Schlösser ausgetauscht

RÄUMUNG Der Träger der Kinderfarm Wedding wurde trotz Protesten von Eltern und Kindern mit Polizeihilfe geräumt
Um 10 Uhr stand am Montag die  Gerichtsvollzieherin in Polizeibegleitung vor dem Eingang der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße, um den bisherigen Träger zu räumen. Doch zunächst war kein Durchkommen. Ein Auto versperrte den Zugang. Dahinter hatten sich rund 250 Menschen versammelt und deutlich gemacht, dass sie die Amtspersonen nicht auf das Gelände lassen wollten. Nachdem die Polizei das Tor aufgestoßen hatte und einige der Personen zur Seite schubste, erklärte der langjährige Mitbegründer der Kinderfarm, Siegfried Kühbauer, die BesucherInnen zu seinen Gästen. Sie mussten fast zwei Stunden in Kühbauers Wohnung auf dem Gelände ausharren. In dieser Zeit wurden sämtliche Schlösser an den Gebäuden der Kinderfarm ausgetauscht. Kühbauer ist es untersagt, seinen Arbeitsplatz zu betreten, den er seit 1988 mit aufgebaut hat.

„Kinder haben Rechte“
Auch Stunden später ist das Unverständnis angesichts der Räumung unter PassantInnen groß. Ein Mittdreißiger berichtet, wie er als Kind hier seine Freizeit verbracht hat. Daneben steht eine Mutter mit zwei Kindern. Sie halten ein Schild mit dem Spruch „Kinder haben Rechte“ in die Höhe“. Auf Transparenten, die am Zaum angebracht sind, heißt es: „Kids besetzen für denKiez.“  Tatsächlich hatten rund 40 UnterstützerInnen, darunter Kinder mit ihren Eltern, auf dem Areal ihre Zelte aufgeschlagen und übernachtet. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass die Polizei sich gewaltsam in der Weddinger Kinderfarm Zutritt verschafft“, meint auch Sarah Waterfeld. Die im Wedding geborene Schriftstellerin hat in ihrer Kindheit den Bauernhof mit seinen Ponys, Hühnern, Ziegen und Meerschweinchen regelmäßig besucht. Seit Monaten hat sie sich dafür engagiert, dass Siegfried Kühbauer seine Arbeit fortsetzen kann. „Ich befürchte, dass esdem Bezirk darum geht, Zugriff auf das lukrative Grundstück zu bekommen“, sagt sie. Waterfelds Befürchtung teilen viele der UnterstützerInnen des alten Trägers. Die Erklärung  der zuständigen Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Smentek, kann sie nicht beruhigen. Sie wirft den bisherigen Trägern der Kinderfarm vor, sich geweigert zu haben, öffentliche Mittel abzurechnen. Kühbauer bestätigt, dass in einem Fall Rechnungen zu spät abgerechnet wurden, weil der Kassenwart überlastet war. In der harten Haltung des Bezirks sieht er eine Retourkutsche, weil er als Mitbegründer des Arbeitskreises Kinder- und Jugendarbeit im Berliner Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi heftige Kritik an der Politik von Senat und Bezirk geäußert hat. Wie es jetzt mit der Kinderfarm weitergehen soll, ist völlig offen. Die Bezirksstadträtin Smentek bittet die bisherigen NutzerInnen, den neuen Träger „Kinderbunte Bauernhof Wedding e. V.“ zu unterstützen. Die protestierenden Eltern und Kinder äußern offen, dass sie kein Vertrauen in dessen Arbeit haben. Derweil zeichnen MitarbeiterInnen des Bezirksamts mit weißer Farbe den Weg ein, den Kühbauer zu nehmen hat, wenn er in seine Wohnung will, die im hinteren Teil des Areals liegt. Wenn er sich außerhalb der Linie bewegt, könnte ihm eine Anzeige drohen.
Weddinger Kinderfarm
■■ Am 24. Mai 1983 wurde der
Weddinger Kinderfarm e. V.
gegründet, die Kinderfarm liegt
an der Ecke Tegeler und Luxemburger
Straße. Die Einrichtung
wurde im Rahmen der sozialen
Stadtentwicklung vom Quartiersmanagement
unterstützt.
■■ Am Montag wurde der Träger
Weddinger Kinderfarm e.V., der
2013 sein 30-jähriges Bestehen
feierte, geräumt. Der Bezirk hat
einen anderen Träger. Die Tiere
werden weiter versorgt.
aus Taz vom 21.6.2016
Peter Nowak

Weddinger Kinderfarm soll geräumt werden

Kammergericht lehnt einstweilige Verfügung ab, Unterstützer wollen am kommenden Montag Solidarität zeigen

Die Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße soll am kommenden Montag geräumt werden. Eine einstweilige Verfügung lehnte das Kammergericht am Donnerstag ab. Derweil regt sich Protest.

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Auf der Farm erlernen Kinder den Umgang mit Tieren.

Am kommenden Montag nun soll die Kinderfarm geräumt werden. Es wäre die Eskalation eines Streits, der seit mehreren Jahren zwischen dem Trägerverein und der zuständigen Bezirksstadträtin des Bezirks Mitte, Sabine Smentek (SPD), schwelt. Smentek spricht von erheblichen Störungen, die eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich machten. Sie sagt, Sachberichte über die Arbeit der Kinderfarm und Nachweise über die Verwendung von öffentlichen Mitteln seien nicht rechtzeitig eingereicht worden. Tatsächlich seien in einem Fall die Rechnungen zu spät übergeben worden, sagt Kühbauer. Der Grund habe in der Arbeitsüberlastung des Kassenwarts gelegen, der neben einer anderen beruflichen Tätigkeit für die Kinderfarm arbeitete. »Wir haben eine Überlastungsanzeige beim Bezirksamt gestellt«, sagt Kühbauer. Doch Verständnis habe er nicht erfahren. Neben dem Stopp aller finanziellen Zuwendungen folgte die Kündigung, die am 20. Juni zur Räumung führen soll.

Unterstützer der Kinderfarm sprechen von der Abstrafung eines Pädagogen, der sich sozialpolitisch zu Wort meldete. Kühbauer gründete im Mai 2012 den »Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit« zusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Dieser veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen die Flugschrift »Protestschrei«. Dort wird die Kinder- und Jugendarbeit des Bezirks scharf kritisiert. So erinnerte der »Protestschrei« daran, dass die gesetzliche Vorgabe, zehn Prozent des Gesamtjugendetats in die Jugendhilfe zu leiten, ignoriert wird. »Für Wedding ergäbe das eine Summe von 202 000 Euro im Jahr. Doch es werden lediglich 159 000 Euro zur Verfügung gestellt«, sagt Kühbauer.Zu den Unterstützern gehört auch die Weddinger LINKE. In einem offenen Brief an die Bezirksverordnetenversammlung Mitte übte sie heftige Kritik: »Sie meinen, sich mit dem Rauswurf des Trägervereins einen Widersacher, der sich nicht mit dem gesetzeswidrigen Verhalten des Bezirks abfinden will, vom Hals zu schaffen.« Kühbauer sagt: »Um die Räumung durchzusetzen, hat das Bezirksamt viel Geld für die juristische Auseinandersetzung ausgegeben, die die Kinderfarm gut gebrauchen könnte.« Am Montag wollen viele Unterstützer auf dem Gelände sein, darunter auch Eltern und Kinder.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/1015661.weddinger-kinderfarm-soll-geraeumt-werden.html

Peter Nowak