Arm und sexy im Gemüsebeet

Die Verfechter der sogenannten Share-Ökonomie haben sich in Berlin getroffen. Ihre Vision von der Zukunft ist die Selbstverwaltung des Elends.

»Von der geteilten Stadt zur teilenden Stadt« – so lautete das Motto einer Veranstaltungsreihe, mit der zahlreiche Projekte, Initiativen, Sozialunternehmen und Startups die »Sharing Week« bewarben, die kürzlich in Berlin stattfand. Im zugehörigen Werbematerial fehlte es nicht an Floskeln, mit denen begründet werden sollte, warum gerade Berlin besonders geeignet sei, der sogenannten Share-Ökonomie zum Durchbruch zu verhelfen.

Warum die »einst geteilte Mauerstadt« der ideale Ort sein soll, um »eine ganz neue, ganz andere, durch und durch lustvolle Form des Teilens zu praktizieren«, bleibt allerdings das Geheimnis der Veranstalter der »Sharing Week«. Auch die These, dass »Besitzen, Konkurrieren und Trennen so etwas von gestern« seien und dass es heutzutage um den »gemeinschaftlichen Zugang zu Dingen, Wissen, Dienstleistungen, Autos, Bügeleisen, Küchengeräten, Computerdateien, Gärten« gehe, wird nicht begründet. Schließlich müssten die Autoren, wenn sie ihre Bekundungen ernst nähmen, über den Kapitalismus reden. Aber mit dem Bündnis für Share-Ökonomie kooperierende Unternehmer und Firmenbesitzer müssen nicht fürchten, dass ihr Eigentum an Produktionsmitteln in Frage gestellt wird. Genauso wenig wird erwähnt, dass Konkurrenz ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist.

Der als »Vordenker der Occupy-Bewegung in den USA« vorgestellte Kulturphilosoph Charles Eisenstein führt im Magazin der »Sharing Week« aus: »Linke kritisieren, dass die Share-Ökonomie die Besitzverhältnisse nicht verändert. Bei Airbnb etwa profitierst du von der Nutzungskontrolle über dein Apartment, es herrscht weiterhin Kapitalismus.« Eisenstein widerspricht dem nicht, betont aber, er glaube trotzdem, die Share-Ökonomie sei ein Schritt in eine gemeinschaftliche Lebensweise.

Wie diese gemeinschaftliche Lebensweise im Jahr 2022 aussehen könnte, haben sich die Kulturarbeiterinnen Cemilia Elle und Jaana Prüss am Beispiel Berlins ausgemalt. Die phantastische »Share-City« macht jedoch nicht den Eindruck, als beherberge sie eine emanzipatorische Gesellschaft. Da wird Joachim Gauck zum Vorsitzenden des Bundesausschusses für Teilhabe, Angela Merkel gärtnert begeistert bei der Kampagne »Pflücken erlaubt statt betreten verboten« im Regierungsviertel – gemeinsam mit der selbsternannten Glücksministerin Gina Schöler. Auch den Menschen, die nicht zu den Gutsituierten gehören, haben Elle und Prüss einen Platz in der »Share-City Berlin« zugewiesen: als fleißige Null-Euro-Jobber. »Wie wild pflanzen nun Freiwillige in den öffentlichen Parks und Grünanlagen Essbares wie Kräuter, Kirschen und Kürbisse«, schreiben die Kulturarbeiterinnen.

Dass diese Zukunftsvision nicht vollkommen unwirklich erscheint, liegt an den Folgen der Krise, die viele Menschen zu spüren bekommen. Wenn Löhne und Einkommen nicht mehr die Reproduktionskosten decken, wird eben Nahrung überall da angebaut, wo es noch möglich ist. In Griechenland und Spanien begeben sich Menschen aufs Land, um Essbares anzubauen. Andere legen Beete und Felder in städtischen Brachen an. In den deindustrialisierten Gegenden von Detroit weiden Ziegen, Getreide und Obst werden dort gezüchtet.

In Deutschland ist das Interesse an der Share-Ökonomie ebenfalls in Zeiten gewachsen, in denen auch die Mittelschicht von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffen ist und der Niedriglohnsektor boomt. Wenn Menschen sich Sorgen machen müssen, wie sie das Geld für Essen und Miete aufbringen können, wächst das Interesse an der Subsistenz. Die »Sharing Week« und das Motto »Arm aber sexy«, das Klaus Wowereit der Stadt verordnet hat, gehören zusammen. Darüber findet sich in den Werbematerialien zur »Sharing Week« kein Wort. Stattdessen wird die Armuts- und Elendsökonomie mit schönen Worten und einer Prise Spiritualität zum neuen, angesagten Lebensstil erhoben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/25/50076.html

Peter Nowak