicher, lautet das Fazit des Reichtumsberichts der Bundesregierung. Dabei handelt es sich um die Folge einer Politik, die von den Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur in den letzten Jahren betrieben wurde. Die Ergebnisse des Berichts sind wahrlich keine Überraschung, wie der soziale Kahlschlag in vielen Kommunen zeigt. Doch für Teile der Bundesregierung scheint das Problem nicht die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, sondern der Bericht, der diese Fakten in Zahlen fasst.

Der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler ließ prompt via Handelsblatt mitteilen, dass er die Veröffentlichung des Reichtumsberichts nicht mitträgt, weil die Gefahr bestehe, dass er für eine Diskussion um eine stärkere Vermögensbesteuerung herangezogen werden könnte.

Dabei stieß sich Rösler vor allem an dem Passus in dem Bericht, in dem von einem Prüfauftrag die Rede ist, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“. Hier wird also die Frage aufgeworfen, ob es sich eine Gesellschaft leisten kann, dass mitten im wachsenden Reichtum für Wenige, die Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge für die Mehrheit der Bevölkerung, seien es Schwimmbäder, Theater oder der öffentliche Nahverkehr immer mehr reduziert werden müssen.

Linksabweichlerin von der Leyen?

Doch für Rösler und die FDP scheint allein schon eine solche Frage den Sozialismus heraufzubeschwören. „Noch mehr Umverteilung“ sei für sein Ministerium nicht zustimmungsfähig, ließ er dem Handelsblatt mitteilen. Bald stellten sich nur seine Parteifreunde, sondern auch Bundeskanzlerin Merkel hinter ihm. Höhere Steuern würden vor allem den Mittelstand in Deutschland schaden, hieß es.

Der konzernnahe wirtschaftspolitische Sprecher Michael Fuchs der Union warf seiner Parteifreundin, der Arbeitsministerin von der Leyen vor, mit der Veröffentlichung des Armutsberichts den Koalitionsvertrag zu verletzen. Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter sah in dem Bericht gar „Linksrhetorik pur“. Innerhalb weniger Wochen wurde damit von der Leyen zweimal in die Nähe einer Linksabweichlerin gerückt. Auch mit ihrer Initiative für eine Zusatzrente geriet sie in diesen Ruch, obwohl bei ihrem Modell eine lange Lebensarbeitszeit und eine private Rentenversicherung festgeschrieben sind.

Nachdem von der Leyen dann auch noch das um Nuancen sozialere Rentenmodell der SPD gelobt hat, gab es erste Kommentare, die sich schon Gedanken darüber machen, ob sich von der Leyen vielleicht als Merkel-Nachfolgerin in einer großen Koalition nach den nächsten Wahlen ins Spiel bringen will. Schließlich hatte auf dem SPD-Zukunftskongress der rechte Sozialdemokrat und aussichtsreiche Bewerber für die SPD-Spitzenkandidatur Peer Steinbrück erstaunlich deutlich erklärt, keinen Posten in einem Kabinett unter Merkel annehmen zu wollen Natürlich fiel manchen Kommentatoren sofort auf, dass er einen Posten unter von der Leyen nicht ausgeschlossen hat.

Allerdings sollte der aktuelle Streit auch nicht überinterpretiert werden. Von der Leyen hat als Arbeitsministerin eine andere Rolle in der Bundesregierung als Rösler und auch Merkel und muss hier die soziale Komponente berücksichtigen. Es dürfte sich bei den aktuellen Auseinandersetzungen um die Altersarmut und den Reichtumsbericht also eher um ein Spiel mit verteilten Rollen innerhalb der Bundesregierung handeln als um einen grundlegenden Richtungsstreit.

Dabei hat allerdings die soziale Komponente eindeutig eine Minderheitenposition. Merkel und Rösler machen hier noch einmal deutlich, dass ihnen die Interessen der Kapitalbesitzer alle näher sind als der Menschen, die sich wegen mangelndem Einkommen immer mehr einschränken müssen. Schließlich ist es die Folge einer nicht nur von der gegenwärtigen Bundesregierung vorangetriebenen Politik. Die Vermögenssteuer ist schon unter Rot-Grün beträchtlich gesenkt worden.

„Eure Armut kotzt uns an“
US-Präsidentschaftskandidat Romney geriet vor wenigen Tagen in die öffentliche Kritik, als er auf einer nicht für die große Öffentlichkeit bestimmten Rede vor vermögenden Wahlhelfern davon sprach, dass er es nicht als seine Aufgabe ansieht, sich um die ärmere Hälfe der US-Bürger, die auf staatliche Leistungen angewiesen ist, zu kümmern. Sofort merkten Kritiker an, so etwas könne sich ein Präsidentschaftskandidat nur in den USA erlauben.

Die Reaktion von Rösler, Merkel und Co. auf die Veröffentlichung des Reichtumsbericht zeigt, wie unrecht sie haben. Auch in Deutschland gehört eine Verachtung der Einkommensschwachen bei denen, die mit ihrer Politik Ungleichheit fördern, längst zum Alltag. Westerwelle hat mit seinem Lamento über die spätrömische Dekadenz dafür ebenso die Stichworte geliefert wie Sarrazin mit seiner Hetze gegen Transferleistungsbezieher. In dieser Tradition stehen auch Merkel und Rösler, wenn sie schon in einem Bericht über die Armut die Gefahr sehen, es könne eine Diskussion aufkommen, wie die Einkommensverhältnisse fairer gestaltet werden könnten.

Das ist das erklärte Ziel eines breiten Bündnisses, das mit einem Aktionstag am 29. September an die Öffentlichkeit treten will. Zu den Aktionsformen gehören unter anderem eine Demonstration, die rückwärts läuft, um den sozialen Rückschritt deutlich zu machen. Ob man damit allerdings die Romney-Adepten an der Spree beeindruckt, darf bezweifelt werden. Vielleicht würde ihnen eher der Spiegel vorgehalten, wenn Demonstranten mit Merkel- und Röslermasken Schilder mit der Aufschrift „Eure Armut kotzt uns an“ tragen würden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152819
Peter Nowak

Zahlen für die Krise

Nach der NRW-Wahl streitet die Bundesregierung über Mehrwertsteuererhöhungen und tabuloses Sparen. Wirtschaftsliberale wollen die Krise zur Schleifung sozialer Standards nutzen
Die Pessimisten könnten doch Recht haben. Nach der NRW-Wahl werde die schwarz-gelbe Bundesregierung die unpopulären Maßnahmen präsentieren, die sie mit Rücksicht auf die Wähler bisher in der Schublade gelassen hat, hieß es immer wieder. Nachdem unmittelbar nach der für CDU und SPD desaströs ausgegangenen NRW-Wahlen die Steuersenkungspläne in der Schublade verschwanden, ohne dass die FDP noch viel Widerstand entgegensetzten konnte, streitet die Bundesregierung nun leidenschaftlich über Steuererhöhungen.
   

Führende Unionspolitiker wollen den Mehrwertsteuersatz erhöhen und auch die erst im Dezember 2009 beschlossene Steuererleichterung für das Hotelgewerbe auf den Prüfstand stellen. Darüber ist die FDP, die diese Maßnahme als ersten Schritt in das von ihr propagierte Niedrigsteuerparadies für Mittelständler propagiert hatte, überhaupt nicht erfreut. Der liberale Wirtschaftsminister Brüderle und FDP-Generalsekretär Lindner haben mit ihrer Erklärung, dass es mit der FDP Steuererhöhungen nicht geben wird, wenig Spielraum für Kompromisse gelassen. Und ohne die FDP? Heißt dann die naheliegende Frage.

Droht eine Koalitionskrise?

Schließlich soll das Sparpaket auf einer Klausursitzung der Bundesregierung am 6. Und 7. Juni festgezurrt werden. Tatsächlich ist ein Ende der Koalition nicht ausgeschlossen.
Es hängt davon ab, ob die FDP ihre Perspektive eher in einer rechtsliberalen Bewegung sieht und sich als Rächer der enttäuschten Steuerbürger geriet, die sich in Online-Kommentaren im Handelsblatt ressentimentgeladen zu Wort melden, oder ob sie wie in der Vergangenheit als Funktionspartei agieren will. Es gibt Signale in beide Richtungen.

In NRW hatte sich die Landes-FDP mit ihrer Weigerung mit SPD und Grünen auch nur über eine Ampelkoalition zu reden, rechtsaußen positioniert. Mittlerweile gibt es aber auch innerparteilich Zuspruch für eine Ampelkoalition. Auch Westerwelle steht innerparteilich mittlerweile verstärkt in der Kritik. Eine kategorische Ablehnung jeglicher Steuererhöhungen könnte innerparteilich manche Risse kitten, denn darüber besteht weitgehend Einigung.

Doch schon über den neuesten Plan von Gesundheitsminister Rösler, Besserverdienende bei der Gesundheitsreform stärker zur Kasse zu bitten, gibt es bei den Liberalen Streit. Dass parallel zur Steuererhöhungsdebatte in der Union auch über Sparpläne debattiert wird, dürfte wiederum ganz im Sinne der FDP sein.

„Differenzierte Rasen-Mäher-Methode“

Am deutlichsten äußerte sich Roland Koch, der sich nach seinem angekündigten Rücktritt wohl auch nicht mehr so leicht in die Koalitionsdisziplin einbinden lässt. Die Bundesregierung habe nur die Wahl zwischen Steuererhöhungen und einem rigiden Sparprogramm ohne Tabus. Dabei griff er die schon vor einigen Wochen auch in seiner Partei heftig kritisierten Sparvorschläge bei der Bildung auf. Zudem regte Koch Kürzungen bei den Beschäftigungsmaßnahmen für Erwerbslose, den Steinkohlehilfen und den Subventionen für den öffentlichen Personen-Nahverkehr an.

Dieses Sparprogramm sei eine „differenzierte Rasenmäher-Methode“. Merkel lehnt Einschränkungen bei der Bildung weiter ab, bei den Förderprogrammen für Erwerbslose hingegen kann sie sich Einsparungen vorstellen. Auch Finanzminister Schäuble sieht bei Hartz IV-Leistungen weitere Einsparmöglichkeiten. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertag, Hans Heinrich Driftmann will nicht nur Leistungen für Arbeitslose auf den Prüfstand stellen. Er regte auch an, die von der großen Koalition beschlossene Rentengarantie abzuschaffen. Solche Vorschläge sollen deutlich machen, dass es beim Schleifen von Sozialstandards nun wirklich keine Tabus mehr geben dürfe.

Gesund- oder Kaputt-Sparen?

Der Sparzwang wird von der Bundesregierung und auch von der SPD als unhinterfragbarer Sachzwang hingestellt. Nur über die Frage, wo und wie gespart werden soll, wird gestritten. Auch im aktuellen Spiegel zeigen schon die Überschriften „Wie die Republik sich gesundsparen kann“ und „Wie die Bildungsausgaben gekürzt werden können“, dass sich hier ein Medium als Politikberatungsagentur geriert. Den Spardiskurs zu hinterfragen kommt den Redakteuren eines Blattes, das sich einst für seine kritische Berichterstattung loben ließ, nicht in den Sinn.

Doch in der Leserschaft gibt es hier durchaus kritische Töne. So bezeichneten in einer Umfrage mehrere User ein Sparprogramm als Gift für die Konjunktur. Damit stehen sie nicht allein. Die Grünen fordernt eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden. Auch der DGB-Vorsitzende Sommer und gewerkschaftsnahe Ökonomen erinnern daran, dass die leeren Kassen in erster Linie die Folge einer Politik sind, die die Steuern für Vermögende gesenkt hat und sich mit der Schuldenbremse ohne Not einen Knebel ins Gesetz geschrieben hat, den sie jetzt als Sachzwang verkaufen will.

So ist es denn auch nicht die Wirtschaftskrise, die jetzt diese tabulosen Sparpläne erzwingt. Vielmehr wird die Krise als Argument genutzt, um soziale Standards zu schleifen, die Wirtschaftsliberale schon lange für entbehrlich hielten. Der Krisendiskurs ist dafür eine günstige Gelegenheit, weil sich zumindest in Deutschland die Vorstellung in weiten Kreisen der Bevölkerung durchgesetzt hat, dass man in Zeiten der Krise noch mehr Verzicht üben muss. Dieser Geist prägt auch die in der letzten Woche getroffenen Vereinbarungen zwischen der Opel-AG und den Gewerkschaften über die Standortsicherung.

Sorgt Spardebatte für Widerstand von unten?

Dass auch andere Reaktionen möglich sind, zeigte der Widerstand gegen das Krisenprogramm in Griechenland und die beginnenden Streiks gegen eine Anhebung des Rentenalters in Frankreich. Ob solche Aktionen auch in Deutschland auf Sympathie stoßen, könnte sich am 12. Juni zeigen.

Dann ruft ein bundesweites Antikrisen-Bündnis in Berlin und Stuttgart zu Demonstrationen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ auf. Der Berliner Bündnissprecher Michael Prütz zeigte sich mittlerweile optimistisch, dass die Demonstrationen größer als erwartet werden. Die Debatte um die Sparpläne könnte dazu beitragen. Dann würde sich ein neuer Akteur zu Wort melden: die Bevölkerung, die in dem Streit der Politiker bisher als Bremsfaktor gar nicht mit eingeplant war.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32716/1.html

Peter Nowak