Rund um die Uhr an der Kasse


PREKÄRE JOBS Ein Spätkauf-Mitarbeiter verliert erst den Job, dann will man ihm verbieten, über die schlechten Arbeitsbedingungen zu sprechen. Der Fall beschäftigt nun die Justiz

Rund um die Uhr einkaufen, sich frühmorgens Biernachschub holen oder im Internet surfen erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Zahl der Spätkaufläden in Berlin wächst – und damit auch die Zahl der prekären Arbeitsplätze.

Drei Jahre hat Daniel Reilig* in einem Spätkauf in Friedrichshain gearbeitet, offiziell war er Minijobber. Gearbeitet habe er 60 Stunden in der Woche, berichtet Reilig am Mittwochabend im Stadtteilladen Zielona Gora. Anfangs hätten ihn die Arbeitsbedingungen nicht gestört. „Ich hatte ein unbezahltes Praktikum in einem Discounter hinter mir. Da hat mir die familiäre Atmosphäre zunächst gefallen“, sagt er. Zumal ihm sein Chef bald die Verantwortung für einen Laden übertragen habe. Als Filialleiter auf Minijobbasis sei ihm der niedrige Lohn kaum aufgefallen. Erst als ein Kurzurlaub abgelehnt wurde, sei die Situation eskaliert. Reilig erhielt die Kündigung.

Sein früherer Chef, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, behauptet, Reilig sei auf eigenen Wunsch gekündigt worden. Auch die Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen weist er zurück. Der Angestellte habe nur zwanzig Stunden im Monat arbeiten müssen. Sollte er länger im Laden gewesen sein, sei es freiwillig geschehen.

Die Angelegenheit beschäftigt mittlerweile die Justiz. Der ehemalige Chef wollte Reilig mit einer Klage verbieten lassen, seine Darstellung der Arbeitsverhältnisse weiter zu verbreiten. Er verklagte auch ein Internetmagazin, das einen Bericht über den Konflikt veröffentlicht hatte. In einer eidesstattlichen Erklärung hat Reilig seine Version bekräftigt. Unterstützung bekommt er von KundInnen des Spätkaufs. Die wollen vor dem Arbeitsgericht bestätigen, dass er fast rund um die Uhr an der Kasse stand.

Reilig will den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwalts Klaus Stähle stehen die Chancen gut. „Wichtig ist dabei, dass sich durch ZeugInnenaussagen oder andere Belege die tatsächliche Arbeitszeit nachweisen lässt“, betont der Arbeitsrechtler gegenüber der taz.

Reilig ist der erste Spätkauf-Beschäftigte unter seinen Mandanten. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. Auch an die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat sich bislang kein Spätkauf-Beschäftigter zur Durchsetzung seiner Rechte gewandt, erklärt die zuständige Gewerkschaftssekretärin Erika Ritter gegenüber der taz.

Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel insgesamt immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Discounterketten sorge für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU, an die sich Reilig gewandt hat, ist optimistisch. „Unsere Erfahrungen, Löhne für Einzelne einzuklagen, sind sehr positiv. Der juristische Weg reicht dabei natürlich oft nicht aus“, sagt Julia Fehrte von der Berliner FAU zur taz. Am 26. Oktober soll um 18 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße eine Solidaritätskundgebung für Reilig auch die KundInnen dafür sensibilisieren, dass der Rund-um-die-Uhr-Service der Spätkaufe seinen Preis hat.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F10%2F07%2Fa0149&cHash=315583a9c3

Peter Nowak