Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

Ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. (Hrsg. Hans Coppi, Kamil Majchrzak). Berlin: Metropol, 2015. 240 S., 19 Euro

«Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes», heißt es im Klappentext. In knapp 30 Aufsätzen informiert das Buch über die Geschichte des KZ und Zuchthaus Sonnenburg, Historiker aus Polen, Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland, sowie Angehörige der Opfer des KZ und Zuchthaus Sonnenburg kommen dabei zu Wort.
Lange Zeit war dieser Terrorort, der heute im westpolnischen Slonsk liegt, vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als «Folterhölle Sonnenburg» weltbekannt – daran erinnert der polnische Historiker Andrzej Toczewski in seinem Überblicksartikel. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt. Es waren überwiegend Berliner Kommunisten. Aber auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Alle drei überlebten das NS-System nicht.
Dass das Zuchthaus bereits in den 20er Jahren bekannt wurde, dafür sorgte der rebellische Linkskommunist Max Hölz, der dort inhaftiert war. Eine internationale Solidaritätsbewegung forderte seine Freilassung. Körbeweise trafen in diesen Jahren Solidaritätsbriefe im Zuchthaus ein. Auch in der Sowjetunion war Sonnenburg durch Hölz damals ein Begriff. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen wurde das Zuchthaus 1931 von der preußischen Landesregierung geschlossen, was in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Schließlich war der Knast ein wichtiger Arbeitgeber. Die NSDAP konnte mit dem Versprechen, es wieder zu öffnen, in der Region Stimmen gewinnen.
Das Versprechen wurde schnell eingelöst. Sonnenburg wurde in der frühen NS-Zeit zu einem wichtigen Konzentrationslager für Berliner Linke. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: «Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht … Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.» Der Politologe Christoph Gollasch verweist auf weitere Berichte über Folterungen in Sonnenburg und nennt den Ort «ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung».
Nach der Auflösung des KZ wurde Sonnenburg als Zuchthaus genutzt. Dorthin wurden während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Europa Nazigegner, die von der Straße weg verhaftet wurden, verschleppt. Diese sogenannten Nacht- und Nebelgefangenen wurden hier unter besonders unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31.Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreien konnte. Viele der Opfer konnten trotz Bemühungen der Angehörigen aus verschiedenen europäischer Ländern nie identifiziert werden.
Der Jurist Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden der für das Massaker verantwortliche SS-Sturmbannführer Heinz Richter und SS-Hauptsturmbannführer Wilhelm Nickel am 2.August 1971 vor dem Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eine Gruppe von Antifaschisten in Westberlin mit der Erforschung der Geschichte des KZ Sonnenburg begonnen. Mit dem Umbruch von 1989 kam diese Arbeit zunächst zum Erliegen. Ab 2010 beschäftigten sich Mitglieder der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit der Geschichte von Sonnenburg. Sie gründeten dafür einen gesonderten Arbeitskreis. So konnten auch noch die Arbeitsergebnisse aus den 80er Jahren mit einfließen. Es möge dem Buch gelingen, Sonnenburg zu einem europäischen Gedenkort zu machen, damit die Opfer des KZ nicht vergessen werden.

aus: SoZ 6/2015

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

von Peter Nowak

»Die Russen sind da!«

In Polen steht das Ende des Zweiten Weltkriegs für den Beginn einer neuen Besatzungszeit.

Geht es nach dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski,  soll der 8. Mai in diesem Jahr zu einem geschichtsrevisionistischen  Spektakel werden.  An  diesem Tag will er die Staats- und Regierungschefs aller EU-Staaten  auf die Westerplatte bei  Gdańsk zu einer Konferenz  begrüssen. auf der eine Lesart der Geschichte europäisiert werden soll, die in den letzten Jahren in Polen zum Allgemeingut geworden ist. Ihr zufolge hat die Rote Armee Polen im Frühjahr 1945 besetzt und die Befreiung habe erst 1989  stattgefunden. Es ist verständlich, dass  auf einer solchen Konferenz  ein Vertreter der russischen Regierung  keinen Platz hat.

Auf der Westerplatte, auf der die Deutschen mit einem Schuss ausder Kanone eines Panzerkreuzersd den Zweite Weltkrieg eröffneten, soll  am 8. Mai  der  in Russland weiter gepflegten sowjetischen Geschichtserzählung die Perspektive der  Länder entgegenstellen werden, für die 1945 keine volle nationale Freiheit gebracht hat, heißt es in polnischen Medien. Das Gedenken dürfe nicht politisiert werden,  entgegnete der  polnische Präsident den Kritikern, die an den historischen Fakt erinnern, dass  die Rote Armee mit großen Opfern die deutsche Wehrmacht  aus Polen vertrieben hat.

Der absichtsvolle  Ausschluss Russlands als Rechtsnachfolger der Sowjetunion hat für die Vertreter der aktuellen polnischen Geschichtspolitik allerdings mit Politik nichts zu tun; er zählt zur polnischen Staatsraison. Damit werden allerdings nicht nur die Angehörigen der Roten Armee aus der offiziellen Gedenkpolitik ausgeschlossen.  „Die  vielfältigen Organisationsformen des antifaschistischen Widerstands in Polen und insbesondere die Bedeutung der 1. und 2. Polnischen Armee, die Seite an Seite mit der Roten Armee kämpfte,  werden heute in Polen kaum gewürdigt. Die Befreiung vom Faschismus im Mai 1945 wird in den Schulbüchern nicht als Befreiung, sondern Beginn einer neuen Besatzungsperiode gedeutet. Nicht der Kampf gegen den deutschen Faschismus und Nationalismus wird hervorgehoben, sondern der eigene Nationalismus verklärt“,  kritisiert der  Jurist und Publizist Kamil Majchrzak die neue polnische Geschichtspolitik.   Einen zentralen Grund für das Verschweigen des linken polnischen Beitrags bei der Zerschlagung des NS  sieht er darin, dass die Kombattanten nicht nur gegen die deutschen    Besatzer kämpften, sondern für eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung  in Polen eintraten.

Nach neueren historischen    Forschungen beteiligten  sich an den Kämpfen um Berlin insgesamt 170 000 polnische Soldaten .12 000 von ihnen kämpften in der Berliner Innenstadt gegen die letzten  Nester von Wehrmacht und Volkssturm.  An den verschiedenen Fronten kämpften nach Majchrzaks Recherchen ca. von 600.000   polnischen Kombattanten gegen die Wehrmacht.   Ihr Beitrag zur  Zerschlagung des NS wird   heute in Polen ignoriert, weil sie an der Seite der Roten Armee kämpften.

Selbst die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz ist in der heutigen offiziellen Geschichtspolitik zumindest  strittig.  Der polnische Präsident Komorowski  erklärte  in einem Interview mit der  Gazeta Wyborcza,  den Häftlingen von Auschwitz könne man nicht absprechen, dass sie sich von den sowjetischen Truppen befreit fühlten. Dies habe aber nicht für alle Menschen in Ostmitteleuropa gegolten. Dass die  letzten Überlebenden von Auschwitz von der Roten Armee real befreit wurden, kam ihm nicht über die Lippen.

Polens Außenminister Grzegorz Schetyna  versuchte  mit der These, Auschwitz sei nicht von „Russen“, sondern von Ukrainern befreit worden, die neue polnische Geschichtsdoktrin auszuweiten. Er  begründete seine Auffassung auf den Umstand, dass die 1945 in Südpolen operierenden sowjetischen Einheiten der „1. Ukrainischen Front“ angehörten. Dieser eigenwilligen Geschichtsinterpretation  konterte das russische Außenministerium mit einer Erklärung,  in der  dem Außenminister Wissenslücken attestiert worden. „Es ist allgemein bekannt, dass das KZ Auschwitz von den Truppen der Roten Armee befreit wurde, in der Vertreter vieler Nationalitäten heldenhaft kämpften“, heißt es darin.

Unter den sowjetischen Soldaten der sogeannten  Ukrainischen Front, die Auschwitz befreiten, viele Juden. Etwa Anatolij Schapiro; er  öffnete als erster Soldat der Roten Armee das Tor von Auschwitz öffnete und wurde von den Überlebenden  mit  dem Jubelschrei „Die Russen sind da!“  begrüßt.         Den  Angehörigen  der Ukrainischen Front  in der Roten Armee stand die nationalistische  ukrainische  Bewegung gegenüber, die sich im Kampf gegen die Sowjetunion     mit Nazideutschland verbündete und schon unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit den Massenmorden an den ukrainischen Juden  begann. Führende Köpfe dieser Bewegung,  zum Beispiel  Stephan Bandera,  werden in der heutigen Ukraine rehabilitiert und als Freiheitskämpfer gegen Russland gefeiert. Daher ist es eine besonders perfide Geschichtsklitterung, wenn der polnische Außenminister diese Ukraine heute in die Tradition der Auschwitzbefreier stellt.

Nicht nur als Befreier vom NS   auch als Opfer der Nazis sind Kommunisten in der neuen polnischen Gedenkpolitik nicht vorgesehen. Die Konsequenzen   bekamen Angehörige von  NS-Opfern  aus verschiedenen europäischen Ländern zu spüren. Sie wollten am 30. Januar 2015 im westpolnischen Slonsk an der  Einweihung   der neu gestalteten  Ausstellung über das Konzentrationslager  und Zuchthaus Sonnenburg  teilnehmen.  „Sie waren eingeladen aber nicht willkommen. Nur unter großen Schwierigkeiten kamen sie in den Saal, in dem die Eröffnungsveranstaltung stattfand. Dort wurden sie nicht begrüßt. Als die Ausstellung eröffnet wurde, mussten sie vor dem Museum warten bis die Führung für die offiziellen Gäste beendet war“, heißt es in einer Pressemitteilung  des Internationalen Arbeitskreises zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

In  Sonnenburg wurden  bereits im Frühjahr 1933 hunderte Kommunisten und bekannte linke Nazigegner wie Erich Mühsam, Carl  von Ossietzky und  Johannes Litten inhaftiert und gefoltert. Nach dem 2. Weltkrieg wurden sogenannte Nacht-und Nebel-Gefangene aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt.  819 Gefangenen wurden  in  der Nacht vom 31. Januar 1931 von einem SS-Kommando erschossen, kurz bevor die  Roten Armee das Lager erreichte?    Ob der polnischen Präsidenten den wenigen  Gefangenen, die sich vor dem Massaker verstecken konnten, wohl  ausnahmsweise zugesteht, dass die   von der Roten Armee real und nicht nur gefühlt befreit  wurden?

aus: Konkret 5/2015

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2015/heft-52015/articles/in-konkret-1488.html

Peter Nowak

Im Schatten

Im polnischen Słońsk ist eine Ausstellung eröffnet worden, die an das dortige ehemalige Konzentrationslager erinnert.

»Wer ins polnische Słońsk kommt, sollte unbedingt Zeit mitbringen«, heißt es auf der Homepage der »Initiative Kulturbrücke über die Oder«, die für eine deutsch-polnische Kulturbegegnung wirbt. Dort wird auf den Nationalpark Warthemündung mit seinen seltenen Vögeln und Pflanzen hingewiesen. Seit dem 31. Januar gibt es einen weiteren Grund, länger in dem polnischen Städtchen knapp 100 Kilometer östlich von Berlin zu verweilen. An diesem Tag wurde eine in deutsch-polnischer Kooperation und maßgeblich vom »Internationalen Arbeitskreis zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg« der Berliner VVN-BdA konzipierte Ausstellung zur Geschichte des KZ Sonnenburg eröffnet. Sie erinnert an eine Zeit, die auf der Homepage der Kulturbrücke unter dem Stichwort »besonders dunkler Teil der Sonnenburger Geschichte« in einem kurzen Absatz abgehandelt wird.

»Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes«, heißt es in der Ausstellung. Die in deutscher und polnischer Sprache erstellten Tafeln belegen diese Aussage detailliert. Bereits im Frühjahr 1933 wurden Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle aus Berlin und Brandenburg nach Sonnenburg verschleppt. Klaas Meyer, ein kommunistischer Seemann, beschrieb seine Begegnung mit der SA: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, den meisten lief das Blut schon durchs Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, man hatte ihnen gesagt, wir seien Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.«

In der Ausstellung wird auch gezeigt, dass Sonnenburg nicht zufällig als Ort für das KZ ausgesucht wurde. Als 1931 das dortige Zuchthaus wegen katastrophaler hygienischer Zustände geschlossen wurde, regte sich im Ort, in dem das Zuchthaus ein zentraler Arbeitgeber war, Widerstand. Die NSDAP, die gegen die Zuchthausschließung agitierte, erzielte gute Wahlergebnisse.

Mehrere Tafeln dokumentieren die Gesichter der »Nacht-und-Nebel-Gefangenen«, die nach 1941 aus zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern in das Zuchthaus verschleppt wurden. Kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee erschoss die SS in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 in Sonnenburg noch 819 Gefangene.

70 Jahre später reisten zur Eröffnung der Ausstellung auch viele Angehörige der Opfer aus Deutschland und diversen europäischen Ländern an. Doch nicht alle fühlten sich in Słońsk willkommen. Viele Angehörige mussten in der winterlichen Witterung vor der Halle warten, in der ein Vertreter des Fürstenhauses von Luxemburg bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des 30. Januar 1945 sprach. Der größte Teil der Erschossenen kam aus Luxemburg.

»Auch unsere Angehörigen waren Opfer«, sagt Jan Hertogen. Der belgische Forscher, der beim Internationalen Arbeitskreis der Berliner VVN mitarbeitete, war besonders empört, dass die Rede der belgischen Botschafterin bei der Gedenkveranstaltung aus Zeitgründen kurzfristig gestrichen worden war. »In Sonnenburg wurde mein Vater gequält und heute fühle ich mich an dem Ort wieder gedemütigt«, sagt Meina Voigt Schnabel zur Jungle World. Auch die Tochter des kommunistischen Seemanns Klaas Meyer, der bereits 1933 die Zustände in der »Folterhölle Sonnenburg« der Öffentlichkeit bekannt machte, bekam keinen Zutritt zur Gedenkveranstaltung.

Am Nachmittag organisierte der Arbeitskreis ein Treffen im Rathaus von Słońsk mit dem polnischen Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz, der die Kommission für die Verfolgung von Verbrechen im Zuchthaus Sonnenburg leitet. Die 1972 eingestellten Ermittlungen gegen die Verantwortlichen wurden im Februar 2014 wieder aufgenommen. Rechtzeitig zum 70. Jahrestag des Massakers haben Hans Coppi und Kamil Majchrzak im Metropol-Verlag das Buch »Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg« herausgegeben, das einen guten Überblick über die Geschichte dieses weitgehend vergessenen Ortes des NS-Terrors gibt.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51382.html
Peter Nowak

Inbegriff des NS‑Terrors

Geschichte Im westpolnischen Słońsk soll ein Gedenkort an das KZ Sonnenburg erinnern
»Donnerstag, den 6. April: Abtransport über Schlesischen  Bahnhof nachSonnenburg, Nacht mit Ossietzky und Litten. Sonnabend, den 8. April: Umzug in Einzelhaft (Keller); Erdarbeit (mit Ossietzky). Sonntag, den 9. April: Verletzung des  Gebisses, des Ohres usw. Mittwoch, den 19. April:  Schwere Herzattacken durch Überanstrengungen, frühmorgens. Donnerstag, den 13. April: Anstrengungen wie gestern, Ohrenausspritzung. Sonnabend, den 22. April: Beim Arzt (Zurechtweisung wegen unnötiger Konsultation).   Montag, den 24. April: Überfall in der Zelle, Schläge. 16./17. Mai: Überfallin der Zelle.« In seinem Taschenkalender hatte Erich Mühsam sein Martyrium als Gefangener der Nazis im  Konzentrationslager Sonnenburg festgehalten. Litten, Ossietzky und Mühsam, die den Nazis
»Folterhölle Sonnenburg«
1934 wurde das KZ Sonnenburg geschlossen,  die meisten Häftlinge wurden in andere KZs verlegt. Ab 1942
wurden Gefangene aus sämtlichen von der Wehrmacht besetzten Ländern von der Straße weg nach Sonnenburg verschleppt. Über 800 dieser »Nacht- und Nebel-Gefangenen« wurden am 30. Januar 1945 von der Gestapo erschossen, kurz bevor sie von der Roten Armee befreit werden konnten. HistorikerInnen sprechen von einem der größten Massaker an Gefangenen in der Endphase des NS-Regimes. Es ist bis heute in Deutschland ebenso unbekannt wie die Geschichte des KZ Sonnenburg. Eine Arbeitsgruppe der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVNBdA) will das ändern. Die AG gehörte zu den Mitveranstaltern einer Tagung im Gemeindehaus des westpolnischen Städtchens Słońsk, wie das ehemalige Sonnenburg seit 1945 heißt. Angehörige von Verfolgten des Naziregimes, KommunalpolitikerInnen, JuristInnen und HistorikerInnen haben dort am 13. September 2013 vereinbart, dass in dem Ort ein europäischer Erinnerungsort für die deutsche Verbrechensgeschichte entstehen soll. Bei einem Rundgang durch den kleinen Ort stößt man überall auf die Spuren.  In einem grauverputzten Bau im Industriegelände am Rande des Städtchens befindet sich das das Muzeum Martyrologie, das an die Geschichte des KZ Sonnenburg erinnert. Am anderen Ende des Ortes wird auf einem Friedhof den Opfern des Massakers vom 31. Januar 1945 gedacht. Sie kamen aus sämtlichen europäischen Ländern, besonders viele jedoch aus Luxemburg, Frankreich und Belgien. An den Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag nehmen regelmäßig Delegationen aus diesen Ländern teil. Seit zwei Jahren beteiligt sich auch die Berliner VVN-BdA daran. Offizielle deutsche VertreterInnen waren bisher nie anzutreffen. Während in den letzten Jahren für die Renovierung der ehemaligen Johanniterkirche in Słońsk Spendengelder aus Deutschland flossen, gab es für die beiden Gedenkorte bisher keinen einzigen Cent. Dabei müssen viele der Exponate im Gedenkmuseum restauriert werden.  Sie wurden bei einem Wasserrohrbruch beschädigt, die nachfolgende Schimmelbildung sorgt für weitere Probleme.  Seit Jahren bemüht sich der Słońsker Bürgermeister Janusz Krzyśków um eine finanzielle Förderung der Erinnerungsarbeit.  Mit den kürzlich genehmigten EUMitteln können zumindest die Außenfassade und der Vorplatz des Museums erneuert werden. Für die Modernisierung der Innenausstattung des Museums fehlt weiterhin das Geld. Kamil Majchrzak von der VVN-AG sieht auch Institutionen in Deutschland in der Verantwortung.  Doch im ambitionierten Programm zum Erinnerungsjahr »Zerstörte Vielfalt« in Berlin wurde das KZ Sonnenburg ausgeblendet. Dabei fällt der 80. Jahrestag der Gründung in das Erinnerungsjahr, und die Gefangenen kamen fast ausnahmslos aus Berlin.  Mit Forschungslücken ist diese Ignoranz nicht zu erklären. Dazu müssten allerdings die zahlreichen Arbeiten aus Polen zur Kenntnis genommen werden.
Die Täter wurden bisher nicht belangt
Auf der Tagung würdigten mehrere RednerInnen das Engagement des 1996 verstorbenen polnischen Staatsanwalts Przemysław Mnichowski. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass 1974 das Gedenkmuseum in Słońsk errichtet wurde.  Er hat als Leiter der lokalen Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen auch den Grundstock für die wissenschaftliche Aufarbeitungder NS-Verbrechen gelegt. In mehreren Artikeln in juristischen Fachzeitschriftensetzte er sich mit den Verbrechen in Sonnenburg auseinander. Bereits 1970 legte er Karteikarten mitden Namen und kurzen biographischenAngaben von über 600 Gefangenen von Sonnenburg an. An diese Vorarbeit kann Peter Böhnevon der Berliner VVN-BdA anknüpfen, der auf der Tagung eine Datenbank mit Informationen über die Gefangenendes KZ Sonnenburg vorstellte. Vielleicht kann sie demnächst durch die Forschungsarbeiten einer kleinen Initiative ergänzt werden, die in den späten 1980er Jahren im Umfeld der Westberliner Friedensbewegung entstanden war und gemeinsam mit polnischen WissenschaftlerInnenzur Geschichte von Sonnenburg forschte. Nach 1989 wurde die gemeinsame Arbeit eingestellt, und die Unterlagen wanderten in die Schublade. In Słońsk überreichte Initiativenmitbegründer Peter Gerlinghoff die Materialen Hans Coppi von der der VVN. Bisher hatte sich niemand für die Opfer von Sonnenburg interessiert. Die Täter hingegen setzten ihre Arbeit einfach fort. Bekannte Folterer aus dem KZ Sonnenburgwie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek gehörten in der BRD bis zu ihrer Verrentung zum Wachpersonal in Haftanstalten. Die für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel wurden 1970 in einem Prozess vom Kieler Landgericht freigesprochen. Sollte einer der Täter noch leben, könnte er doch noch juristisch belangtwerden. Denn am Ende der Tagung kündigteder polnische Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz die Wiederaufnahme der seit über 30 Jahre ruhenden Ermittlungen gegen die NS-Täter an. Unter den Bedingungen einer vereinfachten staatsanwaltlichen Zusammenarbeit in der EU sieht er eine letzte Chance, die Opfer und Täter des ZuchthausesSonnenburg zu verifizieren. Ein besonderes Augenmerk legt Jagiełłowicz auf die Zurechnung der einzelnen Morde,die Übergriffe der Wachmannschaften auf die Sonnenburger Häftlinge sowie die im Zuchthaus Sonnenburg durchgeführte medizinischen  Experimente, die noch kaum erforscht sind. So könnten auch in Deutschland Justiz und Gesellschaft gezwungen werden, sich mit der Verbrechensgeschichte in Sonnenburg auseinanderzusetzen.
https://www.akweb.de/
aus: ak | Nr. 588 | 19. November 2013
Peter Nowak

Leiharbeiter klagt sich ein

ARBEIT Vor Gericht bekommt ein Leiharbeiter recht, die Heinrich Böll Stiftung muss ihn einstellen

Ein Leiharbeiter der Heinrich Böll Stiftung (HBS) hat erfolgreich auf Festanstellung geklagt. Das Berliner Arbeitsgericht urteilte am Donnerstag, dass der Mann nicht wie sonst üblich per Werk- oder Dienstvertrag ausgeliehen worden sei, sondern es sich im konkreten Fall um einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag handele. Allerdings verfüge die Firma Xenon nicht über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Daher, so das Gericht, bestehe ein direktes Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Heinrich Böll Stiftung.

Seit April 2011 arbeitet Michael Rocher im BesucherInnenservice der Grünen-nahen HBS – und die Festanstellung soll laut Gericht rückwirkend seit diesem Zeitpunkt gelten. Die finanziellen Konsequenzen des Urteils sind allerdings noch offen. Denn das Gericht hat die Entscheidung, welcher Tarif nun für Rocher zur Anwendung kommt, vertagt. „Über diesen Antrag will das Arbeitsgericht in einer noch anzuberaumenden weiteren Sitzung entscheiden“, kündigte es in einer Pressemitteilung an.

Rocher selbst rechnet auch mit Auswirkungen über seinen eigenen Fall hinaus. „Ich hoffe, dass das Urteil meine KollegInnen ermutigt, ebenfalls ihre Festanstellung einzuklagen“, sagte er der taz. Rund 20 MitarbeiterInnen seien mit ähnlichen Verträgen, wie sie das Gericht jetzt als unrechtmäßig klassifiziert hat, bei der Stiftung beschäftigt.

Rocher hatte sich an die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) gewandt, die in den letzten Wochen eine Kampagne gegen Leiharbeit bei der Böll-Stiftung initiierte und dabei auch Wahlplakate der Grünen persiflierte. So steht beispielsweise neben dem Konterfei des Schriftstellers Heinrich Böll die Frage „Ich bin gegen prekäre Arbeit bei der grünen Heinrich Böll Stiftung und Du?“

Die Geschäftsführerin der Heinrich Böll Stiftung, Livia Cotta, wies gegenüber der taz den Vorwurf zurück, prekäre Arbeitsverhältnisse zu unterstützen. „Gegenstand des Verfahrens war nicht die Frage, ob die Heinrich Böll Stiftung MitarbeiterIinnen und Dienstleister/innen angemessen bezahlt.“ Das Gericht habe vielmehr geprüft, ob der Einsatz des Klägers durch die Dienstleistungsfirma einem Dienst-/Werkvertrag entsprach oder de facto ein Arbeitsverhältnis mit der Stiftung begründete. „Nur in dieser Sache hat das Gericht der Klage stattgegeben“, betont Cotta. Sie wies darauf hin, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Man werde die Begründung sorgfältig prüfen.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F09%2F06%2Fa0151&cHash=b8eafd58681acd606cef587b331aa531

Peter Nowak

Peter Nowak

„Das KZ war als Folterhölle bekannt“

ist Mitbegründer des Arbeitskreises zur Geschichte des KZs und des Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten.

Der Publizist Kamil Majchrzak kämpft für das Gedenken an das NS-Konzentrationslager Sonnenburg. Dort waren überwiegend Berliner Kommunisten inhaftiert.

taz: Herr Majchrzak, welche Bedeutung hatte das Konzentrationslager Sonnenburg im heutigen Polen?

Kamil Majchrzak: Das ehemalige Zuchthaus, das wegen katastrophaler sanitärer Verhältnisse geschlossen worden war, diente vom 3. April 1933 bis 23. April 1934 als KZ. Zu den über 1.000 Häftlingen gehörten überwiegend Kommunisten aus Berlin, aber auch der Nobelpreisträger Carl von Ossietzky und der Schriftsteller Erich Mühsam. Wegen der außergewöhnlichen Brutalität wurde das KZ bald als „Folterhölle“ bekannt. Nach 1934 diente es wieder als Zuchthaus. Seit 1942 waren dort „Nacht- und Nebelhäftlinge“ aus fast allen okkupierten Ländern inhaftiert. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 wurden über 800 Häftlinge wenige Stunden vor der Befreiung durch die Rote Armee von einem SS-Kommando erschossen. Es ist ein europäischer Gedenkort.

Warum ist das KZ bisher kaum bekannt?

In der BRD wollte man die in Sonnenburg begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertuschen, die die enge Verstrickung von Justiz und Gestapo offenbarten. So wurde etwa der bereits zu lebenslanger Haft verurteilte Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Herbert Klemm, wieder freigelassen. Viele Nazi-Richter und Beamte waren in der BRD in Amt und Würden. Zahlreiche Folterer aus Sonnenburg wie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek konnten in der BRD bis zur Rente weiterarbeiten. An einer juristischen Aufarbeitung war die bundesdeutsche Justiz nicht interessiert. Das belegt der Freispruch der für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Angehörigen Heinz Richter und Wilhelm Nickel im Kieler Prozess 1970.

Wie ging die DDR damit um?

In der DDR stand das frühere KZ Sonnenburg auch im Schatten des Widerstands in Buchenwald. So entstand eine Lücke, die wir jetzt füllen wollen, und wir hoffen, dass auch der Senat diesen Gedenkort wiederentdeckt, der ja faktisch ein Teil Berliner Geschichte ist.

Wie geht Polen mit dem ehemaligen Lager um?

1974 wurde ein Museum errichtet. Das jährliche Gedenken an das Massaker wird von der Zivilgesellschaft der Gemeinde Słońsk getragen. Dort nehmen seit einigen Jahren Berliner Vertreter der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ teil. So ist die Idee zu einer gemeinsamen Tagung in Słońsk am 13. September entstanden. Angehörige von früheren Häftlingen werden das Wort ergreifen, und wir wollen über das Erinnern und Gedenken nach 1945 in Słońsk sprechen.

Und Ihre weiteren Planungen?

Wir hoffen, dass HistorikerInnen in Polen und Deutschland das Thema entdecken und wir vor allem mit Jugendlichen und SchülerInnen beider Länder Projekte entwickeln können. Auch internationale Geschichtswerkstätten wären denkbar.
http://www.taz.de/Gedenken-an-NS-Geschichte/!122265/

Interview: Peter Nowak

Erinnerung an die Folterhölle


Berliner Antifaschisten planen Gedenkort im ehemaligen KZ Sonnenburg

Das KZ Sonnenburg wurde 1933 zum Inbegriff des NS-Terrors gegen politische Gegner. Heute ist das Lager im polnischen Słonsk weitgehend vergessen. Berliner Antifaschisten wollen dort einen Erinnerungsort einrichten. Sie stellten das Projekt am Mittwochabend in Berlin vor.

Der KPD-Politiker Rudolf Bernstein veröffentlichte 1934 in der Prager »Arbeiter Illustrierten Zeitung« den Artikel »Folterhölle Sonnenburg«. Der spätere Direktors des Staatlichen Filmarchivs der DDR war wie Tausende Nazigegner nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verhaftet worden. Weil in Berlin nicht genügend Unterkünfte für die vielen Gefangenen vorhanden waren, nahmen die Nazis das Zuchthaus Sonnenburg wieder in Betrieb, das wenige Jahre zuvor von der preußischen Regierung wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden war.

Doch die bis zu 1000 Häftlinge, in ihrer großen Mehrheit Kommunisten aus Berlin und Umgebung, die dort ab April 1933 einsaßen, hatten nicht nur unter Enge und schlechtem Essen zu leiden. Sie waren auch Demütigungen und Folter der brutalen SA-Wachmannschaften ausgesetzt.

Das Lager wurde im April 1934 geschlossen, aber mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erneut eröffnet. Dorthin wurden Nazigegner aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern gebracht. In der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 wurden auf dem KZ-Gelände von der Gestapo über 800 Gefangene erschossen. Opfer dieses größten Massakers in der Endphase des NS-Regimes waren Angehörige einer kommunistischen Widerstandsgruppe sowie Gefangene aus Frankreich und Luxemburg. Die Täter wurden in Deutschland nie verurteilt.

Für Hans Coppi von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) ist Sonnenburg in Deutschland heute weitgehend vergessen, weil es keine Lagergemeinschaft ehemaliger Insassen gibt. In einer Arbeitsgruppe der VVN-BdA, die sich für den Erinnerungsort an das Konzentrationslager einsetzt, arbeitet auch Kamil Majchrzak von der polnischen Edition der Zeitschrift »Le Monde Diplomatique« mit. Er betont gegenüber »nd« die politische Bedeutung des geplanten Gedenkortes. »In Zeiten der Rechtsentwicklung in verschiedenen europäischen Ländern soll dort daran erinnern werden, dass Widerstandskämpfer aus allen europäischen Ländern die Welt vom Nationalsozialismus befreiten.«

Die VVN-BdA hat eine Datenbank mit über 500 Namen von Häftlingen der »Folterhölle« zusammengestellt. Dabei konnte sie sich auf Vorarbeiten des polnischen Historikers und Leiters der lokalen Kommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen, Przemysław Mnichowski, stützen. »Leider existiert nach wie vor keine vollständige Namensliste der auf dem Friedhof der Kriegsgefangenen verscharrten Opfer des Zuchthause«, erklärt Frieder Böhne vom Arbeitskreis der VVN-BdA.

Am 12. und 13. September soll in Słonsk auf einer Tagung über die Gestaltung des Gedenkortes mit Teilnehmern aus Polen, Deutschland, Luxemburg, Norwegen, Belgien beraten werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/826522.erinnerung-an-die-folterhoelle.html

Peter Nowak