Der Weltmeister knausert

Die polnischen Reparationsforderungen wegen der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg empören Regierung und Medien in Deutschland. Die polnische Regierung gibt sich hartnäckig.

Wer Warschau in den vergangenen Jahren einen Besuch abgestattet hat, konnte in der historischen Innenstadt eine Fotoausstellung sehen. Auf den Bildern waren die vollständig zerstörten Straßenzüge am Ende des Zweiten Weltkriegs zu sehen. Die Besucher wurden zudem in mehreren Sprachen ­darüber informiert, dass Deutschland für diese Zerstörung verantwortlich sei. Das kam hierzulande nicht gut an, schließlich möchte der Aufarbeitungsweltmeister nicht von anderen an die Verbrechen Nazideutschlands erinnert werden. Die polnische Regierung wurde mehr oder weniger offen darauf hingewiesen, dass man gemeinsam Mitglied der Nato und der EU sei und es daher anachronistisch wirke, weiter derart an die Vergangenheit zu erinnern.

Die Tafeln wurden in einer Zeit aufgestellt, als die nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bereits in einer Koalition mit anderen rechten Parteien die polnische Regierung stellte. PiS brachte erstmals die Forderung nach deutschen Reparationen auf. 2004 beschloss das polnische Parlament einmütig, die Regierung möge mit Deutschland in dieser Sache in Verhandlungen treten. Dies war auch eine Reaktion auf die vorangegangene Ankündigung deutscher Vertriebenenorga­nisationen, Entschädigungsforderungen an Polen zu stellen. Doch die damals schnell wechselnden polnischen Regierungen nahmen keine Verhandlungen auf, die seit 2007 die Regierung führende, Deutschland freundlich gesinnte konservative Bürgerplattform (PO) um Donald Tusk hatte kein Interesse an dem Thema.

Die PiS kündigt eine »historische Gegenoffensive« an

Seit ihrem Wahlsieg 2015 muss PiS keine allzu große Rücksicht mehr auf die mitregierenden Parteien Polen Zusammen und Solidarisches Polen nehmen, die auf der Wahlliste PiS kandidierten. Die Partei baut Polen innenpolitisch in einen autoritären Staat um und hat kürzlich das Thema Reparationen erneut in die Diskussion gebracht. Bereits Ende Juli hatte der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński eine »historische Gegenoffensive« angekündigt: »Wir reden über gewaltige Summen und auch über die Tatsache, dass Deutschland sich viele Jahre lang geweigert hat, die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu übernehmen.« Die Reparationsforderungen sind in der polnischen Bevölkerung populär, die Erinnerung an die Zerstörung vieler Orte und die Verbrechen der Deutschen ist nach wie vor sehr lebendig.

»Reparationen sind eine notwendige Konsequenz des durch Deutsche staatlich organisierten und durchgeführten Völkermordes und anderer Verbrechen gegen die Menschheit. Eine echte Wiedergutmachung ist angesichts des singulären Ausmaßes jedoch nicht leistbar. Die Gelder könnten aber in eine neu zu gründende deutsch-polnische Stiftung fließen, die sich der so­zialen Betreuung der hochbetagten Überlebenden und der Bearbeitung transgenerationeller Traumata bei Nachkommen widmet und anders, als es heute der Fall ist, langfristig die ­Erinnerungs- und Bildungszusammenarbeit zu Shoah, Nationalsozialismus und Antikriegsforschung in beiden Ländern sicherstellt«, kommentiert Kamil Majchrzak, ein Vorstandsmitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora (IKBD), die polnischen Forderungen. Insgesamt sechs Millionen polnische Staatsbürger kamen zwischen 1939 und 1945 kriegsbedingt ums Leben. Weitere zehn Millionen wurden Opfer deutscher Verbrechen. Gemessen an der Bevölkerungszahl und dem Gesamtvermögen hat Polen im Zweiten Weltkrieg von allen europäischen Staaten die meisten Toten und die höchsten materiellen Verluste zu beklagen. Die Deutschen und ihre Hilfstruppen waren für die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung verantwortlich. Die deutschen Vernichtungslager wurden auf polnischem Territorium errichtet.

Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte wie immer, wenn es um Reparationen geht: Deutschland bedauert heftig, die Kasse bleibt dennoch geschlossen

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Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte wie immer, wenn Überlebende oder Nachkommen der Opfer der deutschen Verbrechen Reparationen fordern. Deutschland stehe zu seiner Verantwortung für die »unfassbaren Verbrechen« des Zweiten Weltkriegs, betonte er am 8. September. Polen habe jedoch 1953 auf weitere Forderungen verzichtet und dies mehrfach bestätigt. Die deutsche Regierung verwies darauf, dass die DDR Entschädigungen an Polen gezahlt habe, weshalb die Frage abschließend geregelt sei. Deutschland bedauert also heftig, die Kasse soll dennoch geschlossen ­bleiben.

In einem Anfang September veröffentlichten 40seitigen Gutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst des polnischen Parlaments Sejm jedoch zu anderen ­Ergebnissen als die Bundesregierung. Die einseitige Erklärung der polnischen Regierung vom 23. August 1953, in der sie den Verzicht auf weitere Kriegsreparationen erklärte, galt nach Ansicht der Autoren nur für die DDR. Zudem sei die Erklärung auch formal ungültig. Der damalige Beschluss des polnischen Ministerrats habe gegen die Verfassung verstoßen, weil nicht der Ministerrat, sondern der Staatsrat für die Ratifizierung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig gewesen sei. Die Höhe der ausstehenden Entschädigungen wurde in dem Gutachten nicht genannt. Aus dem Umfeld der polnischen Regierung wurde eine Summe von 840 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht. Nach dem Krieg wurden die von Deutschland verursachten materiellen Schäden am polnischen Staats- und Privateigentum den Autoren zufolge auf 48,8 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Deutschland lehnt ab, aber Polen ist nicht Griechenland

Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch ein Großteil der deutschen Medien lehnt die polnische Forderung vehement ab. Der Tagesspiegel urteilte, das »Beharren der PiS auf Reparationen« wirke »provozierend undankbar«. Im Spiegel wurde die Berichterstattung mit einem leicht revanchistischen Unterton versehen: »Die Position der Warschauer Parlamentsexperten berücksichtigt wohl auch zu wenig, dass Polen nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit deutschem Territorium entschädigt wurde. Die Siegermächte hatten sich darauf geeinigt, dem Land Teile Ostpreußens, Schlesiens, Pommerns und des östlichen Brandenburgs zuzuschlagen. Millionen Deutsche wurden von dort vertrieben, sie hinterließen Privatbesitz, Häuser und Fa­briken.« Polen hält demnach »deutsches Territorium« in seinem Besitz – und soll offenbar deshalb stillhalten.

Michael Wuliger erinnerte in einer Kolumne in der Jüdischen Allgemeinen an den polnischen Antisemitismus. »Ob die Forderung Erfolg haben wird, ist fraglich. Falls aber wider Erwarten Deutschland tatsächlich zahlt, sollte Warschau einige der Milliarden vorsorglich beiseite legen. Denn offene Rechnungen hätte auch Polen zu begleichen – mit seinen jüdischen Bürgern«, schreibt Wuliger und verweist auf zahlreiche Pogrome gegen Jüdinnen und Juden, die den NS-Terror überlebt hatten. Das ist eine vernünftige Forderung, die sich wohltuend abhebt vom Beleidigtsein und von der kategorischen Zahlungsverweigerung in Deutschland, wo man es fast unisono als Zumutung empfindet, auch 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch mit Reparationsforderungen konfrontiert zu werden.

Ignoriert wird dabei, dass bundesdeutsche Politiker bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg möglichst keine Reparationen zahlen und die deutschen Verbrechen mit der Zerstörung deutscher Städte und der Aufnahme der deutschen Flüchtlinge nach 1945 verrechnen wollten. Zahlte die Bundesrepublik Reparationen, war immer ein politischer und juristischer Kampf vorausgegangen. Die neuen polnischen Forderungen wird Deutschland wohl nicht so abbügeln können wie die der griechischen Regierung. Als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras im vergangenen Jahr daran erinnerte, dass Deutschland bei Griechenland noch Schulden aus der Besatzungszeit habe, schlugen ihm hierzulande kalter Hohn, Verachtung und offene Ressentiments entgegen. Mit der harten Austeritätspolitik, die vor allem von ihr diktiert wurde, hat die deutsche Regierung ein Instrument, mit dem sie die griechische Regierung kleinhalten kann. Für Polen, das nicht zur Euro-Zone gehört, gilt das nicht. Das Land dürfte sich deshalb nicht so leicht von seinen Forderungen abbringen lassen.

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Peter Nowak